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Marcus Stiglegger

Inquisition

 

1. Hinter Klostermauern

In mancher Hinsicht ist der sexuelle Wahn als Thema der Literatur mit einem anderen literarischen Thema vergleichbar, dessen Gültigkeit von weit weniger Menschen bestritten wird: mit dem Thema des religiösen Wahns.
Susan Sontag, „Die pornographische Phantasie“

Der Blick dahinter

Gemäß dem Wesen des Exploitationfilms, alle denkbaren Zwangssysteme dahingehend auszuwerten, wie viele Schauwerte sich aus ihnen gewinnen lassen, muß die geheimnisvolle, nur Eingeweihten zugängliche Welt des Klosters ein besonderes Faszinosum darstellen. Der sogenannte Nunsploitationfilm wagt einen „Blick dahinter“, der jedem passionierten Voyeur aus dem Herzen sprechen muß: unterdrückte Sexualität, Kontrolle, Machtmißbrauch, Strafen, Demütigung, Hilflosigkeit, Gefangenschaft. Analog zu den militärischen Männerbünden mit ihren entindividualisierenden Unterwerfungsritualen weckt die Welt der erzwungenen Keuschheit finstere Phantasien. Einem „Drang zum Bösen“ folgend resultiert die repressive, verschwiegene und verteufelte Sexualität in hemmungslosen Gewaltakten, oft auf perfide ausgeklügelte Weise an völlig wehrlosen Opfern ausgeübt. Zwei in den frühen siebziger Jahren äußerst populäre Strömungen des Exploitationfilms widmeten sich jenem historischen Übel, dessen Schatten auf die eine oder andere Weise noch heute - selbst in unserer Kultur - zu spüren ist: der Nonnenfilm oder „Nunsploitationfilm“ und der Hexenjägerfilm, analog etwa: „Witchploitation“. Ich möchte hier zunächst auf erstere Kategorie eingehen, wobei ich mich bemühe, alle erreichbaren und auch hierzulande verbreiteten Beispiele zumindest zu erwähnen.

Avert your eyes from the sky
The lies of god and the god of lies
And even forests once lush and green
Have the stench of murder and children’s screams

Sol Invictus, „Lex Talionis“


Die Inspiration

Die filmische Keimzelle des Nonnengenres liegt in zwei inzwischen klassischen Filmdramen: Robert Bressons LES ANGES DU PÉCHÉ (Engel der Sünde, F 1943) und LA RELIGIEUSE (Die Nonne, F 1965) von Jacques Rivette nach der gleichnamigen Erzählung von Denis Diderot. Bressons Geschichte einer Mörderin, die nach ihrer Entlassung aus dem Gefängnis Zuflucht im Kloster sucht, entwirft diese hermetische Welt des Glaubens als eine Art selbstgewähltes Gefängnis. Rivette geht mit seinem unterkühlt gespielten und schnörkellos gefilmten Melodrama nach dem großen antiklerikalen Roman aus dem 18. Jahrhundert noch weiter und nimmt das Kloster als eine Metapher für die restriktive Gesellschaft an sich. Auf Drängen ihrer Mutter wird die junge Suzanne Simonin (Anna Karina) gezwungen, den Nonneneid abzulegen, und das, obwohl sie immer wieder beteuert, sie sei für dieses Leben nicht erwählt. Ihre rebellische aber ehrliche Haltung führt zu Intrigen und Anfeindungen. Nach dem Tod der ihr wohlgesonnenen Mutter Oberin wird sie zur Ausgestoßenen: Sie ist unberührbar, wird in ihrer Zelle eingeschlossen, darf nicht mit den anderen beten und verwahrlost schließlich. Mit Mühe und nach einer entbehrungsreichen Zeit kann sie diesem Gefängnis entkommen und gerät in scheinbar gegenteilige Verhältnisse: Unter der Aufsicht einer sehr weltlichen, lesbischen Oberin (Lieselotte Pulver) wird sie mit erotischen Tändeleien und Eifersüchten konfrontiert, die wiederum einen Fluchtgedanken in ihr wecken. Die bittere Ironie des Schicksals will es schließlich, daß sie in der „freien“ Welt ausgerechnet in einem Bordell endet, was sie in den Selbstmord treibt. Rivettes Film treib ein diskretes Spiel mit dem Indirekten und schafft dennoch eine Atmosphäre aus Verblendung und Leid, daß einige seiner Bilder durchaus als Vorlage zu die Filme Ken Russells und Domenico Paoloellas gelten können.
Eine weitere literarische Quelle für sadomasochistische Nonneorgien verfaßte der Marquis de Sade höchstpersönlich mit seinem monumentalen Werk „Justine“, in dem er an der verworfenen Juliette und der tugendhaften Justine den Triumph des Lasters feiert. MARQUIS DE SADE’S JUSTINE (Marquis de Sade: Justine, GB / BRD / I 1968) von Jess Franco wagte einen ersten zaghaften Versuch, sich dem Stoff auf sehr verwässerte und letztlich harmlose Weise anzunähern. Bemerkenswert ist die Rahmenhandlung, die Klaus Kinski als de Sade in der Bastille beim Schreiben des Manuskripts zeigt. Eigenen Aussagen zufolge wurde Franco die Hauptdarstellerin Romina Power (!) von der Produktion aufgedrängt, was Francos Vorstellung sehr einschränkte. Die gottgerechte Justine konnte ihr Leid noch nicht adäquat entfalten. JUSTINE DE SADE (Justine - Lustschreie hinter Klostermauern, F / I / KAN 1971) von Claude Pierson hält sich näher an der Vorlage: Nach dem Tod ihres Vaters gehen die beiden Schwestern Justine (Alice Arno) und Juliette getrennte Wege. Während sich Juliette skrupellos und voll Genuß den Weg zum Erfolg „hochschläft“, fällt Justine auf ihrem Martyrium einem Gewalttäter nach dem anderen in die Hände: wegelagernde Banditen, notgeile Mönche und sadistische Adlige machen ihr das Leben schwer, bis sie schließlich von einem Blitz von ihrem Leid erlöst wird. Auch Claude Person ist sich sehr bewußt, daß es aussichtslos ist, die Rohheiten de Sades in Bilde umsetzen zu wollen. Er verläßt sich auf einen glatten Softpornostil, der zumindest einige gefällige und atmosphärische Tableaux hervorzaubert. Von Pasolinis eiskalter Sade-Adaption SALO (Die 120 Tage von Sodom, I / F 1976), die eine Ahnung von den destruktiven Gedankenbildern des Autors vermittelt, trennen diese Filme Welten. Schließlich ist CRUEL PASSION (Justine, grausame Leidenschaften, GB 1984) von Chris Boger mit Koo Stark ein langatmiger, schlampig inszenierter und oft unfreiwillig komischer Historiensoftporno, der nie wirklich weiß, in welche Richtung die Inszenierung zielt. Vermutlich handelt es sich dabei um eine Abschreibungsproduktion der Cannon-Film-Produktion, deren Logo im Vorspann selten Gutes verheißt. Immerhin kommt es hier zu einem Vergewaltigungsversuch an Juliette durch die Mutter Oberin. Justine wird am Ende von Hunden zerfleischt, wobei auch hier der Bildkader eher willkürlich pendelt und eine fast zynische Distanz zum vermeintlich tragischen Geschehen schafft.
