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Augen-Blick
Marburger und Mainzer Hefte zur Medienwissenschaft Band
36
Hrsg. d. Ausgabe: Marcus Stiglegger und Alexander Jackob
Zur aktuellen Kinematographie des Holocaust.
Das Kino als Archiv und Zeuge?
Anlässlich des 60sten Jahrestages der Befreiung
von Auschwitz
Bestellen
ISSN 0179-2555
Schüren Verlag, Marburg 2004, 125 Seiten
REZENSION von Ivo
Ritzer
Presseexemplare zur Rezension:
Mediakontakt Laumer
:Ikonen:-Herausgeber Marcus Stiglegger
und :Ikonen:-Redakteur Alexander Jackob,
beide tätig als Geisteswissenschaftler an der Universität Mainz,
haben zusammen mit Prof. Dr. Günther Giesenfeld
im Rahmen der neuen Ausgabe der Augen-Blick-Reihe
des Schüren-Verlages Texte und Interviews zur aktuellen Kinematographie
des Holocaust zusammengetragen.
Hier die einzelnen Beiträge:
Einleitung von Alexander Jackob
und Marcus Stiglegger -Die Schwellen des
Archivs
Alexander Jackob - Jenseits
der Zeugenschaft
Zur Kritik kollektiver Bilder des Holocaust
Marcus Stiglegger - Neue und
alte Vorstellungen von einem Schreckensort - Filmhistorischer Abriss
Matías Matínez
- Authentizität als Künstlichkeit in Steven Spielbergs Film
Schindler's List
Peter Schulze - Geschichts-Schichtungen.
Zur Darstellung des Holocaust bei Steven Spielberg und Roman Polanski
Thomas Klein - Homo Ludens
wider den Schrecken. La vita é bella
und die Täuschung als fiktionale Überlebensstrategie
Carsten Bergemann - „Streets
of Berlin". Bilder der Verfolgung Homosexueller in Sean Mathias’
und Martin Shermans Bent
Marcus Stiglegger - Wenn die
Krähen ziehen... Arthur Brauners Erinnerung an Babij
Jar, die Schlucht der Vergessenen
Rudolf Worschech - Frühling
für Hitler. Der Untergang und andere:
Wie der deutsche Film das ”Dritte Reich” und seine Täter
darstellt
Annette Kilzer - In der Grauzone:
die Toten und die Lebenden. Interview mit Tim Blake Nelson zu seinem Film
The Grey Zone
Günther Giesenfeld und
Marcus Stiglegger - Einleitung und Interview
mit Volker Schlöndorff über Der neunte
Tag
Andere Ausgaben von Augen-Blick: Link
Leseprobe:
Marcus Stiglegger
Alte und neue Vorstellungen von einem Schreckensort
Ein filmhistorischer Abriss
(leicht gekürzte Fassung)
1. Vorbemerkung
Die Aufarbeitung des nationalsozialistischen Völkermordes
in Form von Spielfilmen ist bereits vielerorts diskutiert und dokumentiert
worden. Es erscheint jedoch sinnvoll, im Rahmen dieser Untersuchung neuer
Tendenzen die wesentlichen Strömungen innerhalb der Filmgeschichte
noch einmal zu vergegenwärtigen, um die aktuellen Entwicklungen aus
diesem Kontext heraus verständlich zu machen. Insofern hat dieser
Abriss nicht den primären Anspruch, neue Erkenntnisse zu gewinnen,
sondern die wesentlichen Beispiele noch einmal zu dokumentieren.
Wie sich leicht vorstellen lässt, entwickelte sich die filmische
Aufarbeitung der Ereignisse unter der nationalsozialistischen Okkupationen
zunächst schleppend, durchlief dann mehrere eher tastende Phasen,
bis sich mit dem Ende der 1970er Jahre schließlich eine der ‚Auschwitz-Literatur’
vergleichbare filmische Vermittlungsform etabliert hatte, in deren Rahmen
sich eine eigene Ikonografie des Völkermordes und der Konzentrationslager
herausbildete. Auslöser hierfür war vor allem die amerikanische
Fernsehserie Holocaust, es bleibt also auch hier nicht aus, den Blick
vom Kinofilm auch Richtung Fernsehen zu richten, um die entsprechende
intermediale Wechselwirkung mit berücksichtigen zu können. Dieser
kursorische Überblick berücksichtigt ausschließlich jene
Filme, die sich nach 1945 explizit mit Ereignissen um den Holocaust auseinandersetzen,
nicht jedoch jene Filme, die sich lediglich mit dem Nazi-Regime beschäftigen
(bzw. zeitlich früher entstanden sind).
2. Die Nachkriegszeit: 1945-1960
Bereits der Filmtheoretiker Béla Balázs betonte
in einer Filmkritik, die erst im Nachlass erschlossen wurde (von Hanno
Loewy), der polnische Film Ostatni etap / Die letzte Etappe (1947) von
Wanda Jakubowska habe eine eigene Gattung begründet, womit er nahezu
prophetisch dem 'Holocaustfilm’ einen ähnlich emblematischen
Charakter verlieh, wie es auch für die ‚Auschwitz-Literatur’
zutrifft. Hier wurde das Schicksal einer Gruppe weiblicher Häftlinge
inszeniert, und zwar mit zum Teil Laiendarstellerinnen, Überlebenden
von Auschwitz, die hier in die Baracken des Lagers zwei Jahre nach Kriegsende
zurückkehrten. Zahlreiche Darstellungskategorien der filmischen Holocaust-Aufarbeitung
tauchten hier bereits auf: die Appell-Situation, die Denunziation, die
Tortur, und vor allem: die nächtliche Ankunft der Häftlingswaggons,
mit matschigem Lehmboden und wirbelnden Flocken von Asche oder Schnee...
