Dieser
Vortrag basiert auf dem Buch Marcus Stiglegger: Sadiconazista. Faschismus
und Sexualität im Film, Gardez
Verlag 1999
Marcus Stiglegger Sadiconazista – Stereotypisierung des Holocaust im Exploitationkino Vortrag bei der Cinegraph-Jahrestagung „Cinematographie des Holocaust“, im Abi-Warburg-Haus, Hamburg, Januar 2001
1. Einige Anmerkungen zum dem englischen Begriff exploitation, der wörtlich übersetzt „Ausbeutung“ bedeutet: Er umschreibt die Intention des Filmemachers, aus einem populären Thema mit reißerischem Potential ein Höchstmaß an spektakulären Effekten zu gewinnen. Als Themen bieten sich alle Sujets an, die Voraussetzungen für die explizite Darstellung von Gewalt- und Sexualakten garantieren: Prostitution, Halbwelt, Subkulturen, Gefängnisse, Gefangenenlager, Bürgerkriegssituationen, Sekten, Kannibalismus, Inquisition, Sklaverei; immer spielen von Dominanz und Unterwerfung geprägte Zwangssysteme eine Rolle. In den siebziger Jahren, die durch eine Lockerung der Zensurbestimmungen neue Voraussetzungen in der Filmwirtschaft geschaffen hatten, kam es regelmäßig zu ganzen Zyklen thematisch ähnlich gelagerter Exploitationfilme, die sich jeweils dem Erfolg eines aufwendiger produzierten Vorbildes anschlossen: Richard Fleischers Südstaatendrama Mandingo (1974) zog neben der offiziellen Fortsetzung vornehmlich italienische Werke wie Mandinga – Weiße Herrin im Sklavencamp (1977) von Mario Pinzauti nach sich, oder auf Michael Reeves’ Inquisitionsdrama Der Hexenjäger (1968) mit Vincent Price folgte etwa eine Reihe von Hexenfilmen, auf Ken Russells Die Teufel (1970) eine Reihe von Nonnenfilmen („Nunsploitation“), die ihr Thema als Vorwand für die genüßliche Zelebrierung historischer Folterorgien benutzten, usw. Es ist anzunehmen, daß diese Nachzieher ein vergleichbares Publikum ansprechen sollten wie auch die exploitativen Sadiconazistas. In dieser Zeit (etwa 1968 bis 1982) spezialisierten sich nicht nur einzelne Regisseure auf die Produktion von Exploitationfilmen, sondern auch ganze Produktionsfirmen, wie z.B. in Italien Fulvia und S.E.F.I. Cinematografica, in Frankreich Eurocine und in der Schweiz Erwin C. Dietrich, der seinerseits eine Reihe von Frauenlagerfilmen produzierte und inszenierte. Die Sadiconazista-Filme, die zu achtzig Prozent in Deutschland weder im Kino noch auf Video zu sehen waren, werden in der Undergroundfilm-Presse nicht ganz ungerechtfertigt stets im Zusammenhang mit den gleichzeitig populären Frauenlager- und Frauengefängnisfilmen besprochen. Derek Flint ließ sich in seinem „SS-Sluts“-Artikel im britischen Fanzine „Redeemer“ (Vol. 1 / No. 2, S.10) allerdings zu dem Schluß hinreißen, eine gesonderte Stellung der Nazi-Exploitation aufgrund der Verwendung tabubelasteter Versatzstücke und Themen sei angesichts der formalen Gleichung unergibig und schlägt eine Einordnung dieser Werke neben den Hexenjäger- und Lagerfilmen vor. In Phil Hardys „Enzyklopädie
des Horrorfilms“ (1992, S. 315) findet sich für Sergio Garrones
Lager SS 5- l’inferno delle donne ein kurzer Eintrag, der sich wie
folgt liest: 1977 erschien im katholischen Filmdienst (30. Jhg., 2. August
1977, S. 1ff.) folgende Notiz, die die Sadiconazista-Gattung tief verwurzelt
in italienischen Filmtraditionen, z.B. des Monumentalfilms, sieht: Es Viscontis, Cavanis, Bertoluccis und Pasolinis Filme boten also ein grobes Grundgerüst, auf dem die kommerzielle Exploitation gedeihen konnte. Tinto Brass bewegt sich jedoch mit seinem Salon Kitty in einer ähnlichen Grauzone wie Fleischers monumentales Sklavenepos Mandingo: Beide Filme sind sehr aufwendig produziert und mit prominenten Schauspielern (hier Helmut Berger und Ingrid Thulin, dort James Mason und Susan George) besetzt. Dennoch bieten sie vornehmlich auf äußere Spannung abzielende, freizügig inszenierte Setpieces, die durch die dramaturgischen Voraussetzungen vage zusammengehalten werden. Brass, der in den sechziger