Alexander Jackob & Marcus Stiglegger (Hrsg.)
Zur neuen Kinematographie des Holocaust
Das Kino als Archiv und Zeuge? (Augenblick Band
36)
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Schüren Verlag: Marburg 2004, 7,90 Euro
Mit Nummer 36 der medienwissenschaftlichen Buchreihe
Augen-Blick wagen sich Alexander Jackob und Marcus Stiglegger an das schwierige
Thema der Holocaust-Darstellung im Kino und legen einen unverzichtbaren
Ergänzungsband zu dem kürzlich von Sven Kramer bei Edition text+kritik
herausgegebenen Reader Die Shoah im Bild vor.
Jackob und Stiglegger wissen um die Problematik des Themas
wohl Bescheid, welche sich stets zwischen einem Bilderverbot des Unfassbaren
und einer Pflicht des Erinnerns auftut. Schon im Vorwort weisen die beiden
Herausgeber daraufhin, dass bereits die Popularisierung des Begriffs Holocaust
die Frage aufwirft, wie ein oft als unbeschreibbar bezeichnetes Ereignis
überhaupt mit einem signifikanten Oberbegriff etikettiert werden
kann. Noch heikler gestaltet sich in einem zweiten Schritt freilich die
Aufgabe, Bilder für die Shoah als angemessen zu deklarieren –
eine Aufgabe, die unbedingt notwendig wird, da weniger Historiker als
vielmehr das Medium Film den Terminus Holocaust im öffentlichen Bewusstsein
verankert. Jackob und Stiglegger gehen davon aus, dass Film als Archiv
zwischen kulturellem und kommunikativem Gedächtnis nur über
den reflexiven Diskurs existieren kann. Deshalb legen sie ihre Studie
als kritische Untersuchung des kulturellen Archivs der Kinematographie
an und fragen danach, ob und wieweit Film jenseits unmittelbarer Augenzeugenschaft
neue Beiträge zur Geschichtsschreibung leistet.
Jackob eröffnet den Band mit einem Aufsatz zur Kritik
kollektiver Bilder in Nachfolge der US-amerikanischen Fernsehserie Holocaust
(1979). Er belegt die Suche nach Bildern nicht a priori mit einem Generalverdacht
der Täuschung, sondern will stattdessen die Frage nach der Rolle
eines kollektiven Gedächtnisses mit der Problematik einer massenwirksamen
Ikonographie des Holocaust-Films koppeln. Unter extensivem Rekurs auf
Jan Assmann und Hans Belting führt Jackob aus, dass Film und Fernsehen
„integrale Bestandteile eines permanent im Wandel begriffenen kollektiven
Gedächtnisses [seien], innerhalb dessen sich bestimmte kollektive
Bilder (…) bewahren und fortentwickeln“ (S.15) könnten.
Jedes einzelne Bild sei dadurch erkenn- und auch kritisch überprüfbar.
Jackob schließt mit einem Hinweis auf den Kantschen Würdebegriff
und fordert eine stetige Untersuchung der Bilder bezüglich Waren-
und innerem Wert.
Um aktuelle Entwicklungen aus ihrem Kontext heraus verständlich
zu machen, versucht Marcus Stiglegger die wesentlichen Tendenzen in der
Kinematographie des Holocaust noch einmal herauszustellen. Mit kursorischem
Blick untersucht er anschaulich von der Nachkriegszeit ausgehend die Suche
nach Orientierung in den 1960er Jahren, die skandalösen Experimente
der 1970er Jahre, die Genese einer eigenen Ikonographie in den 1980er
Jahren als auch die Zeit nach dem Paradigmenwechsel durch Schindler’s
List (1994). Wie von dem Autor nicht anders gewohnt, werden dabei
auch marginalisierte Filme wie Love Camp 7 (1969),
Salon Kitty (1976) oder Tras
el cristal (1987) nicht einfach bequem ausgeblendet, sondern schlüssig
in den Diskurs integriert.
