PI / Arthaus Collection (1er Digipak) BESTELLEN Als Kind habe ihm seine Mutter verboten, in die Sonne zu blicken. Mit sechs Jahren brach er das Verbot und sah so lange in die Sonne, bis er für lange Zeit sein Augenlicht verloren hatte. Immer wieder erinnert sich Max Cohen (Sean Gullette), der Protagonist aus Darren Aronofskys Psychothriller PI (1997), an dieses Ereignis – und folglich auch der Film: In schmerzhaften Weißblenden wird immer wieder die Netzhaut des Zuschauer traktiert. Die Erkenntnis jedoch, die Cohen aus diesem Transgressionsakt gewonnen haben will, bleibt dem Zuschauer auf diesem Weg versperrt: Für einen kurzen Augenblick, als sich seine Pupillen zu winzigen Stecknadelköpfen verengt hätten, habe er die wahre Gestalt der Sonne erkannt: eine Spirale. Maximilian Cohen, der besessene Mathematiker, ist ein paranoider Charakter. Isoliert lebt er hinter einer mit mehreren Schlössern gesicherten Tür in seinem vergammelten New Yorker Appartment, dessen Räume von dem voluminösen Großrechner „Euklid“ dominiert werden. Seine Perspektive auf die Welt ist vor allem der ängstliche Blick durch den Türspion, der verzerrte Gesichter auf einer immer gleichen Bühne auftreten läßt, die attraktive Nachbarin, die mißtrauischer Vermieterin oder bedrohliche Börsenmafiosi, die Cohens Fähigkeiten für sich nutzen wollen. Aus Cohens Sicht kann ein Passant bereits durch das Wenden seines Kopfes zur Bedrohung werden. Rasante Montagen kontrastreicher Großaufnahmen münden in eine kontrastive Schuß-Gegenschuß-Konstruktion extrem dynmischer Overshoulder-Perspetive und ruhig-gleitender Steadycamaufnahmen des von zunehmender Verstörung gezeichneten Gesichts. Die Sinuskurven von Cohens medizinisch beeinflußtem physischem Befinden spiegeln sich in der Körnung des schwarzweißen Filmmaterials, das mal an Luis Bunuels frühe Stummfilme erinnert, mal die schneidenden Kontraste aus Shinja Tsukamotos „Tetuso – The Iron Man“ (1989), einem sehr ähnlichen Film, evoziert. Cohen glaubt, in der Kreiszahl p den Schlüssel zu einem Weltverständnis entdeckt zu haben. Die Mathematik sei die Sprache der Natur, alles in ihr könne durch Nummern ausgedrückt werden und in dieser numerischen Struktur entstünde immer die selbe Form: eine Spirale. In den einzigen ruhigen, fast konventionell erzählten Sequenzen des Films trifft sich Cohen mit seinem Lehrer Sol Robson (Mark Margolis), der Cohen vor seiner numerologischen Hysterie warnt. Darren Aronofsky ordnet die zu kühlen, metallischen Breakbeats pulsierend montierte Bildwelt seines Debütfilms PI“ konsequent der subjektiven Wahrnehmung seines Protagonisten unter. Mit oft peinigenden Bildern sucht er nach einem Blick des Ich, der dem Zuschauer die Identifikation mit dem psychisch verwirrten Max Cohen nicht nur anbietet – er zwingt sie ihm förmlich auf. „p“ dringt mit allen filmischen Mitteln – oft durchaus im Bild sichtbare – in das vertrackte Gehirn des Genies ein. Dort findet er keine Antworten, aber immerhin entwirft er auf dem Weg ein faszinierend subjektives Zerrbild der condition humaine, das in seiner bitteren Konsequenz an die düstersten Gemälde Francis Bacons erinnert. Bereits als er ein menschliches Gehirn auf den Treppen der U-Bahn findet, ist Cohens erste Reaktion das Durchbohren der grauen Masse mit einem Kugelschreiber. Am Ende entzieht er sich dem quälenden Erkenntnisprozeß, indem er einen Drillbohrer in seine Schläfe treibt. Im wohligen Frieden des zerstörten Geistes sitzt er schließlich milde lächelnd auf einer Parkbank... Die neue Prestigereihe Arthaus präsentiert den modernen Filmklassiker PI ganz berechtigt in einer günstigen und solide ausgestatteten Edition, die nun wirklich jeden Sammler überzeugen sollte. Wer nach mehr Bonus sucht, muss auf die US-Disc von Artisan ausweichen, die zudem einen Audio-Kommentar sowie Deleted Scenes aufbietet. Im Preis-Leistungsverhältnis gewinnt die Arthaus-Edition aber auf ganzer Linie. Marcus Stiglegger |
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