Jahren als eine kreative Hoffnung des italienischen Films galt, widmete sich einem derartigen Konzept auch später, z.B. in dem großangelegten Historienporno Caligula, der Malcolm McDowell, Helen Mirren, Peter O’Toole und John Gielgud mit Hardcore- und Splatterexzessen in Verbindung brachte. Brass selbst sieht anscheinend sowohl Salon Kitty, als auch Caligula vornehmlich als politische Parabel mit Aktualitätsanspruch. Durch seine über die Jahre gleichbleibend hohen Produktionsstandards hat sich Tinto Brass inzwischen als ‚Altmeister‘ des italienischen Exploitationfilms etabliert. Der oben bereits benutzte Begriff der Pornographie ist gerade
in diesem Zusammenhang – im Grenzbereich zwischen Exploitationfilm
und Hardcore – problematisch. Filme dieses Grenzbereiches werden
häufig mit dem variierten Begriff Sexploitation bezeichnet. Susan
Sontag versucht in ihrem Essay „The Pornographic Imagination“
(1969), diesen Begriff am Beispiel der „Histoire d’O“
(„Die Geschichte der O“) von Pauline Réage und anderer
Erzählungen zu konkretisieren. Sie unterscheidet dabei drei Arten
der Pornographie: Zusammenfassend läßt sich sagen, daß es sich beim exploitativen Sadiconazistafilm weder um eine politische Botschaft noch um tatsächliche Pornographie oder etwa Gewaltpornographie handelt, auch wenn einige der Beispiele wenig geschmackssicher mit dokumentarischen Quellen ‘spielen’. Diese Filme sind der Versuch, vorhergehende Filmszenarien wie Der Nachtportier auf ihre sadomasochistische Fabel zu reduzieren, um einem exzessiven patriarchalen Zerstörungs- und Todestrieb unterhaltsam zu huldigen. Historische Elemente und die tatsächliche sadomasochistische Dialektik zwischen aktivem und passivem Partner werden dabei mißbraucht und verfälscht. Wie unmöglich das in diesen Filmen oft beschworene ‘Gedeihen erotischer Gefühle unter schlimmsten Bedingungen’ wohl in der Realität ist, zeigt dagegen Alexander Kluges Erzählung „Ein Liebesversuch“ (1962): Die SS möchte zwei Sterilisationsopfer in der Haft wieder vereinen und deren Fruchtbarkeit untersuchen, doch die unfreiwilligen Probanden sind nicht mehr in der Lage sich zu lieben. Als wertlose Versuchsobjekte werden sie schließlich erschossen. „Soll das besagen, daß an einem bestimmten Punkt des Unglücks Liebe nicht mehr zu bewerkstelligen ist?“ fragt sich der SS-Mann am Ende. 2. „In pornographic literature, films, and gadgetry throughout the world, especially in the United States, England, France, Japan, Scandinavia, Holland, and Germany, the SS has become a referent of sexual adventurism. Much of the imagery of far-out sex has been placed under the sign of Nazism. Boots, leather, chains, Iron Crosses on gleaming torsos, swastikas, along with meat hooks and heavy motorcycles, have become the secret and most lucrative paraphernalia of eroticism. [...] But why? Why has Nazi Germany, which was a sexually repressive society, become erotic?“ Susan Sontag widmet sich der Untersuchung des medialen Bildes vom Nationalsozialismus und Faschismus in ihrem Aufsatz „Fascinating Fascism II“. Dort geht sie dann von einem Militaria-Bildband zum Thema „SS-Regalia“ aus, um über die erotische Ausstrahlung nationalsozialistischer Symbole und Versatzstücke (Uniformen, Waffen etc.) nachzudenken. Von einer kurzen Beschreibung kommt sie schließlich zur zentralen Frage: Was ist an den Veräußerlichungen eines bürokratisierten, hygienefanatischen, totalitären Systems erotisch? Daß militärische Uniformen bisweilen zu einem
sexuellen Fetisch erhoben werden, ist bekannt und des öfteren in
Fachpublikationen aus dem Bereich der sexuellen Phänomenologie knapp
behandelt worden. Eine eingehende Analyse dieses Phänomens blieb
bisher allerdings aus. Einen diskussionswürdigen Ansatz liefert Valerie
Steele in ihrem Buch „Fetish“ (1996): Was den ‘Appeal’ der Uniform also ausmacht,
ist scheinbar die Abstraktion des Martialischen in Form eines Modegegenstandes.