Spätestens mit dem erfolgreichen Skandalfilm LA MONACA DI MONZA (Die Nonne von Monza, I 1969) von Eriprando Visconti war schließlich der Weg geebnet. Der Film berichtet mit den Mitteln des Kostümdramas von der historischen Geschichte der Virginia de Leyda (Anne Heywood), die im 17. Jahrhundert zur Priorin eines Klosters wird, den Adligen Osio (Hardy Krüger) zum Geliebten nimmt, von ihm ein Kind zur Welt bringt und schließlich zur Strafe lebendig eingemauert wird. Diese Strafe wurde speziell abtrünnigen religiösen Würdenträger(inne)n zugedacht und inspirierte ebenfalls einige weitere Verfilmungen, die ich noch erwähnen werde. Luchino Viscontis Neffe inszenierte diese Geschichte als leuchtend buntes Melodram, wobei er die drastischen Elemente - z.B. Virginias Vergewaltigung durch Osio - mit seinem Stilwillen deutlich glättet. Vielmehr dienten die nur scheinbar antikatholischen Motive nur dem Zweck, ein an sich langatmiges Melodrama exploitativ aufzuwerten. Der Regisseur schien jedoch nicht einmal zu ahnen, was Ken Russell mit einer vergleichsweise prominenteren Besetzung zwei Jahre später anrichten würde. Anne Heywood spielte ihre Rolle in den siebziger Jahren noch einmal, bewies jedoch bereits hier tragische Präsenz.
Obwohl sich der asiatische Raum vergleichsweise selten dem Klosterphänomen widmet, entstand mit TOKU GAWA ONNA KEIBATSUSHI (Tokugawa - gequälte Frauen, J 1968) von Teruo Ishii ein beachtlich stilsicher inszenierter Beitrag des japanischen Exploitationkinos. In einer der drei Episoden wird von lesbischer Lust und blutigen Intrigen in einem Kloster des 17. Jahrhunderts berichtet: Die lesbische Äbtissing beobachtet einen Mönch und eine Nonne beim Liebesspiel, stellt den Mönch zur Rede und verführt ihn. Schließlich will sie ihn zwingen, den Kontakt zur Geliebten abzubrechen, doch als er sich weigert läßt sie die junge Nonne zu Tode foltern und enthauptet den Mann, um ihn endlich für sich zu besitzen. Ishiis Film, der auch als SHOGUN’S JOY OF TORTURE bekannt ist, ist nur ein Beispiel einer ganzen Reihe, die sich der Untaten während des Tokugawa-Shogunats annimmt. Die Filme dieser Reihe zeichnen sich durch eine dichte historisch rekonstruierte Atmosphäre und außergewöhnlich überzeugend wirkende Folterszenen aus, was ihnen oft den Vorwurf der Gewaltpornografie einbrachte. Aus der Distanz betrachtet müssen sie jedoch als den meisten italienischen Produktionen überlegen gelten.
Wie einige der späteren Hexendramen basiert das aufwendige, exzentrisch inszenierte Klosterdrama THE DEVILS (Die Teufel, GB 1970) von Ken Russell neben Aldous Huxleys Roman „The Devils of Loudun“ („Die Teufel von Loudun“, 1952) auf Jules Michelets semihistorischem Bericht „La Sorcière“ („Die Hexe“, 1862), in dem nach alten Gerichtsakten die Geschichte der besessenen Nonnen von Loudun nachgezeichnet wurde. Michelet geht nicht nur davon aus, daß die Geschichte der Hexenverfolgung tatsächlich die Geschichte der Unterdrückung der Frau ist, er zeigt auch, wie sich der ursprünglich Naturglaube seinen Weg in die von der Außenwelt abgeschlossenen Klosterkomplexe suchte. Langeweile und sexuelle Frustration führten zu einer Aufgeschlossenheit für satanistische Untriebe und zu einer sexuellen Hysterie, die die Nonnen dazu brachte, sich den sexuellen Begierden ihrer männlichen Beichtväter und ihrer Ordensschwestern auszuliefern. Im Jahr 1633 wurde der Ortsgeistliche der französischen Gemeinde Loudun, Urbain Grandier (hier dargestellt von Oliver Reed), beschuldigt, die Nonnen des örtlichen Ursulinerinnenklosters behext zu haben: Er bereute seinen libertinen Lebenswandel, weigerte sich aber auch unter der Folter beharrlich, seine ketzerische Handlung zuzugeben. Im folgenden Jahr wird er öffentlich auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Russells Film vermittelt diese Ereignisse in Form eines bizarren Kaleidoskops, dessen Ausstattung von dem Avantgardefilmer Derek Jarman entworfen wurde, und konzentriert sich in seiner Fabel auf die bösartigen Intrigen der buckligen Oberin (Vanessa Redgrave), die Grandier aus verschmähter Liebe der Inquisition ausliefert. Eine weitere interessante Adaption dieses Stoffes bietet der polnische Film MATKA JOANNA OD ANIOLOW (Mutter Johanna von den Engeln, 1961) von Jerzy Kawalerowicz, der etwas dezenter als Russell vorgeht und auf behutsame Weise enthüllt, „wie Sexualtriebe, Schuldbewußtsein und Sadomasochismus in engem Zusammenhang stehen mit den Begriffen von Sünde und Dämonenaustreibung“ (Amos Vogel).
Der mexikanische Altmeister des filmischen Surrealismus’ Luis Bunuel, seines Zeichens Ketzer bis kurz vor seinen Tod, benutzte ebenfalls das Nonnenmotiv in einigen seiner teils episodenhaften Filme. In LA VOIE LACTÉE (Die Milchstraße, F 1969) z.B. läßt er einige Nonnen eine Ordensschwester kreuzigen. Ein weiterer Surrealist, Ado Kyrou, widmete sich mit LE MOINE (Der Mönch und die Frauen, F / I / BRD 1972) dem sakralen Thema: Hier verführt der Teufel (Nathalie Delon!) den Abt eines Klosters, Ambrosio (Franco Nero), zu sinnlichen Akten. Der Inquisition kann er nur durch einen Teufelspakt entgehen. Und tatsächlich: Schließlich kürt man ihn zum höchsten Würdenträger. Trotz der Drehbuchmitarbeit von Bunuel selbst gerät die etwas unsichere Inszenierung ins surreale Niemandsland. Auch Pier Paolo Pasolini widmete eine Episode von IL DECAMERON (Decameron, I / F 1971), dem ersten Teil seiner sexuell freizügigen „Trilogie des Lebens“, dem Leben hinter Klostermauern. Bei ihm geht es natürlich etwas vergnüglicher zu: Ein taubstummer Klostergärtner dient den Nonnen, nachdem seine Kräfte geschwunden sind, auf etwas „andere“ Weise. Auch hier wird deutlich, welch großen Einfluß gerade dieser Altmeister der italienischen Filmpoetik auf die Exploitationfilmproduktion seines Landes hatte. Immerhin kreierte er mit SALO (s.o.) den späten intellektuellen Prototyp des Lagerfilms, ein Umstand, der ihn wenig glücklich gemacht hätte...