Bereits Alain Resnais zitierte diese Szene in Nuit et bruillard, George
Stevens integrierte sie direkt in einen Alptraum aus The Diary of Anne
Frank, und nicht zuletzt Steven Spielberg stellte sie in seinem Film Schindler’s
List originalgetreu nach. Loewy betont in seinem Aufsatz „Fiktion
und Mimesis“, dass diesem Film, der unmittelbar nach dem historischen
Grauen als Rekonstruktion entstanden war, selbst bereits der Status eines
verlässlichen Dokuments zugemessen werde (Fröhlich u.a. 2003,
S. 37).
Schon kurz nach dem Krieg produzierte der deutsche Produzent jüdischer
Herkunft Arthur Brauner mit seiner CCC-Produktion einen Film über
den Holocaust: Morituri (1948) von Eugen York behandelt mit dokumentarisch-nüchterner
Geste die Flucht einer Gruppe von KZ-Häftlingen sowie jüdischer
und polnischer Familien, die in einem Versteck im Wald die rettende Ankunft
sowjetischer Truppen erwarten. Teile dieses Films orientieren sich an
dem Roman „Das siebte Kreuz“ der Mainzer Schriftstellerin
Anna Seghers, in dem diese ebenfalls die Flucht von sieben Häftlingen
beschreibt, die von dem Kommandanten gnadenlos gejagt werden. Sieben Kreuze
hat er erreichten lassen, von denen nur das letzte leer bleibt, da einem
Flüchtigen durch die Hilfsbereitschaft einiger Dorfbewohner endgültig
die Flucht gelingt. Bereits 1944 hatte Fred Zinnemann danach den unpathetischen
Spielfilm The Seventh Cross mit Spencer Tracy in der Hauptrolle inszeniert,
der in Deutschland allerdings erst 1972 im Fernsehen zu sehen war.
Eines der bedeutendsten filmischen Zeugnisse der fünfziger Jahre
über das Lagersystem ist jedoch kein Spielfilm, sondern ein essayistischer
Dokumentarfilm. In Nuit et bruillard / Nacht und Nebel (1953) verarbeitete
Alain Resnais neben selbst gedrehtem Material erstmalig auch jene von
den Alliierten gedrehten Szenen der Lagerbefreiung, bei der sie Massen
von Toten vorfanden. Resnais etablierte in seinem sehr subjektiven und
poetischen Film auch die später für den Holocaust-Film so prägnante
„meaningful montage“ (s.u.), die auf reflektierende Weise
den Zusammenhang zwischen Geschichte und Erinnerung, zwischen Gegenwart
und Vergangenheit aufzeigt. Insofern ist der Einfluss dieses umfassend
rezipierten nicht-fiktiven Films auf die spätere Spielfilmproduktion
nicht zu unterschätzen.
Egon Monk versuchte in seinem betont nüchtern in Schwarzweiß
gedrehten Fernsehfilm Ein Tag, den Alltag der Häftlinge eines Konzentrationslagers
nachzuvollziehen. Er bedient sich dabei einer nüchternen, kontrastreichen
Schwarzweißfotografie und betont vor allem die alltäglich Banalität
und Kargheit der ungewissen Existenz zwischen Leben und Tod. Vor allem
die unprätentiöse Darstellung, die Betonung des bürokratischen
Terrors brachte diesem Film viel Zuspruch ein. So steht er für den
Exilforscher Thomas Koebner noch immer im Zentrum der filmischen „Vorstellungen
von einem Schreckensort“ (worauf sich auch der Titel dieses Artikels
bezieht).
Eine der langlebigsten literarischen Quellen des Holocaustkinos ist „Das
Tagebuch der Anne Frank“, die autobiografischen Aufzeichnungen eines
dreizehnjährigen jüdischen Mädchens, das vom Juli 1942
bis zum August 1944 auf dem Dachboden eines Amsterdamer Hauses versteckt
lebte. Die weitgehend sachlichen Notizen des Mädchens dokumentieren
Angst vor dem Entdecktwerden, Hoffnung auf Rettung und ein Ende des Krieges,
aber auch Momente des Alltäglichen in der Extremsituation. Die streng
personale Perspektive macht dieses Dokument zu einer erschütternden
Auseinandersetzung mit der Situation des verfolgten des Dritten Reiches.
The Diary of Anne Frank / Das Tagebuch der Anne Frank (1959) von Stanley
Kramer war die erste Hollywoodverfilmung des Stoffes und basierte primär
auf dem gleichnamigen Theaterstück, das nach dem Tagebuch verfasst
war. Es gelingt Kramer, diesen Stoff in all seiner Ernsthaftigkeit mit
den Mechanismen des Hollywoodkinos zu vermitteln, was nicht zuletzt der
Besetzung mit Millie Perkins zu verdanken ist. Spätere Verfilmungen
von Boris Segal (1980), Gareth Davies (1987) und Robert Dornhelm (2001)
zeugen von der bleiben Brisanz des Stoffes. Für 2005 bereitet 20th
Century Fox eine weitere große Verfilmung vor.
