Marburger und Mainzer Hefte zur Medienwissenschaft Band 36

Hrsg. d. Ausgabe: Marcus Stiglegger und Alexander Jackob

Zur aktuellen Kinematographie des Holocaust.
Das Kino als Archiv und Zeuge?

Anlässlich des 60sten Jahrestages der Befreiung von Auschwitz

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ISSN 0179-2555

Schüren Verlag, Marburg 2004, 125 Seiten

Presseexemplare zur Rezension: Mediakontakt Laumer

:Ikonen:-Herausgeber Marcus Stiglegger und :Ikonen:-Redakteur Alexander Jackob, beide tätig als Geisteswissenschaftler an der Universität Mainz, haben zusammen mit Prof. Dr. Günther Giesenfeld im Rahmen der neuen Ausgabe der Augen-Blick-Reihe des Schüren-Verlages Texte und Interviews zur aktuellen Kinematographie des Holocaust zusammengetragen.

Einleitung von Alexander Jackob und Marcus Stiglegger -Die Schwellen des Archivs

Alexander Jackob - Jenseits der Zeugenschaft
Zur Kritik kollektiver Bilder des Holocaust

Marcus Stiglegger - Neue und alte Vorstellungen von einem Schreckensort - Filmhistorischer Abriss

Matías Matínez - Authentizität als Künstlichkeit in Steven Spielbergs Film Schindler's List

Peter Schulze - Geschichts-Schichtungen. Zur Darstellung des Holocaust bei Steven Spielberg und Roman Polanski

Thomas Klein - Homo Ludens wider den Schrecken. La vita é bella und die Täuschung als fiktionale Überlebensstrategie

Carsten Bergemann - „Streets of Berlin". Bilder der Verfolgung Homosexueller in Sean Mathias’ und Martin Shermans Bent

Marcus Stiglegger - Wenn die Krähen ziehen... Arthur Brauners Erinnerung an Babij Jar, die Schlucht der Vergessenen

Rudolf Worschech - Frühling für Hitler. Der Untergang und andere: Wie der deutsche Film das ”Dritte Reich” und seine Täter darstellt

Annette Kilzer - In der Grauzone: die Toten und die Lebenden. Interview mit Tim Blake Nelson zu seinem Film The Grey Zone

Günther Giesenfeld und Marcus Stiglegger - Einleitung und Interview mit Volker Schlöndorff über Der neunte Tag

Andere Ausgaben von Augen-Blick: Link

 

Leseprobe:

Marcus Stiglegger

Alte und neue Vorstellungen von einem Schreckensort
Ein filmhistorischer Abriss

(leicht gekürzte Fassung)

1. Vorbemerkung

Die Aufarbeitung des nationalsozialistischen Völkermordes in Form von Spielfilmen ist bereits vielerorts diskutiert und dokumentiert worden. Es erscheint jedoch sinnvoll, im Rahmen dieser Untersuchung neuer Tendenzen die wesentlichen Strömungen innerhalb der Filmgeschichte noch einmal zu vergegenwärtigen, um die aktuellen Entwicklungen aus diesem Kontext heraus verständlich zu machen. Insofern hat dieser Abriss nicht den primären Anspruch, neue Erkenntnisse zu gewinnen, sondern die wesentlichen Beispiele noch einmal zu dokumentieren.
Wie sich leicht vorstellen lässt, entwickelte sich die filmische Aufarbeitung der Ereignisse unter der nationalsozialistischen Okkupationen zunächst schleppend, durchlief dann mehrere eher tastende Phasen, bis sich mit dem Ende der 1970er Jahre schließlich eine der ‚Auschwitz-Literatur’ vergleichbare filmische Vermittlungsform etabliert hatte, in deren Rahmen sich eine eigene Ikonografie des Völkermordes und der Konzentrationslager herausbildete. Auslöser hierfür war vor allem die amerikanische Fernsehserie Holocaust, es bleibt also auch hier nicht aus, den Blick vom Kinofilm auch Richtung Fernsehen zu richten, um die entsprechende intermediale Wechselwirkung mit berücksichtigen zu können. Dieser kursorische Überblick berücksichtigt ausschließlich jene Filme, die sich nach 1945 explizit mit Ereignissen um den Holocaust auseinandersetzen, nicht jedoch jene Filme, die sich lediglich mit dem Nazi-Regime beschäftigen (bzw. zeitlich früher entstanden sind).


