MARY - THIS IS MY BLOOD Anbieter: Galileo Medien Die gute Nachricht zu Beginn: MARY - THIS IS MY BLOOD gehört zu den wichtigsten Veröffentlichungen des Jahres. Es gleicht einem Wunder, diesen Film überhaupt in Deutschland zu sehen. Es gleicht einem Wunder, dass er überhaupt gedreht wurde... Der New Yorker Kultregisseur Abel Ferrara ist aus der Versenkung aufgetaucht - mit einem meisterlichen spirituellen Psychodrama, das an seine philosophischen Traktate SNAKE EYES und THE BLACKOUT anknüpft. MARY ist ein schwieriger Film, ein zerquältes theologisches Traktat in der Tradition von Ingmar Bergmans PERSONA oder WIE IN EINEM SPIEGEL. MARY ist Film als spirituelle Suche. Ein verzweifelter Schrei nach Gott - und darüber hinaus. In DRILLER KILLER geriet der neurotische Künstler (Ferrara selbst) in der Begegnung mit Gott in Panik, in BAD LIEUTENANT musste der Sünder (Harvey Keitel) im wahrsten Sinne zu Kreuze kriechen. Ferraras Werk ist voll dieser anklagenden Fragen nach Gott. Und sei es ein "ketzerischer Katholozismus" (so unsere Formulierung in "Die bizarre Schönheit der Verdammten"), den er er in seiner Kunst entfaltet, so ist es doch ein echter Katholizismus. MARY muss sich nicht mehr mit den Mitteln des Genrekinos tarnen. Ohne seinen unverwechselbaren audiovisuellen Stil preis zu geben, kann Ferrara seine Fragen nun ganz unvermittelt stellen. So ist MARY ein Film der Suche, der alle klaren Antworen verweigert. Da ist die Schauspielerin Mary Palesi (Juliette Binoche), die in einem an Martin Scorseses DIE LETZTE VERSUCHUNG CHRISTI erinnernden Film den weiblichen Jünger Maria Magdalena spielt. Sie gerät durch die Identifikation mit ihrer Rolle der verschmähten Evangelistin (ihre Version ist nur Teil der Apokryphen) in eine Identitätskrise, die sie auf eine Reise nach Jerusalem führt, wo sie ein neues Leben aufbaut. Und da ist der egozentrische Regisseur Tony Childress (Matthew Modine), der mit der Manie eines Mel Gibson seinen Jesus-Film "This is my Blood" gegen die Anfeindungen religiöser Eiferer verteidigt - wenn nötig, auch mit körperlicher Gewalt. Auch Scorsese wird erwähnt, doch letztlich setzt sich Ferrara in dieser Figur selbst ein wenig schmeichelhaftes Denkmal. Eine Sühnefigur - möglicherweise. Der eigentliche Protagonist aber ist der Fernsehjournalist Ted Younger (Forest Whitaker), der in einer kritischen Reihe die christlichen Grundfragen neu beleuchtet und den Ferrara in essayistischen Einschüben tatsächliche theologische Experten interviewen lässt. Wie zuvor nur in THE ADDICTION sucht Ferrara über diese Figur Anschluss an die Realität. Wenn er ihn wiederholt vor Bildern der Ausschreitungen im Gaza-Streifen zeigt, formuliert sich auch hier die Frage: Wo ist Gott in einem Land, das die Kinder in den Armen der Eltern sterben lässt? Younger betrügt seine hochschwangere Frau (Heather Graham), er hat sie längst vernachlässig, isoliert in ihrem New Yorker Nobelappartment. Seine Arbeit schiebt er vor, wendet sich vom Leben ab. Erst, als er die Fehlgeburt des gemeinsamen Babys verpasst, erwacht er. Erst hier bezieht er die existenziellen Fragen, die er selbst stellt, auch auf sich. Doch wie soll ein Atheist mit Gott in Dialog treten? Ein Schlüssel könnte Mary sein, die Ferrara tatsächlich zu einer Art Maria Magdalena stilisiert, die den Terror in Jersualem transzendiert und am Ende des Films mit ihren 'Schwestern' an einem neuen Ufer ankommt. Eine Hoffnung, vielleicht... Doch MARY begnügt sich mit den Fragen. Der Film selbst ist die Crisis, nicht die Läuterung, auch wenn Younger sein Leben für das seiner Familie anbietet. Einfache Lösungen sind der Welt nicht angemessen. Das ist nicht spannend im konventionellen Sinne, sondern aufwühlend und zutiefst affizierend. Mit zerrissenen Folkakkorden, dunklen Drones und rhythmisiertem Noise schafft Ferrara ein Desorientierung, die den Film wie einen Thriller wirken lässt. Dabei steht dahinter nur eines: ein verhallter Ruf nach Liebe. Und nach Gott. Maria Magdalena als verfemte Prophetin des Christentums ist in den letzten Jahren von ungeahnter Popularität, sei es als 'heiliger Gral' in THE DAVINCI CODE, sei es als Hüterin der Blutes in PASSION OF THE CHRIST von Mel Gibson. MARY jedoch formuliert die elementare Frage auf einem häheren Niveau, selbst, wenn der deutsche DVD-Titel "This is my Blood" (und zugleich der Film im Film) auf diese Thesen anspielt. - Ferrara ist der Philosoph mit der Kamera, keine Frage. Weiß Gott, was er die letzten Jahre getrieben hat... Die DVD von Galileo Medien präsentiert MARY mit einer akzeptablen deutschen Synchronisation, kraftvollem Ton und scharfem Bild. Es liegt kein Bonusmaterial vor, dafür kommt die DVD im attraktiven Pappschuber. In diesem Fall ist der Film selbst die Anschaffung wert - vorausgesetzt man sucht nach persönlichem, nmutigem und visionärem Autorenkino mit essayistschem Anspruch. Aber zum Glück gibt es dieses Publikum auch noch. Marcus Stiglegger |
|