Japanische Meisterregisseure - DVD Reihe

Da schlägt das Filmsammlerherz höher: Die österreichische Firma Polyvideo hat sich der anspruchsvollen Mission gestellt, 22 vergessene und seltene Meisterwerke des japanischen Kinos in ansprechenden DVDs zu präsentieren. In deutscher Sprache weitgehend unterrepräsentiert ist dies die einmalige Gelegenheit, die japanische Kinematographie jenseits von Kurosawa kennen zu lernen: Filme von Ohima, Ozu, Nomura und Kinoshita, die atemberaubendes Experiment verknüpfen mit Ästhetik und Tradition.

*

Nacht und Nebel über Japan

BESTELLEN

Disk: DVD-9, RC 2
FSK: tba.
Länge: 107 Min.
Bild: PAL, Farbe, 2,35:1 (16:9)
Ton: Dolby Digital Mono
Sprachen: Japanisch
Untertitel: Deutsch
Extras: Booklet
Regie: Nagisa Oshima
Darsteller: Miyuki Kuwano, Fumio Watanabe, Hiroshi Akutagawa

Der sehr persönliche Film begründete den Ruf des japanischen Regisseurs Nagisa Oshima als Skandalfilmemacher. Bei der Hochzeit des ehemals in der linken Protestbewegung tätigen Journalisten Nozawa mit der Aktivistin Reiko tauchen unerwünschte Gäste auf. Sie beschuldigen das Paar, ihre politischen Ambitionen vergessen zu haben. Während der 50er Jahre war die Gruppe gemeinsam bei den Demonstrationen gegen den Amerikanisch-Japanischen AMPO-Pakt verwickelt. Alte Wunden, wie der Selbstmord eines befreundeten Studenten, reißen wieder auf…

Bereits nach nur drei Tagen nahm das Studio Shochiku den Film wieder aus den japanischen Kinos. Zu aufgeheizt war die politische Lage zum Start des Films, zu verstörend seine Art. Oshimas Film ist ein radikaler Bruch mit Konventionen und Traditionen. In einem flammenden Manifest protestierte Oshima gegen das „Massaker“ an seinem Film, der sich „an jene Zuschauer, die (…) im Leben aufrichtig und ernsthaft über den Lauf der Dinge nachdenken“ wendet.

*

Die Nacht des Mörders

BESTELLEN

Disk: DVD-9, RC 2
FSK: tba.
Länge: 98 Min.
Bild: PAL, s/w, 2,35:1 (16:9)
Ton: Dolby Digital Mono
Sprachen: Japanisch
Untertitel: Deutsch
Extras: Booklet
Regie: Nagisa Oshima
Darsteller: Saturai Keiko, Sato Kei

Dieser Film gilt bis heute als der unbekannteste und gesuchteste unter den Oshima-Werken. Die 18-jährige Nymphomanin Nejiko hat es auf den schüchternen Otoko abgesehen. Dieser ist seines Lebens überdrüssig und sucht jemanden, der ihn umbringen will. Doch beide geraten in die Fänge gewaltbereiter Anarchisten. Im Kugelhagel wird ihr Überlebensinstinkt erneut geweckt…

DIE NACHT DES MÖRDERS ist ein kompromissloser und verstörender Action-Thriller in einem düsteren Szenario. Mit messerscharfer Beobachtungsgabe deckt Oshima anhand dieses apokalyptischen Märchens soziale Missstände auf.

*

SING A SONG OF SEX

BESTELLEN

Japan 1967
Regie: Nagisa Oshima
Anbieter: Polyfilm Video / Alive!
Laufzeit: 99 Min.
Bild: 2,35:1 (16:9)
Ton: japanisch (DD 2.0 Mono)
Bonus: Booklet

In der lange erwarteten Reihe 'Japanische Meisterregisseure‘ erscheint nun der zweite Titel von Nagisa Oshima, ein Werk, das bislang in Deutschland nicht zu sehen war. SING A SONG OF SEX (1967) entstand in Oshima aktionistischer Politikphase und zeigt den Regisseur in seinem Element als radikaler Provokateur und zugleich souveräner Meister des subversiven Breitwandfilm. Gedreht in eindrucksvollen Bildkompositionen kommt dieses Werk Oshimas Ambition, der Godard Japans zu werden, erstaunlich nah. Und doch ist dieser absolut an der japanischen Gegenwart orientiert.