2. Die Nachkriegszeit: 1945-1960

Bereits der Filmtheoretiker Béla Balázs betonte in einer Filmkritik, die erst im Nachlass erschlossen wurde (von Hanno Loewy), der polnische Film Ostatni etap / Die letzte Etappe (1947) von Wanda Jakubowska habe eine eigene Gattung begründet, womit er nahezu prophetisch dem 'Holocaustfilm’ einen ähnlich emblematischen Charakter verlieh, wie es auch für die ‚Auschwitz-Literatur’ zutrifft. Hier wurde das Schicksal einer Gruppe weiblicher Häftlinge inszeniert, und zwar mit zum Teil Laiendarstellerinnen, Überlebenden von Auschwitz, die hier in die Baracken des Lagers zwei Jahre nach Kriegsende zurückkehrten. Zahlreiche Darstellungskategorien der filmischen Holocaust-Aufarbeitung tauchten hier bereits auf: die Appell-Situation, die Denunziation, die Tortur, und vor allem: die nächtliche Ankunft der Häftlingswaggons, mit matschigem Lehmboden und wirbelnden Flocken von Asche oder Schnee... Bereits Alain Resnais zitierte diese Szene in Nuit et bruillard, George Stevens integrierte sie direkt in einen Alptraum aus The Diary of Anne Frank, und nicht zuletzt Steven Spielberg stellte sie in seinem Film Schindler’s List originalgetreu nach. Loewy betont in seinem Aufsatz „Fiktion und Mimesis“, dass diesem Film, der unmittelbar nach dem historischen Grauen als Rekonstruktion entstanden war, selbst bereits der Status eines verlässlichen Dokuments zugemessen werde (Fröhlich u.a. 2003, S. 37).
Schon kurz nach dem Krieg produzierte der deutsche Produzent jüdischer Herkunft Arthur Brauner mit seiner CCC-Produktion einen Film über den Holocaust: Morituri (1948) von Eugen York behandelt mit dokumentarisch-nüchterner Geste die Flucht einer Gruppe von KZ-Häftlingen sowie jüdischer und polnischer Familien, die in einem Versteck im Wald die rettende Ankunft sowjetischer Truppen erwarten. Teile dieses Films orientieren sich an dem Roman „Das siebte Kreuz“ der Mainzer Schriftstellerin Anna Seghers, in dem diese ebenfalls die Flucht von sieben Häftlingen beschreibt, die von dem Kommandanten gnadenlos gejagt werden. Sieben Kreuze hat er erreichten lassen, von denen nur das letzte leer bleibt, da einem Flüchtigen durch die Hilfsbereitschaft einiger Dorfbewohner endgültig die Flucht gelingt. Bereits 1944 hatte Fred Zinnemann danach den unpathetischen Spielfilm The Seventh Cross mit Spencer Tracy in der Hauptrolle inszeniert, der in Deutschland allerdings erst 1972 im Fernsehen zu sehen war.
Eines der bedeutendsten filmischen Zeugnisse der fünfziger Jahre über das Lagersystem ist jedoch kein Spielfilm, sondern ein essayistischer Dokumentarfilm. In Nuit et bruillard / Nacht und Nebel (1953) verarbeitete Alain Resnais neben selbst gedrehtem Material erstmalig auch jene von den Alliierten gedrehten Szenen der Lagerbefreiung, bei der sie Massen von Toten vorfanden. Resnais etablierte in seinem sehr subjektiven und poetischen Film auch die später für den Holocaust-Film so prägnante „meaningful montage“ (s.u.), die auf reflektierende Weise den Zusammenhang zwischen Geschichte und Erinnerung, zwischen Gegenwart und Vergangenheit aufzeigt. Insofern ist der Einfluss dieses umfassend rezipierten nicht-fiktiven Films auf die spätere Spielfilmproduktion nicht zu unterschätzen.
Egon Monk versuchte in seinem betont nüchtern in Schwarzweiß gedrehten Fernsehfilm Ein Tag, den Alltag der Häftlinge eines Konzentrationslagers nachzuvollziehen. Er bedient sich dabei einer nüchternen, kontrastreichen Schwarzweißfotografie und betont vor allem die alltäglich Banalität und Kargheit der ungewissen Existenz zwischen Leben und Tod. Vor allem die unprätentiöse Darstellung, die Betonung des bürokratischen Terrors brachte diesem Film viel Zuspruch ein. So steht er für den Exilforscher Thomas Koebner noch immer im Zentrum der filmischen „Vorstellungen von einem Schreckensort“ (worauf sich auch der Titel dieses Artikels bezieht).
Eine der langlebigsten literarischen Quellen des Holocaustkinos ist „Das Tagebuch der Anne Frank“, die autobiografischen Aufzeichnungen eines dreizehnjährigen jüdischen Mädchens, das vom Juli 1942 bis zum August 1944 auf dem Dachboden eines Amsterdamer Hauses versteckt lebte. Die weitgehend sachlichen Notizen des Mädchens dokumentieren Angst vor dem Entdecktwerden, Hoffnung auf Rettung und ein Ende des Krieges, aber auch Momente des Alltäglichen in der Extremsituation. Die streng personale Perspektive macht dieses Dokument zu einer erschütternden Auseinandersetzung mit der Situation des verfolgten des Dritten Reiches. The Diary of Anne Frank / Das Tagebuch der Anne Frank (1959) von Stanley Kramer war die erste Hollywoodverfilmung des Stoffes und basierte primär auf dem gleichnamigen Theaterstück, das nach dem Tagebuch verfasst war. Es gelingt Kramer, diesen Stoff in all seiner Ernsthaftigkeit mit den Mechanismen des Hollywoodkinos zu vermitteln, was nicht zuletzt der Besetzung mit Millie Perkins zu verdanken ist. Spätere Verfilmungen von Boris Segal (1980), Gareth Davies (1987) und Robert Dornhelm (2001) zeugen von der bleiben Brisanz des Stoffes. Für 2005 bereitet 20th Century Fox eine weitere große Verfilmung vor.