3. Orientierung: Die 1960er Jahre
Eine der drastischsten und konsequentesten Aufarbeitungen
eines Häftlingsschicksals ist der italienische Film Kapo (1960) von
Gillo Pontecorvo: Susan Strasberg spielt hier eine junge Jüdin, die
im Lagersystem zur Wärterin, zum KAPO, 'aufsteigt’ und in dieser
Position ihre Mithäftlinge drangsaliert. Das moralische Dilemma dieser
Frau lotet der Film in schonungslosen Bildern aus. Kapo führt vor
Augen, dass Überleben in Extremsituationen nicht zuletzt auf Kosten
der Mitmenschen geht und führt so die Entmenschlichung der Häftlinge
peinvoll vor Augen.
Von Andrzej Munks Pasazerka / Die Passagierin (1961/1963) sind leider
nur Fragmente vorhanden, da der Regisseur während der Dreharbeiten
tödlich verunglückte: Auf einer Schiffsreise erkennt eine ehemalige
KAPO-Frau in einer Mitreisenden eine frühere Gefangene. Der Film
wurde in einer Mischung aus kommentierten Standfotos und inszenierten
Filmsequenzen ins Kino gebracht – ein tragisches Monument, lässt
es doch erahnen, dass hier eine der bis dahin ambitioniertesten Aufarbeitungen
der Thematik unternommen worden war. Bereits dieser Film hätte –
so ist zu erahnen – in einer komplexen Montage Gegenwart und Vergangenheit
verflochten.
Eine tschechische Produktion ist Boxer a smrt / Der Boxer und der Tod
(1962), in dem ein KZ-Häftling nur überlebt, da er als Trainingspartner
für einen SS-Mann herhalten kann. Thematisch nimmt dieser Film Robert
M. Youngs amerikanische Produktion Triumph of the Spirit / Triumph des
Geistes (1989) vorweg, in dem Willem Dafoe einen jüdischen Boxer
mit Olympiaerfahrung spielt, der buchstäblich um sein Leben kämpft.
Wiederum Stanley Kramer widmete sich in Judgement at Nuremberg / Das Urteil
von Nürnberg (1963) der Thematik, wählte hier jedoch einen indirekten
Zugang. In dialogreichen Passagen wird die Problematik aufgedeckt, einen
'objektiven’ Zugang zu den Ereignissen der Vergangenheit zu finden.
Nach einem Roman von Bruno Apitz drehte Frank Beyer in den DEFA-Studios
1963 Nackt unter Wölfen, eine Episode um den Aufstand im Konzentrationslager
Buchenwald. Politische Häftlinge halten hier ein Kind erfolgreich
versteckt. Beyers Film stellt die Rolle dieser politische Häftlinge
sehr stark in den Vordergrund, vor allem ihre Schlüsselposition bei
dem Aufstand und kultiviert einen sog. „sozialistischen Realismus“.
Statt eines ‚Martyriums’ präsentiere er – so die
DDR-Kritik – eine Geschichte des erfolgreichen Widerstandes gegen
Tyrannei. Die westdeutsche Kritik dagegen war skeptischer, bemerkte durchaus
die einseitige Stilisierung des Geschehens und die eindimensionale Tugendhaftigkeit
der Widerständler. Von einer naturalistischen Darstellung lässt
sich hier nicht sprechen.
Sydney Lumets düsteres New-York-Drama The Pawnbroker / Der Pfandleiher
(1965) führt uns das Schicksal des jüdischen Pfandleihers Sol
Nazerman (Rod Steiger) vor Augen, der von Erinnerungen an seine Vergangenheit
im Konzentrationslager heimgesucht wird, die sich zusehends mit der Gegenwart
(einem Bandenkonflikt) vermischt. Lumets Film ist nach Die Passagierin
der erste Holocaust-Film, der intensiv von der Gegenwart und Vergangenheit
vermischenden „meaningful montage“ (Annette Insdorf) Gebrauch
macht, ein dramaturgisches Mittel, das vor allem in späteren Produktionen
genutzt wird, um zusätzliche Authentizität zu erringen. Im deutschen
Fernsehen findet man eine ähnliche Rückblendenstruktur in Karl
Fruchtmanns Fernsehfilm Kaddisch nach einem Lebenden (1969), in dem die
Handlung ausschließlich um das erlittene Trauma des Protagonisten
durch die Folterung eines Mithäftlings kreist. Der später in
Israel lebende Mann wird also analog zum Zuschauer zum betroffenen Zeugen,
den die Erinnerung an das miterlebte Unrecht plagt. Der Regisseur hat
sich auch in späteren Produktionen dem Thema der destruktiven Auswirkungen
einer Ideologie auf die betroffenen Individuen gewidmet.
4. Skandale und Experimente: Die 1970er Jahre
Die 1970er Jahre waren für zahlreiche nationale Kinematografien
ein äußerst fruchtbares Jahrzehnt: Die Saat der revolutionären
Jahre zuvor begann aufzubrechen und in den USA (New Hollywood), Deutschland
(Neuer Deutscher Film) und Japan (Neue Welle) erstaunliche Filmproduktionen
hervorzubringen. Mit diesen progressiven Tendenzen und der analogen Lockerung
der Zensurbestimmungen kam es jedoch auch zu einer enormen Welle von reißerische
Exploitationfilmen, die die Grenzen des Darstellbaren zu Zwecken sensationsheischender
Unterhaltung zu dehnen begannen. Selbst vor der Holocaust-Thematik machte
diese exploitative Mode nicht halt: Die Sexfilmer Robert Lee Frost und
Don Edmonds brachte mit den kanadischen Produktionen Love Camp 7 (1968)
und Ilsa, She-Wolf of the SS (1974) sogenannte Sadiconazista-Filme ins
Kino, die nach trivialem Muster einen voyeuristischen Blick in Konzentrationslagerbordelle
und pseudomedizinische Experimentierstationen warfen. Obwohl diese Ausbeutung
von Holocaust-Motiven durchaus einen Skandal erregte, sind diese Filme
bis heute (in den Heimmedien) äußerst erfolgreich. Der Ilsa-Film
mit Playboy-Model Dyanne Thorne zog sogar noch einige direkte und indirekte
Fortsetzungen nach sich.
