Catrin Corell
Der Holocaust als Herausforderung für den
Film Transcript Verlag 2009, 520 S., kart., zahlr. Abb.,
39,80 € Ist das Kino unser historisches Bildarchiv geworden? Mehr als durch andere Medien ist das erinnerte Bild des Holocaust von der Darstellung in Spielfilmen und Fernsehserien geprägt. Obwohl es bereits früher Spielfilme gab, die sich intensiv mit den Konzentrationslagern der Nationalsozialisten auseinander setzten (etwa Gillo Pontecorvos Kapo, 1961) und Alain Resnais Essayfilm Nacht und Nebel (1953) die bei der Befreiung gefilmten Dokumente früh zugänglich machte, etablierte erst die US-Serie Holocaust (1978) bei ihrer Ausstrahlung in Deutschland jene Bilder, die das zeitgenössische Bildarchiv begründeten. Danach waren es vor allem Steven Spielbergs Schindler Liste (1994) und Roman Polanskis Der Pianist (2002), die dieses Bild ergänzten und nachhaltig beeinflussten. Dazu kam die Diskussion um die 'Holocaust-Komödien’ Das Leben ist schön (1998) und Zug des Lebens (1998) und die immer wieder auftauchende Sexualisierung von Lagerszenarien (Der Nachtportier, 1973, Pasqualino Settebellezze, 1975). Für die Filmwissenschaft ist dieses Thema folglich von beständiger Bedeutung und noch bei weitem nicht ausgeschöpft, vor allem, da sich die meisten bisherigen Publikation beharrlich an den bekannten Beispielen abarbeiten und ein analytische Systematisierung bislang noch aussteht. Die Dissertation von Catrin Corell mit dem ambitionierten Titel „Der Holocaust als Herausforderung für den Film. Formen des filmischen Umgangs mit der Shoah seit 1945. Eine Wirkungstypologie“ soll da Abhilfe schaffen. Das umfangreiche Buch hat es sich explizit zur Aufgabe gemacht, nicht nur verschiedene Filmtypen aus dem Umfeld der Holocaust-Kinematografie zu systematisieren, sondern zudem deren Wirkung zu analysieren. Der Erfolg dieses Unternehmen stehen in diesem Fall leider zahlreiche Faktoren im Weg. Angesichts des beachtlichen Umfangs der Arbeit fällt auf, dass nur ein sehr kleiner Korpus von Filmen untersucht wird, die zudem unterschiedlichen Gattungen angehören: dem Dokumentarfilm, dem Essayfilm, dem Spielfilm und in den Fußnoten gar der Fernsehserie. So kann man nicht einmal den gemeinsamen Nenner der Fiktionalisierung finden. Kriterium ist letztlich, dass es sich um eine audiovisuelle Vermittlung handelt. Bei der Typisierung im Hauptteil des Buches finden sich folglich auch eher vage Definitionen, welche Typen es denn nun gibt (Umerziehungsfilme mit Schocktatiken, Erinnerungsexperimente, Identifikationsmodelle, die komisch verkehrte Welt, und schließlich die Rückkehr an den Ort des Schreckens werden genannt), eine größere Zahl von Spielfilmen wird jedoch nur im Kontext von Schindler’s List erwähnt. Das Problem jedoch stellt sich bei all jenen Filmen, die nicht behandelt werden, im Kontext einer Typologisierung mit Wirkungsaspekten jedoch unabdingbar sind, etwa Sophie’s Choice (1982) oder The Pawnbroker (1966), die auf ganz eigene Art Erinnerung im Spielfilm thematisieren. All diese Filme fallen hier in Kategorie II.3. Dass ein vergleichsweise indirekt arbeitender Film wie Louis Malles Au Revoir les enfants (1987) hier so umfassend gewürdigt wird (171-233), ist wohl eher dem romanistischen Hintergrund der Autorin geschuldet als der diskursiven Bedeutung des Werkes als Holocaust-Film. Filme, die den Holocaust sexualisieren – von Pontecorvo, Cavani über Pasolini bis hin zum exploitativen Film finden in diesem Buch keinerlei Erwähnung, obwohl sich