3. Orientierung: Die 1960er Jahre

Eine der drastischsten und konsequentesten Aufarbeitungen eines Häftlingsschicksals ist der italienische Film Kapo (1960) von Gillo Pontecorvo: Susan Strasberg spielt hier eine junge Jüdin, die im Lagersystem zur Wärterin, zum KAPO, 'aufsteigt’ und in dieser Position ihre Mithäftlinge drangsaliert. Das moralische Dilemma dieser Frau lotet der Film in schonungslosen Bildern aus. Kapo führt vor Augen, dass Überleben in Extremsituationen nicht zuletzt auf Kosten der Mitmenschen geht und führt so die Entmenschlichung der Häftlinge peinvoll vor Augen.
Von Andrzej Munks Pasazerka / Die Passagierin (1961/1963) sind leider nur Fragmente vorhanden, da der Regisseur während der Dreharbeiten tödlich verunglückte: Auf einer Schiffsreise erkennt eine ehemalige KAPO-Frau in einer Mitreisenden eine frühere Gefangene. Der Film wurde in einer Mischung aus kommentierten Standfotos und inszenierten Filmsequenzen ins Kino gebracht – ein tragisches Monument, lässt es doch erahnen, dass hier eine der bis dahin ambitioniertesten Aufarbeitungen der Thematik unternommen worden war. Bereits dieser Film hätte – so ist zu erahnen – in einer komplexen Montage Gegenwart und Vergangenheit verflochten.
Eine tschechische Produktion ist Boxer a smrt / Der Boxer und der Tod (1962), in dem ein KZ-Häftling nur überlebt, da er als Trainingspartner für einen SS-Mann herhalten kann. Thematisch nimmt dieser Film Robert M. Youngs amerikanische Produktion Triumph of the Spirit / Triumph des Geistes (1989) vorweg, in dem Willem Dafoe einen jüdischen Boxer mit Olympiaerfahrung spielt, der buchstäblich um sein Leben kämpft.
Wiederum Stanley Kramer widmete sich in Judgement at Nuremberg / Das Urteil von Nürnberg (1963) der Thematik, wählte hier jedoch einen indirekten Zugang. In dialogreichen Passagen wird die Problematik aufgedeckt, einen 'objektiven’ Zugang zu den Ereignissen der Vergangenheit zu finden.
Nach einem Roman von Bruno Apitz drehte Frank Beyer in den DEFA-Studios 1963 Nackt unter Wölfen, eine Episode um den Aufstand im Konzentrationslager Buchenwald. Politische Häftlinge halten hier ein Kind erfolgreich versteckt. Beyers Film stellt die Rolle dieser politische Häftlinge sehr stark in den Vordergrund, vor allem ihre Schlüsselposition bei dem Aufstand und kultiviert einen sog. „sozialistischen Realismus“. Statt eines ‚Martyriums’ präsentiere er – so die DDR-Kritik – eine Geschichte des erfolgreichen Widerstandes gegen Tyrannei. Die westdeutsche Kritik dagegen war skeptischer, bemerkte durchaus die einseitige Stilisierung des Geschehens und die eindimensionale Tugendhaftigkeit der Widerständler. Von einer naturalistischen Darstellung lässt sich hier nicht sprechen.
Sydney Lumets düsteres New-York-Drama The Pawnbroker / Der Pfandleiher (1965) führt uns das Schicksal des jüdischen Pfandleihers Sol Nazerman (Rod Steiger) vor Augen, der von Erinnerungen an seine Vergangenheit im Konzentrationslager heimgesucht wird, die sich zusehends mit der Gegenwart (einem Bandenkonflikt) vermischt. Lumets Film ist nach Die Passagierin der erste Holocaust-Film, der intensiv von der Gegenwart und Vergangenheit vermischenden „meaningful montage“ (Annette Insdorf) Gebrauch macht, ein dramaturgisches Mittel, das vor allem in späteren Produktionen genutzt wird, um zusätzliche Authentizität zu erringen. Im deutschen Fernsehen findet man eine ähnliche Rückblendenstruktur in Karl Fruchtmanns Fernsehfilm Kaddisch nach einem Lebenden (1969), in dem die Handlung ausschließlich um das erlittene Trauma des Protagonisten durch die Folterung eines Mithäftlings kreist. Der später in Israel lebende Mann wird also analog zum Zuschauer zum betroffenen Zeugen, den die Erinnerung an das miterlebte Unrecht plagt. Der Regisseur hat sich auch in späteren Produktionen dem Thema der destruktiven Auswirkungen einer Ideologie auf die betroffenen Individuen gewidmet.


