TETSUO - THE BULLET MAN Special Edition BD Regie Shinya Tsukamoto 1989 schrieb Shinya Tsukamoto mit seinem radikal-experimentellen Industrial-Overkill TETSUO – THE IRON MAN (1989) japanische Filmgeschichte. 2010 schloss er daran an, in dem er diesen Klassiker mit modernsten Mitteln aktualisierte und sich an einer Quintessenz seiner bisherigen Werke versuchte: TETSUO - THE BULLET MAN. Beide Filme liegen nun auf einer umfassenden 3-Disc-Special-Edition von Koch Media vor. Im ersten Film entdeckt der durchschnittliche Bürokaufmann Tetsuo (Tomoroh Taguchi) einen kleinen Metallspan, der aus seiner Wange zu wachsen scheint. Tatsächlich – so stellt sich bei näherer Betrachtung heraus – befindet sich sein Körper schon in einem weiteren Stadium der Transformation, der Umwandlung in einen Metall-Maschinenkörper. Diese Mutationen scheinen sich auch auf andere Menschen zu übertragen, etwa in einer bizarren Sequenz, in der sich Tetsuos Penis in einen rotierenden Keilbohrer verwandelt, mit dem er dann seine Freundin attackiert. In einer kollabierten Industrial-Welt verschmelzen dort Menschen, gleich David Cronenbergs und H. R. Gigers Biomechanoiden, mit metallenen Maschinen, vornehmlich mit Waffen, um sich schließlich Endkämpfe von archaischer Wucht zu liefern. TETSUO - THE BULLET MAN variiert die Geschichte und erweitert sie um einen globalen Akzent, denn der Hauptdarsteller ist hier Halbamerikaner und spricht zudem englisch. Eines Tages ändert sich das idyllische Leben von Anthony abrupt: Ein Unbekannter überfährt seinen Sohn auf offener Straße und Anthony kann nur hilflos dabei zusehen. Seine Frau fordert einen Vergeltungsakt von Anthony und fordert ihn auf, den Täter zu finden und ihn zur Strecke zu bringen. Doch die heftigen Gefühle über den Verlust seines einzigen Kindes werden ihn schon bald auf eine unerwartete Art verändern. Die Bildsprache paßt in beiden Filmen Tsukamoto dem monoton-hämmernden Rhythmus der Tonspur konsequent an: Suggestiv und rasend schnell sind Bilder aus schneidendem Schwarzweiß bzw. blaulicher Monochromatik aneinandergereiht, die schon in ihrer stroboskopartigen Kontrastmontage eine Verbindung von Fleisch und Metall/Maschine andeuten – William Friedkins immer wieder eingesetzte Subliminalbilder (z.B. aus Friedkins THE EXORCIST) erscheinen zahm dagegen. Der Schnitt schafft die rythmisierte Verknüpfung, die dem Zuschauer die reizlastige Bilderflut ungefiltert ins Gehirn hämmert – zur Verdeutlichung einer „Quintessenz“ der Megalopolis Tokyo. Tsukamoto kreierte so die denkbar eindringlichste filmische Umsetzung einer zeitgemäßen Industrial-Äthetik: Fleisch und Metall verschmelzen in eindeutig sexueller Konnotation letztendlich zu einer biomechanischen Waffe. In einer eindrucksvollen Sequenz wird der Protagonist des ersten Teils von einem medusenhaft wuchernden biomechanoiden Mädchen qualvoll penetriert, was seine Transformation besiegelt. Tsukamoto schließt hier deutlich an Tendenzen an, die bereits mit Aufkommen der historischen Epoche der Industrialisierung aktuell wurden: Die Auffassung vom Körper als mechanisches Objekt, die einen eventuellen Austausch von organischem Wesen und maschineller Kreatur möglich macht. Die Fetischisierung bzw. Sexualisierung mechanischer, vornehmlich metallischer Objekte erinnert an Marshall McLuhans Ideen aus „The Mechanical Bride“ (1954) oder etwa James G. Ballards Roman „Crash“ (1971). Der industrialisierte Mensch – und mit ihm Tsukamoto – ist auf der Suche nach neuen Mythen fündig geworden im industriellen Alltag, dessen wuchernden, rhythmischen und letztlich sinnlichen Elementen sich nur zu leicht mythische Strukturen überstülpen lassen. In BULLET MAN - dessen Titel Tsukamotos Film BULLET BALLET herbeizitiert - erscheinen die Stilmittel erstaunlich modisch und weniger experimentell als zuvor. Inspiriert von seinen eigenen Epigonen und untermalt u.a. von den amerikanischen Industrialrockern Nine Inch Nails funktioniert die Welt heute anders, und Fans der ersten Films und Tsukamotos eigenen Nachfolgern werden den überscharfen HD-Video-Stil hier nur partiell genießen können. Seit NIGHTMARE DETECTIVE 2 hat sich zudem eine kommerzielle Note in sein Werk geschlichen, die die schneidende Härte seiner frühen Filme etwas verdrängt. So erscheinen die Kampfszenen aus BULLET MAN eher wie ein Anime-Spektakel als ein existenzieller Alptraum. So oder so ist Koch Medias Box-Set unglaublich aufwändig und liebevoll gestaltet, mit einem Insider-Setreport im Booklet, Making-Ofs und anderen dokumentarischen Anteilen. Tsukamotos Stern mag nicht mehr der hellste am japanischen Himmel sein, doch strahlt er noch immer und verdient unsere Aufmerksamkeit. Marcus Stiglegger |
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