Frank Arnold (Hrsg.)
Experimente in Hollywood
Steven Soderbergh und seine Filme
Bender Verlag, Mainz 2003
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Ein wunderbares Gefühl von
Freiheit umgibt letztlich Soderberghs Figuren. Irgendwie sind sie doch
eins mit sich selbst - mit ihrer "sinnlich-natürlichen Besonderheit",
mit all ihren Neigungen, Interessen und Leidenschaften. Sie trotzen der
Welt - und finden so: Zufriedenheit.
Norbert Grob
Steve hat einen aggressiven Mut,
Hollywood herauszufordern.
Richard Lester
Es gibt Kultregisseure, von denen die wenigsten Filme selbst
zu Kultfilmen geworden sind. Abel Ferrara ist so ein Fall. Allenfalls
BAD LT. hat sich einen solchen Ruf erarbeitet. Doch zahlreiche Filme Ferraras
sind einfach unbekannt und ungesehen. Und es gibt den umgekehrten Fall:
Kultfilme, deren Regisseure niemals diesen Rang erreichten. Ein solcher
Fall ist HENRY - PORTRAIT OF A SERIAL KILLER, der wohl für immer
ein Glücksfall für John MacNaughton bleiben wird. Steven Soderbergh
passt in keine dieser Kategorien: Zum einen ist sein Name zwar in Fachkreisen
sehr bekannt - und für seine "Experimente in Hollywood"
auch geschätzt -, doch funktionieren seine erfolgreichen Filme OUT
OF SIGHT, ERIN BROCKOVICH und TRAFFIC (von OCEAN'ÄS ELEVEN zu schweigen)
auch und vor allem - ohne ihn. Zugleich sind seine gewagten unkommerziellen
Filme KAFKA, THE UNDERNEATH, THE LIMEY oder FULL FRONTAL einem großen
Publikum weitgehend verschlossen - oder eben nicht zugänglich. Soderbergh
hat es angesichts seines polyphonen Stil nie geschafft, seinen Namen zu
einem Markenzeichne zu machen. Und zugleich eignet sich seine unspektkuläre
Person nicht zu Mythenbildung, die etwa einem John Milius ohne eine einzige
bedeutende Regiearbeit in 20 Jahren anhaltende Popularität sichert.
Steven Soderbergh ist also filmpublizistisch ein Problem,
denn für das Publikum ist zunächst einmal Julia Roberts ERIN
BROCKOVICH, Michael Douglas TRAFFIC und George Clooney SOLARIS. Gerade
SOLARIS würde eher als James-Cameron-Produktion funktionieren und
wurde teilweise als solche beworben. Soderbergh - ein Mann ohne Kult,
ohne klar erkennbaren Stil, ohne charismatisches Gesicht. Keine leichte
Aufgaben, diesem Mann ein Buch zu widmen. Nun ist der Berliner Filmpublizist
Frank Arnold natürlich kein hilfloser Anfänger, und er meistert
die Aufgabe als Herausgeber souverän: Er umspielt den Filmemacher
mit den versammelten - höchst heterogenen - Beiträgen wie dieser
sein eigenes Werk. Und nur so wird das Buch tatsächlich seinem Sujet
gerecht: getreu der Eingangstehese: "Die Kontinuität des Wandels".
Drei große Essays widmen sich wesentlichen Aspekten - kontinuierlichen
Akzenten, wenn man so will. Thomas Christen thematisiert die Selbstreflexivität
Soderberghs und kann so auch die entlegeneren Werke fassen (etwas SCHIZOPOLIS),
Norbert Grob stellt sich die "Frage der Moralität im Kino"
Soderberghs und Michael Esser analysiert die Körperpolitik in dessen
Filmen. Die Texte bleiben dabei meist spielerisch und assoziativ - ganz
im Bewusstsein des Werkes. Das macht meist Spaß zu lesen - und Lust
auf die Filme.
Ein amüsanter Gag ist das Soderbergh-Lexikon, das vermutlich
besser als Anhang des Bandes verortet wäre, und das Vorbilder, Leitmotive
und andere Stichworte mit gelegentlich humoristischer Geste im Kontext
erörtert.
Wie kann man jemanden fassen, der sich am liebsten entzieht?
Man umzingelt ihn! "Zwei oder drei Dinge, die ich von ihm weiß"
versammelt Gespräche ÜBER den Filmemacher, geführt mit
seinen KollegInnen und Vorbildern (u.a. Richard Lester). So wird einiges
über Soderberghs Arbeitsweise klar, ohne dass er die Chance zur Selbstverklärung
bekommt. Vor allem das Interview mit Kameramann Ed Lachmann funktioniert
hier sehr gut.
Den letzten und beiweitem umfangreichsten Teil des Buches
macht die Einzelanalyse der Filme aus. Begleitet von gelungenen Screenshots
versuchen sich hier sehr unterschiedliche Filmwissenschaftler an sehr
unterschiedlichen Filmen, was vermutlich wiederum die einzig einleuchtende
Methode ist: Einen immer neuen Zugang zu den jeweiligen Werken zu suchen.
Hier einen Mangel an Methode zu unterstellen, wäre unangebracht.
Und ein Frank-Arnold-Buch wäre kein echtes, gäbe
es nicht am Ende akribisch recherchierte Fakten zu Leben, Werk und Literatur.
Hier lebt der verlässliche Positivismus der Filmliteratur der achtziger
Jahre wieder auf: Jedes Buch ist das ultimative. So sei es auch hier.
So finden Filmstudenten und DVD-Sammler gleichermaßen ihre ersehnten
Angaben. Ein Stichwortverzeichnis rundet den Band ab.
Formal und inhaltlich äußerst
attraktiv gestaltet bietet diese Handbuch einen tiefschürfenden und
vielschichtigen Einblick in das Werk eines der gegenwärtig ungewöhnlichsten
Hollywoodregisseure: Steven Soderbergh. Bleibt ihm nur ein aufgeschlossenes
Publikum zu wünschen, das sich nach OUT OF SIGHT und ERIN BROCKOVICH
erinnert, wer eigentlich dafür verantwortlich war...
Marcus Stiglegger
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