4. Skandale und Experimente: Die 1970er Jahre

Die 1970er Jahre waren für zahlreiche nationale Kinematografien ein äußerst fruchtbares Jahrzehnt: Die Saat der revolutionären Jahre zuvor begann aufzubrechen und in den USA (New Hollywood), Deutschland (Neuer Deutscher Film) und Japan (Neue Welle) erstaunliche Filmproduktionen hervorzubringen. Mit diesen progressiven Tendenzen und der analogen Lockerung der Zensurbestimmungen kam es jedoch auch zu einer enormen Welle von reißerische Exploitationfilmen, die die Grenzen des Darstellbaren zu Zwecken sensationsheischender Unterhaltung zu dehnen begannen. Selbst vor der Holocaust-Thematik machte diese exploitative Mode nicht halt: Die Sexfilmer Robert Lee Frost und Don Edmonds brachte mit den kanadischen Produktionen Love Camp 7 (1968) und Ilsa, She-Wolf of the SS (1974) sogenannte Sadiconazista-Filme ins Kino, die nach trivialem Muster einen voyeuristischen Blick in Konzentrationslagerbordelle und pseudomedizinische Experimentierstationen warfen. Obwohl diese Ausbeutung von Holocaust-Motiven durchaus einen Skandal erregte, sind diese Filme bis heute (in den Heimmedien) äußerst erfolgreich. Der Ilsa-Film mit Playboy-Model Dyanne Thorne zog sogar noch einige direkte und indirekte Fortsetzungen nach sich.
Auch im italienischen Kino wurde mit der Verbindung von Sexualität, Politik und Geschichte experimentiert, wenn auch zunächst auf einem hohen Niveau. In ihrem Psychodrama Il portiere di notte / Der Nachtportier (1973) verarbeitete die ehemalige Dokumentarfilmerin Liliana Cavani Erkenntnisse aus ihren vorangehenden Serien über das Dritte Reich und erzählt von der fatalen Wiederbegegnung eines SS-Mannes (Dirk Bogarde) und seines früheren Wunschopfers (Charlotte Rampling). Während das Paar diese destruktive Beziehung unter umgekehrten Vorzeichen wieder aufnimmt, geraten sie auf die Exekutionsliste von SS-Veteranen, die unliebsame Zeugen beseitigen, um die Vergangenheit – und somit ihre Schuld – zu ‚tilgen’. Cavanis Film ist zugleich die Aufarbeitung einer Kontinuität von Nazi-Mentalität nach dem Krieg wie auch der (streitbare) Versuch, das Konzentrationslagersystem psychosexuell zu adaptieren. – Einen satirischeren Weg geht Pasqualino Settebellezze / Sieben Schönheiten (1975) von Lina Wertmüller, wo ein sizilianischer Macho u.a. in die Fänge einer SS-Schergin gerät, die ihn zu ihrem 'Sexspielzeug’ degradiert. Wertmüllers Film geht in seiner verschachtelten Erzählweise jedoch weit über die Sadiconazista-Motivik hinaus und entfaltet in seiner Schachtelmontage eine Art 'barockes Welttheater’ auf der Leinwand. – Obwohl seine aktualisierte Marquis-de-Sade-Adaption Salò / Die 120 Tage von Sodom (1975) eher ein Film über das 'faschistische Italien der Gegenwart’ sei, hat Pier Paolo Pasolini mit diesem apokalyptischen Endspiel einen beklemmenden Mikrokosmos des Konzentrationslagersystems konstruiert, der erst in den letzten Jahren, als der Film erneut ins Kino kam, wirklich verstanden wird. Hier haben sich die Mechanismen von Macht und Produktion verselbstständigt und laufen in der untergehenden faschistischen Republik von Saló Amok. Der Skandalerfolg dieser drei Filme führte auch in Italien zur seriellen Produktion reißerischer KZ-Sex-Filme.
Der griechische Actionroutinier George Pan Cosmatos, der später ausgerechnet mit dem militaristischen Rambo: First Blood Part 2 / Rambo 2 – Der Auftrag (1984) von sich reden machte, widmete sich in Rapresaglia/ S.S. Repressailles / Das Massaker- Der Fall Kappler / Tödlicher Irrtum (1973) einem der berüchtigtsten Kriegsverbrechen des Dritten Reiches: den Geiselerschießungen in den Höhlen vor Rom nach einem Partisanenanschlag auf Waffen-SS-Leute 1944. Dieses Massaker wird dramaturgisch eingewoben in die ambivalente Freundschaft zwischen dem SS-Mann Kappler (Richard Burton) und dem humanistischen Pater Antonelli (Marcello Mastroianni). Dieser Film fällt thematisch zwar aus der eigentlichen Thematik etwas heraus, schafft jedoch eine Basis für spätere Darstellungen nationalsozialistischer Massaker, etwa in Belorussland oder Kiew. Die geradlinige Inszenierung von Cosmatos lässt den Darstellern einigen Raum, um ihre schematischen Figuren mit Persönlichkeit zu füllen, so dass das tragische Finale – Antonelli wird selbst zum Opfer von Kappler – die Tragweite des Verbrechens vermittelt. Bezüge zu Roberto Rossellinis Partisanendrama Roma cittá aperta / Rom, offene Stadt (1945) sind offenkundig.
Analog zu Lina Wertmüllers satirischem Ansatz bezüglich der Lager-Thematik entstand in der DDR die Komödie Jakob der Lügner (1974) von Frank Beyer, in dem ein jüdischer Mann (Vlastimil Brodsky) im Warschauer Ghetto erfundene Nachrichten über ein Vorrücken der Roten Armee verbreitet und damit die Hoffnung der Ghettobewohner stärkt. Die Kritik an diesem Film richtete sich auf die Ambivalenz der Auswirkungen von Jakobs Lügen, etwa, dass er die Ghettobewohner in Sicherheit wiege und damit ihren Widerstandswillen lähme (Annette Insdorf).
Eine andere Kuriosität jener Jahre nutzte das Faktum des lateinamerikanischen Exils ehemaliger Naziverbrecher als Basis von Thrillerszenarien. In John Schlesinger Neo-Noir Marathon Man / Der Marathon Mann (1976) spielte Sir Laurence Olivier den KZ-Arzt Christian Szell, der nun seine Juwelenschätze in New York bergen möchte, dort aber von einem Geschichtsstudenten (Dustin Hoffman) und ehemaligen Häftlingen erkannt wird. Gregory Peck trat dann in Franklin J. Shaffners Boys from Brazil (1978) als Josef Mengele gegen den jüdischen Nazijäger Liebermann (wiederum Olivier) an und versuchte, Hitler-Klone zu züchten. Diese actionbetonten Filme können jedoch kaum als ernsthafte Auseinandersetzung mit historischem Grauen gewertet werden.
Eines der konsequentesten Täterporträts im Rahmen eines Spielfilms ist Götz Georges Darstellung des Auschwitz-Kommandanten Rudolf Höss (hier: Franz Lang) in Theordor Kotullas Aus einem deutschen Leben (1977). Der Film stellt Schlüsselepisoden aus Höss’ Biografie dar, sein Weg vom Freikorpsmann über SA und SS bis hin zum Kriegverbrechertribunal, das ihn zum Tode verurteilt. In distanzierter, minimalistischer Kühle sehen wir die menschenverachtende Rationalität, mit der er Vergasungen in Auschwitz organisiert. Dabei konzentriert sich die Darstellung auf die Täter, zeigt das Unfassbare aus der Distanz. Brüche finden sich in kurzen Momenten, etwa wenn Himmlers Blick dem eines Häftlings begegnet und nervös abgleitet.