Sie symbolisiert die Zugehörigkeit zu einer Elite und konkretisiert
Dominanz und kanonisierte Attraktivität. Vor allem die schwarze SS-Uniform
stellt den ambitionierten Versuch dar, exzentrischen Schick, elitäre
Eleganz und Todessymbolik zu vereinen. Susan Sontag gibt in ihrer Reflexion
der Sexualisierung nationalsozialistischer Insignien ein interessantes
Phänomen zu bedenken: Die Autorin sagt dies bezüglich eines Militaria-Bestimmungsbuches, angesichts der spezifischen Verwendung von SS-Uniformen im Spielfilm ist aber eine Übertragung dieses Gedankens sehr aufschlußreich. Tatsächlich wird der Uniformträger im Unterhaltungskontext offenbar anders rezipiert als etwa im Dokumentarfilm. Der Medienwechsel vom Foto zum Spielfilm scheint diese Veränderung zu bedingen: Die filmisch projizierte Uniform wird ihrerseits zur Projektionsfläche sexueller Wünsche und Phantasien. Die sexuelle Konnotation der Uniform rührt von der offensichtlichen sexuellen Erregung her, die einige Leute mit Gewalt und dem damit einher gehenden Verhältnis von Dominanz und Unterwerfung verbinden. In diesem sexuellen Kontext wird es zumindest nachvollziehbar, warum immer wieder auf das Klischee der Uniformierung nach den Vorgaben der faschistischen Ästhetik zurückgegriffen wird, wenn es um die Dämonisierung von Charakteren geht. Susan Sontag vermutet, die SS-Uniform bietet sich vor allen anderen an, da die SS ihren Herrschaftsanspruch ins Dramatische überhöhte, indem sie sich gewissen ästhetischen Regeln unterwarf: „SS uniforms were stylish, well-cut, with a touch (but not too much) of eccentricity“. Auch Filme anderer Genres greifen immer wieder – nicht selten mangels Originalität – auf das sexuell aufgeladene Potential dieser Kleidungsstereotypen zurück: Krieg der Sterne (1976) von George Lucas, Ken Russells Mahler (1976), Alan Parkers Pink Floyd - The Wall (1981), Richard Loncraines Richard III (1995), Paul Verhoevens Starship Troopers (1997) oder etwa die Casablanca-Parodie Barb Wire (1995) von David Hogan, um nur einige zu nennen. Während einige Filme tatsächlich nur zur Ausbeutung der Fetischwirkung militaristischer Elemente produziert wurden, gelingt es einem Film im besten Fall, mit der Wirkung dieser Stereotypen bewußt zu spielen: In Die Verdammten z.B. spielt Visconti sehr deutlich die proletarisch plumpe Ausstrahlung der braunen SA-Uniformen mit ihren schachtelförmigen Kepis gegen die dämonische Bedrohlichkeit der eleganten SS-Uniformen aus und bereitet den SA/SS-Konflikt bereits auf symbolischer Ebene vor; sowohl bei Visconti als auch in Cavanis Nachtportier wird der SS-Uniform in Verbindung mit den jeweiligen Trägern – hier Charlotte Rampling, dort Helmut Berger – ein spezieller Travestiecharakter zu eigen, der wiederum den sexuellen Aspekt dieses speziellen Designs bestätigt. Dieses Travestieelement kann auch zu unfreiwillig komischen Entgleisungen führen, wie z.B. Bergers affektierte Auftritte in Salon Kitty zeigen. 3. Die symptomatischen Werke teilen sich nach ihren Motivationen
in mehrere Richtungen auf: Filme, die das totalitäre Zwangssystem als möglichst radikalen, beängstigenden historischen Hintergrund wählen, auf dem private Obsessionen ausgespielt werden: In Liliana Cavanis Der Nachtportier erzählt die Regisseurin von einem leidenschaftlichen Dominanz- bzw. Unterwerfungsverhältnis, das durch den im Wissen des Rezipienten vorbelasteten geschichtlichen Hintergrund emotional aufgeladen werden soll; Filme, die das totalitäre Zwangssystem als dramaturgische Rechtfertigung vorschieben, um in breit ausgespielten sadomasochistischen Exzessen schwelgen zu können: Der italienische Routinier Sergio Garrone von Lager SS 5 hat sich in einem Interview dahingehend geäußert, nur auf diesem historischen Hintergrund (dem Nationalsozialismus) ließe sich die Drastik der dargestellten Grausamkeiten rechtfertigen. Gemeinsam ist allen Filmen die Verbindung von sexuellen Kontexten mit stereotypen Bildern vom Nationalsozialismus. Das Verhältnis von Henker zu Opfer wird sadomasochistisch verklärt und auf die Ebene sexueller Passionen verlagert. Auf diese Weise wird eine Entpolitisierung und Enthistorisierung des Phänomens Nationalsozialismus gefördert. Das Bild vom Nationalsozialismus kann so gemäß den Gesetzen der Populärkultur zum Spielzeug der Popästhetik werden. Auffällig ist auch die Aufhebung der Zeitebenen in einigen der besprochenen