Im nächsten Aufsatz untersucht Matías Martínez
sehr überzeugend die Dialektik von Authentizität und Künstlichkeit
in Schindler’s List. Zunächst
präzisiert Martinez den Begriff der Authentizität und weist
auf drei konstituierende Aspekte hin: Referenz (objektive Echtheit des
abgefilmten Ereignisses), Gestaltung (Suggestion einer Referenz) und Autorenschaft
(Qualifizierung des Urhebers). Davon ausgehend stellt er eindrucksvoll
dar, dass es sich bei der vermeintlichen Authentizität des Films
vielmehr um eine affektrhetorisch orientierte Wirkungsstrategie handele,
die „den Zuschauer in eine emotional vorbestimmte Rezipientenrolle“
(S.50f) zwinge. Durch eine figurenpolitische Antagonistik und Heroisierung,
didaktische Exemplifizierungen, narrative Schematisierungen sowie emotionale
Pointierung und moralische Komplexitätsreduktion führe der Film
letztlich zu einer „Enthistorisierung des dargestellten Geschehens“
(S.56). Die oft eklatant verfehlte Rezeption erklärt Martinez an
den verschiedenen Authentizitätskriterien von kommunikativem und
kulturellem Gedächtnis, wobei Spielberg sich nicht nach den Maßgaben
des kommunikativen, wohl aber des kulturellen Gedächtnisses richte.
Auch Peter Schulze arbeitet an Schindler’s
List und vergleicht den Film mit Roman Polanskis The
Pianist (2002). Nach einer theoretischen Einführung in die
Problematik von Geschichtsbildern per se sowie einem Verweis auf die besonderen
Schwierigkeiten von massenmedialen Holocaustbildern untersucht Schulze
die Darstellung von Überleben bei Spielberg und Polanski, wobei er
neben ausgewählten Sequenzen auch den narrativen Sinnzusammenhang
der Filme berücksichtigt. Er kommt zu dem Schluss, dass die Authentizitätsstrategie
von Schindler’s List in einer Stereotypisierung
und Mythisierung des Holocaust resultiere. Spielberg setze auf Moralisierung,
die eine versöhnliche Darstellung des Holocaust generiere, weil sie
historische Tatsachen in „ein sinnstiftendes narratives Gefüge“
(S.70) übersetzte. Einen Gegenentwurf dazu sieht Schulze bei The
Pianist, der eine ästhetische Distanz zur Geschichtlichkeit
schaffe, „um die Historisierung in der filmischen Darstellung zu
akzentuieren“ (S.71). Wo bei Spielberg eine Aufarbeitung des Holocaust
stattfinde, sei bei Polanski tatsächliche Erinnerungsarbeit zu konstatieren.
Im Anschluss daran analysiert Thomas Klein Roberto Benignis
La vita é bella (1997). Klein versteht
den Film als selbstreflexiven Diskurs, der das Kino selbst als Form der
Täuschung transparent mache, indem ein Überleben des Holocaust
dezidiert als filmische Fiktion ausgestellt werde. Ähnlich geht auch
Carsten Bergemann vor, der sich mit der Verfolgung Homosexueller in Sean
Mathias’ und Martin Shermans Bent (1997)
beschäftigt. Er konzentriert sich auf die intermedialen Aspekte des
Films und stellt heraus, wie der historische Hintergrund lediglich „als
Kontur für die künstlerische Auseinandersetzung“ (S.90)
in Form einer theatralen Ästhetik genutzt werde. Die engen Bezüge
von Bent zu dem Sadiconazista-Komplex
der 1970er Jahre, dem sexualisierten Kino Derek Jarmans oder schwarzbraunromantischen
Popmusikgruppen wie Death in June spielen für diese Überlegungen
keine Rolle.
Marcus Stiglegger beschäftigt sich anschließend
mit dem Geschichtskino Arthur Brauners und speziell Babij
Jar (2003), dem er einen naiven Umgang mit dem Holocaust nachweisen
kann und als gescheiterten Versuch betrachtet, den Irrsinn des Massakers
von Babij Jar zu vermitteln.
Rudolf Worschechs Text zu Nazidarstellungen im deutschen
Kino passt thematisch nur bedingt in den Band, ist aber sehr interessant
zu lesen, da er eine der wenigen reflektierten Positionen gegenüber
Oliver Hirschbiegels Der Untergang (2004)
einnimmt. Worschech kritisiert scharfsinnig sowohl eine Dämonisierung
des Bösen als Schicksalsmacht, eine überlebensgroße Darstellung
der NS-Elite als auch eine geschichtsrevisionistische Rehabilitation der
Wehrmacht. Der so seriöse wie erkenntnisreiche Reader schließt
mit zwei prägnanten Interviews: Annette Kilzer interviewt Tim Blake
Nelson zu The Grey Zone (2004), während
Marcus Stiglegger Volker Schlöndorff zu Der
neunte Tag (2004) befragt.
Ivo Ritzer
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