5. Eine eigene Ikonografie: Die 1980er Jahre

Die wichtigste Initialzündung für eine intensive mediale Auseinandersetzung mit der Holocaust-Thematik bildete die vierteilige amerikanische Fernsehserie mit dem programmatischen Titel Holocaust (1978), die nicht zuletzt für eine weite Verbreitung dieses Begriffes als Umschreibung für den nationalsozialistischen Massenmord speziell an Juden, später auch tendenziell als grundsätzliches Synomym für diesen Genozid steht. Die epische Serie von Marvin Chomsky verfolgt das Schicksal zweier Familien im Dritten Reich: Die jüdische Familie Weiss und die deutsche Familie Dorf geraten auf unterschiedliche Seiten des Völkermordes. Während die einen fliehen müssen bzw. deportiert werden, tritt Erik Dorf (Michael Moriarty) der SS bei und wird mitschuldig an der Organisation des Holocaust. Was auf Kritik stieß, war die melodramatische und gelegentlich vereinafchende Struktur der Serie, die deutlich an das erfolgreiche Familienepos Roots anknüpfte, das die Geschichte der Versklavung von Afrikanern in den Südstaaten verarbeitete. Ungeachtet dieser trivilaen Aspekte hatte die Serie Holocaust eine ähnlich massive Breitenwirkung wie später nur noch Steven Spielbergs Schindler’s List, und muss so als Meilenstein der Holocaust-Dramatisierung gelten.
An das Konzept der „meaningful montage“ knüpft der Blockbuster Sophie’s Choice / Sophies Entscheidung (1982) von Alan J. Pakula an, ein Melodram um die katholische Polin Sophie (Meryl Streep), die einst das Todeslager überlebte, da sie die Aufmerksamkeit eines SS-Mannes auf sich zog, der sie vor eine Entscheidung stellte, die ihr Leben für immer zerstörte: Er stellte ihr frei zu wählen, welches ihrer Kinder vom Tod bewahrt werden solle. Der Film erzählt dieses erschütternde Geschehen eingebettet in eine melodramatische Struktur als langen Rückblick. Wie in Il portiere di notte ist auch hier das Opfer nicht jüdischer Herkunft, Sophie kann sich sogar einen Ausnahmestatus sichern, indem sie die christliche Herkunft betont. Mit den monochromen, ausgewaschenen Szenen etabliert Pakulas Film eine Bildwelt des Konzentrationslagergeschehens, die in zahlreichen späteren Produktionen übernommen wurde und als eigene Ikonographie betrachtet werden kann, die mitunter als „sinnentleertes Zitat“ (Matthias N. Lorenz) auftaucht, z.B. aktuell in X-Men (2000) von Bryan Singer. Ebenfalls einer „meaningful montage“ bedient sich Jacques Rouffios Arthur-Brauner-Produktion Die Spaziergängerin von Sans Souci (1982), in dem Michel Piccoli in der Gegenwart den einstige Peiniger seiner Eltern erschießt. Rouffios Inszenierung der Rückblicke entwickelt einen vergleichbar drastische Naturalismus wie Pakulas Film.
Ein wenig beachtetes Kapitel nationalsozialistischer Ausschreitungen sind auch die Waffen-SS-Massaker in Weißrussland, wo die 'Politik der verbrannten Erde’ am verheerendsten deutlich wurde. Idi I smotri / Komm und sieh (1987) von Elem Klimow erzählt – ähnlich wie Tarkowskijs Iwans Kindheit (1967) – aus der Sicht eines pubertierenden Jungen: Mit seinem gefundenen Gewehr möchte er gerne Partisan werden, wird jedoch nicht ernst genommen. Ein Fallschirmjägerangriff trennt ihn von seiner Einheit. Auf der Flucht trifft er auf ein etwas älteres Mädchen, dem er sich zeitweilig anschließt. Seine Odyssee führt ihn zurück zu seiner Familie, die längst ermordet wurde, und in ein von der Waffen-SS besetztes Dorf, das mit Flammenwerfern ausgelöscht wird. Klimows drastisch-sinnliche Inszenierung involviert den Zuschauer schonungslos in die blutigen Geschehnisse und lässt das Geschehen in Belorussland schmerzvoll erahnen. Zugleich funktioniert sein Film ganz grundsätzlich als Fabel auf die menschliche Destruktivität, die zwischen der Grausamkeit der Invasoren und der Partisanen kaum Unterschiede macht.