Die Blasphemie bewahrt ihre Anziehungskraft, solange Gott als würdiger Gegner betrachtet wird. Das räumliche Nebeneinander von erotischem Bild und Wahrzeichen der Religion schafft die üblich Spannung schuldbewußten Vergnügens, die der Anblick des Verbotenen hervorruft.
Amos Vogel, „Film als subversive Kunst“

Nunsploitation

Es wird kaum verwundern, daß der seinerzeit äußerst produktive Altmeister der (S)Exploitation Jess Franco mit einem ersten Rip-Off des Nonnenthemas aufwartete. LOS DEMONIOS (Die Nonnen von Clichy, F / Portugal 1972), unter dem Namen Clifford Brown inszeniert, erinnert nicht nur vom Titel her an THE DEVILS. Auf der Schwelle zur Neuzeit trifft der Fluch einer von der Inquisition verbrannten Hexe das Kloster von Lissy. Ihre beiden Töchter, die gerissene Katherine (Anne Libert) und die schüchterne Margaret (Britt Nichols), leben dort in inniger Verbundenheit. Als die Mutter Oberin (Doris Thomas) auf Katherines Freude an der Masturbation aufmerksam wird, beschuldigt sie die Mädchen der Hexerei - unfähig mit den eigenen Begierden umzugehen. Katherine wird von der stellvertretenden Inquisitorin Madame de Winter (Karin Field) ihrer fehlenden Jungfräulichkeit überführt und gefoltert. Als Hexe soll sie sterben, doch Madame de Winters Ehemann (Howard Vernon) verliebt sich in sie und flieht mit ihr. Während Margaret tatsächlich mit dem Teufel paktiert und die Mutter Oberin durch Verführung in den Selbstmord treibt, wird das fliehende Paar von den Häschern des Großinquisitors Jeffries (John Foster) ergriffen und erneut gefoltert. Jeffries entpuppt sich als sexuell repressiver, sadistischer Charakter, der sich genüßlich an den gefesselten Marquis de Winter wendet: „Du hast die Freuden geteilt, teile jetzt auch die Leiden mit ihr.“ Franco bemüht das beliebte Modell der sexuellen Repression des Katholiken, die ohne Umweg in die Destruktivität mündet: „Die Tränen einer hübschen Frau sind für mich wie eine hübsche Melodie.“ Nachdem er Katherine mit falschen Versprechungen verführt hat, beschließt Madame de Winter die grausame Hinrichtung des Liebespaares im Rahmen ihres Festes. Margaret kann sich dort einschleichen, Madame de Winter töten und zusammen mit Marquis de Winter und ihrer Schwester fliehen. Als sie den Marquis per Hexerei in ein Skelett verwandelt, trennt sich ihre Schwester von ihr und denunziert sie. Margarets Hinrichtung fällt schließlich auch Jeffries zum Opfer... Von der fast zweistündigen Originalfassung ist hierzulande nicht viel übrig geblieben. Francos in düsteren Bildern inszenierte Nonnenrevue ergeht sich in langwierigen Verherrlichungen des weiblichen Körpers aus der Sicht des unersättlichen Voyeurs. Das Drehbuch ist mit einer Ökonomie entwickelt, die möglichst viel Raum für horizontale Betätigung läßt, sich jedoch gleichzeitig mit einer banalen Charaktermotivation begnügt. Im Gegensatz zu anderen Nonnenfilmen jener Zeit begeht Franco einen ungewöhnlichen Bruch: Die Existenz des Bösen wird nie bezweifelt; Margaret wird vom Teufel vergewaltigt und besitzt tatsächlich Zauberkräfte. LOS DEMONIOS ist einer der wenigen Nonnen/Hexen-Filme, die keinen Zweifel an der übernatürlichen Natur der Ereignisse lassen und damit die humanistische Botschaft der Vorgängerfilme, die die Umtriebe der Inquisition eher bloßstellen wollen, untergraben. Ähnliche Beiträge gab es im Hexenjäger-Genre, doch dazu demnächst mehr.
LE MONACHE DI SANT’ARCANGELO (Die Nonne von Verona, I 1973) von Domenico Paolella (unter dem dem Pseudonym Paolo Dominici) ist der erste von zwei historischen Ausstattungsfilmen dieses Regisseurs. Paolella nimmt insofern eine besondere Position im Rahmen des Nonnengenres ein, da es ihm gelungen ist, trotz zahlreicher - wenn auch vergleichsweise zahmer - exploitativer Sequenzen genügend Geld aufzutreiben, um diese Filme mühelos neben die Produktionen von Visconti und Russell zu stellen. In ruhigen Kamerafahrten durchstreifen seine voyeuristischen Reisen in die detailversessen restaurierte Vergangenheit stilvoll ausgeleuchtete Sets, in denen sich teils namhafte Darsteller den mittelalterlichen Intrigen hingeben. In LE MONACHE spielt Anne Heywood die machthungrige, lesbische Äbtissin Julia, die um jeden Preis Mutter Oberin des Klosters St. Angelo in Verona werden möchte. Die ältere Konkurrentin Mutter Lavignia wird langsam vergiftet, die jüngere Mutter Carmela kommt in den Klosterkerker, da sie einer Affäre als schuldig überführt wird. Zur gleichen Zeit kommt die junge Adlige Isabella (Ornella Muti) als Novizin nach St. Angelo, da sie einerseits von ihrem Geliebten Fernando ferngehalten werden soll, und andererseits ihr skrupelloser Onkel Don Carlos de Rivera sie so unter seine Kontrolle bringen will. Natürlich gelingt es allen Beteiligten, in unbeobachteten Momenten ihren Liebschaften nachzugehen, bis der ehrgeizige Vikar des Erzbischof eine Überprüfung der suspekten Zustände vornimmt und ein Tribunal einleitet. Zuvor gelingt es zwar Don Carlos, Isabella in seine Gewalt zu bringen, doch mit einer List gelingt es ihr, zusammen mit Fernando zu entkommen. Schließlich schlägt der Arm der Inquisition zu: Nach ausgiebiger Folter werden die Nonnen Julia, ihre Geliebte Kiara und die unkeusche Carmela verurteilt. Isabella wird von dem Gelübte entbunden. Während ihre Leidensgenossinnen unmäßige Gefängnisstrafen erhalten, wird Julia der Tod durch den Giftbecher befohlen. In einem letzten Akt der Rebellion prangert sie ein System an, dessen Mißstände sie ebenso zur Sünderin gemacht hätten, wie es auch der Erzbischof sei: „Ihr könnt meinen Leib vernichten, aber meine Seele gehört Gott. Jetzt endlich bin ich frei!“ Julias langer Gifttod unter Schrein und Krämpfen wird in quälender Intensität vorgeführt.
Der zweite Film, direkt im Anschluß produziert, heißt STORIA DI UNA MONACA DI CLAUSURA (Der Nonnenspiegel, BRD / F / I 1974) und dringt weiter in den Bereich des erotischen Films vor. Er beginnt wie sein Vorgänger mit historischen Holzschnitten, die dem Geschehen den Hauch des „Authentischen“, des „Verbürgten“ geben. Hier wird die Welt des Klosters mit all ihren Versatzstücken zum sexuellen Fetisch, vor allem der Akt des An- und Auskleidens wird zur sinnlich betrachteten Standardsituation. Explizite sexuelle Handlungen werden jedoch weiterhin verschlüsselt und eher indirekt (etwa über die Tonspur) suggeriert. Erzählt wird vom Schicksal der jungen Carmela (Eleonora Giorgi), die von ihrem erbosten Vater ins Kloster geschickt wird, als sie statt ihres versprochenen Ehemannes einen anderen Geliebten vorzieht. Die Novizin wird zum begehrten sexuellen Objekt zweier lesbischer Nonnen, der zärtlichen Oberin (Catherine Spaak) und der hintertriebenen, frivolen Elisabetha. Letztere ermöglicht Carmela ein Rendezvous mit ihrem Geliebten, um deren Gunst zu gewinnen. Als Carmela Elisabetha jedoch verdeutlicht, daß sie keinerlei Begehren für sie empfindet, entfesselt diese eine Intrige, der Carmelas Geliebter zum Opfer fällt. Statt sich jedoch vor Gram zu töten, wie sie zunächst androht, bringt Carmela dessen Kind zur Welt. Als die Inquisition auf ihren Plan tritt, verteidigen die Nonnen ihre Gefährtin, indem sie alle behaupten, die Mutter zu sein. Carmela - nun tatsächlich zu Gottes Dienerin gereift - gelingt schließlich die Flucht in die Freiheit, doch eine erbarmunglose Schlußtafel informiert, daß sie bereits ein Jahr später der Pest zu Opfer fallen würde. Unter den exploitativen Nonnenfilmen nimmt STORIA einen eher versöhnlichen Rang ein, hält sich sogar mit antiklerikaler Polemik weitgehend zurück. Eine Glaubenskrise findet nicht statt, alle Konflikte werden ins Reich privater Obsessionen projiziert. Beide Filme von Paolella üben auch heute noch angesichts ihrer geradlinigen, glatten Inszenierung und soliden Besetzung einen gewissen Reiz aus, baden jedoch bei näherer Betrachtung ähnlich wie Eriprando Viscontis Vorgänger letztlich in Kitsch und Schlüpfrigkeiten. Selbst bei den Folterszenen gelingt es Paolella, der Atmosphäre einen gepflegten Gothic-Charme abzugewinnen. Einige der trennscharf ausgeleuchteten, fast surrealen Sets mit ihren erlesenen Sepia-Farben werden bleiben...
