Die „Priesterin von Midgard“ Ein Gespräch mit der Musikerin Andrea Haugen über Heidentum als Lebensart „See, your history a book of blood / Horror
designed by human brains, I can’t forget! / Where are the tortured
souls now, who can justify their pain?! / Is this humanity, than this
is no place for me [...] Your world in my eyes / At the end / Bloody tears
blind my sight...“
Als Heide fühlt man sich mit der Mutter Natur verbunden.
Man ist sich seiner biologischen Instinkte bewusst, was ja leider keine
Selbstverständlichkeit mehr ist, da die Dogmen des Christentums unsere
Instinkte dämonisiert haben, und unsere Gesellschaft erst wieder
lernen muss, wie man in Einklang mit der Natur denkt. Spirituell bedeutet
das, durch die Mythen und alten Lebensweisheiten sich selbst zu erkennen,
und die Natur um sich herum zu verstehen. Es bedarf also keiner ‘besonderen
Umstände‘, um ein Heide zu sein. Die ‘alte Tradition‘
ist eine offizielle Religion hier in Norwegen, und auch viele 'gewöhnliche'
Leute haben ein enges Verhältnis zu ihrer Kultur. Was erwiderst Du Menschen, die Deine Weltanschauung und Lebensart als Eskapismus, als Fluchtbewegung aus den Widrigkeiten der postmodernen Industriegesellschaft, kritisieren? Ich bekomme eigentlich solche Kritiken nicht, allgemein werden meine Meinungen respektiert und als ziemlich bodenständig angesehen. Wenn ich immer wieder betone, heidnisch zu sein, bedeutet das nicht, alles stehen und liegen zu lassen und in Strohhütten ohne Strom zu ziehen. Es bedeutet, sich der Natur bewusst zu werden, seiner eigenen, inneren Natur bewusst zu werden und eine persönliche Balance zu finden. Die alten Religionen drehen sich um das Verständnis der Natur und der menschlichen Natur. Die heidnischen Werte drehen sich darum, das Leben auf die angemessenste Weise zu leben. Daher würde ich sagen, dass die alten Weisheiten, auf die ich mich beziehe, sehr realistisch sind. Man verhält sich zu der Natur und man verhält sich zu den Mitmenschen, ohne die Angst vor einem Gott, der aufpasst und straft, wenn man seinen Gesetzen nicht gehorcht – wie es im Christentum der Fall ist. All solche dogmatischen Religionen sind wirklich gefährlich weltfern, wenn man sie fanatisch ausübt. Als Heide ist man dagegen selbst für sein Leben verantwortlich, lebt das Leben zu seinem Besten und hat einen offenen Sinn für die Mystik und Magie der Natur. Auf der anderen Seite würde ich natürlich zugeben, dass ich unser alltägliches Leben für furchtbar geistlos und 'unmagisch' halte. Insofern kann meine Beschäftigung teilweise schon als der Versuch begriffen werden, in eine mystischere Welt zu entkommen. Über die germanische Welt und Religion ist nur sehr wenig überliefert. Viele Fakten lassen sich nur aus erheblich späteren Quellen abstrahieren. Auch die Bücher von Edred Thorsson, auf die Du Dich u.a. in Deinem Buch beziehst, basieren eigentlich auf Runenkunde des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Ist nicht die aktuelle Vision vom Germanentum ein gegenmodernes Konstrukt? Vieles von der alten Religion hat überlebt, das man in unseren heutigen Traditionen, Bräuchen, Geschichten, Sagen, Werte, Ortsnamen noch entdecken kann. Viel hat sich gewandelt, doch die menschliche Natur hat sich nicht verändert. Viele Erkenntnisse über Runenkunde und Rituale sind modern, ja. Da unsere Vorfahren nichts niedergeschrieben haben, ist wenig aus originären Quellen überliefert. Doch man muss bedenken, dass die heidnische Tradition eine lebende Tradition ist. Sie bewegt sich mit uns und wird ständig ergänzt. Unsere Vorfahren haben ihre eigenen Rituale ausgearbeitet, und wir heute müssen die magischen Symbole neu interpretieren und unsere eigenen Rituale gestalten. So können wir den alten Geist weiterführen. Heidentum, und speziell dessen nordische Ausrichtung, stößt vielfach auf massive Kritik aus politischer Perspektive. In Deinem Buch gehst Du selbst darauf ein. Denkst Du, das konsequente Freidenkertum, das dem nordischen Heidentum innewohnt, ist überhaupt anschlussfähig für eine politische Ausrichtung? Einige unserer norwegischen Heiden sind politisch aktiv in den linken und grünen Parteien. Spiritualität und Politik sollten jedoch unabhängig von einander sein. Der nordische Asatrù-Glaube ist ein ethnischer Glaube und wie alle anderen Naturreligionen sollte er auch als solche anerkannt werden. Wir sollten unsere alten Symbole zeigen, wir haben das Recht dazu, und wenn jemand negativ darauf reagiert, erkläre ich, dass ich mich ebenso vom christlichen Kreuz oder ähnlichen Symbolen, die von tyrannischen Regimen verwendet wurden, provoziert fühle. Manchmal vermute ich, dass der eigentliche Grund dafür, warum die Heiden als „Nazis“ diskriminiert werden, der ist, dass sich die Gesellschaft von unserer Denkweise und unseren Bemühungen um individuelle Freiheit bedroht fühlt. Einige Deiner Texte sind sehr martialisch, speziell in der massiven Ablehnung der christlichen Kirche („Fight the men with cross that raped our souls...