Werke: Sowohl Lina Wertmüllers Sieben Schönheiten als auch Cavanis Der Nachtportier und ihr späterer Film Leidenschaften (1985) werden in komplex verschachtelten Rückblenden erzählt; die historische Komponente wird in die subjektive und somit „beliebige“ Erinnerungswelt des jeweiligen Protagonisten verlegt und erlangt nahezu mythische Qualitäten, die eine Annäherung an das geschichtliche Phänomen nicht mehr zulassen. Die Konzentrationslager in Sieben Schönheiten und Der Nachtportier wirken wie danteske Vorhöllen, angefüllt mit existentiellen und sexuellen Alpträumen. Bezüglich Handlungsort und –zeit lassen sich folgende gemeinsame Kategorien für alle erwähnten Werke herausfiltern: Der Handlungsort ist in fast allen Fällen ein abgeschlossenes, kontrollierbares Areal, d.h. einerseits die Konzentrationslager (Pasqualino), Kriegsgefangenenlager (Kaput lager) etc., andererseits Bordelle (Salon Kitty, Train spécial), eine Insel (Ultima orgia della Gestapo), SS-Ordensburgen (Salon Kitty, Der Unhold) und ferner das Hotel (Der Nachtportier) und die Villa der Großfamilie (Die Verdammten); im Falle des Bordell-Zuges entziehen sich die Filme (Fraulein Elsa, Train spécial) gleich mehrfach einer historisch-konkreten Einordnung, indem sie einen mobilen Ort der ‚Passage‘ als Schauplatz wählen, der sich durch ein diffus-feindliches Niemandsland schlängelt. Die Zeit der Handlung spielt meist eine symbolische Rolle: Bis auf wenige Ausnahmen (Die Verdammten und Bertoluccis 1900) sind die Filme in den letzten Kriegsmonaten 1945 angesiedelt; die apokalyptischen Wolken des Untergangs überschatten förmlich die Szenerie und garantieren eine Atmosphäre, in der alles möglich scheint. Das Wissen um ein baldiges Ende der Ausschweifungen bekommt in diesem Zusammenhang für den Rezipienten eine tröstliche Dimension. Die Protagonisten sind hier oft als Typen gestaltet und besetzt. Ohne Gefahr zu laufen, eine zu arg vergröbernde Darstellung zu liefern, lassen sich folgende Kategorien von Charakteren unterscheiden, aus denen sich im Sadiconazista die Protagonisten rekrutieren: Nationalsozialistische Despoten sind oft als comichaft neurotisch charakterisiert -– Ich benutze den Begriff der Neurose gemäß der klassischen Psychoanalyse im Sinne eines nichtorganisch bedingten Nervenleidens, das zu zwanghaften Handlungen führt – , mit fetischistischen Zügen, was Uniformen, Musik und Embleme betrifft; oft sind sie misogyn, wenn nicht gar latent homosexuell (z.B. Helmut Berger in Salon Kitty, Peter O’Toole in La Nuit des generaux); in einigen Fällen werden KZ-Ärzte dergestalt charakterisiert (Tras el cristal, KZ 9, Ilsa). Nationalsozialistische Parteifunktionäre präsentieren sich unemotional, gnadenlos, systematisch und schnell im Denken und Handeln; oft stehen derartige Figuren als Drahtzieher im Hintergrund (z.B. Helmut Griem in Die Verdammten, David Warner als Heydrich in Holocaust); oft nehmen auch sie neurotische Züge an (John Steiner in Salon Kitty, oder viel aktueller Ralph Fiennes in Schindler’s List). Opfer mit rebellischer Attitüde wurden „unverschuldet und ahnungslos“ ins Geschehen verstrickt, versuchen, sich aus der Not zu befreien und greifen nicht selten zu den Mitteln der Täter, was dramaturgisch motiviert wird; in ihnen blüht der Geist der Partisanen (z.B. Gregory Knoph in Ilsa, Teresa Ann Savoy in Salon Kitty, auch Susan Strasberg in Gillo Pontecorvos differenziertem Drama Kapo). Passive Opfer sind wenig oder gar nicht charakterisierte Personen, an denen destruktive Handlungen verübt werden; ihre Position ist austauschbar (die Jugendlichen in Die 120 Tage von Sodom). Die Zweifler: Als „Vermittler“ werden Mitläufer in die Handlung integriert, die für das „schlechte Gewissen“ der Massen stehen; sie sind unverschuldet oder unter Zwang in das faschistische System integriert worden und arbeiten verzweifelt an einer „Schadensbegrenzung“; bevorzugt Lagerärzte (KZ 9, Deportate) oder reuige Wachtposten (SSadi Kastrat Kommandantur), bevorzugt auch „unpolitische“ Wehrmachtsangehörige, die ihrerseits als Opfer charakterisiert werden (vor allem der Kriegsabenteuerfilm jener Jahre präsentiert solche Modelle, z.B. Sam Peckinpahs Steiner - Das Eiserne Kreuz). Handlanger sind oft Kapos, die durch besonders skrupelloses
Verhalten der Opferrolle vorübergehend entkommen konnten; häufig
werden diese Charaktere als besonders unsympathisch geschildert (z.B.