Auch im italienischen Kino wurde mit der Verbindung von Sexualität,
Politik und Geschichte experimentiert, wenn auch zunächst auf einem
hohen Niveau. In ihrem Psychodrama Il portiere di notte / Der Nachtportier
(1973) verarbeitete die ehemalige Dokumentarfilmerin Liliana Cavani Erkenntnisse
aus ihren vorangehenden Serien über das Dritte Reich und erzählt
von der fatalen Wiederbegegnung eines SS-Mannes (Dirk Bogarde) und seines
früheren Wunschopfers (Charlotte Rampling). Während das Paar
diese destruktive Beziehung unter umgekehrten Vorzeichen wieder aufnimmt,
geraten sie auf die Exekutionsliste von SS-Veteranen, die unliebsame Zeugen
beseitigen, um die Vergangenheit – und somit ihre Schuld –
zu ‚tilgen’. Cavanis Film ist zugleich die Aufarbeitung einer
Kontinuität von Nazi-Mentalität nach dem Krieg wie auch der
(streitbare) Versuch, das Konzentrationslagersystem psychosexuell zu adaptieren.
– Einen satirischeren Weg geht Pasqualino Settebellezze / Sieben
Schönheiten (1975) von Lina Wertmüller, wo ein sizilianischer
Macho u.a. in die Fänge einer SS-Schergin gerät, die ihn zu
ihrem 'Sexspielzeug’ degradiert. Wertmüllers Film geht in seiner
verschachtelten Erzählweise jedoch weit über die Sadiconazista-Motivik
hinaus und entfaltet in seiner Schachtelmontage eine Art 'barockes Welttheater’
auf der Leinwand. – Obwohl seine aktualisierte Marquis-de-Sade-Adaption
Salò / Die 120 Tage von Sodom (1975) eher ein Film über das
'faschistische Italien der Gegenwart’ sei, hat Pier Paolo Pasolini
mit diesem apokalyptischen Endspiel einen beklemmenden Mikrokosmos des
Konzentrationslagersystems konstruiert, der erst in den letzten Jahren,
als der Film erneut ins Kino kam, wirklich verstanden wird. Hier haben
sich die Mechanismen von Macht und Produktion verselbstständigt und
laufen in der untergehenden faschistischen Republik von Saló Amok.
Der Skandalerfolg dieser drei Filme führte auch in Italien zur seriellen
Produktion reißerischer KZ-Sex-Filme.
Der griechische Actionroutinier George Pan Cosmatos, der später ausgerechnet
mit dem militaristischen Rambo: First Blood Part 2 / Rambo 2 – Der
Auftrag (1984) von sich reden machte, widmete sich in Rapresaglia/ S.S.
Repressailles / Das Massaker- Der Fall Kappler / Tödlicher Irrtum
(1973) einem der berüchtigtsten Kriegsverbrechen des Dritten Reiches:
den Geiselerschießungen in den Höhlen vor Rom nach einem Partisanenanschlag
auf Waffen-SS-Leute 1944. Dieses Massaker wird dramaturgisch eingewoben
in die ambivalente Freundschaft zwischen dem SS-Mann Kappler (Richard
Burton) und dem humanistischen Pater Antonelli (Marcello Mastroianni).
Dieser Film fällt thematisch zwar aus der eigentlichen Thematik etwas
heraus, schafft jedoch eine Basis für spätere Darstellungen
nationalsozialistischer Massaker, etwa in Belorussland oder Kiew. Die
geradlinige Inszenierung von Cosmatos lässt den Darstellern einigen
Raum, um ihre schematischen Figuren mit Persönlichkeit zu füllen,
so dass das tragische Finale – Antonelli wird selbst zum Opfer von
Kappler – die Tragweite des Verbrechens vermittelt. Bezüge
zu Roberto Rossellinis Partisanendrama Roma cittá aperta / Rom,
offene Stadt (1945) sind offenkundig.
Analog zu Lina Wertmüllers satirischem Ansatz bezüglich der
Lager-Thematik entstand in der DDR die Komödie Jakob der Lügner
(1974) von Frank Beyer, in dem ein jüdischer Mann (Vlastimil Brodsky)
im Warschauer Ghetto erfundene Nachrichten über ein Vorrücken
der Roten Armee verbreitet und damit die Hoffnung der Ghettobewohner stärkt.
Die Kritik an diesem Film richtete sich auf die Ambivalenz der Auswirkungen
von Jakobs Lügen, etwa, dass er die Ghettobewohner in Sicherheit
wiege und damit ihren Widerstandswillen lähme (Annette Insdorf).
