Traum'er Leben

...was wird bleiben?

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(Lichterklang 2013) CD

Will man sich auf die Spekulation über ein eigenes Genre Neofolk einlassen, muss man zweifellos mehrere Phasen unterscheiden: entstanden war es aus dem englischen Postpunk der 1980er Jahre mit Bands wie Death in June, Current 93 und Sol Invictus. Ihnen folgten internationale MusikerInnen auf dem World Serpent Label. In den 1990er Jahren formierte sich eine prägnante deutsche Szene mit Forseti, Darkwood und Sonne Hagal, die nun auch die deutsche Sprache im Genre fest etablierten und den Namen selbst aus der Taufe hoben. International folgten zahlreiche Bands diesem Trend (Ordo Rosarius Equilibrio aus Schweden, Spiritual Front aus Italien), doch meist standen dabei Crossover-Phänomene in Richtung Pop und Gothic/Elektronik im Fokus. Auch hier folgten deutsche Bands wie Leger des Heils oder Kammer 7, deren Sound vor allem elektronisch geprägt war, deren Themen und Grundstimmung jedoch zum genre gezählt wurden. In den letzten Jahren differenzierte sich der Kurs zusehends, denn vor allem auf den USA kamen Bands wie Cult of Youth, King Dude oder Chelsea Wolfe, die Einflüsse aus dem Black Metal und dem Punk geltend machten, so dass man heute von klassischem Neofolk selten sprechen kann. Dazu kommen Veteranen der Hippie-Ära wie Changes, die jüngst auf Welttour gehen. An die Stelle eines homogenen Genres traten Subgenres wie Ritualfolk (:Golgatha:), Pagan Folk (Wardruna), Alpinfolk (Sturmpercht) oder einfach apokalpytische Liedermacher wie Steve von Till, die sich inzwischen weitgehend durch ein unterschiedliches Publikum auszeichnen.

Traum'er Leben tauchten Ende der 00er Jahre mit einem Debütalbum auf, das sich deutlich im deutschen Neofolk verortete. Mit der Gothic-Kultur verband sie die schwarzromantische Lyrik, mit dem Neofolk die Akustgitarre und die simplen Melodien. Dann wurde es ruhig, und erst 2013 kehrte man in neuer Formation zurück. Das neue Album "...was wird bleiben?" ist sehnsuchtsvoll und kulturpessimistisch wie erwartet, doch wurde der Sound deutlich ausgeweitet: mit Drumcomputer, Keyboards, Streichern, mehreren Frauen und Männerstimmen ergänzte man die resistente Gitarre. Daraus entstand ein schöner und eingängiger Liederreigen, in einem Fall englisch, sonst deutsch intoniert und deutlich beeinflusst von Hermann Hesses Roman "Demian".

Viele Themen können heute metaphorisch betrachtet auf die Gegenwart angewandt werden. Die Hinterfragung von Freiheit, der Verlust der traditionellen Werte, der Tod des Konstrukts Europa - all das erleben wir in änhlicher Intensität wie Hesse 100 Jahre zuvor. So ist "Der Wille der Menschheit" zweifellos der stärkste Track hier. Auffällig sind noch meditarrane Einflüsse ("El Sol I La Neu") und ein Dancefloorausflug gegen Ende.

World-Serpent-VeteranInnen werden sich nicht wiederfinden, aber Fans von deutschsprachigem Folk können eigentlich nicht viel falsch machen: sie bekommen eine gut produzierte, liebevoll gestaltete Protion Sehnsucht...

MaNic