Gerade FLAVIA LA MONACA MUSSULMANA (Castigata, die Gezüchtigte / Nonnen bis aufs Blut gequält / Nonnen - lebendig gehäutet, I 1974) von Flavio Mingozzi unter die Exploitationfilme einzureihen, mutet rückblickend etwas ungerecht an. Mingozzi war ursprünglich engagierter Dokumentarfilmer und verbindet offensichtlich auch mit der Nonnenthematik seines ersten großen Spielfilms ein deutliches politisches Bewußtsein. FLAVIA ist der formal rauhste und inhaltlich radikalste Film seiner Art: Mit seinen körnigen, monochromen Montagefolgen anstrengender Nahaufnahmen - tatsächlich erzählt er viel über die Gesichter seiner Protagonisten - steht er eher in der Tradition der Ethnodramen Pier Paolo Pasolinis (MEDEA) und des neuen Surrealisten Fernando Arabal (VIVA LA MUERTE), von denen er auch die schockierende Konfrontationsästhetik seiner Schlüsselszenen übernimmt. FLAVIA spielt im italienischen 15. Jahrhundert: Die Muselmanen überfallen die Küstenstadt Otranto und metzeln dort über 800 Menschen nieder. Das Ereignis ist als das „Martyrium der 800 von Otranto“ bekannt. Erzählt wird aus der Sicht der unfreiwilligen Nonne Flavia (Florinda Bolkan), die von ihrem Vater, dem Inquisitor Don Diego, ins Kloster gezwungen wurde. Rebellisch hinterfragt sie permanent die Werte, die ihr dort vermittelt werden: Warum soll Gott ein Mann sein? Mehrfach halluziniert sie, daß ein Wandgemälde lebendig wird: Ein Muselmane, den ihr Vater einst vor ihren Augen enthauptet hatte, lockt sie zu sich. Mehr und mehr identifiziert sie sich mit Lilith, Adams verstoßener erster Frau. Agatha, eine ältere und vermutlich lesbische Nonne, übt durch lange Gespräche Einfluß auf sie. Sie sagt, die Nonnen könnten im Kloster an Macht gewinnen, da sie dort vor deren Zugriff sicher seien. Der Irrtum dieser Annahme wird Flavia wenig später deutlich. Ein Scherge ihres Vaters vergewaltigt eine der Nonnen in einem Schweinestall. Statt den Schuldigen zu bestrafen, wird die „zügellose“ junge Frau mit Blei und Zangen zu Tode gefoltert. Flavia flieht zusammen mit Abraham, einem jüdischen Freund, doch die Häscher ihres Vaters holen beide zurück und peitschen sie. Einige Zeit später kommen Schiffe im Hafen an, die die Schwarze Madonna mit sich führen. Zu spät erkennen die Einwohner von Otranto, daß es sich um ein Täuschungsmanöver der Muselmanen handelt. Als der Überfall beginnt, solidarisiert sich Flavia mit dem Anführer, in dem sie die Vision aus ihrem Wandgemälde zu erkennen glaubt. Nach einer Liebesnacht beschließt sie einen Plan, um die Nonnen zu retten. Sie setzt die Frauen und die Soldaten unter Drogen, auf daß sie sich in einer wilden Orgie ausleben. Doch die einfache Philosophie „Sex statt Krieg“ geht nicht auf: Am nächsten Morgen sind alle Frauen brutal massakriert worden. Flavia legt desillusioniert die feindliche Rüstung an und hilft bei der Exekution ihres Vaters mit den Worten: „Jetzt bezahlst Du dafür, daß Du mich in eine von Männern dominierte Welt gesetzt hast.“ Der fremde Heerführer macht sie zu seiner Haremsfrau, was in Flavia Erinnerungen an ihre Eingliederung in den Konvent weckt. Als die Muselmanen abziehen, bleibt sie in den Händen der überlebenden katholischen Soldaten zurück. Am Strand wird sie rituell entkleidet und lebendig gehäutet. Immer wieder wird betont, dieser Film ertränke seine feministischen Ambitionen in einem Meer von Blut und Sperma, ich würde FLAVIA jedoch als einen bewußt ambivalenten, streckenweise delirierenden Film beschreiben, dessen Überdeutlichkeit gerade keinen kathartischen Charakter hat. Die Folterung der jungen Nonne, der die Brustwarze abgeschnitten wird, die spätere Orgie zu Füßen der bereits gekreuzigten Frauen, die nackte Nonne, die sich in den Bauch einer ausgeweideten Rinderleiche zurückzieht...all das sind Bilde ohne befreienden Charakter. Auch Florinda Bolkans oft fassungslos starrender Blick wirkt nach: All ihre Bemühungen müssen an einer durchweg korrumpierten, vom Machismo dominierten Welt scheitern. Die erhoffte Liebe kann sie nicht finden, so bleibt der schmerzerfüllt Schrei bei ihrer Hinrichtung - auch dies deutlich ins Bild gerückt - die einzige und letzte extrovertierte Gefühlsäußerung. FLAVIA ist ein bitteres, schwer verdauliches Dokument humanen Scheiterns.
LIEBESBRIEFE EINER PORTUGISISCHEN NONNE (BRD 1976) von Jess Franco basiert wiederum auf einer literarischen Vorlage, den gleichnamigen Briefen der Schwester Mariana Alcoforado (1640-1723). Kurz davor hatte übrigens der spanische Horrorfilmspezialist Jordi (= Jorge) Grau eine Version des selben Stoffes mit Lina Romay in einer Nebenrolle inszeniert. Francos Version zumindest ist ein für seine Verhältnisse sehr gepflegt inszenierter, fast atmosphärischer Film, mit gleitender Ruhe von Peter Baumgartner gefilmt und mit einschmeichelnder Musik unterlegt. Erzählt wird - nicht sehr nah an der Vorlage - von dem jungen Mädchen Marie (Susan Hemingway), das von dem dubiosen Pater Vinzenz (William Berger) ins Kloster geschafft wird, angeblich, um sie vor den drohenden Sünden zu bewahren. Die alte, charakterschwache Mutter gibt ihr Geld und den Segen noch dazu. Die Mutter Oberin, die eine eindeutig sexuelle Zuneigung zu Marie faßt, entpuppt sich als Hohepriesterin eines Satanskultes, den sie zusammen mit Vinzenz im Kloster praktiziert. Das unschuldige Mädchen wird schweren körperlichen Strafen unterzogen und schließlich zur potentiellen Mutter eines satanischen Kindes erkoren, das Vinzenz, der „Stellvertreter“, mit ihr zeugen will. Maries Flucht führt sie erneut in die Hände der Oberin, die das ungehorsame Mädchen der Inquisition ausliefert. Auf ihre Hinrichtung wartend schreibt Marie einen Brief an Gott und wirft ihn aus ihrem Verlies. Der portugiesische Regent, der ihn findet, schreitet im letzten Moment zur Tat. Marie wird leben. Francos dritter Beitrag zum Nonnengenre bietet einen gepflegten, visuell geschönten Sadismus, der Maries Tortur als morbid-erotisches Ereignis verkaufen möchte. LIEBESBRIEFE bestätigt nicht zuletzt durch seine stilistische Glätte alle Vorurteile gegen diese Spielart: Er präsentiert das Martyrium als gruseligen Erotizismus, wobei er den kirchenkritischen Gestus schützend vor sich hält - anders als der launische LOS DEMONIOS. Einmal mehr ist es die vielbeschworene sexuelle Repression, die für die Untaten der Klosterleute verantwortlich gemacht wird, von je her das simpelste narrative Alibi für sadistische Ausschreitungen im Film. CARTAS DE AMOR DE UNA MONJA (1976) von Jordi Grau unterscheidet sich radikal von Francos zwar stilvoller aber typisch exploitativer Aufarbeitung. Es war wohl die Idee des Produzenten Erwin C. Dietrich, die literarische Quelle lediglich als vagen Stichwortgeber zu nutzen. Graus Film dagegen bemüht sich um eine sehr genaue Rekonstruktion des Klosteralltags um 1640. Er erzählt von den seelischen Qualen der Entbehrung, die die Protagonistin Madre Marianna de la Cruz (Analia Gade) - hier weit älter als in Francos Version - auf sehr unterschiedliche Weise zu kompensieren versucht. Nachdem sie die sexuellen Avancen der Novizin Maria (Lina Romay) abgewehrt hat, läßt sie sich mit einem Priester ein. Die Erlebnisse, Wünsche und Träume verarbeitet sie in imaginären Briefen an Gott. Zum tragischen Schluß wird sie bei einem Vergewaltigungsversuch durch den korrupten Don Rojas schwer mit einem Messer verletzt und stirbt. Graus stimmungsvolle, schattenreiche Bildgestaltung und das an historischer Musik orientierte Leitmotiv geben dem Film einem schicksalsschweren und in ihrer Elegie fast meditativen Charakter. Durch das langsame Erzähltempo und minimal eingesetzte Affektmomente entzieht sich Graus Film elegant dem exploitativen Bereich, hat aber außer einem langen Atem oft wenig zu bieten.
Etwas komplexer ist der fröhlich-frivole INTERNO DI UN CONVENTO (Unmoralische Novizinnen, I 1977) von Walerian Borowczyk, der nach Motiven aus „Promenades Romanes“ von Stendhal entstand. Borowczyks Ruf als stilvoller
Sexfilmer basierte damals vor allem auf dem Erfolg von CONTES IMMORAUX (Unmoralische Geschichten, F 1973), einem Episodenfilm, der teilweise die Mixtur aus Softcore-Erotik und Kostümdrama vorwegnahm. In INTERNO beschreibt er - wie der Titel bereits vorgibt - den Alltag einiger junger Nonnen, die in ihrem Kloster unter der Vorherrschaft einer gealterter Mutter Oberin (Gabriella Giacobbe) zu leiden haben. Wie in seiner vorangehenden Filmen schildert der Regisseur die Kraft der Sexualität als eine trotz massiver Restriktionen immer wiederkehrende, nach Veräußerlichung drängende Energie. Die jungen Nonnen nutzen jede Chance auf Zerstreuung, musizieren, tanzen und tauschen lesbische Zärtlichkeiten aus, immer vom wütenden Eingreifen der Oberin bedroht. Der Film hat einige Mühe, die kurzen Episoden in eine durchaus vorhandene stringente Handlung einzubinden und schaffte es unglücklicherweise nie, eine Spannungskurve aufzubauen. Neben den Bemühungen der Oberin, zusammen mit Vater Luigi dem libertinen Treiben Einhalt zu gebieten, bemüht sich der Film, die Heuchelei des Klostersystems zu pointieren: In einem abgelegenen Gebäudeteil wird eine schwangere Nonne versteckt gehalten. Borowczyks meist handgehaltene, unruhige Kamera pendelt und kreist um die masturbierenden Nonnen, fängt hier eine entblößte Brust, dort für Momente sichtbare Schamlippen ein, um auch vor schockierenden Details keinen Halt zu machen: Als die Oberin sie überrascht, spült eine der Nonnen das Blut von ihrem selbstgeschnitzten Holzdildo. Borowczyk nutzt jede Chance, restriktive Sexualmoral und die Falschheit christlicher Konvente gleichermaßen bloßzustellen. Niemand hat je festgestellt wie nah er dabei Tinto Brass’ etwas unausgegorenen politischen Bemühungen steht. Das inquisitorische Moment ist hier allenfalls latent vorhanden - verkörpert durch die ewig lauernde, spionierende Mutter Oberin -, dennoch kann INTERNO DI UN CONVENTO angesichts seiner ambitionierten visuellen Poesie als einer der stilistisch geschlossensten Nunsploitationfilme gewertet werden.
Wie viele Exploitationfilmreihen näherte sich auch der Nonnenkomplex mit den ausgehenden siebziger Jahren seinem Ende. Der lesbische Sexfilm SUORE EMMANUELLE (Die Nonne und das Biest, I 1978) mit Laura Gemser (natürlich als Emmanuelle), von Giuseppe Vari unter dem Namen Joseph Warren inszeniert, kann als bescheidener Nachtrag verstanden werden. SUOR OMICIDI (Geständnis einer Nonne, I 1978) von Giulio Berruti andererseits beschäftigt sich in Form eines zeitgenössischen Psychothrillers mit einer psychopathischen Killernonne; auch hier kommt es zu sexploitativen und grausamen Momenten, doch sowohl Intention als auch Inszenierung haben mit dem historischen Nonnendrama nichts zu tun. Lediglich der Flirt mit der Blasphemie hat seinen Reiz offenbar noch nicht verloren - vor allem im katholischen Italien.