die Wächter in Die 120 Tage von Sodom); in Pontecorvos Kapo wählt
der Regisseur eine solche Aufseherin sogar als Protagonistin (Susan Strasberg). Verführer: Der SS-Mann als verführerischer Charismatiker spielt in zahlreichen Zusammenhängen eine große Rolle; in Der Unhold spielt Heino Ferch den Ausbilder der Napola-Schüler, der schließlich mit einer heroischen Erbauungsrede alle Jungen in den sicheren Tod führen wird; in Augustin Villarongas Tras el cristal verführt, mißbraucht und ermordet ein psychopathischer KZ-Arzt (Günther Meisner) kleine Jungen, bis er von einem seiner Opfer, das seine mörderische Mission übernimmt, getötet wird. Das Element der Verführung kann in diesem Zusammenhang durchaus explizit sexueller Natur sein. Aus dem erläuterten Figurenarsenal läßt sich eine Programmatik ablesen, die sich um eine Vereinfachung der personalen Struktur des nationalsozialistischen Systems bemüht. Der Akzent liegt auf dem Pittoresken und Dekadenten, auf den Zentralen der Macht und ihren Folterkammern, äußerst selten jedoch auf dem Alltag der Bevölkerungsmehrheit. Einer dieser seltenen Momente kommt in Viscontis Die Verdammten vor: Der pädophil veranlagte Martin von Essenbeck (Helmut Berger) schmeichelt sich bei einem kleinen Mädchen ein, das im Haus seiner Geliebten wohnt, um es später sexuell zu mißbrauchen. Doch auch hier ist die Präsenz der bürgerlichen Unterschicht auf das Mädchen, seinen kleinen Bruder und die autoritäre Mutter reduziert. Als mit dem Selbstmord des Mädchens, der nur im Dialog erwähnt wird, das Schicksal dieses Figurenensembles besiegelt ist, verschwinden die Figuren wieder aus dem Erzählfokus. Sie gleichen in dieser Funktion als narrative Stichwortgeber am ehesten den passiven Opfern. Selbst wenn sich eine Vertiefung der bürgerlichen Charaktere anbieten würde, wählt z.B. Tinto Brass in Salon Kitty als familiären Hintergund für seine Protagonistin Margherita (Teresa Ann Savoy) eine adlig-dekadente Großfamilie, die zahlreiche Anlässe zu satirischer Verzerrung bietet. Die Konzentration eines ernsthaften Films wie Drei Tage im April von Oliver Storz auf ein Figurenensemble, das komplett dem dörflichen Kleinbürgertum angehört, verhindert geradezu, in die Falle des Sadiconazista-Simulakrums zu laufen: Hier gibt es weder genüßliche Dekadenz, ausschweifenden Sadomasochismus, noch sexualisierte Folterszenen oder adrette Militaristen. Statt dessen beherrschen spießiger Konformismus, feige Schadensbegrenzung und Verdrängungslügen der Bevölkerung das Szenarium. 4. Viele der exploitativen Lagerfilme beginnen mit der Ankunft der Häftlingszuges; die Gefangenen werden unter heiseren deutschen Befehlen von bewaffneten Soldaten aus den Viehwaggons gezerrt und müssen sich entweder aufstellen oder zu Fuß zum Lager marschieren. Auch in fremdsprachigen Fassungen sind hier deutlich deutsche Wortfetzen zu hören: „los“, „macht schnell“, „keine Müdigkeit vorschützen“, „Schweinehunde“, „Achtung“ und „jawoll“ vernimmt man von Kapo bis Sieben Schönheiten. Haben sich die Häftlinge zum ersten, vorläufigen Appell aufgestellt, erfolgt meist die mit Einschüchterungen und Drohungen gespickte Rede eines SS-Mannes, der den Gefangenen jede Illusion, Ehre und Stolz nehmen will und ihnen das Reglement des Lagers deutlich macht. Nächste Schritte der Lager-Initiation sind zunächst die Selektion, also die Einteilung der Gefangenen unter bestimmten Aspekten: Geschlecht, Alter, Rasse usw. Oft muß die Kleidung abgelegt werden, um die einheitliche Häftlingskleidung anzuziehen. Auch das Scheren des Haupthaars unter dem Vorwand der Hygiene kann als Demütigung verstanden werden. – Einen so makabren Vorgang wie die Selektion als Spannungsmoment zu