umfassenden Arbeiten zu diesem Thema im deutschsprachigen Raum finden. Filmgenres werden in diesem Kontext fast völlig ausgespart, obwohl die analysierten Filme nahezu alle Genreelemente verarbeiten (vor allem aus dem Kontext des Kriegs-Melodrams, in zwei Fällen ja auch der Komödie). Das zusammenfassende Kapitel III „Auf- und Annahme des Holocaust im Spielfilm“ verspricht zwar im Titel eine nachträgliche Fokussierung, fasst jedoch die vorangehenden Ereignisse lediglich noch einmal kurz zusammen – erneut unter Berücksichtigung aller Gattungen versteht sich. Äußerst problematisch ist die Idee einer „Wirkungstypologie“, denn natürlich basiert diese Arbeit nicht auf den zweifelhaften quantitativen Methoden der Medienwirkungsforschung, sondern der Idee, semiotische Wirkungsstrategien an einem modellhaften Kognitionssubjekt zu entwickeln. Die gebotenen Analysen machen dann allerdings genau das, was sich angesichts der absoluten Ungewissheit über die tatsächliche Wirkung dieser Strategien auch sagen lässt: was die Inszenierung intendiert. Es geht also nicht um Wirkungs- sondern Intentionsanalyse. Und die funktioniert schließlich sehr gut in der gegebenen Ausführlichkeit. Die Umstrittenheit der zitierten Filme bei Publikum und Kritik indes belegt, dass diese Mechanismen in ihrer Wirkung keineswegs vorhersehbar sind, auch wenn das die umfassenden Passagen der Einleitung mitunter nahelegen (S.30ff.). Die Einschränkung erfolgt erst auf S. 39 in einem Zitate von Rolf Kloepfer, der die nachweisbare Intention der Inszenierung selbst als „Wirkungsangebot“ bezeichnet. Ob es im Rahmen einer solchen Arbeit der ausführlichen Erläuterung eines PC-Hilfsprogramms wie AKIRA bedarf, ist ebenfalls fraglich (S. 43-45). Es ist zunächst einmal äußerst lobenswert, dass ein filmanalytischer Text nicht auf Filmfotos verzichtet. Auch Einstellungsreihen zum erläuternden Text sind mitunter sehr hilfreich. Das vorliegende Buch reproduziert diese Illustrationen jedoch konsequent so kleinformatig (z.B. S. 17), dass schlicht nichts mehr erkennbar ist, was dort zu sehen sein soll. Abschließen muss man sagen, dass Catrin Corells Arbeit auch als Buchpublikation nicht funktioniert: Die akribische Unterteilung in Kleinstkapitel stört den Lesefluss, viele Seiten werden von unzähligen Fußnoten dominiert, die mitunter umfangreicher als der Haupttext sind und die Frage aufwerfen, warum das alles nicht im Haupttext steht, wenn es denn so wichtig ist. Immer wieder tauchen komplizierte und extrem verkleinerte Diagramme und Tabellen auf, deren Aussagekraft hinter dem Fließtext weit zurücksteht, die eine fast mathematische Wissenschaftlichkeit suggerieren sollen. Mit anderen Worten: Es wäre vor der Publikation dringend notwendig gewesen, das Buch in eine lesbare Form zu bringen und Recherchenotizen wie Sequenzprotokolle oder endlose Exkurse grundsätzlicher Art („Exkurs zu Peirce‘ Konzept der Semiose und seiner Unterscheidung der drei Interpretanten-Typen“, S.507ff. etc.) einfach auszusparen. Grundsätzlich ist das Vorhaben der Autorin äußerst lobenswert und interessant, die Umsetzung jedoch erweist sich als ineffektiv und bei weitem zu selektiv. Die Autorin weist nie den Impuls auf, wirklich Neues zu erschließen oder zu entdecken, sondern begnügt sich oft mit einem Referat bekannter Ansätze. Von daher ist das Buch auch nur sehr bedingt brauchbar für eine weitere Beschäftigung mit der Materie. Eine verpasste Chance. Leider. Maria Nicoli |
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