The nun is a troubling figure, because she wields much emotional power without any tangible authority. She cannot bless the Eucharist or hear confession, but she can make You feel damned for all eternity. She is the bride of Christ but bears no fruit. It is with these dichotomies that these films wrestle.
Sabrina Fontaine Kaleta, „Holy Disorder“


Das letzte Wort

Die achtziger Jahre sind von den letzten Versuchen der italienischen Filmindustrie geprägt, noch einmal an die lukrative Geldquelle, die der Exploitationfilm darstellte, anzuknüpfen. Remakes, Wiederholungen und oft unsinnige Variationen waren an der Tagesordnung. In diese Wiederbelebungskategorie fällt etwa das Werk eines Regisseurs, der noch heute - allerdings im Bereich des Pornofilms - immer wieder die selben bekannten Szenarien verarbeitet: IMMAGINI DI UN CONVENTO (I 1979) von Aristide Massaccesi, d.i. Joe D’Amato. Obwohl Massaccesi durch seine vielseitige Funktion als Regisseur, Autor und Kameramann eine niedere Form des Autorenfilms vertritt, läßt sich gerade in den letzten Jahren immer weniger zu seiner eventuellen Ehrenrettung sagen. In diesem DEVILS-Nachzieher geht es um ein Kloster, dessen Nonnen von einer dämonischen Statue besessen sind. Genug Vorwand also für zügellose Orgien, bis ein Priester durch Exorzismus der Statue die Nonnen von ihrem libertinen Geist befreien kann. Wie noch in den meisten seiner Filme der siebziger Jahre hat auch dieser Film D’Amatos Sequenzen, die ihn als ähnlich besessen und fetischistisch wie Jess Franco erscheinen lassen und dem Film durchaus einen erotischen Charme verleihen, eine Tendenz, die vor allem in den letzten zehn Jahren aus seinen Filmen völlig verschwunden ist. Mit dem expliziten Sex seiner letzten Pornos ist jede gestalterische Originaltät überflüssig geworden; Erotik wird nicht mehr beschworen, sie wird erzwungen.
Zwei Jahre später widmete sich der durchaus ähnlich uninspirierte Sleaze-Filmer Bruno Mattei unter dem Pseudonym Stefan Oblowsky zweimal dem Nonnengenre. Sein erster Beitrag ist LA VERA STORIA DELLA MONACA DI MONZA (Das süße Leben der Nonne von Monza, I 1981), eine im besten Falle pragmatisch zu nennende Softcore-Version dieses Stoffes. Der deutsche Titel mutet eher zynisch an, läßt er doch eine Komödie dahinter vermuten, doch Mattei steht der Sinn nach Nacktszenen, simuliertem Sex, Demütigungen und Auspeitschungen. Die junge Adlige Virginia (Zora Kerowa) wird auf Geheiß ihres Vaters ins Kloster gebracht. Nach einigen Demütigungen durch die Oberin kann sie jedoch überraschend ihre Position sichern: Ihr Vater stirbt und sie wird selbst zur Mutter Oberin, zur „Nonne von Monza“. Ein junger Adliger, Osio, wird auf sie aufmerksam und versucht, sie mit Hilfe des Priesters Don Arrigone (Mario Cutini) zu verführen. Das wird durch ihre lüsternen Phantasien zunächst begünstigt, dennoch wird sie von ihrem Verehrer schließlich im Chorgestühl vergewaltigt. Dieses grobe Handlungsgerüst liefert den Vorwand für reißerische Episoden, die von Mattei mit plumper Hand und voyeuristisch schwenkender Kamera in Szene gesetzt werden. Zu Beginn sieht man die Pferdekopulation aus Borowczyks LA BETE, grob in das neue Material integriert, dann kommt es zu einer Karnevalsorgie mit viel simuliertem Gebalge und Gestöhne, bis der Priester, der sich als Luzifer verkleidet hat, zum Tableau ruft: Alle Orgienteinehmer sollen sich auf der Festtafel vergnügen, was plötzlich zu einer erstaunlichen Ideenlosigkeit unter den Beteiligten führt. Eine ältere Schwester wird mit Knochenkrebs in eine Kellerzelle abgeschoben, wo sie sehr bald von Ratten vertilgt wird. Zu den amüsanten Szenen gehört die Sequenz, in der ein noch immer satanisch gekleideter Priester Virginias Beichte abnimmt, um sie danach sexuell zu belästigen. Nachdem sich Virginia auf eine Liaison mit ihrem Vergewaltiger (!) Osio eingelassen hat und wenig später schwanger ist, stürzt die Dramaturgie des Films ab. Laster und Fröhlichkeit halten Einzug ins Kloster von Monza: Eine Viererorgie läßt die verklemmte Triole aus John MacNaughtons WILD THINGS vor Neid erblassen. Als Virginia ein totes Baby zur Welt bringt, nimmt das Geschehen unweigerlich einen düsteren Verlauf. Osio nimmt sich mit der Novizin Margherita eine neue Geliebte, und Virginia entsagt seiner Liebe. Osio beugt dem Verrat durch Margherita vor, indem er sie erschlägt, doch das System ist bereits in der Auflösung begriffen: Die Inquisition tritt auf ihren Plan. In einem spontanen Tribunal wird das Verbrechen aufgedeckt, Osio zum Tode verurteilt, Arrigone zu zwei Jahren Kerker verdammt und Virginia wird lebendig eingemauert. Wie Matteis KZ 9 - LAGER DI STERMINO (1976) kann man auch diesem Film einige atmosphärisch dichte Momente nicht absprechen, letztlich vereinigt auch er sämtliche Vorurteile. Ähnliches gilt für den Killernonnen-Horrofilm L’ALTRO INFERNO (I 1981), den er gleich im Anschluß inszenierte.
Auch Luciano Odorisio widmete sich dem klassischen Motiv der vergewaltigten und eingemauerten Nonne von Monza in LA MONACA DI MONZA (The Devils of Monza, 1986), eine erstaunlich anachronistische Aufbereitung mit der bezaubernden Myriem Roussel in der Titelrolle, die in der drastisch-sexistisch inszenierten Vergewaltigungssequenz durch Osio deutlich an die Sexploitation der siebziger Jahre anschließt.
Eine letzte Erinnerung an Domenico Paolellas Ausstattungsdramen wird in STEALING HEAVEN (Zeit der Dunkelheit, GB / Jugoslawien 1987), von Clive Donner nach einem melodramatischen Roman von Marion Meade inszeniert, wach. Im 12. Jahrhundert lernt der gelehrte Prediger Abelard (Derek de Lint) in Paris die junge Heloise (Kim Thompson) kennen und lieben. Lange können sie ihr Verhältnis geheim halten, doch schließlich wird Abelard überführt, kastriert und in ein Kloster gebracht. Jahre kann er nur brieflich mit seiner Geliebten kommunizieren, bis er sie später - zu spät - wiedertrifft. Wie Paolellas Filme bleibt Donners Film trotzt dichter Atmosphäre im trivialen Bereich, was u.a. dazu führte, daß ihn der Verleih als Fortsetzung von STORIA DI UNA MONACA DI CLAUSURA ausgab.
Zwei qualitativ sehr unterschiedliche Nonnenhorrorfilme läuteten die Neunziger Jahre ein. DEMONIA (I 1990) von Lucio Fulci reiht sich nahtlos in dessen oft unfreiwillig komisches Spätwerk ein. In dieser unbeholfenen Gothic-Fantasy mit Splattereinlagen geht es um den Fluch einiger im Mittelalter gekreuzigter Nonnen in einer kleinen sizilianischen Gemeinde. Die englisch-russische Koproduktion DARK WATERS (GB / Rußland 1993), der Debütfilm von Mariano Baino, hingegen entwickelt seine okkulte Fabel wesentlich stilsicherer und schließt in seinen finsteren Momenten nahtlos an Michele Soavis Gothic-Chiller LA CHIESA (The Church, Italien 1990) an. Die junge Frau, die hier auf der Suche nach den Geheimnissen der Vergangenheit feststellt, daß sie selbst zu den Wächterinnen am Tor zur Hölle gehört - und schon immer gehörte - sieht sich mit einer Reihe unheimlicher, skrupellos mordender Kirchenschwestern konfrontiert, die von Ferne die Schatten der intriganten Siebziger-Jahre-Nonnen tragen. Doch strenggenommen erzählt der junge Regisseur hier eher THE SENTIEL (Hexensabbat, USA 1977) von Michael Winner mit den Mitteln Dario Argentos neu.
In den achtziger Jahren fand die Nunsploitation - abgesehen von einigen Nachziehern - ein vorhersehbares Ende. Die große Zeit des Aufbegehrens war vorbei, die mediterrane Filmwirtschaft zu Boden gewirtschaftet. Amerikanische A- und B-Produktionen beherrschten Kino- und Videolandschaft. Lediglich im pornografischen Film rekurrieren Regisseure immer wieder auf das längst enttabuisierte Klosterthema, jedoch lediglich, um dem ausgemolkenen Rein-raus-Spiel eine neue pittoreske Spielwiese zu ermöglichen. Vorbei ist die Rebellion im weißen Schleier... auch wenn die Klagen der Gezüchtigten nie verhallen werden...