Eine andere Kuriosität jener Jahre nutzte das Faktum des lateinamerikanischen
Exils ehemaliger Naziverbrecher als Basis von Thrillerszenarien. In John
Schlesinger Neo-Noir Marathon Man / Der Marathon Mann (1976) spielte Sir
Laurence Olivier den KZ-Arzt Christian Szell, der nun seine Juwelenschätze
in New York bergen möchte, dort aber von einem Geschichtsstudenten
(Dustin Hoffman) und ehemaligen Häftlingen erkannt wird. Gregory
Peck trat dann in Franklin J. Shaffners Boys from Brazil (1978) als Josef
Mengele gegen den jüdischen Nazijäger Liebermann (wiederum Olivier)
an und versuchte, Hitler-Klone zu züchten. Diese actionbetonten Filme
können jedoch kaum als ernsthafte Auseinandersetzung mit historischem
Grauen gewertet werden.
Eines der konsequentesten Täterporträts im Rahmen eines Spielfilms
ist Götz Georges Darstellung des Auschwitz-Kommandanten Rudolf Höss
(hier: Franz Lang) in Theordor Kotullas Aus einem deutschen Leben (1977).
Der Film stellt Schlüsselepisoden aus Höss’ Biografie
dar, sein Weg vom Freikorpsmann über SA und SS bis hin zum Kriegverbrechertribunal,
das ihn zum Tode verurteilt. In distanzierter, minimalistischer Kühle
sehen wir die menschenverachtende Rationalität, mit der er Vergasungen
in Auschwitz organisiert. Dabei konzentriert sich die Darstellung auf
die Täter, zeigt das Unfassbare aus der Distanz. Brüche finden
sich in kurzen Momenten, etwa wenn Himmlers Blick dem eines Häftlings
begegnet und nervös abgleitet.
5. Eine eigene Ikonografie: Die 1980er Jahre
Die wichtigste Initialzündung für eine intensive
mediale Auseinandersetzung mit der Holocaust-Thematik bildete die vierteilige
amerikanische Fernsehserie mit dem programmatischen Titel Holocaust (1978),
die nicht zuletzt für eine weite Verbreitung dieses Begriffes als
Umschreibung für den nationalsozialistischen Massenmord speziell
an Juden, später auch tendenziell als grundsätzliches Synomym
für diesen Genozid steht. Die epische Serie von Marvin Chomsky verfolgt
das Schicksal zweier Familien im Dritten Reich: Die jüdische Familie
Weiss und die deutsche Familie Dorf geraten auf unterschiedliche Seiten
des Völkermordes. Während die einen fliehen müssen bzw.
deportiert werden, tritt Erik Dorf (Michael Moriarty) der SS bei und wird
mitschuldig an der Organisation des Holocaust. Was auf Kritik stieß,
war die melodramatische und gelegentlich vereinafchende Struktur der Serie,
die deutlich an das erfolgreiche Familienepos Roots anknüpfte, das
die Geschichte der Versklavung von Afrikanern in den Südstaaten verarbeitete.
Ungeachtet dieser trivilaen Aspekte hatte die Serie Holocaust eine ähnlich
massive Breitenwirkung wie später nur noch Steven Spielbergs Schindler’s
List, und muss so als Meilenstein der Holocaust-Dramatisierung gelten.
An das Konzept der „meaningful montage“ knüpft der Blockbuster
Sophie’s Choice / Sophies Entscheidung (1982) von Alan J. Pakula
an, ein Melodram um die katholische Polin Sophie (Meryl Streep), die einst
das Todeslager überlebte, da sie die Aufmerksamkeit eines SS-Mannes
auf sich zog, der sie vor eine Entscheidung stellte, die ihr Leben für
immer zerstörte: Er stellte ihr frei zu wählen, welches ihrer
Kinder vom Tod bewahrt werden solle. Der Film erzählt dieses erschütternde
Geschehen eingebettet in eine melodramatische Struktur als langen Rückblick.
Wie in Il portiere di notte ist auch hier das Opfer nicht jüdischer
Herkunft, Sophie kann sich sogar einen Ausnahmestatus sichern, indem sie
die christliche Herkunft betont. Mit den monochromen, ausgewaschenen Szenen
etabliert Pakulas Film eine Bildwelt des Konzentrationslagergeschehens,
die in zahlreichen späteren Produktionen übernommen wurde und
als eigene Ikonographie betrachtet werden kann, die mitunter als „sinnentleertes
Zitat“ (Matthias N. Lorenz) auftaucht, z.B. aktuell in X-Men (2000)
von Bryan Singer. Ebenfalls einer „meaningful montage“ bedient
sich Jacques Rouffios Arthur-Brauner-Produktion Die Spaziergängerin
von Sans Souci (1982), in dem Michel Piccoli in der Gegenwart den einstige
Peiniger seiner Eltern erschießt. Rouffios Inszenierung der Rückblicke
entwickelt einen vergleichbar drastische Naturalismus wie Pakulas Film.
Ein wenig beachtetes Kapitel nationalsozialistischer Ausschreitungen sind
auch die Waffen-SS-Massaker in Weißrussland, wo die 'Politik der
verbrannten Erde’ am verheerendsten deutlich wurde. Idi I smotri
/ Komm und sieh (1987) von Elem Klimow erzählt – ähnlich
wie Tarkowskijs Iwans Kindheit (1967) – aus der Sicht eines pubertierenden
Jungen: Mit seinem gefundenen Gewehr möchte er gerne Partisan werden,
wird jedoch nicht ernst genommen. Ein Fallschirmjägerangriff trennt
ihn von seiner Einheit. Auf der Flucht trifft er auf ein etwas älteres
Mädchen, dem er sich zeitweilig anschließt. Seine Odyssee führt
ihn zurück zu seiner Familie, die längst ermordet wurde, und
in ein von der Waffen-SS besetztes Dorf, das mit Flammenwerfern ausgelöscht
wird. Klimows drastisch-sinnliche Inszenierung involviert den Zuschauer
schonungslos in die blutigen Geschehnisse und lässt das Geschehen
in Belorussland schmerzvoll erahnen. Zugleich funktioniert sein Film ganz
grundsätzlich als Fabel auf die menschliche Destruktivität,
die zwischen der Grausamkeit der Invasoren und der Partisanen kaum Unterschiede
macht.