nutzen, wurde den kommerziellen Sadiconazistas vermehrt vorgeworfen (z.B. Phil Hardy). Oft wird diese Krisensituation genutzt, um über individuelle Reaktionen auf die Mißhandlungen bereits Rückschlüsse auf den Charakter der Protagonisten zuzulassen. In einigen Filmen erfolgt diese Initiation erst nach einer weiterführenden Exposition, z.B. in Schindler’s List, wo die Einfahrt ins Todeslager Auschwitz zum expressionistischen Horrorszenarium gerät: Dämonische Silhouetten der Soldaten im gleißenden Gegenlicht, Schnee und Asche durchwirbelt die Luft, und der Dampf der Lokomotive weht in drohenden Schwaden über dem Geschehen. Der Appell auf den freien Plätzen zwischen den Baracken bedeutet für die geschwächten und hungernden Häftlinge oft stundenlanges Stillstehen in Regen und Kälte. Der retardierende Moment des Lageralltags wird zum bangen Verharren, zum Warten auf ungewisse Ereignisse. Ein Ausscheren aus der Reihe bedeutet den sicheren Tod. Die Kapos halten sie gnadenlos mit ihren Schlagstöcken in Schach, SS-Leute patroullieren vor ihnen. Oft wird die Appellsituation zur erzwungenen Zeugenschaft: Die Häftlinge werden genötigt, einer Strafaktion oder Exekution beizuwohnen; wollen sie den Blick abwenden, werden sie brutal zurechtgewiesen (z.B. in Kapo). Eine drastische Appellszene kommt in einem Rückblick in Schindler’s List vor: Mit Ledermantel und Handschuhen geht Amon Göth langsam durch die Reihen und schießt wahllos einigen Gefangenen in den Kopf, während die anderen daneben stillstehen müssen. Um möglichst viele Vorwände für sexuelle Darstellung zu garantieren, spielen zahlreiche der italienischen und französischen Exploitationfilme in Bordell-Camps, in denen die meist weiblichen Gefangenen ihren Aufsehern und Kapos zu „Liebesdiensten“ zur Verfügung stehen müssen. Hier kommt es oft zu der unwahrscheinlichen Situation, daß sich SS-Leute wahllos mit Gefangenen „amüsieren“, was ihnen aus „eugenischen“ Gründen strikt untersagt war. Der Phantasie des Exploitationfilmers scheinen keine Grenzen gesetzt: Es kommt zu lesbischen Beziehungen (Deportate), Beziehungen zwischen Wachtposten und Häftlingsfrau (SSadi Kastrat Kommandantur), zu sadomasochistischen Happenings (Train spécial) und Massenvergewaltigungen (Ultima Orgia). In Salon Kitty und KZ 9 kommt auch erzwungener Beischlaf mit körperlich bzw. geistig behinderten Menschen vor. Bereits der geringste Verstoß gegen die Regeln des Lagers zieht verheerende Strafen mit sich. Wiederum ist es die Entkleidung, die den Häftling noch schwächer machen soll. Verbreitet sind brutale Schläge auf das Gesäß (La Svastika nel ventre) oder den ganzen Körper (Ultima orgia), bei denen das Opfer teilweise mitzählen muß. Diese Form der Strafaktion sollte nicht – wie in Rezensionen aus den siebziger Jahren – mit einem sadomasochistischen Akt verwechselt werden, der letztlich auf beiderseitigem Einverständnis basiert, es ist jedoch zu befürchten, daß sich die Filmemacher des sadomasochistischen Appeals dieser Szenerie zu Stimulationszwecken bedienten. Der in Rezensionen immer wieder auftauchende Begriff „Sado-Porno“ ist vermutlich hauptsächlich in diesem Zusammenhang zu sehen. Während im Sadiconazista in derartigen Sequenzen eine starke Sexualisierungstendenz deutlich wird, v.a. durch die Wahl eines attraktiven, jungen ‘Opfers’, bemühen sich andere Filme, die Peinigung des Protagonisten auf den Zuschauer zu übertragen. Da sich einige der Sadiconazistas wie erwähnt an den wenige Jahre zuvor populären Hexenjägerdramen orientieren, gibt es auch hier gelegentlich Folterkammerszenen in „mittelalterlichem“ Ambiente, bei denen die Gliedmaßen der Gefangenen malträtiert werden (Lager SS 5, Deportate, Ultima