2. Hexenwahn und Ketzerjagd

Finsternis bedeckt die Erde, / und das Volk liegt im Schlaf, / doch warum es schläft, / darauf gibt niemand eine Antwort. / Und sein Erwachen wird so dumpf sein / wie sein Schlaf.
Adam Mickiewicz, „Ahnenfeier, III. Teil“

So ist dem Haß kein Tod beschieden: virulent und vital wie das Leben selbst, begleitet er das Leben und gehört zum ihm wie der Schweif zum Kometen.
Jerzy Kosinski, „Der bemalte Vogel“

„Was wird mir vorgeworfen?“

Wie der Nonnenfilm mit Denis Diderots „La Religieuse“ hat auch der Hexenfilm eine literarische Quelle: Jules Michelets „La Sorcière“ („Die Hexe“, 1862). Frankreichs berühmter Historiker vollzieht in diesem Buch die Geschichte der Hexenverfolgung von dem Ende des Naturglaubens bis zu den Anfängen der französischen Revolution nach, wobei er sich eines oft romanhaften Prosastils bedient, der historische Ereignisse in persönlichen Schicksalen auflöst. Dabei vertritt er für die damalige zeit revolutionäre Thesen: Er bezeichnet die Verfolgung der Hexen als deutlichsten Ausdruck für die jahrhundertelange Unterdrückung der Frau und assoziiert den Naturglauben weniger mit der Dekadenz gelangweilter Aristokraten und frustrierter Geistlicher, als mit der Verzweiflung der unteren Gesellschaftsschichten, die angesichts ihrer Ausbeutung selbst in der Hölle einen lukrativen Zufluchtsort sahen. So streitbar Michelets Thesen im Einzelnen sein mögen, so bleibt sein Buch eine der stilistisch geschlossensten und intensivsten Anklagen gegen die Verbrechen einer sich selbst als zivilisiert definierenden Gesellschaft.
Übrigens sollte der antichristliche mittelalterliche Satanismus, auf den auch die Nonnenfilme immer wieder anspielen nicht mit dem libertinen, dekadenten Satanismus der Schwarzen Romantik des späten neunzehnten Jahrhunderts verwechselt werden, wie ihn u.a. Charles Baudelaire in einigen Gedichten und Joris Huysmans in seinem dekadenten Roman „La bas“ („Ganz unten“) beschreiben. Der moderne Satanismus der kalifornischen „Church of Satan“, deren Gründer Anton Szandor LaVey letztes Jahr verstorben ist, ist wiederum eine andere Kategorie: Dort handelt es sich um eine streng materialistischen und hedonistischen Kult, der auf eine pragmatische Optimierung des individuellen Vorteils abzielt. Der Satanismus, dem wir in den Nonnen- und Hexenfilmen begegnen, muß demnach entweder als antichristliche - und demnach noch immer christliche - Protestbewegung gewertet werden, oder aber tatsächlich als schleichende Revolution der Unterschicht, wie Michelet es definiert.


Eure Ideen sind grauenerregend, eure Herzen schwach. Eure dem Mitleid und der Grausamkeit entsprungenen Taten sind absurd; eine Hast eignet ihnen, als wären sie unwiderstehlich. Zuletzt wird eure Angst vor dem Blut immer größer. Vor dem Blut und der Zeit.
Paul Valéry