Wenige Filme thematisieren auch die Verfolgung von Sinti und Roma im Dritten
Reich. So gering die internationale Lobby dieser Opfergruppe ist, so minimal
ist auch die historische und künstlerische Aufarbeitung. Einer der
ersten expliziten Versuche war die amerikanische Produktion The Violins
Stopped Playing / Und die Geigen verstummten (1988) von Alexander Ramati,
ein sehr durchschnittlich inszeniertes Familiendrama, das sich strukturell
an der Holocaust-Serie orientiert, dieses Modell aber auf eine Zigeunerfamilie
anwendet. In Youngs Triumph of the Spirit, der noch Jahre vor Spielbergs
Film direkt in Auschwitz gedreht werden durfte, spielt Edward James Olmos
einen KAPO mit entsprechender Herkunft. Erst die deutsche Produktion Sindonie
(1991) von Karin Brandauer, die stark dem sozialen Realismus des neuen
deutschen Films verpflichtet war, gewann dem Thema der Sinti/Roma-Verfolgung
größere Tiefe ab. Hier konzentriert sich der Film auf das Schicksal
eines verfolgten Mädchens, das halbherzig aufgenommen und letztlich
„verabschiedet“ wird (der Titel des Romans von Erich Hackl
lautete bitterer: „Abschied von Sidonie“).
Ebenfalls an die Massenwirksamkeit der Serie Holocaust schloss der amerikanische
TV-Film Escape from Sobibor / Sobibor (1987) von Jack Gold an, eine aktionsbetonte
Dramatisierung des Häftlingsausbruchs. Diese aufwändige dreistündige
TV-Adaption ist interessant als dramatisiertes Gegenstück zu Claude
Lanzmanns nüchternem Interviewfilm über die Überlebenden
des Aufstandes (2003).
Der spanische Film Tras el cristal / In a Glass Cage (1987) von Agustí
Villaronga schließt wiederum in gewissem Sinne an Cavanis Portiere
di notte an: Hier schleicht sich das ehemaligen Opfer eines pädophilen
Lagerarztes in den Haushalt des inzwischen ganzkörpergelähmten
Mannes ein. Doch im Laufe seiner Rache erliegt der junge Angel dem Reiz
des Bösen und beginnt selbst, Kinder zu ermorden und das Haus mittels
Stacheldraht in ein Konzentrationslager zu verwandeln. Eine ähnliche
Idee von der Verführungskraft des Bösen entfaltete später
Bryan Singers Apt Pupil / Der Musterschüler (1998) nach einer Kurzgeschichte
des Horrorautors Stephen King. Hier entlarvt ein Gymnasiast einen alten
Nachbarn als ehemaligen Nazi-Kriegsverbrecher und erliegt dessen morbidem
Charme. Beide Filme beanspruchen nicht wirklich, grundlegende Aussagen
zum Holocaust zu vermitteln, sondern beschränken sich darauf, das
seduktive Potenzial des Bösen modellhaft zu entfalten. In dieser
Vermischung morbider Sexualität und historischer Barbarei bezieht
sich Tras el cristal direkt auf den Sadiconazista-Komplex der 1970er Jahre.
Mit aufwändigem und stellenweise naivem Naturalismus näherte
sich die Arthur-Brauner-Produktion Europa, Europa / Hitlerjunge Salomon
(1989) von Agnieszka Holland der spektakulären Flucht eines jüdischen
Jungen, der zunächst bei den Kommunisten, dann bei den Nazis untertauchen
kann und an einer Napola („Nationalpolitischer Erziehungsanstalt“)
ausgebildet wird, bis ihn das Kriegsende erlöst. Anders als Volker
Schlöndorffs pathetisch-vereinfachte Michel-Tournier-Verfilmung Der
Unhold (1998) kann sich Hollands Film noch allein durch seine Fabel vom
finsteren Faszinosum der re-inszenierten Nazispektakel distanzieren.
6. Nach Schindlers Liste: Die 1990er Jahre
Die filmische Beschäftigung mit dem Holocaust stand
in den frühen neunziger Jahren ganz im Zeichen von Steven Spielbergs
weltweit erfolgreichem Schindler’s List / Schilders Liste (1994),
in dem Liam Neeson den deutschen Industriellen Oskar Schindler spielt,
der einigen hundert Häftlingen in Polen das Leben rettet, indem er
sie in seinen Fabriken einsetzt. Spielberg inszeniert das Verhältnis
zwischen dem Großbürger Schindler und dem Konzentrationslagerkommandanten
Amon Göth (Ralph Fiennes) als ambivalentes, nahezu dialektisches
Verhältnis. Göth sei der Schatten, den Schindler warf –
so beschrieb es der Regisseur in Interviews. Der Film bedient sich einer
aufwändigen historischen Rekonstruktion von Ghetto- und Lagerleben,
verdichtet das Geschehen jedoch auf einige Schlüsselfiguren, wodurch
melodramatische Strukturen in dem Mittelpunkt treten. Die Hollywood-typischen
Spannungsmechanismen (etwa bei der Selektion oder dem Gang in die Duschräume)
wurde vielfach kritisiert, es ist jedoch andererseits kaum einem Film
zuvor derart umfassend gelungen, das öffentliche Interesse auf diese
historischen Ereignisse zu lenken. Nicht weniger umstritten ist die aus
dem Erlös des Films finanzierte „Shoa Foundation“, die
Zeitzeugenaussagen weltweit sammelt.