Wenige Filme thematisieren auch die Verfolgung von Sinti und Roma im Dritten Reich. So gering die internationale Lobby dieser Opfergruppe ist, so minimal ist auch die historische und künstlerische Aufarbeitung. Einer der ersten expliziten Versuche war die amerikanische Produktion The Violins Stopped Playing / Und die Geigen verstummten (1988) von Alexander Ramati, ein sehr durchschnittlich inszeniertes Familiendrama, das sich strukturell an der Holocaust-Serie orientiert, dieses Modell aber auf eine Zigeunerfamilie anwendet. In Youngs Triumph of the Spirit, der noch Jahre vor Spielbergs Film direkt in Auschwitz gedreht werden durfte, spielt Edward James Olmos einen KAPO mit entsprechender Herkunft. Erst die deutsche Produktion Sindonie (1991) von Karin Brandauer, die stark dem sozialen Realismus des neuen deutschen Films verpflichtet war, gewann dem Thema der Sinti/Roma-Verfolgung größere Tiefe ab. Hier konzentriert sich der Film auf das Schicksal eines verfolgten Mädchens, das halbherzig aufgenommen und letztlich „verabschiedet“ wird (der Titel des Romans von Erich Hackl lautete bitterer: „Abschied von Sidonie“).
Ebenfalls an die Massenwirksamkeit der Serie Holocaust schloss der amerikanische TV-Film Escape from Sobibor / Sobibor (1987) von Jack Gold an, eine aktionsbetonte Dramatisierung des Häftlingsausbruchs. Diese aufwändige dreistündige TV-Adaption ist interessant als dramatisiertes Gegenstück zu Claude Lanzmanns nüchternem Interviewfilm über die Überlebenden des Aufstandes (2003).
Der spanische Film Tras el cristal / In a Glass Cage (1987) von Agustí Villaronga schließt wiederum in gewissem Sinne an Cavanis Portiere di notte an: Hier schleicht sich das ehemaligen Opfer eines pädophilen Lagerarztes in den Haushalt des inzwischen ganzkörpergelähmten Mannes ein. Doch im Laufe seiner Rache erliegt der junge Angel dem Reiz des Bösen und beginnt selbst, Kinder zu ermorden und das Haus mittels Stacheldraht in ein Konzentrationslager zu verwandeln. Eine ähnliche Idee von der Verführungskraft des Bösen entfaltete später Bryan Singers Apt Pupil / Der Musterschüler (1998) nach einer Kurzgeschichte des Horrorautors Stephen King. Hier entlarvt ein Gymnasiast einen alten Nachbarn als ehemaligen Nazi-Kriegsverbrecher und erliegt dessen morbidem Charme. Beide Filme beanspruchen nicht wirklich, grundlegende Aussagen zum Holocaust zu vermitteln, sondern beschränken sich darauf, das seduktive Potenzial des Bösen modellhaft zu entfalten. In dieser Vermischung morbider Sexualität und historischer Barbarei bezieht sich Tras el cristal direkt auf den Sadiconazista-Komplex der 1970er Jahre.
Mit aufwändigem und stellenweise naivem Naturalismus näherte sich die Arthur-Brauner-Produktion Europa, Europa / Hitlerjunge Salomon (1989) von Agnieszka Holland der spektakulären Flucht eines jüdischen Jungen, der zunächst bei den Kommunisten, dann bei den Nazis untertauchen kann und an einer Napola („Nationalpolitischer Erziehungsanstalt“) ausgebildet wird, bis ihn das Kriegsende erlöst. Anders als Volker Schlöndorffs pathetisch-vereinfachte Michel-Tournier-Verfilmung Der Unhold (1998) kann sich Hollands Film noch allein durch seine Fabel vom finsteren Faszinosum der re-inszenierten Nazispektakel distanzieren.