orgia). In ausnahmslos jedem Film aus dem Sadiconazista-Umfeld kommt es zu einer oder mehreren Exekutionen. Im Gegensatz zu Gewaltszenen in anderen Genres, z.B. dem Western oder Polizeifilm, hat die Exekution stets etwas beängstigend Unausweichliches, gleichgültig, an wem sie verübt wird. Das liegt an der absoluten Wehrlosigkeit des Opfers, das meist gefesselt oder anderweitig ruhig gestellt wird und bis zum entscheidenden Moment den sicheren Tod vor Augen hat. Der Akt der Hinrichtung erfolgt meist schnell und mit maschineller Präzision: Die Tore fallen ins Schloß, die Schüsse krachen, der Strom knistert... Nichts kann die Schicksalshaftigkeit dieses Vorganges unterbrechen – außer die unwahrscheinliche Begnadigung. Ich habe die Exekution als „maschinelles Töten“ bezeichnet, was verständlich wird, wenn man sich vergleichbare Sequenzen ansieht: Prägnant sind die endlosen Genickschüsse in George Pan Cosmatos’ Repressaglia a Roma (Der Fall Kappler - Das Massaker, 1978), das eher nebenbei erfolgende Erschießen der aufsässigen Häftlingsfrau aus Ultima orgia oder die Hinrichtung des nackten Helmut Berger am Ende von Salon Kitty, die – obwohl diese Figur negativ konnotiert ist – nichts Befreiendes für den Zuschauer hat. Wie in Repressaglia ist die Exekution oft mit dem Massaker (s.u.) verbunden, das dann in Form einer Massenexekution stattfindet. In der Räumung des Warschauer Ghettos in Schindler’s List wird der maschinelle Aspekt deutlich, als SS-Leute versuchen, mehrere hintereinanderstehende Personen mit einer einzigen Kugel zu töten. Einigen Filmen gelingt es, mit dem Tod eines einzigen Protagonisten die Metapher für den Tod von Millionen weiterer zu finden: In Robert Enricos Le Vieux fusil (Das alte Gewehr, 1975) quälen und schänden einige Waffen-SS-Soldaten erst die Protagonistin (Romy Schneider) und ihre kleine Tochter, um schließlich die Frau lebendig mit dem Flammenwerfer einzuäschern. Die kühle Konfrontationsästhetik dieser Sequenz, die den Zuschauer nach einem langen, ruhigen Auftakt völlig unvorbereitet trifft, bleibt unvergeßlich. Unter Konfrontationsästhetik verstehe ich den langsam aufgebauten und bewußt kalkulierten Schock, eventuell sogar einen Bruch in der Inszenierung, der die Rezeptionshaltung des Zuschauers schlagartig verändern soll. Weniger kontrovers wie Sam Peckinpah in Straw Dogs (Wer Gewalt sät..., 1971), aber nichtsdestotrotz ebenso überzeugend, beschreibt Enrico die Wandlung eines Pazifisten zum grausamen Gewalttäter, was nicht zuletzt durch die oben erwähnte Sequenz legitimiert wird. Zu den erschreckendsten Dokumenten aus den Schilderungen ehemaliger KZ-Häftlinge gehören wohl die Beschreibungen medizinischer Experimente, die in einigen Lagern an menschlichen „Versuchsobjekten“ durchgeführt wurden. So ist es eine durchaus makabre Tatsache, daß sich für nahezu alle Labor-Sequenzen aus einem Exploitationfilm wie Ilsa - She-Wolf of the SS Belege und Aussagen in den Konzentrationslagerdokumenten der Nürnberger Prozesse finden lassen. Gezeigt werden z.B. bewußt mit unterschiedlichen Bakterien infizierte Wunden, deren Entwicklung die Ärzte mit der schwarzen Uniform beobachten, sowie grausame Kälte- und Ausdauertests. In dem Hongkong-Film Men Behind the Sun, der ein japanisches KZ dokumentiert, bestimmen derartige Sequenzen die Struktur des gesamten Films: In peinigender Ausführlichkeit demonstriert der Lagerkommandant den Effekt von Kälte und Hitze in extremer Wechselwirkung sowie Über- und Unterdruck. Was in Bruno Matteis KZ 9 wie ein makaberer Gag wirkt – zwei Frauen sollen einen schwer unterkühlten Soldaten durch Liebesspiel wieder ins Leben zurückholen, während die SS-Ärzte um das Bett stehen und sich