Zwei deutsche Beiträge zum Thema ragen aus der Produktion der Zeit
heraus: Drei Tage im April (1994) von Oliver Storz erzählt von einem
kleinen Dorf, in dem kurz vor Kriegsende ein Waggon mit jüdischen
Häftlingen abgestellt wird. Niemand fühlt sich zuständig,
und eines Nacht schieben die Dorfbewohner den Anhänger einfach auf
ein unbenutztes Gleis im Niemandsland. Erzählt wird das aus der Sicht
eines zunächst regimetreuen BDM-Mädchens, das angesichts der
unmenschlichen Situation an der Richtigkeit des Systems zu zweifeln beginnt.
War Storz noch auf die Mittel des Fernsehspiels angewiesen, konnte Andreas
Grubers Kinofilm Hasenjagd (1994) zusätzlich durch eine visuell präzise
konzipierte Bildwelt überzeugen: In monochromen Bildern erzählt
er von der Flucht einiger Häftlinge aus dem Konzentrationslager Mauthausen,
die von der SS mit Hilfe der gesamten umliegenden Dorfbevölkerung
in einer 'Hasenjagd’ gestellt werden sollen. Das historisch fundierte
Geschehen gerät in diesem Film zur beklemmenden Metapher für
die unweigerliche Mitschuld aller Beteiligten.
An die Thriller der siebziger Jahre knüpft Christopher Menauls Bestseller-Verfilmung
Fatherland / Vaterland (1994) an, der in einem fiktiven Nachkriegsdeutschland
spielt, in dem noch immer Hitler die Macht hat und über der „germanische
Reich“ thront. Um den Friedensvertrag mit den USA zu besiegeln,
müssen alle Indizien des Holocaust beseitigt werden, doch ein abtrünniger
SS-Mann (Rutger Hauer) opfert sein Leben, um die grausame Wahrheit ans
Licht zu bringen. Obwohl dieser für den Kabelsender HBO produzierte
Film an einer etwas banalen Inszenierung krankt, kann er durchaus einige
Mechanismen des nationalsozialistischen Systems vermitteln.
Vier Werke der neunziger Jahre näherten sich der Holocaust-Thematik
komödiantisch: La vita è bella / Das Leben ist schön
(1998) von Roberto Benigni kann teilweise als Remake von Jakob der Lügner
einstuft werden, der mit Robin Williams in der Titelrolle eine amerikanische
Neuverfilmung Jakob the Liar (1999) durch Peter Kassovitz erfuhr. In Mutters
Courage (1995) von Michael Verhoeven erleben wir mittels Brechtscher Metareflexionen
die tragikomische Geschichte der Mutter des Dichters Georg Tabori, der
selbst als Erzähler auftritt. Die Frau hatte den Abtransport als
Jüdin überlebt, da sie die Sympathien eines SS-Mannes für
sich gewinnen konnte. In Train de vie / Zug des Lebens (1998) von Radu
Mihaileanus deportieren sich die Häftlinge scheinbar selbst, um der
Verfolgung zu entkommen, doch am Ende entpuppt sich das Unternehmen als
Wunschtraum eines Häftlings. Dieser Film kann aufgrund seiner bitteren
Auflösung als die schwärzeste unter den ‚Holocaust-Komödien’
gelten. Die für das deutsche Fernsehen gedreht Doppelgängerkomödie
Goebbels und Geduldig (2002) von Kai Wessel schloss an diese Tendenz an.
In Deutschland entstanden Ende der neunziger Jahre auch einige Filme,
die sich fiktiv mit der Vergangenheitsbewältigung auseinander setzten,
am subtilsten wohl Meschugge (1999) von Dani Levy, am spektakulärsten
Roland Suso Richters Nichts als die Wahrheit (1999), in dem sich Götz
George als greiser Mengele einem deutschen Gericht stellt. Andere deutsche
Produktionen inszenierten Melodramen und Komödien vor dem tragischen
Hintergrund des Holocaust: Joseph Vilsmeiers Comedian Harmonists (1997)
und Marlene (2000), Rolf Schübels Gloomy Sunday – Ein Lied
von Liebe und Tod (1999), Xavier Kollers Gripsholm (2000) u.a.
Die ausgeprägte homosexuelle Subkultur Berlins in der Weimarer Republik
wird bereits im Kino der 1970er Jahre thematisiert: in Bob Fosses Cabaret
(1972), Tinto Brass’ Salon Kitty / Doppelspiel (1976), Ingmar Bergmans
The Serpent’s Egg / Das Schlangenei (1977) u.a. Doch der Situation
homosexueller KZ-Häftlinge mit dem „Rosa Winkel“ widmet
sich explizit erst Sean Mathias’ Verfilmung von Martin Shermans
erfolgreichem Theaterstück Bent (1997). Doch dieser Film entwirft
als Hommage an das ästhetisierte Kino Derek Jarmans eine hermetische
homosexuelle Welt, in der alle Ereignisse vom 'Röhm-Putsch’
bis hin zum Tod im Lager von männlicher Leidenschaft durchsetzt sind.