6. Nach Schindlers Liste: Die 1990er Jahre

Die filmische Beschäftigung mit dem Holocaust stand in den frühen neunziger Jahren ganz im Zeichen von Steven Spielbergs weltweit erfolgreichem Schindler’s List / Schilders Liste (1994), in dem Liam Neeson den deutschen Industriellen Oskar Schindler spielt, der einigen hundert Häftlingen in Polen das Leben rettet, indem er sie in seinen Fabriken einsetzt. Spielberg inszeniert das Verhältnis zwischen dem Großbürger Schindler und dem Konzentrationslagerkommandanten Amon Göth (Ralph Fiennes) als ambivalentes, nahezu dialektisches Verhältnis. Göth sei der Schatten, den Schindler warf – so beschrieb es der Regisseur in Interviews. Der Film bedient sich einer aufwändigen historischen Rekonstruktion von Ghetto- und Lagerleben, verdichtet das Geschehen jedoch auf einige Schlüsselfiguren, wodurch melodramatische Strukturen in dem Mittelpunkt treten. Die Hollywood-typischen Spannungsmechanismen (etwa bei der Selektion oder dem Gang in die Duschräume) wurde vielfach kritisiert, es ist jedoch andererseits kaum einem Film zuvor derart umfassend gelungen, das öffentliche Interesse auf diese historischen Ereignisse zu lenken. Nicht weniger umstritten ist die aus dem Erlös des Films finanzierte „Shoa Foundation“, die Zeitzeugenaussagen weltweit sammelt.
Zwei deutsche Beiträge zum Thema ragen aus der Produktion der Zeit heraus: Drei Tage im April (1994) von Oliver Storz erzählt von einem kleinen Dorf, in dem kurz vor Kriegsende ein Waggon mit jüdischen Häftlingen abgestellt wird. Niemand fühlt sich zuständig, und eines Nacht schieben die Dorfbewohner den Anhänger einfach auf ein unbenutztes Gleis im Niemandsland. Erzählt wird das aus der Sicht eines zunächst regimetreuen BDM-Mädchens, das angesichts der unmenschlichen Situation an der Richtigkeit des Systems zu zweifeln beginnt. War Storz noch auf die Mittel des Fernsehspiels angewiesen, konnte Andreas Grubers Kinofilm Hasenjagd (1994) zusätzlich durch eine visuell präzise konzipierte Bildwelt überzeugen: In monochromen Bildern erzählt er von der Flucht einiger Häftlinge aus dem Konzentrationslager Mauthausen, die von der SS mit Hilfe der gesamten umliegenden Dorfbevölkerung in einer 'Hasenjagd’ gestellt werden sollen. Das historisch fundierte Geschehen gerät in diesem Film zur beklemmenden Metapher für die unweigerliche Mitschuld aller Beteiligten.
An die Thriller der siebziger Jahre knüpft Christopher Menauls Bestseller-Verfilmung Fatherland / Vaterland (1994) an, der in einem fiktiven Nachkriegsdeutschland spielt, in dem noch immer Hitler die Macht hat und über der „germanische Reich“ thront. Um den Friedensvertrag mit den USA zu besiegeln, müssen alle Indizien des Holocaust beseitigt werden, doch ein abtrünniger SS-Mann (Rutger Hauer) opfert sein Leben, um die grausame Wahrheit ans Licht zu bringen. Obwohl dieser für den Kabelsender HBO produzierte Film an einer etwas banalen Inszenierung krankt, kann er durchaus einige Mechanismen des nationalsozialistischen Systems vermitteln.
Vier Werke der neunziger Jahre näherten sich der Holocaust-Thematik komödiantisch: La vita è bella / Das Leben ist schön (1998) von Roberto Benigni kann teilweise als Remake von Jakob der Lügner einstuft werden, der mit Robin Williams in der Titelrolle eine amerikanische Neuverfilmung Jakob the Liar (1999) durch Peter Kassovitz erfuhr. In Mutters Courage (1995) von Michael Verhoeven erleben wir mittels Brechtscher Metareflexionen die tragikomische Geschichte der Mutter des Dichters Georg Tabori, der selbst als Erzähler auftritt. Die Frau hatte den Abtransport als Jüdin überlebt, da sie die Sympathien eines SS-Mannes für sich gewinnen konnte. In Train de vie / Zug des Lebens (1998) von Radu Mihaileanus deportieren sich die Häftlinge scheinbar selbst, um der Verfolgung zu entkommen, doch am Ende entpuppt sich das Unternehmen als Wunschtraum eines Häftlings. Dieser Film kann aufgrund seiner bitteren Auflösung als die schwärzeste unter den ‚Holocaust-Komödien’ gelten. Die für das deutsche Fernsehen gedreht Doppelgängerkomödie Goebbels und Geduldig (2002) von Kai Wessel schloss an diese Tendenz an.
In Deutschland entstanden Ende der neunziger Jahre auch einige Filme, die sich fiktiv mit der Vergangenheitsbewältigung auseinander setzten, am subtilsten wohl Meschugge (1999) von Dani Levy, am spektakulärsten Roland Suso Richters Nichts als die Wahrheit (1999), in dem sich Götz George als greiser Mengele einem deutschen Gericht stellt. Andere deutsche Produktionen inszenierten Melodramen und Komödien vor dem tragischen Hintergrund des Holocaust: Joseph Vilsmeiers Comedian Harmonists (1997) und Marlene (2000), Rolf Schübels Gloomy Sunday – Ein Lied von Liebe und Tod (1999), Xavier Kollers Gripsholm (2000) u.a.
Die ausgeprägte homosexuelle Subkultur Berlins in der Weimarer Republik wird bereits im Kino der 1970er Jahre thematisiert: in Bob Fosses Cabaret (1972), Tinto Brass’ Salon Kitty / Doppelspiel (1976), Ingmar Bergmans The Serpent’s Egg / Das Schlangenei (1977) u.a. Doch der Situation homosexueller KZ-Häftlinge mit dem „Rosa Winkel“ widmet sich explizit erst Sean Mathias’ Verfilmung von Martin Shermans erfolgreichem Theaterstück Bent (1997). Doch dieser Film entwirft als Hommage an das ästhetisierte Kino Derek Jarmans eine hermetische homosexuelle Welt, in der alle Ereignisse vom 'Röhm-Putsch’ bis hin zum Tod im Lager von männlicher Leidenschaft durchsetzt sind. Selbst unter extremsten Bedingungen von Zwangsarbeit und Tortur steht noch das sexuelle Begehren im Mittelpunkt der Dialoge. Das Dominanzverhältnis zwischen Wärter und Häftling erinnert demnach nicht von Ungefähr an die Mechanismen des 'Sadiconazista’-Films.
Ein erstaunliches Alterswerk bot der italienische Regieveteran Francesco Rosi mit La tregua / Die Atempause (1996). Der Meister des semidokumentarischen, sozialkritischen Gangsterfilms adaptierte hier die Memoiren des jüdischen Chemikers und späteren Schriftstellers Primo Levi, der nach seiner Befreiung aus dem Konzentrationslager in seine Heimat Italien zurückkehrte. Statt auf melodramatische Effekte zu bauen, konzentriert sich Rosis Blick ganz auf die von John Turturro eindringlich dargestellte allmähliche Öffnung des ehemaligen Häftlings. In dieser konzentrierten Ruhe und Subtilität erzählt der Film eher indirekt vom vorangehenden Schicksal im Lager und kann als ernsthafteste filmische Aufarbeitung des Themas gegen Ende der neunziger Jahre gelten.


