Folk Noir Ein Gespräch mit dem Musiker Jerome Reuter (ROME) von Martin Kreischer Ein abruptes Ende. Noch eben veröffentlichen ROME ihr neustes Album „Nos Chants Perdus“, ihr bislang eindrucksvollstes Werk, schon verkündet die Formation um Kopf Jerome Reuter ein längere Auszeit, die lediglich durch die Neuveröffentlichung der alten Alben unterbrochen wird. Bevor sich ROME jedoch in die Klausur verabschiedet erläutert uns Jerome Reuter seine Gedanken zu „Nos Chants Perdus“.
Nicht einmal ein Jahr nach „Flowers From“ Exile ist das neue Album „Nos Chants Perdus“ erschienen. Arbeitswut oder Musenkuss? Die Arbeit an „Flowers from Exile“ hat uns zugegeben etwas beflügelt. Wir haben eine neue Arbeitsweise gefunden - was die Aufnahmen und Instrumentierung betrifft - und die wollten wir jetzt mal vorantreiben. War es für dich einfach, dich nach dem doch sehr persönlichen „Flowers from Exile“ neuen Themen zuzuwenden? Das war in der Tat nicht so einfach. Bei „Flowers from Exile“ hat einfach alles gestimmt: das persönliche wie allgemeine Anliegen, die Thematik an sich und die musikalische Umsetzung. Wir sind nach wie vor sehr stolz auf das Resultat unserer Arbeit. Egal wie erfolgreich das Album war oder nicht war – in unseren Augen ist uns ein Schritt nach vorn gelungen und das erhöht den Druck ungemein. Es wird mit der Zeit ja nicht einfacher Alben zu machen. Im Gegenteil. Ich persönlich stand vor einem riesigen Berg an Ängsten und Erwartungen. Der einzige Weg dem zu entkommen war einfach es so schnell wie möglich hinter sich zu bringen. Denn je länger man wartet, um so beängstigender werden die Erwartungshaltungen. Wie schon bei „Flowers from Exile“ gab es mit „L’Assassin“ eine Single als Teaser zum Album.. Da scheint sich eine Methode anzubahnen ... Die Vorabsingle „To Die Among Strangers“ für „Flowers from Exile“ war eine Art Exklusiv-Teaser, limitiert auf 1000 Stück, eigentlich gedacht für die Hard-Core-Fans. Diesmal haben wir deutlich mehr pressen lassen, weil doch viele Fans sich darüber beschwert haben, dass sie keine mehr abbekommen haben. Wir hätten nicht gedacht, dass die Single so schnell weg geht. Jetzt gibt es zwar wieder eine Single, aber die ist weder limitiert, noch überteuert wie beim letzten Mal – eine Art Wiedergutmachung. Aber von Methode würde ich nicht sprechen. Ein Assassine ist kein gewöhnlicher Mörder – er handelt strikt nach Regeln, seine Opfer sind zumeist mächtige (politische) Gegner. Ist der Assassine für dich eine anachronistische Gestalt ohne Bezug zur heutigen Gegenwart? Oder siehst du durchaus noch Parallelen in der heutigen Welt? Der Assassin ist bei uns eine bildliche Figur. Im Kontext des Albums wird es deutlich, wofür diese steht und welche Machenschaften damit gemeint sind. Einen Hinweis gibt das Proudhon-Zitat, welches Sklaverei mit Mord gleichsetzt. Das in vollem Umfang zu erläutern würde jetzt das Format sprengen. Sicher ist, dass wir in der Motivik bei diesem Album die Parallelen zur heutigen Zeit gesucht haben. Das zweite neue Stück der Single ist „One Flesh“ und erzählt von einem schweren Verlust, von dem Zerreißen einer engen Beziehung. Kannst du etwas zu dem Hintergrund sagen? Es ist ein etwas untypischer Song für uns. Der relativ simple Text ist autobiographisch und kommt ungewohnt direkt aus der Seele. Ich habe den Song geschrieben nachdem ein hoch geschätztes und geliebtes Familienmitglied von mir vor fünf Jahren starb. Der Song liegt mir sehr am Herzen, und ich wollte ihn immer schon mal mit ROME machen, aber bisher fehlte der Kontext dazu. Die Alben sind ja in sich geschlossene Geschichten und Welten. Da hat es nie wirklich sinnvoll reingepasst. Deshalb gibt es das jetzt exklusiv auf dieser Single. Es fällt auf, dass die Streicher deutlich präsenter sind also noch auf „Flowers from Exil“. War Nikos Mavridis diesmal stärker am Songwriting/der Produktion beteiligt? Nein, eigentlich nicht. Es stand nur fest, dass wir definitiv eine Geige auf dem Album haben werden. Wir haben alles etwas umarrangiert, um der Geige mehr Raum zu verschaffen. Das Album ist jedoch wieder etwas anders als die Single. Nikos ist am Songwriting nicht beteiligt. Das mach ich immer noch allein und Patrick ist der Boss im Studio – da gibt es ein stetes Kommen und Gehen von Musikern. Der Text zu „Der Erscheinungen Flucht“ wurde für die Neuaufnahme auf der Single leicht verändert: Statt „We fall as servants fall“ ist da nun die Textzeile „We fall as stock markets fall“ ... ein kleiner zynischer Wink in Richtung Finanzkrise und den Hasardeuren in den Banken? Ganz genau. Diese Umänderung kam mir mal während eines Konzerts... und es passte jetzt für die Single ungemein – hinsichtlich des thematischen Kontexts von „L‘Assassin“. Die Cover von Single und Album präsentieren sich äußerst reduziert, kein Cover-Bild, nur der Schriftzug. Warum diese Zurückhaltung? Wir wollten mal alles schwarz machen. Jede Band will doch ihr Black-Album machen, ha, ha. Wir haben für das Album besondere Vorstellungen gehabt, was die Gestaltung angeht und so sind Single und Album komplett in schwarz gehalten.