„Wir werden schon etwas finden!“ Die Jagd beginnt

1920 gab die Hexerei im Film ihren spektakulären Einstieg. Lange als verschollen gewertet, gilt Benjamin Christensens episodenhafter „Lehrfilm“ HÄXAN (Hexen) heute als kleines Kabinettstück expressionistischen Horrors. In einer drei-Akte-Struktur thematisiert der Film die Geschichte und Phänomenologie der Hexerei. Teil eins gibt eine kulturhistorische Einführung, zwei setzt die angeführten Beispiele in kleine Spielszenen um und in Teil drei wird eine psychologische Deutung versucht. Mit bizarrem Schattenspiel und an Hieronimus Bosch erinnernden Details wird vor allem in Teil zwei ein bizarres Horrorszenario entworfen: Pakte mit dem Teufel, Anmischen von Naturmedizin, Flüche und Zauberei. Dabei wirkt der Film in seiner freimütigen Fabulierkunst natürlich wesentlich mehr verschleiernd als erhellend. Schon in den zwanziger Jahren schien ein historisches Szenario Grund genug für offene Nacktszenen und Grausamkeiten zu sein.
Das nüchtern stilisierte Drama DIES IRAE (Tag der Rache, Dänemark 1943) von Carl Theodor Dreyer erzählt wesentlich dezenter vom Schicksal einer dänischen Pfarrersfamilie im Dänemark des 17. Jahrhunderts. Ein Pfarrer gerät in emotionale Konflikte, als er eine alte, der Hexerei überführte Frau verbrennen läßt, in deren Stiefsohn sich seine junge Frau verliebt. Der Film erreicht seinen Höhepunkt, als der junge Martin selbst seine Geliebte verdächtigt, der Hexerei schuldig zu sein und sie zwingt zu schwören. Der Film verweist hier radikal auf eines der grundlegenden Motive der Gesellschaft für die Inquisition: die Angst und die Unsicherheit. Der Hexenwahn wurde aus der Angst des Abendlandes vor dem religiös heraufbeschworenen Mysterium „Frau“ geschaffen. Die Mythifizierung der Frau und Stilisierung zur Madonna resultierte in einer tödlichen Misogynie. Die Impotenz der Männer wurde in die entmachtete, gefangene Frau zurück projiziert. Wie in allen „Folterkulturen“ begreift sich der Folterer als Vertreter des Wahren und Reinen. Er ist eine Mischung aus Paranoiker und Moralist.
GALILEO (Galileo Galilei, Italien / Bulgarien, 1968) beschwört den Wissenschaftler und Astronomen Galilei als eine progressive Kraft, die der Kirche ein Dorn im Auge wird und sich zu Beginn des siebzehnten Jahrhunderts vor der Inquisition für seine revolutionären, „gottlosen“ Thesen verantworten muß. Vergleichbar politisch, aber mit einer deutlichen Freude an Farbe und Form inszenierte die italienische Regisseurin Liliana Cavani (siehe das Porträt in SI Nr. 25) ihren ersten Kinofilm, der vor allem durch die Musik Ennio Morricones, die er noch einmal in GIORDANO BRUNO (1974) verwendete, den Hauch der rußschweren, fanatisierten Luft der Geschichte atmet. Der Bezug zwischen beiden Filmen liegt auf der Hand: Nach seiner Begegnung mit Giordano Bruno im Jahr 1592 ist Galileo überzeugt, daß die Sonne, und nicht die Erde, der Mittelpunkt des Universums ist. Für die Kirche ist diese Erkenntnis Ketzerei. Sie verhindert Galileos weitere Forschung und zwingt ihn, 1633 vor einem Inquisitionsgericht eine feierliche Abschwörung zu unterzeichnen. Für die Regisseurin verkörpert dieser Prozeß den Kampf des Einzelnen innerhalb eines diktatorischen Systems. 1970 wurden folglich einige Sequenzen aus Cavanis Film in die antiklerikale Polemik KETZER von Horst Manfred Adloff integriert, der in dieser Mischung aus Dokumentarmaterial und Spielszenen „2000 Jahre Folter, Mord und Unterdrückung im Namen der Kirche“ anprangert.
Der 1968 inszenierte Historienfilm BEATRICE CENCI (Die Nackte und der Kardinal, Italien) von Lucio Fulci zählte zu den persönlichen Lieblingsfilmen des Regisseurs. Tatsächlich scheint er dessen kreativste Phase einzuleiten, die bis 1982 anhielt. Der aufwendig ausgestattete Film wartet mit atmosphärischen, kontrastreichen Tableaux auf und präsentiert bereits alle Stilmerkmale eines Fulci-Films der siebziger Jahre: unruhige Handkamera, Zooms, Schärfeverlagerungen sowie häufig innere Montage durch Tiefenschärfe. Die historische Geschichte vom tragischen Schicksal der Familie Cenci im Rom der Renaissance dient als Anlaß für ein episch ausgebreitetes Folter- und Hinrichtungsszenario, dessen Sympathieträgerin die fälschlich des Vatermordes angeklagte junge Schönheit Beatrice Cenci ist. Sie erschlug ihren Vater, einen rücksichtslosen Lebemann, nachdem er sie vergewaltigt hatte. Großzügig schwenkt Fulci mit der Kamera hautnah über geschändete, verstümmelte und verbrannte Körper, zeigt die Zeugenschaft der Agonie, wie überhaupt das Sehen, Befehlen und Erleiden von Schmerz die einzigen Themen des Films sind. Fulci war kein Mann der leisen Töne, so sucht er stets nach den prägnantesten Worten, den deutlichsten Kontrasten: Wie sein Psychothriller NON SI SERVIZIO UN PAPERINO (1972), in dem aus der Inquisition ein bürgerlicher Lynchmob wird, beginnt BEATRICE CENCI mit einem klagenden Kindergesang, zu dem sich die Kunde von der bevorstehenden Hinrichtung verbreitet.
THE WITCHFINDER GENERAL (Der Hexenjäger, GB 1968) von Michael Reeves, in Amerika nach der Edgar Allen Poe-Story THE CONQUEROR WORM benannt, kann nicht nur auf Grund seines Titels als eigentlicher Ursprung der Hexenjäger-Welle gelten. In ausgewaschenen Farben - nur das leuchtende Rot der Uniformen und des Blutes bildet nahezu störende Akzente - erzählt der Filme zu einer traurigen Gitarrenmelodie die Geschichte eines jungen Liebespaares, das im krisengeschüttelten England unter Oliver Cromwell (1645) in einen blutigen Konflikt mit der Inquisition gerät. Der professionelle Hexenjägergeneral Matthew Hopkins (Vincent Price) durchstreift das Land auf der Suche nach Folter- und Hinrichtungsopfern, die ihm gutes Geld bringen. In der Ortschaft Brandiston foltert er den der Hexerei bezichtigten liberalen Pastor, bis ihn seine Tochter Sarah gegen sexuelle Dienste freikaufen will. Hopkins geht zunächst darauf ein, läßt den alten Mann allerdings einkerkern. Als ein Folterknecht Sarah vergewaltigt, verliert Hopkins das Interesse an ihr und läßt den Pastor erhängen. Sarahs Verlobter Richard, Soldat im Dienste Cromwells, erfährt vom tragischen Schicksal der Geliebten und versucht sie zu befreien. Hopkins kann ihm allerdings zuvor kommen und stellt dem Pärchen eine Falle. In der Folterkammer erfüllt sich das Schicksal der Protagonisten in Blutrausch und Wahnsinn. Während Richard Hopkins mit einer Axt tötet, bricht Sarah in verzweifelte Schreie aus...
Mehr als alle vorhergehenden Inquisitionsfilme umgab sich THE WITCHFINDER GENERAL mit dem Ruch des Horrorfilms: Michael Reeves, der wenig später Selbstmord begehen sollte, hatte zuvor zwei Inszenierung im Horrorgenre absolviert und mit Vincent Price wurde einer der großen Stars des Horrorfilms engagiert. Der junge Regisseur bemühte sich, den augenzwinkernden „camp“, den Price durch seine Rollengeschichte mitgebracht hatte, zu eliminieren und konzentrierte sich auf einen bis dahin wenig erforschten Bereich des Genres: den puren Körper-Horror. Matthew Hopkins, der drohende Schatten bereits zu Beginn des Films, präsentiert sich als obsessiver, sexuell repressiver Machtmensch; im Gegensatz anderen Beispielen ist sein Hexenjäger nicht impotent, sondern in der Tat machtgierig und grausam. Die Torturen überwacht er ungerührt, mit wissenschaftlichem Stoizismus. Der mißhandelte Körper - in diesem Film häufig auch ein alter, faltiger, oder - im Gegensatz zu vielen Nachziehern - männlicher Körper. Hopkins genießt weniger die Qual seiner Opfer als den Moment der Macht, wenn sie sich ihm freiwillig ausliefern, wie es Sarah zunächst tut. Der Zuschauer ist dem realen Grauen der Folter hilflos ausgeliefert, kann sich nicht von einem eventuell übernatürlichen Geschehen distanzieren. Nur durch den radikalen Körperhorror ist es Reeves möglich, seine deprimierende und letztlich zutiefst humanistische Botschaft zu vermitteln. Sein Modell des destruktiven Kreislaufs der Gewalt kann nur im Wahnsinn enden. Auffällig ist die eher positive Position der liberalen Kirche, verkörpert durch Sarahs Vater. Die Bedrohung geht eher von den freischaffenden Inquisitor und der staatlichen Macht, nämlich Oliver Cromwell, aus.
Im Dunstkreis der Hammer-Film-Produktion wurde immer wieder Bezug auf den Hexenwahn genommen, meist jedoch nur als Vorwand für die Motivation des Einbruches übernatürlicher Ereignisse ins gegenwärtige Großbritannien. Eines jener prominent besetzten Beispiele ist Vernon Sewells CURSE OF THE CRIMSON ALTAR (Schwarze Messe auf blutrotem Altar / Die Hexe des Grafen Dracula, GB 1968) mit Christopher Lee, Boris Karloff und Barbara Steele. Christopher Lee spielt einen Nachkommen der im Mittelalter hingerichteten Hexe Lavignia, der mit Hilfe von Hypnose und Schwarzen Messen Rache an den Nackfahren der Hexenjäger nehmen möchte. Dieser Film zeigt sich eher interessiert an hippiesken Bodypainting-Orgien, Beatmusik und kitschig inszenierten Sadomaso-Szenarien und der karnevalesken Reinszenierung einer Hexenverbrennung. Der Film enthält nur einen interessanten Bezug zum eigentlichen Inquisitionsthema: Der Antiquitätenhändler Manning zeigt seiner Sekretärin einen Hexenjäger-Dolch, mit dem der „Bluttest“ durchgeführt wurde. Dieser Dolch hat eine versenkbare Klinge, hinterläßt also weder Schmerz noch eine Wunde. Die weniger trickreiche Anwendung dieses Instruments hatte Reeves in seinem Film demonstriert. In dem historischen Soziodrama KLADIVO NA CARODEJNICE (Die Hexenjagd, Polen 1969) von Otakar Vávra richtet sich der Inquisitor schließlich sogar gegen die Leute, die ihn gerufen haben.