Selbst unter extremsten Bedingungen von Zwangsarbeit und Tortur steht
noch das sexuelle Begehren im Mittelpunkt der Dialoge. Das Dominanzverhältnis
zwischen Wärter und Häftling erinnert demnach nicht von Ungefähr
an die Mechanismen des 'Sadiconazista’-Films.
Ein erstaunliches Alterswerk bot der italienische Regieveteran Francesco
Rosi mit La tregua / Die Atempause (1996). Der Meister des semidokumentarischen,
sozialkritischen Gangsterfilms adaptierte hier die Memoiren des jüdischen
Chemikers und späteren Schriftstellers Primo Levi, der nach seiner
Befreiung aus dem Konzentrationslager in seine Heimat Italien zurückkehrte.
Statt auf melodramatische Effekte zu bauen, konzentriert sich Rosis Blick
ganz auf die von John Turturro eindringlich dargestellte allmähliche
Öffnung des ehemaligen Häftlings. In dieser konzentrierten Ruhe
und Subtilität erzählt der Film eher indirekt vom vorangehenden
Schicksal im Lager und kann als ernsthafteste filmische Aufarbeitung des
Themas gegen Ende der neunziger Jahre gelten.
7. Heute
Unabhängig von der Entwicklung im Kino hat sich gerade
das amerikanische Fernsehen wiederholt mit der Holocaust-Thematik auseinandergesetzt.
So versuchte Des Teufels Rechnung (1999) die Lagergeschehnisse einem jungen
Publikum zugänglich zu machen: Hier träumt sich ein junges Mädchen
(Kirsten Dunst) in die tragische Geschichte ihrer Großmutter hinein.
Ein herausragendes Beispiele ist die Dramatisierung des Aufstandes im
Warschauer Ghetto, Uprising (2001) von Jon Avnet, ein dreistündiger
TV-Film in aufwändiger Besetzung, der effektiv-emotionalisierenden
Gebrauch der Streichermusik von Arvo Pärt macht. Allerdings weisen
beide Filme große Schwächen bei der idealisierten Starbesetzung
auf, die der mimetischen Inszenierung zuwider arbeitet. Nach Schindler’s
List und Uprising gelang erst einem ambitionierten Kinofilm die überzeugende
Adaption des Warschauer Ghettodramas: The Pianist / Der Pianist (2002)
von Roman Polanski erzählte die historischen Geschehnisse um das
Leiden, Sterben und Kämpfen in der 'verbotenen Zone’ aus der
streng personalen Sicht des jüdischen Pianisten Szpilman (Adrien
Brody). Polanski kreierte in diesem Alterswerk ein weitgehend unpathetische
Rekonstruktion eines menschlichen Dramas, das auch den körperlichen
Verfall des Protagonisten nicht ausblendet. Der etwa zeitgleich entstandene
Film The Grey Zone (2002) von Tim Alan Nelson, inszeniert mit dem typischen
New Yorker Schauspieler-Ensemble (Harvey Keitel, Mira Sorvino, Steve Buscemi)
das Schicksal der jüdischen 'Sonderkommandos’ in Auschwitz.
Der gloriose Abschluss von Arthur Brauners Beschäftigung mit dem
Holocaust sollte Jeff Kanews Babij Jar – Die Schlucht der Vergessenen
(2002) werden, doch der Film vermittelt in seiner einfachen Struktur und
stereotypen Inszenierung kaum eine Ahnung dieses unfassbaren Massakers,
bei dem über 30.000 Menschen an zwei Tagen getötet wurden. Von
Ferne klingen die Eindrücke aus Klimows Idi i smotri nach, der eine
der nachhaltigsten Visionen von dieser menschlichen Katastrophe inszenierte.
„Zu zeigen, wie es war“ heißt nicht, dokumentarisches
mit fiktivem Material zu mischen, heißt nicht, einfach ein historisches
Ereignis mit medial geprägten Impressionen nachzustellen. Um wirklich
eine Ahnung des Grauens zu vermitteln, bedarf es noch immer einer künstlerischen
Vision, einer Begabung, pars-pro-toto Bilder und Klänge für
ein Geschehen zu finden, von dem man sich noch kaum eine Vorstellung zu
machen vermag. Die Filmgeschichte hat bis in die Gegenwart immer wieder
solche Momenten hervorgebracht, aber sie sind selten und bedürfen
immer neuer Versuche. So ist dieses Kapitel der künstlerisch adaptierten
'Vorstellungen von einem Schreckensort’ noch lange nicht abgeschlossen.
Bibliografie (Auswahl):
Fröhlich, Margrit und Hanno Loewy, Heinz Steinert (Hrsg.): Lachen
über Hitler – Aschwitz-Gelächter? Filmkomödie, Satire
und Holocaust, edition text + kritik 2003
Insdorf, Annette: Indelible Shadows. Film and the Holocaust, New York:
Cambridge University Press 1983ff.
Koebner, Thomas: Vorstellungen von einem Schreckensort. Konzentrationslager
im Fernsehfilm. In: Ders.: Vor dem Bildschirm. Studien, Kritiken und Glossen
zum Fernsehen, St. Augustin: Gardez! 2000, S. 73-91
Kramer, Sven (Hrsg.): Die Shoah im Bild, edition text + kritik 2003
Ravetto, Kriss: The Unmaking of Fascist Aesthetics, Minneapolis: The University
of Minnesota Press 2001
Stiglegger, Marcus: Sadiconazista. Sexualität und Faschismus im Film,
St. Augustin: Gardez! 1999 (2. Auflage 2002)
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