FRANZ + POLINA

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OT: Franz i Polina. Russland 2006 - Regie: Mikhail Segal - Darsteller: Adrian Topol, Svetlana Ivanova, Andrej Merzlikin, Tamara Mironova, Uwe Jellinek, Valentin Matsapura - FSK: ab 12 - Länge: 124 min. - Start: 30.8.2007

Mit seinem intensiven Weltkriegsdrama KOMM UND SIEH (1985) hat der russische Regisseur Elem Klimov einen Meilenstein des Kriegsfilms geschaffen. Seine schonungslosen monochromen Bilder von den SS-Masskern in Weißrussland haben heute ikonische Qualität.

Der Autor des Drehbuchs und der Romanvorlage ("Stätten des Schweigens") war Ales Adamowitsch (gest. 1994), der seine eigenen Erfahrungen im 2. Weltkrieg verarbeitete. Schon hier ging es um die beklemmenden Erlebnisse eines pubertierenden Jungen, der sich gerne einer Partisaneneinheit anschließen möchte, und eines von ihm begehrten Mädchens. Adamowitschs zweite Annäherung an das Thema verkehrt die Vorzeichen. Nun geht es um einen jungen SS-Mann, der sich in eine junge Russin verliebt: Franz + Polina. Wer allerdings 'Romeo und Julia im Kriege' wittert, könnte ernüchtert werden. FRANZ + POLINA ist ein Film voller Fallen und Ellipsen, die dem Zuschauer eine Positionierung abfordern, es ihm aber sehr schwer machen...

Als 1943 eine Einheit der deutschen Waffen-SS in einem kleinen weißrussischen Dorf stationiert wird, ist auch ein junge Soldat namens Franz (Adrian Topol) unter ihnen. Der naive Besatzer verliebt sich in die schöne Russin Polina (Swetlana Iwanowa) und führt bereitwillig ihren Haushalt, um die Zeit mit ihr verbringen zu können. Da stört es kaum, dass sich die jungen Leute kaum verständigen können. Auch die anderen Soldaten genießen den momentanen Frieden, während viele Dorfbewohner, darunter auch Polinas Bruder, sich in den Wäldern als Partisanen versteckt halten. Schließlich kommt der Befehl, das Dorf zu vernichten.

Heinrich Himmler, der Reichsführer SS, erließ den Befehl, die belorussische Bevölkerung um 31 Millionen zu dezimieren. Die SS-Einheiten führten diesen Auftrag im Rahmen einer 'Politik der verbrannten Erde' durch und begingen eines der größten Kriegsverbrechen dieser Zeit, das den russischen Rachedurst gegen Kriegsende zusätzlich motivierte.

In Franz stellt uns der Film einen sorglosen Jungen vor, der bald den Ernst seiner mörderischen Mission verdrängt hat. Selbst als ihn sein Vorgesetzter darauf hinweist und ihm befiehlt, das Mädchen zu vergewaltigen, entzieht er sich. Als die Nachhut kommt und das Massaker beginnt, handelt Franz und erschießt den Offizier. Mit Polina und ihrer Mutter überlebt er das Inferno. Doch nun beginnt sein eigenes Martyrium. Obwohl er das Mädchen gerettet hat, muss er seine deutsche Identität geheim halten und Stummheit simulieren. Als er sich im Fieberwahn verrät, muss er von allen Seiten her um sein Leben fürchten.

Inszenatorisch schlägt der Film einen anderen Weg als Klimovs radikaler Naturalismus ein. Konsequent arbeitet er mit Aussparungen und Ellipsen. Nicht einmal die zentralen Gewaltakte sehen wir im Bild. Vieles erschließt sich erst im Nachhinein. Manches nie. Das macht es auch so schwer, ethische Position einzunehmen. Ist Franz so unschuldig, wie er erscheint? Nicht ein Detail erfahen wir über seine Vorgeschichte oder die seiner Einheit. Erschießt er den Offizier im Affekt? Wie überwältigt er den Wachtposten, um an die Medikamente zu kommen?

Mit orchestraler Leichtigkeit stimmt der Film auf sein düsteres Thema kontrapunktisch ein - erst mit dem tatsächlichen Massaker ändern sich die Farben und die Klänge. Aspetisch hören wir ein Glockenspiel über den lodernden Flammen. Wo Klimov auf brutale Drastik setzt, zieht sich Segal dezent zurück. Diese Rechnung geht nicht immer auf, doch verleiht sie dem Film eine ganz eigene, durchaus irritierende Atmosphäre, die stark auf Erkenntnis abzielt, weniger auf den heilsamen Schock. Lediglich ein Angriff durch verwilderte Hunde, der in die einzige Liebesszene müdnet, wird mit allen Mitteln dramatisiert und gerät so zur zentralen Metapher des Films...

FRANZ + POLINA ist ein eigenständiger und bemerkenswerter Beitrag zur Aufarbeitung des 2. Weltkrieges aus russischer Sicht und könnte gerade für ein junges Publikum zugänglich und diskussionswürdig sein. Die DVD erscheint am 9. Januar 2009 bei Sunfilm.

Marcus Stiglegger