Code Blue (Niederlande 2011) Regie: Urszula Antoniak Man kennt es vom semidokumentarischen Kino Ulrich Seidls: Was auf den ersten Blick wie ein kalter sozialer Naturalismus erscheint, ist tatsächlich höchst stilisierter Ausdruck einer pessimistischen - oder gar enttäuscht-humanistischen - Ästhetik des Niedergangs. So reiht sich auch CODE BLUE in eine Strömung ein, die man vornehmlich aus dem neuen österreichischen Film kennt: zermürbende Porträts leidender und scheiternder Individuen, Tableaus der Einsamkeit und Verlorenheit in einer vergletscherten Welt. Der Titel bezeichnet einen Krankenhaus-Code, der auf einen Patienten in höchster lebensgefahr verweist. Ob damit die tatsächlichen Patienten gemeint sind - oder die sie umsorgende Schwester - lässt der Film bewusst offen: Marian (Bien de Moor), eine Krankenschwester um die 40, kümmert sich offenbar aufopferungsvoll um ihre Patienten. Doch ihre Hingabe geht mitunter so weit, dass sie das Leiden Schwerkranker durch Sterbehilfe verkürzt. Der Tod ist für sie dann der Moment der absoluten Intimität. Verstört reagiert sie, als sich ein alter Mann verzweifelt wehrt, nachdem sie ihm die tödliche Dosis bereits gespritzt hat. Außerhalb des Krankenhauses lebt Marian ein einsames und isoliertes Leben, das durch Kontrollsucht, Kargheit und Perfektionismus getrieben ist. Mit einem Nachbarn (Lars Eidinger) unterhält sie ein voyeuristisches Verhältnis. Eines Abends lernt sie ihn persönlich kennen: Die plötzliche Intimität verwirrt, fasziniert und ängstigt sie, und sie erkennt, dass menschliche Nähe ihren Preis hat. Ungeachtet der knappen Laufzeit und langsamen Dramaturgie versammelt der Film der holländischen Filmemacherin eine Reihe verstörender Setpieces, von der Sterbehilfe über die Beobachtung einer Vergewaltigung bis hin zum verstörenden Finale. Sei es, dass Marian das Sperma des Vergewaltigers aus dem Kondom über ihren Schenkeln entleert oder während ihrer eigenen Demütigung das Hohelied Salomos zitiert - all das wird entfaltet in elegischen und distanzierten Bildkompositionen, die durchaus an Ulrich Seidls notorische Zentralperspektive erinnern, untermalt von mitunter atonalem Soundesign. CODE BLUE verleiht dem transgressiven Kino ein irritierendes neues Gesicht, bestens aufgehoben in der neu formierten und umso renommierteren Reihe 'Kino Kontrovers'. Bestens ausgestattet mit Interview und einem zusätzlichen Ende (das ebenso verstörend wäre), sowie einem früheren (langen) Kurzspielfilm der Regisseurin, der wesentlich leichter und versöhnlicher daherkommt. Eine großartige Veröffentlichung. Marcus Stiglegger |
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