Jeder für sich und Gott gegen alle - Kaspar Hauser

4 / 5 Sterne

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Anbieter: Kinowelt / Arthaus
D 1974
Regie: Werner Herzog
Bild: 1,78: 1 (Letterbox)
Ton: Deutsch (Mono)
Extras: Audiokommentar, Auszüge aus dem Drehbuch, Trailer (Stroszek, Kaspar Hauser, Aguirre), Dokumentation WERNER HERZOG, FILMEMACHER)

Will man Werner Herzogs Oeuvre in zwei Grundströmungen einteilen, wird man einerseits seine romantisch-pathetischen Eroberungsphanatsien finden (FITZCARRALDO, AGUIRRE, SCHREI AUS STEIN u.a.), auf der anderen Seite jedoch einen Kult des Naiven: STROSZEK, INVINCIBLE, HERZ AUS GLAS, WOYZECK und auch der nun auf DVD vorliegende KASPAR HAUSER fallen in diese Kategorie, in denen die Welt durch die Augen der einfältigen und gepeinigten Kreaturen betrachtet wird. Um diesen Blick möglichst unverstellt einnehmen zu können lässt er die Darsteller gleichsam als Projektionsflächen agieren: in HERZ AUS GLAS waren die Schauspieler unter Hypnose, in STROSZEK und KASPAR HAUSER setzte er den Laien Bruno S. ein, der wie der Findling Kaspar Hauser selbst "ein noch unbearbeitetes Stück Mensch, ein Rohling" (Herzog) ist.

Wie Francois Truffaut in DER WOLFSJUNGE führt Herzog in diesem Film sehr direkt einen vorzivilisierten Zustand des Menschen vor, eine fast kindliche Unberührtheit, die dem entsprechen mag, was Herzog mit den gewaltigen Naturlandschaften verbindet, in die es ihn immer wieder zieht (den Dschungel in LITTLE DIETER NEEDS TO FLY, die Wüste in FATA MORGANA, den Vulkan in LA SUFFRIERE). Zahlreiche Antworten auf diese Fragen gibt die Dokumentation WERNER HERZOG, FILMEMACHER (30 Minuten), die der DVD als Bonus beigegeben wurde: Herzog inszeniert sich selbst traditionell auf dem Münchner Oktoberfest, als Wanderer und Bergsteiger im Dialog mit Reinhold Messner, als Abenteurer im Dschungel und schließlich als Pilger, der durch einen winterlichen Fußmarsch von München nach Paris der sterbenden Filmwissenschaftlerin Lotte Eisner das Leben retten will. Pathos, Romatik und Ritual stehen im Mittelpunkt seines Lebens und Werkes - sofern man ihm glauben kann. Übrigens belegt der Filmemacher hier selbst den starken Einfluss der Gemälde Kaspar David Friedrichs auf seinen Gestaltungssinn - ein Faktum, das er im Kommentar zu NOSFERATU fast bestreitet...

KASPAR HAUSER ist eines von Herzogs wichtigen Soziodramen über das 19. Jahrhundert, inszeniert an Originalschauplätzen mit dem angestammten Team (u.a. Kamera Jörg Schmidt-Reitwein). Wer seine Probleme mit der oft spröden Schauspielerführung in seinen Filmen hat, wird hier ebenfalls mit einer ausgesprochenen Künstlichkeit konfrontiert, die von Herzog beabsichtigt sein mag, diesen Film aber ebenso wie den noch kargeren WOYZECK gewöhnungsbedürftig werden lässt...

Die DVD-Präsentation von Kinowelt hält den hohen Standard der Herzog-Edition, bleibt den technischen Eigenarten des Films treu (nicht erschrecken bei den trüben ersten Traumbildern des Films!) und bietet mit der langen Dokumentation ein sehr attraktives Extra.

Marcus Stiglegger