Notizen machen – scheint ebenfalls einem realen Vorbild zu folgen. Da das Massaker im Sadiconazista-Bereich eine bedeutende Rolle spielt, verdienen diese Sequenzen eine kurze vergleichende Betrachtung. Zu Beginn steht wiederum Viscontis Die Verdammten, dessen Bad-Wiessee-Sequenz, eine Visualisierung des sog. „Röhm-Putsches“, wichtig ist, da bereits hier sexualisierte, homoerotische, politische und private Motive vermischt werden und das Massaker der SS an den Leuten der SA auf mehreren Ebenen als Versuch einer „Säuberungsaktion“ erscheinen lassen. Die Motive Hitlers und der SS werden in die Protagonisten, allen voran Aschenbach und Friedrich, projiziert. Bereits 1960 in Kapo kommt es andererseits gegen Ende zu dem finalen Massaker, d.h. der Tötung fast aller Beteiligter einschließlich der Protagonisten, das für die Überlebenden eventuell zum Weg in die Freiheit wird. Sogar die Hauptdarstellerin, selbst eine Aufseherin, muß hier ihr Leben lassen, auch wenn sie den Mithäftlingen dadurch hilft. Spätere Exploitationfilme wie SSadi Kastrat Kommandantur oder Deportate della sezzione speciale SS kopieren dieses Schema, indem sie versuchen, in einem Akt der finalen Auslöschung die Wendung zur Hoffnung zu vollziehen: Sie vernichten das Böse illusorisch pars pro toto. Selbst der Hardcore-Pornofilm Frauengefängnis 3 von Joe d’Amato läßt seine männlichen Protagonisten am Ende sterben. Einzig Pier Paolo Pasolini wagt es, seinen Film Die 120 Tage von Sodom mit dem vorübergehenden Triumph des Bösen zu schließen. Abschließend läßt sich sagen, daß
der italienische Exploitationfilm der siebziger Jahre wohl am drastischsten
die Stereotypisierung der Bilder vom Nationalsozialsmus und vom Holocaust
betrieben und gefördert hat, wenn auch – man möchte sagen
glücklicherweise – nur mit mäßigen kommerziellem
Zuspruch. Emblematisch für den Sadiconazistafilm wurde tatsächlich
der amerikanische Film Ilsa – She-Wolf of the SS, der alle oben
definierten Kategorien erfüllt, aktuell auf DVD erschienen ist und
sogar als T-Shirt-Motiv vertrieben wird. Es steht außer Frage, dass
diese Stereotypen dennoch Wirkung hinterlassen haben: Ich habe an anderer
Stelle bereits nachgewiesen, wie deutlich sich gerade Steven Spielberg
in Schindlers Liste auf diese Mechanismen bezieht. So ist Sadiconazista
als Strömung vielleicht eine Kuriosität der betont tabulosen
siebziger Jahre, doch die Sexualisierung des Bildes vom Nazi-Folterknecht
hat sich allgemein tief verankert im zeitgenössischen, populärkulturellen
Bewußtsein Europas, Japans und Amerikas. – Abschließend
ein polemischer Kommentar von Michel Foucault zum Sadiconazista-Phänomen
aus dem Jahr 1976: „Das ist ein gewaltiger Irrtum über die
Geschichte. Der Nazismus wurde im 20. Jahrhundert nicht von den Verrückten
des Eros erfunden, sondern von den Kleinbürgern, den übelsten,
biedersten und ekelhaftesten, die man sich vorstellen kann. Himmler war
eine Art Landwirt, der eine Krankenschwester geheiratet hatte. Man muß
begreifen, dass die Konzentrationslager der gemeinsamen Phantasie einer
Krankenschwester und eines Hühnerzüchters entsprossen sind.
[...] Man hat dort Millionen Menschen getötet, ich sage dies also
nicht, um die Vorwürfe zu entkräften, die es diesem Unternehmen
zu machen gilt, sondern gerade um es von allen erotischen Werten zu entzaubern,
die man ihm zuschreiben wollte.“ Oder, wie es Martin Büsser
formuliert: „Die abendländische Gesellschaft hat de Sade dermaßen
verinnerlicht, daß sie sich die letzte Form von enthemmter sexueller
Befreiung nur noch in Form der faschistischen Quälereien und Morde
vorstellen kann. "Wie arm ist doch unser Bildervorrat!‘“
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