The Addiction 4/5 Sterne Regie: Abel Ferrara Nadja 2,5 / 5 Sterne Anbieter: Kinowelt Leben auf Kosten des Nächsten: der Vampirfilm feiert den ultimativen Hedonismus – und er stellt dessen Tragik bloß. Nach Jahren sind zwei moderne Vampirfilme wieder erhältlich: Abel Ferraras THE ADDICTION mit Lily Taylor und Christopher Walken und die David-Lynch-Produktion NADJA... Neben den Lebenstrieb (also einer fruchtbaren Form der Sexualität) stellte Sigmund Freud in „Jenseits des Lustprinzips“ (1920) den destruktiven Todestrieb als grundlegende Kategorie seiner psychoanalytischen Triebtheorie. Abel Ferraras düstere New-York-Filme (BAD LIEUTENANT, KING OF NEW YORK) beginnen meist mit dem Punkt des ‘Umschlages’ – vom Lebenstrieb zum Todestrieb. Die Sexualität wird in ihrer Verselbständigung zur Feier zunächst des emotionalen und schließlich des physischen Todes. Auch Georges Batailles Modell einer „allgemeinen Ökonomie“ schimmert hier durch. In seiner Annahme, überschüssige Energie, die nicht mehr zu einem „Wachstum“ tauge, müsse notwendigerweise „verschwendet“ werden, „willentlich oder nicht, in glorioser oder in katastrophischer Form“, spiegelt sich Ferraras Selbstzerstörungsmechanismus – mit einem deutlichen Akzent auf die „katastrophische Form“. Abel Ferraras urbaner Vampirfilm THE ADDICTION, in schwarzweißem Ciaroscuro gedreht, treibt diese Verschwendung und Selbstzerstörung mit seiner Behandlung des Vampir-Motivs zu einem radikalen Endpunkt. Die Protagonistin Kathleen (Lily Taylor) ergibt sich allmählich ihrer Sucht nach Blut und sät den Virus des Bösen in nahezu kannibalischen Akten – in wenigen Genrefilmen wird der Vampirbiß deutlicher in diese Nähe gerückt – in ihre Mitmenschen. Die infizierte Party-Gesellschaft im Finale von THE ADDICTION wird zum Spiegel einer vom Todestrieb dominierten Verschwendungsgesellschaft, in der „die Sucht“ keine andere als die Sucht nach dem Erleben des Untergangs sein kann. Der intellektuelle Vampir Peina (Christopher Walken), dem die junge Untote eines Nachts begegnet, weiß zweifellos von der „allgemeinen Ökonomie“ Batailles – auch wenn er darauf nicht wörtlich anspielt – und beobachtet ungerührt Kathleens verzweifelte Versuche, sich in rasender Gier selbst das Blut aus den Adern zu saugen. Ferraras Kino – und im Besonderen THE ADDICTION –
zeigt die ausgestoßenen, verworfenen Kreaturen der Industriegesellschaft.
Es zeigt Rituale der Gewalt, Momente der Verzweiflung. All seine Protagonisten
sind traumatisiert oder innerlich zerrissen. Die französische Literaturwissenschaftlerin
und Psychoanalytikern Julia Kristeva nennt
das in The Powers of Horror (1983) das Abjekte: das radikal von Kultur
und Gesellschaft verworfene Andere. Sieht man Ferraras Filme in dieser
Perspektive, so könnte man sie als ein „Kino der Grausamkeit“
bezeichnen, analog zum Begriff des „Theaters der Grausamkeit“,
den der französische Theoretiker Antonin Artaud in den dreissiger
Jahren geprägt hat (Das Theater und sein Double). Grausamkeit bezeichnet
hier nicht allein körperliche Gewalt, sondern alles, was „den
gesellschaftlichen Körper zur Auflösung bringt“: Revolte,
Exzess, Sexualität, Drogen, Krieg und letztlich: eine unerbittliche
Konfrontation mit der Wahrheit. Anders nähert sich Michael Almereyda in seinem 1995 von David Lynch produzierten Vampirfilm NADJA, der ebenfalls in Schwarzweiß gedreht wurde und in New York spielt. Doch wo Ferraras Film offen philosophisch argumentiert und einen größeren Rahmen für das allegorische Geschehen sucht, mündet NADJA in ironische Wendungen. Die katzenhafte Europäerin Nadja (Elina Löwensohn) sucht sich als Tochter des Grafen Dracula im Großstadtdschungel New Yorks ihre Opfer. Nebenbei versucht sie, ihren Bruder zu retten, der bei dem Versuch, seinem Blutdurst abzuschwören, schwer erkrankt ist. Als sich die junge Lucy (Galaxy Craze) in Nadja verliebt, kommt eine Kette fataler Ereignisse in Gang: Dr. Van Helsing (Peter Fonda), der gerade Nadjas Vater gepfählt hat, kommt der Vamprin auf die Spur und verfolgt sie bis ins heimische Schloss. Am Ende kann er sie zwar töten, doch ihr Geist ist längst auf Van Helsings Schwiegertochter Cassandra übergegangen. Almereydas makabres Vexierspiel nimmt seine Metapher nicht ganz so ernst wie Ferrara und entdeckt darin eher die Idee einer schwarzromantischer Sehnsucht nach Ewigkeit und unendlicher Liebe. Seine Bilder erinnern oft frappierend an Ingmar Bergmanns prägnante Schwarzweißfotografie der sechziger Jahre (PERSONA, DAS SCHWEIGEN), etwa wenn am Ende die Gesichter von Nadja und Cassandra mehrfach übereinander geblendet werden. Der Film gleitet aber ebenso ins Spielerische über: So wurden emotional aufwühlende Sequenzen durchweg mit einer Fisher-Price-Spielzeugkamera gefilmt, woraus extrem grobkörnige Bilder entstehen, die das Geschehen eher erahnen lassen. Neben der ambienten Musik Simon Fisher Turners setzt Almereyda bekannte Songs von Portishead („Strangers“, „Roads“), My Bloody Valentine und The Verve ein, was einigen Szenen die Aura eines experimentellen Musikvideos verleiht. Die aus diesem Elementen resultierende Mischung aus Poesie und Ironie erinnert an Jim Jarmuschs postmoderne Genredramen DEAD MAN und GHOST DOG, lässt aber die existenzielle Kraft und sozialkritische Relevanz von Ferraras ADDICTION vermissen. Dennoch ist es erfreulich, nun gleich beide Filme auf DVD neu entdecken zu können. Kinowelt hat beide im Programm. Im April 2008 ist erschienen: THE ADDICTION in einer erfreulich scharfen und kontrastreichen 16:9-Abtastung mit deutschen Untertiteln (eine Synchronisation lag nie vor). Als Bonus findet man zwei Bildergalerien, die Biograie von Christopher Walken sowie einen etwas improvisiert irkenden Originaltrailer. Auch NADJA ist in Deutschland bei Kinowelt erschienen, die zwar sonst sehr zuverlässig sind, hier aber wenig Mühe walten ließen: Es ist nur die deutsche Synchronisation in 2.0 zu hören, dazu kommt der Trailer. Das Bild (nicht anamorph) ist zwar mit 1,85:1 angegeben, ist aber tatsächlich 1,66:1, was dem Originalformat entsprechen dürfte. Das ist technisch passabel, aber eben kein Schmuckstück. :ms: |
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