Georg Seeßlen / Fernand Jung Science Fiction Schüren Verlag, Marburg, ISBN 3-89472-429-3, 463 Seiten, zahlr. Abb. Vertraut man den Umsatzzahlen der Filmindustrie, muss das Science-Fiction-Genre zu beliebtesten der Gegenwart zählen. Filme wie die STAR WARS-Reihe, CLOSE ENCOUNTERS, E.T. und THE MATRIX führen siet den siebziger Jahren die Liste der erfolgreichsten Filme an, und auch der Fanartikelmarkt hat darauf ein florierendes Geschäft aufgebaut. Zugleich finden sich immer wieder kulturwissenschaftluiche Analysen diesen Phänomene, jünst etwas der theologisch-mythologische Ansatz von Martrin Lindwedel et al. ("Wo nie ein Mensch zuvor gewesen ist..."). Dieses Jahr nun kommen zwei monumentale (film)wissenschaftliche Aufarbeitungen des SF-Genres auf den Markt: Die zweibändige filmgeschichtliche Analyse des Altmeisters der ideologiekritischen Filmgeschichtsschreibung Georg Seeßlen - wie meist in Zusammenarbeit mit Fernand Jung -, sowie Thomas Koebners Genre-Lexikon "Science Fiction" (Reclam verlag, Herbst 2003), das möglicherweise als ergänzendes Handbuch zu Seeßlens Analyse fungieren kann. Wie auch die bisherigen Genrebände Seeßlens im Schüren-Verlag basiert auch dieser auf der ursprünglich (um 1980) bei Rowolth verlegten Reihe "Grundlagen des populären Films". Und wie die anderen Bände wurde er vor allem mit Blick auf das aktuellste Kino ausführlich erweitert und fortgeschrieben, so dass ein deutlicher Schwerpunkt auf den Filmen der siebziger bis neunziger Jahre liegt. Das mag einerseits an der steigenden Popularität der Filme liegen, ist zugleich auch durch die Ausdifferenzierung filmischer Möglichkeiten bedingt, die gerade im letzten Jahrzehnt jede denkbare Welt als Computeranimation zum (virtuellen) Leben erwecken konnten. Ausgehend von der These, der Science-Fiction-Film wolle weniger die Zukunft voraussehen, als die Gegenwart reflektieren und bewältigen, steht im Mittelpunkt von Seeßlens Betrachtung stets eine kuturanalytische und auch gesellschaftskritische Perspektive: "Sie tut dies, indem sie die Phänomene gesellschaftlicher Herrschaft und der technologie isoliert und in pointierter Form 'verlängert' in das, was man weniger eine hypothetische Zukunft als einen abstrakten Denk-Raum nennen könnte." Gerade dem SF-Genre stehen hier zahlreiche Tore offen: So reflektiert der Invasionsfilm der fünfziger Jahre deutlich die Kommunistenangst der USA, zugleich signalisiert die Wiederkehr dieser Filme (INDEPENDENCE DAY) auch ein Wiedererstarken paranoider Hysterie. Die Angst vor dem Fremden (ALIEN) und vor dem Selbst (BODY SNATCHERS), die Verunsicherung von menschlichen Identitäten (BLADE RUNNER) und des Bewußtseins von Welt (MATRIX) findet in der SF eine populär nutzbare mythologische Basis. Für eine ganze Generation bietet eine Serie wie STAR TREK etc. ein ethisches Bezugssystem mit Realitätsanspruch. Fast ein Gegenmodell zum sozial verantwortungsbewußten STAR TREK-Universum entstand mit den betont konservatien (bis rassistischen) Ideensammlungen der neuen STAR-WARS-Folgen (hierzu S. 770). All solchen Phänomenen stellt sich Seeßlen in diesem Werk - und reißt immer wieder größere Ideenfelder auf, die eine eigene Bearbeitung verdienen würden... Wohl aus rechtlichen Gründen greift der Schüren-Verlag bei den Illustrationen meist auf Videostills zurück, die zwar den gewünschten Ausschnitt dokumentieren können, jedoch nur recht klein wiedergegeben werden können. Das ist wissenschaftlich korrekt, macht das Buch aber leider nicht gerade zur Augenweide. Vom Umschlag her weicht man hier von der Reihe etwas ab: Die Bücher sind rot gebunden und verfügen über einen ansprechenden blauen Schutzumschlag, auf dessen Rücken einen zwei freche Außeriridische anschielen (E.T. und MARS ATTACKS!). Etwas Kritik muss man auch an der Filmografie üben, die zwar recht umfassend nach Titeln geordnet ist, aber häufig unaktuelle oder unbrauchbare Angaben zur Video/DVD-verfügbarkeit macht: So existieren viele der genannten Firmen nicht mehr, zugleich kann man zahlreiche Titel ohne deutsche Quellen problemlos aus dem Ausland beziehen. Hier fallen die Publikationen von Frank Arnold positiv auf, die stets unterschiedliche DVD-Versionen listen. Ein Vorteil der chronologischen Titellistung im alten SF-Band ist die Möglichkeit, einen Überblick über jeweilige zeitliche Häufung von Genreproduktionen bietet. Insgesamt ist dieses Buch in seiner umfassenden analytischen Herangehensweise wohl gegenwärtig einmalig und auch wenn man Georg Seeßlens Perspektive nicht immer hundertprozentig folgen mag, enthält es eine Unmenge inspirierender und bereichernder Ideen. Marcus Stiglegger
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