Alors, qui a perdu nos chants? Et pourquoi? Das aktuelle Album ist für mich eine Art Sequel zu „Flowers From Exile“, die Protagonisten sind eigentlich die gleichen geblieben, nur versuchen sie sich jetzt mitsamt ihren Werten in Frankreich durchzuschlagen. Der Titel soll vor allem eine bestimmte Haltung des Hörers fördern, Quelle und Sinn dieser Chants auf den Grund zu gehen. Inwieweit hatte das Werk „Die Entwurzelten“ von Maurice Barrès einen Einfluss auf das Album? Diesen revanchistischen, nationalistischen Autor würde ich in keiner Weise mit dieser Platte in Verbindung bringen. Die „Entwurzelten“, die auf „Nos Chants Perdus“ angesprochen werden, haben damit nichts zu tun. Es ist ja nun wirklich nicht so, dass reaktionäre Denker die Einflussnahme auf Undergroundkünstler gepachtet haben, wie man das wohl manchmal vermuten muss. „Nos Chants Perdus“ handelt von der Résistance – doch nicht nur der französischen. Hier schimmert wieder der Bezug zur Finanzkrise durch: Mangelt es der heutigen Zivilgesellschaft an Courage? Mit der Résistance meint man ja allgemein den Widerstand gegen die deutschen Besatzer in Frankreich während der 40er Jahre. Damit hat die Platte so eigentlich nichts zu tun, hier geht es vielmehr um eine allgemeine Ästhetik des Widerstands mit anarchistischen Wurzeln. Ich habe versucht dieses sehr eigene französische Freiheitsgefühl nachzuempfinden; die Freiheit wie die Franzosen sie – wenn auch wunderschön sinnlos – lieben und die Deutschen sie fürchten. Ich wollte einer gewissen Tradition nachspüren, die es spätestens seit den Tagen der Commune de Paris in Frankreichs Untergrund gibt. Davon mal abgesehen gibt es in der Tat einen aktuellen Bezug. Ich denke schon, dass es uns an Courage mangelt, aber das liegt vor allem an der Richtungslosigkeit des Empfindens. Man glaubt zwar nicht an das Bestehende, aber gute Beispiele und Veränderungsvorschläge in der Vergangenheit zu suchen erweist sich als äußerst schwierig. Wie passen die Existenzialisten in das Konzept des Albums? Derzeit sind Sartre und vor allem Camus bei mir hoch im Kurs und haben auch deshalb auf dem aktuellen Album „Nos Chants Perdus“ ihren Platz gefunden. Sie sind wegweisende und prägende Köpfe gewesen, und vor allem für das Jahrzehnt, in das „Nos Chants Perdus“ eingebettet ist, äußerst relevant. Unterteilt wurde das Album – wie schon „Flowers from Exile“ – in fünf einzelne Kapitel, welche wiederum aus zwei bis drei Liedern zusammengesetzt sind. Die Form scheint euch zu gefallen, wollt ihr ein wenig etwas zu der Einteilung sagen? Eigentlich wollte ich diese Unterteilung anfangs nicht vornehmen, weil wir so etwas eben schon bei „Flowers from Exile“ gemacht haben und ich mich nicht wiederholen wollte. Aber ich musste mir eingestehen, dass es hier einfach nötig war, um den Sinnfaden richtig zu spannen und diese besondere Form einfach zu gut ins Konzept dieses Liederbüchleins passt. Davon abgesehen, hat die Aufteilung in fünf Akte in der französischen Literatur eine wichtige Tradition. Eine solche Einteilung ermöglicht es, inhaltliche Schwerpunkte besser herauszustellen. Deshalb liegt sie mir am Herzen, auf wenn es auf den Hörer vielleicht etwas sperrig wirkt. Das Multilinguale schlägt auch auf diesem Album wieder durch, statt Spanisch diesmal jedoch Französisch. Das Spiel mit den verschiedenen Sprachen, was reizt euch daran? Liegt das auch an deiner luxemburgischen Herkunft oder einfach an einer Liebe zu dem europäischen Sprachengewirr? Das Sprachgefühl ist für Luxemburger von Hause aus in der Tat anders als für unsere Nachbarn. Ich habe aber auch lange in anderen Ländern gelebt, und bin deshalb noch dazu von diesen Sprachen besonders geprägt, was natürlich Einfluss auf meine Kunst hat. Deshalb kommen eben auch häufig verschiedene Sprachen in einem und demselben Song vor. Ich will da nix übersetzen und liebe es die Sachen aufeinanderprallen zu lassen. Aber bei „Nos Chants Perdus“ war es einfach die thematische Einbettung, die die bevorzugte Nutzung des Französischen verlangt hat. Das Englische ist sozusagen die Amtssprache. Vor allem, weil mir persönlich das Texten in Englisch am leichtesten fällt. Und es stimmt natürlich, dass das auch praktischerweise die Sprache ist, die international am ehesten verstanden wird. Ein reiner deutscher Text fehlt bislang (so etwas wie „Die Moorsoldaten“ einmal ausgenommen) – gibt es dafür einen Grund? Nicht direkt. Wer weiß, was noch kommt. Bei den bisherigen Platten hat sich das nie angeboten, aber ich will es nicht ausschließen, dass es nicht doch einmal vorkommen wird. Eine Platte zu schreiben ist ja keine Sprachübung als solche, sondern ist für mich themen- und kontextgebunden. Mal schauen.
