Ex.order

Broadcast 23

(Power and Steel 2003) LP und CD

"You are non-persons, victims without an audience - get killed and maybe they'll notice you..." (Ex.order) Powerelectronics oder Powernoise als musikalisches Subgenre experimenteller Industrialmusik legt es auf radikale Konfrontation mit dem Zuhörer an: mittels harscher Geräusche, industrieller Beats, beklemmender Samples und aggressivem Schreigesang sollen die destruktiven Aspekte der menschlichen Kultur bloßgestellt werden. Um den "Mythos vom Zivilisationsprozess" (Hans-Peter Duerr) aufzudecken, beschwören Bands wie Thee Grey Wolves, Genocide Organ oder eben Ex.order die gnadenlosen und totalitären Machtmechanismen der gegenwärtigen Gesellschaften, affirmieren sie scheinbar, um sie so umso näher an den Rezipienten zu rücken, ihn förmlich zu einer Auseinandersetzung damit zu zwingen. Auffällig ist dabei die scheinbare Identifikation mit dem Agressor durch die Bandnamen: Grey Wolves verweist auf die türkischen Extremisten 'Die Grauen Wölfe', Ex.order könnte auch für 'Extinction Order' stehen.

Hier geht es nicht um Eingängigkeit, Wiedererkennungswert oder Tanzbarkeit der Musik, hier geht es um einen aktiven Erfahrungsprozess, dem der Hörer ausgeliefert wird. Gebetsmühlenartig wiederholen sich zynische Samples, erzeugen innere Bilder von Hörigkeit, Unterdrückung und Zerstörung ohne den tröstlichen Ausweg in den lautstarken Protest zu gewähren, wie das etwa die kritische bzw. politische Punkmusik tut. Dabei entstammen nicht wenige dieser Bands aus dem Geist dieser Protestbewegung, Thee Grey Wolves aus England etwa beziehen sich auf die Punkformation Crass, was man noch heute an der handgemachten Covergestaltung erkennt.

Aber um Utopien geht es hier nicht, eher um das Konstatieren der Verluste. Von individueller und mentaler Freiheit zum Beispiel. Mit Broadcast 23 liegt nun eine LP/CD-Kombination des Leipziger Duos Ex.order vor, das in Personalunion auch die okkulte Dark-Ambient-Formation Inade vertritt. Doch Vergleiche zwischen beiden Projekten werden nur dem erfahrenen Hörer auffallen. Power and Steel ist zugleich die Noise-Abteilung des Ambientlabels Loki Foundation. Die vorliegende Kompilation von hervorragend gemischtem Livematerial zeigt die Band in ihrer gesamten kreativen Breite und bietet zugleich einen Einblick in das bisherige Schaffen, denn die Stücke stammen nicht nur von verschiedenen Events sondern aus der Zeit zwischen 1999 und 2002 (darunter auch Orte wie St. Petersburg, New York, Toronto und London, was auf die internationale Popularität dieser Musik verweist).

Broadcast 23 bietet einen gelungenen Einblick in die künstlerische Strategie Ex.orders: Die erste Seite (:side twenty three:) beginnt bei "American Dawn" mit einem Sample aus Abel Ferraras philosophischem Vampirfilm THE ADDICTION, in dem ein Dokumentarfilmsprecher über das My-Lay-Massaker in Vietnam berichtet. Erst allmählich frisst sich ein sägender Noisesound in die noch geordnete Klangwelt. Zerstörung wird zur Geste der Musik, ein Ausweg ist nicht in Sicht: "Collapse", "No Surrender", "The Only Way to Heaven"... Mitreißend ist der treibende Pulsbeat von "War Within Breath" (Bonus-CD), der von einer an- und abschwellenden Noiseschleife unterlegt ist. Hier kehrt auch mit Christopher Walkens Stimme ein weiteres Element aus THE ADDICTION wieder: "You think Nietzsche understood something...?"

Und eines ist klar: Um dieser Musik zu verstehen, muss man sie laut hören.

KaNik