Lieben - Nur tot kann er dich lieben
BESTELLEN 1987 drehte Jörg Buttgereit mit seinen Freunden einen heute legendären Kultfilm über ein nekrophiles Pärchen in Berlin: NEKROMANTIK. Über 20 Jahre später treffen wir Buttgereit wieder, im Gespräch mit dem Filmhochschulabsolventen Rouven Blankenfeld, der gerade sein nekrophiles Serial-Killer-Drama LIEBEN auf DVD präsentiert. Im Gespräch der Filmemacher wird jenes letzte große Tabu zum Thema, das nur wenige Filme bislang anzutasten wagen: der Sex mit Leichen. Filme von Lamberto Bava (MACABRO), Lynn Stopkevich (KISSED), Nacho Cerda (AFTERMATH) oder Joe D'Amato (BUIO OMEGA) kommen noch in den Sinn, obwohl das Thema im Grunde aus der klassischen Gothic-Tradition stammt. Nicht zuletzt Edgar Allen Poes Gedichte trugen oft Züge des Nekrophilen. Dabei schlägt Blankenfelds Film einen anderen Weg als seine Vorgänger ein - und das macht ihn bemerkenswert. In der klaren, naturalistischen und eher distanzierten Form eines Psychodramas nähert er sich einem Serienmörder, der erst den toten Körper wirklich begehrt. Auf diese Weise ist er näher an DER FREIE WILLE als an Underground- oder Horrorfilmen. Boris, ein vorbestrafter Fabrikarbeiter, hat viel Liebe in sich, er kann sie jedoch nicht teilen. Zumindest nicht mit den Lebenden. Er tötet junge, gestrandete Frauen, um sich anschließend an ihnen sexuell zu vergehen. Sein erklärtes Ziel ist es, ihnen durch seine persönliche Art der Liebe Erlösung zu verschaffen. Auch Mariets Tochter ist ihm zum Opfer gefallen. Auf der Suche nach ihr wendet sie sich hilfesuchend ausgerechnet an Boris, der das Mädchen angeblich flüchtig kannte. Beide glauben, im Anderen endlich jemanden gefunden zu haben, der sie im Innersten versteht. Als Mariet der Wahrheit näher kommt, entfesselt sie eine Katastrophe. LIEBEN ist ein scherzlicher, tragischer 'Liebesfilm'. Ein Film über unerfüllte Sehnsucht und destruktiven Trieb. Er erzeugt nicht unbedingt Verständnis für den Täter, aber schildert seine Taten aus gnadenloser, fast neutraler Distanz. Ansätze klassischer Thrillerdramaturgie führen ins Leere. Als eine junge Studentin, die Boris für tot hielt, erwacht und zu fliehen versucht, trägt er sie lapidar in die Wohnung zurück. Die Kamera bleibt vor der Tür und kennzeichnet in einer langen Einstellung (ähnlich zu Hitchcocks FRENZY): dass keine Hilfe zu erwarten ist. Die Alltäglichkeit des Lustmordes, die Routine, ist das Erschreckendste an diesem Film. So kann LIEBEN vollkommen alleine stehen als packender Exkurs über die seltsamen Wege des Begehrens, radikal in seinem Blick und packend gespielt. Das Bonusmaterial hat die Legitimation durch den Kollegen Buttgereit nicht nötig, aber es wird dem Film möglicherweise Aufmerksamkeit sichern. Neben dem Interview finden wir einen Audiokommentar und Deleted Scenes. Interessant in der frühere Kurzfilm TAG DER UMKEHR, der den Weg vom Gewaltverbrecher zum aktiven Christen zeigt - mit dem selben Hauptdarsteller. Hier wird auch Blankenfeld Selbstverständnis deutlich: Er sieht sich nicht als Genreregisseur, sondern nutzt seine drastischen Themen als Metaphern für soziale Zustände. Die DVD LIEBEN ist hervorragend gemastert und bietet umfassendes Bonusmaterial. Für Fans des radikalen und ungewöhnlichen Autorenfilms ist sie daher ein deutlicher Kauftip! Marcus Stiglegger |
|