7. Heute

Unabhängig von der Entwicklung im Kino hat sich gerade das amerikanische Fernsehen wiederholt mit der Holocaust-Thematik auseinandergesetzt. So versuchte Des Teufels Rechnung (1999) die Lagergeschehnisse einem jungen Publikum zugänglich zu machen: Hier träumt sich ein junges Mädchen (Kirsten Dunst) in die tragische Geschichte ihrer Großmutter hinein. Ein herausragendes Beispiele ist die Dramatisierung des Aufstandes im Warschauer Ghetto, Uprising (2001) von Jon Avnet, ein dreistündiger TV-Film in aufwändiger Besetzung, der effektiv-emotionalisierenden Gebrauch der Streichermusik von Arvo Pärt macht. Allerdings weisen beide Filme große Schwächen bei der idealisierten Starbesetzung auf, die der mimetischen Inszenierung zuwider arbeitet. Nach Schindler’s List und Uprising gelang erst einem ambitionierten Kinofilm die überzeugende Adaption des Warschauer Ghettodramas: The Pianist / Der Pianist (2002) von Roman Polanski erzählte die historischen Geschehnisse um das Leiden, Sterben und Kämpfen in der 'verbotenen Zone’ aus der streng personalen Sicht des jüdischen Pianisten Szpilman (Adrien Brody). Polanski kreierte in diesem Alterswerk ein weitgehend unpathetische Rekonstruktion eines menschlichen Dramas, das auch den körperlichen Verfall des Protagonisten nicht ausblendet. Der etwa zeitgleich entstandene Film The Grey Zone (2002) von Tim Alan Nelson, inszeniert mit dem typischen New Yorker Schauspieler-Ensemble (Harvey Keitel, Mira Sorvino, Steve Buscemi) das Schicksal der jüdischen 'Sonderkommandos’ in Auschwitz.
Der gloriose Abschluss von Arthur Brauners Beschäftigung mit dem Holocaust sollte Jeff Kanews Babij Jar – Die Schlucht der Vergessenen (2002) werden, doch der Film vermittelt in seiner einfachen Struktur und stereotypen Inszenierung kaum eine Ahnung dieses unfassbaren Massakers, bei dem über 30.000 Menschen an zwei Tagen getötet wurden. Von Ferne klingen die Eindrücke aus Klimows Idi i smotri nach, der eine der nachhaltigsten Visionen von dieser menschlichen Katastrophe inszenierte. „Zu zeigen, wie es war“ heißt nicht, dokumentarisches mit fiktivem Material zu mischen, heißt nicht, einfach ein historisches Ereignis mit medial geprägten Impressionen nachzustellen. Um wirklich eine Ahnung des Grauens zu vermitteln, bedarf es noch immer einer künstlerischen Vision, einer Begabung, pars-pro-toto Bilder und Klänge für ein Geschehen zu finden, von dem man sich noch kaum eine Vorstellung zu machen vermag. Die Filmgeschichte hat bis in die Gegenwart immer wieder solche Momenten hervorgebracht, aber sie sind selten und bedürfen immer neuer Versuche. So ist dieses Kapitel der künstlerisch adaptierten 'Vorstellungen von einem Schreckensort’ noch lange nicht abgeschlossen.

Bibliografie (Auswahl):
Fröhlich, Margrit und Hanno Loewy, Heinz Steinert (Hrsg.): Lachen über Hitler – Aschwitz-Gelächter? Filmkomödie, Satire und Holocaust, edition text + kritik 2003
Insdorf, Annette: Indelible Shadows. Film and the Holocaust, New York: Cambridge University Press 1983ff.
Koebner, Thomas: Vorstellungen von einem Schreckensort. Konzentrationslager im Fernsehfilm. In: Ders.: Vor dem Bildschirm. Studien, Kritiken und Glossen zum Fernsehen, St. Augustin: Gardez! 2000, S. 73-91
Kramer, Sven (Hrsg.): Die Shoah im Bild, edition text + kritik 2003
Ravetto, Kriss: The Unmaking of Fascist Aesthetics, Minneapolis: The University of Minnesota Press 2001
Stiglegger, Marcus: Sadiconazista. Sexualität und Faschismus im Film, St. Augustin: Gardez! 1999 (2. Auflage 2002)