Control Transgression Label: Ant-Zen. Audio & Visual Arts Transgression, jener von Georges Bataille in die Philosophie eingeführte Begriff beschreibt den temporalen Übertritt einer Grenze. Das momentgebundene Heraustreten aus einer Ordnung, in einen Bereich, der zuvor nicht sichtbar, nicht betretbar erschien. Michel Foucault hat Batailles Modell konzise als einen Übergang beschrieben, der sich weniger auf den Raum hinter der Grenze, als vielmehr auf die Grenze selbst bezieht: „Die Überschreitung ist eine Geste, die es mit der Grenze zu tun hat; an dieser schmalen Linie leuchtet der Blick ihres Übergangs auf, aber vielleicht auch ihre ganze Flugbahn und ihr Ursprung.“ (Foucault, S. 36). Transgression, so lautet auch der Titel des neuen Albums von Control alias Thomas Garrison. Ein Jahr nach seinem letzten, ebenfalls auf Ant-Zen veröffentlichten, Longplayer „The Resistance“ strapaziert der aus Santa Cruz stammende Power-Electronics Künstler damit erneut die Trommelfelle seiner Hörer. Bereits in den Titeln der Stücke, „society’s decline“, „cruel intent“, „constructive destruction“ oder „mechanical suffocation“ spiegelt sich der düster-dystopische Grundton des Albums wieder. Die Kompositionen variieren zwischen dynamischem, schnell pulsierendem Dark-Ambient und aggressiven Power-Electronics Texturen. Sägende Krach-Attacken überlagern sich dabei mit geschrienen Vokal-Einsätzen, die in akustisch schwer trennbaren Arrangements gipfeln. Dennoch verharrt „Transgression“ nicht beständig auf diesen Noise-Peaks und kehrt immer wieder zu ruhigeren Momenten zurück. Ganz im Sinne Batailles wird die Grenze des akustisch Erträglichen nicht dauerhaft oder um ihrer selbst willen durchbrochen, sondern eher beständig umspielt und nur in einzelnen Phasen übertreten. Auch Garrisons „Transgression“ erweist sich dabei als eine Geste, die es vor allem mit der Grenze, deren Verlagerung, Auflösung aber auch Betonung zu tun hat. Dennoch ist „Transgression“ auf ganzer Linie kompromisslos: Die hochfrequenten Ausbrüche, die definierten und hämmernden Bässe sowie die zwischen Textur und Struktur hin und her schwankenden Rhythmen beanspruchen die ganze Aufmerksamkeit des Hörers. Immer an der Grenze, und manchmal eben auch darüber hinaus, arbeitet sich Garrison mit maschinellem Puls durch das Album, durchwegs mit klarer Dramaturgie und anatomisch präziser Ästhetik. Das Artwork, das eine klassizistische Skulptur vor monochromem Hintergrund zeigt, verleiht „Transgression“ dabei eine kühle Eleganz und überzeichnet den akustischen Exzess mit einem melancholischen Schleier. Power-Electronics steht als Genre allgemein nicht gerade in dem Ruf sich durch besonders innovative Veröffentlichungen auszuzeichnen und neigt gerne zur Wiederholung bewährter – nicht selten funktionaler – Muster. Control bildet hierzu eine Ausnahme: Gegen die von Testosteron überschäumende Konkurrenz setzt er Verzweiflung, gegen die hasserfüllten Wutausbrüche stellt er die Verletzlichkeit seiner klagenden Schreie und verweist damit nicht zuletzt auch auf Batailles Vorstellung der philosophischen Grenzüberschreitungen, als einer stets selbstreflexiven Überwindung der Grenzen des Ichs. Die akustische Gewalt von „Transgression“ ist intro-, nicht extrovertiert ausgerichtet und hat ihre Lautsprecher nicht ins Publikum, sondern auf den Künstler selbst fixiert. Literatur: Patrick Kilian |
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