Control

The Resistance

Label: ant-zen Records
Format: CD
Veröffentlichung: 18. April 2012

Dieses Album ist Frischfleisch. Nicht nur das Artwork, das Detailaufnahmen von marmorierten Fleischstrukturen zeigt, legt dies nahe, auch die schnelle Veröffentlichung nach der Fertigstellung der Platte spricht für diesen Befund. Aufgenommen, gemischt und gemastert von Januar bis März 2012 und schon Ende April veröffentlicht – Thomas Garrison aus Santa Cruz alias Control schien es eilig zu haben mit seinem jüngsten Werk „The Resistance“. Es wäre jedoch voreilig hinter dem Album so etwas wie einen Schnellschuss zu vermuten. Das Album wirkt in keiner Weise unfertig, halbgar oder unausgereift. Im Genre-Gewand des Power electronics fräst sich „The Resistance“ sofort in die Gehörgänge, setzt statt auf quälende Monotonie aber häufig auf schillernden Facettenreichtum.

Das Album beginnt genretypisch mit harten, verzerrten und obertonreich angesättigten Synths. Rhythmisch pulsieren die Loops durch das erste Stück „Victory equals Violence“ und stimmen den Hörer auf die kommenden sieben Tracks ein. Das zweite Stück „The Resistance“ beginnt zurückhaltender: vereinzelte Bass-Akzente rufen John Carpenters Soundtrack zu „The Thing“ ins Gedächtnis, werden aber bald durch aggressive feedbacks und erste vokale Einschübe überlagert. Thomas Garrison bewegt sich bei dem Einsatz der Stimme durchaus innerhalb der klassischen Genre-Konventionen, nutzt diese also vor allem für geschriene Rezitative. Allerdings setzt er sie punktuell ein, überlagert nicht immer den ganzen Song und verleiht seinen Kompositionen dadurch eine gewisse Dramaturgie. Im siebten Stück „Total War“ zitiert Garrison den sehr kontroversen Osaka-Auftritt des mindestens ebenso kontroversen Boyd Rice. Mit dem Höhepunkt des Albums „The Solution“ endet die Platte dann in einem großen Finale. Hier variiert der Gesang zwischen aggressiven Schreien und emotional gesprochenen Passagen.

„The Resistance“ ist ein körperliches Album. Diese Dimension mag sich schon bei der Betrachtung des Covers aufdrängen. Rohes und von intramuskulärem Fett durchzogenes Fleisch konfrontiert den Betrachter hier in seiner ganzen Obszönität. In einem Grenzbereich zwischen faszinierender Ästhetik und physischem Ekel verweist es auf analoge musikalische Reize in den Kompositionen. Auch diese sprechen mit ihren komplexen Arrangements und vielschichtigen Sound-Ebenen die ästhetische Wahrnehmung an, wirken jedoch auch auf die Physis des Hörers ein. Nicht nur bei lautem Hören stellt sich eine innere Unruhe ein, die durch das gesamte Album begleitet.

Ohne Zweifel ist dieses Album ein Genre-Produkt. Es bewegt sich in den Konventionen bestimmter subkultureller Diskurse und ist nur in diesem Kontext versteh- und hörbar. Allerdings reiht es sich dort nicht uninnovativ in die lange Reihe der zahllosen Power electronics Produktionen ein, sondern setzt eigene Akzente: Garrison beweist auf „The Resistance“ einen sehr ausgeprägten Sinn für Kombination, legt unterschiedliche Sounds übereinander, überlagert sie, bringt sie dazu sich gegenseitig auszulöschen und schafft wieder Raum für neue Elemente. Ähnlich den Fasern im Fleisch kreiert er kunstvolle Texturen und Klang-Oberflächen, die nach und nach aus dem Noise hervortreten und wieder verschwinden. Spannendes Album.

Patrick Kilian