Alexander Nym (Hrsg.)

Schillerndes Dunkel
Geschichte, Entwicklung und Themen der Gothic-Szene.

BESTELLEN

Ploettner Verlag 2010

Es ist ein Grabstein. Schon der Umfang deutet darauf hin: „Schillerndes Dunkel“ ist ein fetter Wälzer, der viel verspricht: Zum Einen ein Überblick über die schwarze Szene, ein Handbuch für Uneingeweihte, zum Anderen aber auch interessante Essays für Kenner und alte Hasen. Genau hier zeichnet sich jedoch direkt ein Problem ab: Einige Essays geben tiefe Einblicke in diverse Unterkategorien der schwarzen Szene, vieles bezieht sich auf NeoFolk und die Industrial Culture – ohne eine nähere Kenntnis der Protagonisten und wichtigsten Werke dieser Genre sind einige der Texte nur schwer zugänglich. Anderes wiederum liest sich wie ein Lexikoneintrag für Außenstehende, in welchen noch einmal haarklein die Entwicklungen und Ursprünge der Szene erläutert werden. Dieses Dilemma findet sich bereits in der Struktur des Bandes: Zunächst kann der Eingeweihte über die Entstehung der Musik von Kenneth Angers „Lucifer Rising“ lesen, später über Laibach. Danach erst gibt es einen etwas seltsamen und zudem auch nicht ganz korrekten Beitrag über die verschiedenen Musikspielarten der schwarzen Szene.

Diese Diskrepanz mag zunächst stören, doch „Schillerendes Dunkel“ muss einfach anders gelesen werden: Als ein Füllhorn an diversen schönen Essays, die man sich selbst heraus picken muss. So referiert Dr. Marcus Stiglegger über Fetisch und Tabu, während Dominik Tischleder der Okkultur auf der Spur ist (zugegebenermaßen mit einer Vielzahl an Fußnoten, die zwar wichtige weitere Hinweise beinhalten, in ihrer Masse allerdings stellenweise an eine Hausarbeit für ein ProSeminar erinnern). Viele berühmte Namen mischen sich zwischen wissenschaftliche Analysen und persönliche Anekdoten, die für Abwechslung sorgen, aber auch Fragen aufwerfen. So verkommt Andrea Haugens (Nebelhexe, Hagalaz Runedance) Selbstporträt zu einer Namensrevue des Londoner who-is-who, mit denen sie sich sehr aufdringlich schmückt – eigentlich unverständlich bei einer solch verdienten Künstlerin. Besonders übel stößt jedoch ein Satz auf, in dem sie behauptet, Hagalaz Runedance sei von den Medien in die heidnische Ecke gedrängt worden, sie selbst hätte dazu keinerlei Bezug – ihr eigenes Buch „The Ancient Fires of Midgard“ scheint ihr dabei entfallen zu sein.

Ein fader Beigeschmack bleibt also bei so manchen persönlichen Geschichten, der auch bei den zahlreichen Fehlern im Layout und der Bildbeschriftung zurückbleibt: Hier wäre ein ordentliches Lektorat erforderlich gewesen. Dennoch: „Schillerndes Dunkel“ ist ein wunderbares Buch mit tollen Texten, allerdings auch mit viel Wehmut: Die Szene, wie sie hier beschrieben wird, mit all ihren subversiven Charakteren von Christian Death bis SPK, von Laibach bis Death in June ist heute nicht mehr existent. Das, was sich heute unter dem Banner der Schwarzen Szene vereint ist eine Feierkultur, die sich im reinen Freak-sein ergeht: Das Gruselige ist nicht mehr das Andere, das Wiederkehrende im freud’schen Sinne, sondern eine reine Geisterbahn ohne tiefere Substanz. Heute wird die Schwarze Szene durch Unheilig, ASP und Konsorten vertreten und ergeht sich nur noch im Wiederholen toter Klischees. Gesellschaftliche Ausgrenzung muss die Szene heute nicht mehr fürchten: Gothics sind ein normales Erscheinungsbild auf der Straße, ein Kämpfen für die eigenen Ansichten und das dazugehörige Auftreten ist nicht mehr nötig. Es ist eine von vielen kommerziell geprägten Subkulturen geworden, die durch die Labels und Vertriebe ausgeschlachtet werden.

So dürfte auch die aktuelle Szene nur wenig mit „Schillerndes Dunkeln“ anzufangen zu wissen: Kaum eine der wichtigen Formationen in diesem Buch dürften dort noch bekannt oder gar relevant sein. Es bleibt ein wunderschön aufgemachtes und reichhaltiges Coffee Table Book, das sich gesetzte Anhänger der Szene neben den ledernen Ohrensessel legen können, um sehnsüchtig damit in der Vergangenheit zu schwelgen.

Martin Kreischer