Das Französische bricht sich auch in „La Rose et la Hache“ Bahn: Ein fast schon lupenreiner Chanson. Das dürfte einigen Hörer vielleicht zuviel der Frankophilie sein ... Ja, ich kann mir vorstellen, dass das Einigen vielleicht zuviel des Guten ist. Meiner Mutter gefällt das aber ganz gut, ha, ha. Ich hab ne Schwäche für Songs, bei denen sich die Meinungen teilen. Hingegen ist „Les Isles Noires“ euer bisher eingängigster Song … Airplay garantiert? Ja, den könnt ich mir echt im Club vorstellen, was wirklich eine Premiere für uns ist! Aber, warum nicht? Das Stück ist eben so entstanden. Wir haben uns da jetzt nicht zusammengesetzt, um irgendwas club-taugliches zu produzieren – dafür sind wir einfach nicht die richtige Band – aber als wir so dabei waren, haben wir gemerkt, dass der Song das quasi verlangt. Eindrucksvoll der Gesang im finalen „Chanson de Gestes“: Es scheint, als wärst du auf einmal befreit, als hätte sich etwas in dir gelöst ... Danke! Ja, ich wollte bei dieser Platte auch etwas mehr am Gesang arbeiten. Bereits bei der Singleauskopplung „L’Assassin“ war das deutlich. Insgesamt wollte ich auf diesem Album etwas mehr in Richtung Chanson hinarbeiten, was konsequenterweise vor allem den Gesang herausfordert. Dieses ewige Rumgenuschel vorher...ha, ha. Alle alten ROME-Alben vor der Zeit bei Trisol sind inzwischen ausverkauft, eine Neuauflage ist geplant. Werden die Alben lediglich neu aufgelegt oder plant ihr etwaige Veränderungen an den Alben? Die Alben werden demnächst neu aufgelegt, ja, aber die werden jetzt nicht mit unnötigem Bonusmaterial „gepimpt“, um die Verkaufszahlen zu stimulieren. Das einzige, was sich zum Teil ändern wird, ist das Artwork, da einige der Originaldateien den Gefechten um die Rechte, bzw. meinen häufigen Umzügen zum Opfer gefallen sind. Des Weiteren nutze ich die Gelegenheit die Alben mit Booklets inklusive Texten und Fotos zu versehen, was vorher aus finanziellen Gründen einfach nicht möglich war. Aber ansonsten bleibt alles beim Alten. Natürlich war die Versuchung groß, da noch mal an den Mastertapes rumzuschrauben, aber die Leute kennen die Songs so wie sie nun mal sind, und das soll auch so bleiben. Das wäre eh ein Fass ohne Boden. Ihr hattet im Herbst letzten Jahres ein Konzert in den USA gespielt. Wie waren die Reaktionen auf die dunklen Chansons aus dem alten Europa? Soweit ganz gut! Wir haben zahlreiche Unterstützer in den Staaten. Und die mögen halt diese „exotischen“ Europäer...irgendwie. Es war eine sehr schöne Reise. Wie hast du die USA erlebt? Ein Land im Aufbruch voller Obamanie oder eine Weltmacht im Niedergang? Nein, von einer Manie habe ich da nichts gesehen. Nur die respektloseste Presse und Berichterstattung, die ich je vernommen hab. Es gibt ja derzeit die heftige „Health-Care“-Diskussion ... mein lieber Herr Gesangsverein, wenn Peter Klöppel oder Gundula Gause in Deutschland derart mit Angie umspringen, wie die Amerikaner es mit Obama tun ... ei, ei, ei. Schlimmer als Italien! Was den Niedergang angeht, so kann man die Angst der Menschen deutlich spüren! Besonders in einem Land in dem es keinen Kündigungsschutz jedweder Art gibt. Martin Kreischer (c) der Fotos beim Copyrightinhaber.
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