Ohne ausgearbeitetes Skript drehte Ohima das Jugenddrama an wenigen Tagen vor Ort in Tokioter Vororten. Wie in seinen Vorgängerproduktionen erleben wird Situationen aus dem Erleben einiger Jugendlicher, die sich zwischen Protestmärschen, sexuellen Leidenschaften und dem Halbweltmilieu aufreiben. Ihre Leidenschaft für obszöne Lieder verbindet die Gemeinschaft von vier jungen Männern, bis aus ihrem unbedachten Spaß Ernst wird…

Nach DAS BEGRÄBNIS DER SONNE zeichnet SING A SONG OF SEX ein vergleichbar hoffnungsloses und pessimistisches Bild einer desorientierten Generation, wobei wiederum die edlen Breitwandkompositionen im Kontrast zu den niederträchtigen Handlungen stehen. Mit diesem Film schließt Polyfilm nicht nur eine Lücke im Oeuvre Oshimas, dessen Filme fast vergessen sind, sondern rundet auch das Bild von Shochikus 'nuberu vagu‘-Produktionen, die die japanische Filmwirtschaft retten sollten, indem sie ein junge Publikum köderten.

Trotz der spartanischen Ausstattung muss man diese Edition loben, denn die Filmpräsentation ist technisch erfreulich (restauriertes Bildmaster), und eine Snychronisation lag ohnehin nie vor. Das Reihenbooklet enthält Informationen zu allen kommenden Filmen, schafft aber gerade dadurch eine gute Basis zur kontextuellen Einordnung des Films. Für Fans des japanischen Kinos geht ein Traum in Erfüllung.

Marcus Stiglegger

*

DAS GRAB DER SONNE

BESTELLEN

Disk: DVD-9, RC 2
FSK: 16
Länge: 84 Min.
Bild: PAL, Farbe, 2,35:1 (16:9)
Ton: Dolby Digital Mono
Sprachen: Japanisch
Untertitel: Deutsch
Extras: Booklet
Regie: Nagisa Oshima
Darsteller: Masahiko Tsugawa, Kayoko Honoo, Isao Sasaki, Fzmio Watanabe, Kamatari Fujiwara

Den Anfang der Reihe bestreiten vier Filme von Nagisa Oshima, der durch seinen erotischen Klassiker IM REICH DER SINNE (1976) vor allem im Westen berühmt wurde. In seinen frühen Filmen war er ein Gründer und Vorreiter der japanischen nuberu vagu (nouvelle vague), und in der Tat ähnelt sein Ansatz gelegentlich jenem von Jean-Luc Godard: Oshima nutzt Genreversatzstücke (Gangsterfilm, Sexfilm, Soziodrama), um revolutionäre Gesellschaftskritik zu formulieren. Seine frühen Filme (NACKTE JUGEND vermisst man noch schmerzlich auf DVD) arbeiten mit einer expressiven Farbdramaturgie und einem harschen Naturalismus, der das Leben der Halbwelt gnadenlos porträtiert.

Bereits im Titel DAS GRAB DER SONNE beerdigt Oshima die heilige Sonne Japans - in den Slums von Kamagasaki. In breitwandformatigen Bildern entwirft er ein detailliertes Bild desolaten Lebensumstände im größten Slum Japans. Die Menschen dort sind am wirtschaftlichen Aufschwung der 1950er Jahre nicht beteiligt, sie fristen ihr Dasein als Prostituierte, Spieler, Kleingangster und illegale Händler. Gleich zu Beginn sehen wir den florierenden Schwarzmarkt-Handel mit Blut. Dabei erzählt Oshima keine kontinuierliche Geschichte, sondern lässt die Kamera im Milieu schweifen, kommt gelegentlich auf die selben Protagonisten zurück, verlässt sie aber wieder, um ein größeres Bild zu entwerfen: von einem Welt am Abgrund. Wenn dies eine Metapher auf den von ihm angenommenen status quo des ganzen Landes war, verwundert es kaum, dass Oshima sehr bald als politisch radikaler Skandalregisseur betrachtet wurde. Wütend und originell wie nur wenige seiner Kollegen - etwa Seijun Suzuki mit GATE OF FLESH oder Koji Wakamatsu mit GO GO SECOND TIME VIRGIN - zeigt DAS GRAB DER SONNE Oshimas Filmkunst auf einem frühen Höhepunkt.

Die erfreuliche DVD von Polyvideo.at präsentiert den Film mit kräftigen Farben und erstaunlicher Schärfe, die die kontrastreichen Breitwandbildkompositionen voll zur Geltung bringt. Es liegt nur die Originalfassung mit deutschen Untertiteln vor. Dafür ist der DVD ein umfassendes Booklet beigelegt, das das Konzept der Reihe erläutert, wichtige filmhistorische Hinweise enthält und alle zukünftigen Filme der Reihe vorstellt. Ein sehr stilvoll gestalteter Mattpappe-Schuber rundet das Sammlerstück ab und reizt zum Sammlen der ganzen Reihe an. Ein großartige Veröffentlichung!

Marcus Stiglegger, 15.11.2009