Folk und Neoklassik Frühjahr 2007 von Christoph Donarski * Tony Wakeford Into the Woods (Dark Vinyl 2007) CD 12 Tracks "The Devil's Steed", die letzte CD von Sol Invictus, die 2005 erschien, wurde von zahlreichen Fans als Rückkehr des Folkmusikers Tony Wakeford zu seiner alten Form gefeiert: Hymnische wie einfach strukturierte Songs, kräftiges Strumming, dumpfe Drums und der gewohnt kratzige Gesang (mit einiger Verstärkung) knüpfte noch einmal an die alten Tage von "King and Queen" etc. an. Doch musikalisch spannender und experimenteller waren stets Tony Wakefords Solopfade, die er zusammen mit Steven Stapleton (Nurse With Wound) begann, und mit dem Album "La Croix" zu einem damaligen Höhepunkt in den frühen 1990er Jahren führte. "The Fool" ist bis heute der programmatische Song des Musikers. So klingt die neue CD "Into the Woods" ("Zurück in die Wälder..."? Nicht ganz...) auch eher nach diesem vielschichtigen Klassiker - verwirklicht mit zahlreichen Gastmusikern (Andrew King, Amber Asylum usw.) und Einflüssen aus Psychedlic Rock und 70ies Progressive Folk. Das erscheint natürlich dramatischer als es letztlich klingt. "Into the Woods" enthält zahlreiche Lieder von klassischem Folkformat, mit einem morbiden Blick auf England: "England is funny but sometimes she scares me..." Wakeford bleibt der Barde und Moritatensänger. Während seine rauhe Stimme hier mit einem leicht blechernen Effekt belegt wurde, erklingt auch eine glockenklare Frauenstimme und Andrew Kings gesanglicher Pathos zur Unterstützung. Auch düsterambiente Passagen und dichte Collagen kommen nicht zu kurz. Kurz: "Into the Woods" formiert tatsächlich die alten Qualitäten und wird alten Fans wie Folk-Hardlinern gleichermaßen gefallen. Mit einer patheistischen Covergestaltung bietet Wakeford ein geschlossenes Konzept, das man nachdrücklich empfehlen kann. Wer dachte, der Meister hätte seinen Elan verloren, wird hier Irrtums gestraft... * Varunna Cantos (Hau Ruck! 2007) CD Gemeinsam mit der italienischen Formation Forrest di ferro stellten sich Varunna bereits auf einer Vinly-EP vor. Nun halten wir den lange erwarteten Longplayer in Händen: italienischer Folkpop der rauhen Art, getränkt mit Rotwein und mediterraner Hafenluft. Sänger Alessio B., der sich durchaus deutlich gelegentlich an Adriano Celentano anlehnt, wird instrumentell von Albin Julius und Jörg B. von Der Blutharsch und Graumadh unterstützt. Das wirkt sich durchaus positiv aus, denn die treibende Folkgitarre kann sich hören lassen und lässt eine ausgelassene Stimmung aufkommen, die mal erfüllt, mal übererfüllt wird auf den anderen Ebenen. Ob man das als Neofolk bezeichnen will, bleibt offen, denn ein anarchistischer Rockgestus ist omnipräsent, sehen wir Varunna also als eine eigene Idee von Musik auf akustischen Instrumenten. Das italienische Booklet und der minimalistisch gestaltete Digipak verrätseln etwas die Songtitel, aber das soll das Vergnügen nicht trüben. Auch der kleine Einschlag von Oi-Musik der hier und da durchscheint (Track 6), sollte nicht verrwirren. Wer verstanden hat, dass es bei Hau Ruck! immer schon (auch) um Rock'n'Roll ging, wird Varunna lieben... * Proscenium Weltschmerz (Dark Vinyl 2007) 11 Tracks Die zweite CD der schwedischen Formation Proscenium kündigt sich als Neoklassik an und trägt den etwas programmatischen Titel "Weltschmerz", - eines jener Worte, die im Deutschen wie im Englischen benutzt werden und eine bestimmt Definition mit sich führen. Doch weder textlich noch musikalisch trachten Proscenium danach, auf ihren 38 Minuten philosophische Konzepte zu entfalten. Eher bekommen wir eine stimmungsvolle und teils dezente Mixtur aus klassischen Orchesterflächen, Klaviermelodien und einem bedrohlich gemischten Gesang geboten, der sich nicht immer vorteilhaft mit dem Gesamtbild deckt. Man würde das von Cold Meat Industry erwarten, doch es fehlt das runde Gesamtbild. "Weltschmerz" erzählt in kulturpessimistischen und mystischen englischen Texten vom Niedergang der Menschheit, aber es mangelt etwas an prägnantem musikalischem Ausdruck. Was bleibt, ist ein flirrendes Grollen, ein Gewitter das nie zum Ausbruch kommt und schneller verzogen ist, als man erwartete. Preaching to the convertet, ansprechend verpackt. * Fin de Siécle Patagonie (OPN 2006) CD 15 Tracks Das französische Duo Fin de Siècle Stephane Flauder und Florence Cailleux hat seit 2001 drei Alben realisiert. Hier Begriffe wie Neoklassik und Folk anzulegen, erfordert etwas mehr Toleranz, denn dies sind vor allem Einflüsse, aus denen die Musiker eigene, stimmige und dichte, manchmal sogar experimentelle Soundscapes kreieren, die ganz direkt auf ein hörspielartiges Kopfkino abzielen. Die angestrebte Vielschichtigkeit ermöglicht ein harmonischen Nebeneinander von Akustik und Elektronik, von Samples und Fieldrecordings, von Flächen und Drums. Einflüsse werden vor allem aus der Literatur genannt (Mandiargues und Woolf), aber auch Filmemacher wie Visconti und von Trier. "Patagonie" gleicht einer Reise, einer Erkundung des Unerwarteten. Das ist spannend und überraschend zugleich. Wer Soundtracks für das innere Kino sucht, wird Fin de Siècle schätzen...
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