“). Welche Rolle spielt in Deiner Kunst der Archetyp des "Kriegers"? Ich bin dem Image des Kriegers, besonders der Kriegerin oder Jägerin sehr angetan. Ich bin auch in einer Wikinger-Re-enactment-Gruppe; nicht, weil ich für die Jagd oder den Krieg bin, sondern weil ein Krieger im mythologischem Sinne ein starkes Individuum symbolisiert der/die für sein/ihr Recht kämpft, sich durchsetzt und andere verteidigt. In meinem Leben musste ich oft kämpfen, mich verteidigen; kämpfen, um an mein Ziel zu kommen. Und natürlich kämpfe ich für eine Ideologie. Auch würde ich nicht vor physischem Kampf zurückschrecken, um meine Tochter Alva zu verteidigen. Doch dies ist ein natürlicher Instinkt, den alle haben sollten. Vor einigen Jahren noch warst Du sehr befasst mit einer Weltsicht, die man grob als ‘satanistisch‘ bezeichnen könnte, wobei Du selbst betonst, dass es dabei darum gehe, in ‘Satan‘ ein philosophisches, ambivalentes Prinzip zu entdecken, das ein Leben in Balance ermöglichen kann. Ähnliche Ansätze finden sich auch in deinem Buch Die alten Feuer von Migard. Siehst Du einen wesentlichen Unterschied zwischen Deinem Satanismus von einst und dem nordischen Schamanismus? Wie ich in meinem Buch erwähne, ist die Figur des Satans eigentlich eine positive Figur. Er symbolisiert die natürlichen Instinkte und das freie Denken des Menschen. Er ist ein Rebell, der sich dem faschistischen Regime des ‘Einzigen Gottes‘ widersetzt. Im Christentum gilt die Haltung als ketzerisch oder „böse“. Auch ist Satan eine dämonisierte christliche Version der heidnischen Wald- und Naturgötter. Deswegen mag ich diese Figur. Sogenannte 'moderne Satanisten' gehen gegen diese christliche Dämonisierung an. Sie sind sich ihren natürlichen Instinkte bewusst und haben die gleiche Lebensauffassung wie Heiden, das Leben voll auszuleben, die sogenannten dunklen Aspekte des Lebens zu erforschen und damit umzugehen anstelle es zu verneinen. Dennoch bin ich nicht so von dem Namen „Satanismus“ begeistert, da er ein Teil des Christentums ist und somit die christliche Ideologie am Leben hält. Ich halte es am besten, das Christentum ganz hinter sich zu lassen. C.G. Jung schrieb ja: „Wenn die Menschen aber dazu erzogen werden, die Schattenseite ihrer eigenen Natur zu sehen, so ist zu hoffen, dass sie auf diesem Wege auch ihre Mitmenschen besser verstehen und lieben lernen.“ -– Würdest Du Deinen eigenen Ansatz eines nichtpatriarchalischen Glaubenssystems als feministisch bezeichnen? Das Weibliche spielte eine große Rolle in den heidnischen Kulturen und war wohl sehr anerkannt. Das Unterbewusstsein, das Ungesehene, das Mystische und Magische wurden als weiblich angesehen. Die Weisheit selbst ist in fast allen Mythen weiblich. Die erste Gottform war die Mutter, die Göttin, die das Leben gibt und die das Leben nimmt. Das individuelle Schicksal der Menschen und auch der Götter, so glaubte man, sei von einer weiblichen Kraft bestimmt. Doch man kann in den Mythen ganz eindeutig erkennen, dass das Weibliche und das Männliche miteinander harmonieren und sich ergänzen. Das heißt, beider Werte sind anerkannt und geschätzt. Durch die Mythen kann jeder Mann und jede Frau sich selbst erkennen, und sich mit den Göttern und Göttinnen identifizieren. Die Hinwendung zu weitgehend akustisch erzeugter Musik, wie sie auch Hagalaz Runedance präsentiert, wirkt fast wie ein reaktionärer Impuls angesichts der umfassenden Technifizierung populärer Musik. Wie ist Dein Verhältnis zu aktueller Popmusik und wie würdest Du die Position von ritueller und neofolkloristischer Musik in der internationalen Musikszene verorten? Für mich sind die akustischen Folk- und Mittelalter-Instrumente (Akustikgitarre, Drehleier etc.), die ich benutze, sehr wichtig. Ich liebe den Klang von alten Instrumenten und schaffe so eine Verbindung zur Vergangenheit. Instrumente wie die Lyre werde schon in den Mythen erwähnt. Meine Musik ist eine Reise zwischen Welten, alten und neuen, daher benutze ich auch moderne Instrumente. Ich selbst würde meine Musik als 'progressiven Folk' bezeichnen. Heidentum und Musik bieten für mich dasselbe: spirituelle Freiheit und magische Kreativität. Ist ein heidnische Lebensart mit fortschreitender kultureller und wirtschaftlicher Globalisierung vereinbar? Ich würde sogar sagen, dass es mehr und mehr notwendig wird, sich an seiner Wurzeln zu erinnern, umweltbezogener zu denken und mehr ökologisch verträgliche Mittel einzusetzen, um unsere Erde wieder in Balance zu bringen. Zum Abschluss: Würdest Du Dir wünschen, dass Du mit Deinem künstlerischen Werk Menschen beeinflusst, und dass die Akzeptanz nordischer Spiritualität sich weiter verbreitet? Ich habe schon so einige Individen mit meinen Worten und
meiner Musik beeinflusst. Ich habe sie inspiriert, in sich zu gehen und
sich selbst zu finden. Und es wäre schön, wenn es allgemein
bekannt würde, dass die von den Christen verfolgten Heiden keine
'bösen Barbaren' waren, sondern dass sie ein viel besseres und natürliches
Verhältnis zwischen den Geschlechtern kultivierten, dass Magie etwas
Natürliches ist und dass viele heidnische Traditionen immer noch
unbewusst praktiziert werden... Veröffentlichungen von Andrea Haugen: |
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