Legs wrenched apart upon stone slabs
Babalon’s daughters slain,
In pain of their secrets which couldn’t be torn from them.

Sixth Comm / Mother Destruction, „Mithras“

Witchploitation

Das Jahr 1969 sollte eine ganze Reihe von Nachziehern einläuten, die auf mehr oder weniger gelungene Weise das Geschehen aus WITCHFINDER GENERAL variieren. Den Einstieg präsentierte Adrian Hoven mit einer deutsch-britischen Produktion HEXEN BIS AUFS BLUT GEQUÄLT / MARK OF THE DEVIL, inszeniert von Michael Armstrong, erzählt die Geschichte eines tödlichen Vater-Sohn-Konfliktes. Der entstellte, sadistische Hexenjäger Albino (Reginald Nalder) treibt in einem österreichischen Landstrich des siebzehnten Jahrhunderts sein Unwesen. Als er sich in eine Wirtsfrau „verliebt“ und zurückgewiesen wird, leistet er sich Ausschreitungen, die selbst für einen Hexenjäger nicht mehr tolerierbar sind. Er wird durch Lord Cumberland (Herbert Lom) ersetzt, der jedoch ähnliche Willkür an den Tag legt - nachdem er Albino getötet hat. Als sich sein Sohn Christian (Udo Kier) in das Bauernmädchen Vanessa (Olivera Vuco) verliebt, klagt Cumberland die junge Frau der Hexerei an. Christian, bestürzt über die Ungerechtigkeit seines Vaters, dessen Mord an Albino er miterlebte, befreit Vanessa aus dem Kerker, die umgehend einen Volksaufstand anzettelt. Christian selbst wird unglücklicherweise Opfer des Lynchmobs, während sein Vater entkommen kann. Armstrong schuf hier mit weit weniger Schicksalsschwere als Reeves den ersten rein exploitativen Hexenfilm, dessen konstruierte, spannungslose Handlung lediglich Stichworte für eine effekthascherische Nummernrevue darstellt. Dabei halten sehr einfache Erklärungsmuster für die Motivation der Folterer her: Albino handelt in sexueller Frustration, da ihm sein entstelltes Gesicht keine Chance bei den Frauen läßt, während Cumberland ein rücksichtsloser Machtmensch ist, dessen Gewalttaten allesamt rational begründet sind und dem eigenen Vorteil dienen. Formal bedient sich der Film des gewohnten Eurostils mit schnellen Zooms, Nahaufnahmen schreckverzerrter Gesichter und dem kurzen Blick auf oft einfach gestaltete Bluteffekte wie Verstümmelungen und Striemen. Nach Reeves komplexem Szenario wendet sich Armstrong bereits der rein sexualisierten Gewaltdarstellung zu, indem er fast ausschließlich attraktive junge Frauen foltern läßt. Die haarsträubendste Sequenz ist dabei die Tortur einer hübschen Blondine, der mit einer riesenhaften Zange die Zunge herausgerissen wird.
Jess Franco wollte da natürlich nicht zurückstehen und inszenierte mit IL TRONO DI FUOCO (Der Hexentöter von Blackmoor) einen waschechten Rip-Off, der immerhin den Horrorstar Christopher Lee aufbieten konnte - auch Armstrongs Film hatte schließlich schon eine beachtliche Besetzung aufzubieten. Nach dem Tod von König Charles versucht George Jeffreys, der Oberste Richter Englands im Jahre 1685, das rücksichtslose Regime von James II zu festigen, indem er die politischen Gegner der Hexerei bezichtigt und nacheinander zum Tode verurteilt. Auch hier sind die Folterszenarien hemmungslos sexualisiert. Wie gewohnt existieren einige unterschiedliche Versionen des Films, die mal mehr Sex, mal mehr Action enthalten. Natürlich wird Jeffreys Schicksal am Ende besiegelt: Der Richter wird erst erhängt und dann enthauptet, oder umgekehrt? Francos Historienspektakel ist aufwendig und bunt ausgestattet und für seine Verhältnisse recht sauber inszeniert, wobei der halbherzig erzählten Liebesgeschichte zwischen Hans Hass und Margaret Lee eher Alibifunktion zukommt. Visuell hat er sogar eine dichtere Atmosphäre zu bieten als die Adrian-Hoven-Produktionen.
Der japanische Episodenfilm TOKU GAWA IREZUMISHI-SEMEJIGOKU (Tokugawa II - Das Freudenhaus von Kawasaki) von Teruo Ishii entstand 1969 als Nachfolger zu TOKU GAWA ONNA KEIBATSUSHI (Tokugawa - gequälte Frauen) des selben Regisseurs und läßt sich mit seiner Erzählung vom Leidensweg eines jungen Bauernmädchens durch Bordell und Folterkammer durchaus neben die europäischen Folterkammer-Dramen einordnen. Die Hexenthematik steht hier jedoch eher im Hintergund.
BLOOD ON SATAN’S CLAW / SATAN’S SKIN (In den Krallen des Hexenjägers / In den Krallen des Satans, GB 1970) von Piers Haggard und CRY OF THE BANSHEE (Der Todesschrei der Hexen, GB 1970) von Gordon Hessler verzeichneten gegenüber den britischen Horrorfilmen jener Tage zumindest einige atmosphärische Vorzüge. Beide Filme, die in der Zeit der Hexenverfolgung spielen, vermischen okkulte Motive mit der Inquisition und dämonischen Phänomenen.
1972 drehte Adrian Hoven, der Produzent von MARK OF THE DEVIL, unter eigener Regie und mit sich selbst in einer Hauptrolle HEXEN - GESCHÄNDET UND ZU TODE GEQUÄLT, eine thematisch identische Fortsetzung seines erfolgreichen Bahnhofskinoklassikers. Eine leichte Variation im Figurenensemble soll frischen Wind in das abgenutzte Konzept bringen: Der offizielle Hexenjäger Balthasar von Ross (Anton Diffring) nutzt seine Machtposition aus, um sich Frauen sexuell gefügig zu machen und die Bürger zu enteignen. Widerstand wird mit Kerker, Folter und Hinrichtung vergolten. Als er den beliebten Adligen Alexander von Salmenau (Adrian Hoven) ebenfalls beseitigt, bringt er die Leute gegen sich auf. Posthum erklärt er den Mann zum Ketzer und trachtet nun auch dessen Witwe (Erica Blanc) und Sohn nach dem Leben. Im letzten Moment schenkt ihnen ein mitleidiger Folterknecht das Leben und verhilft ihnen zur Flucht. Von Ross wird in einem Volksaufstand gelyncht. HEXEN sieht noch billiger aus als sein Vorgänger, wobei die klinisch-künstlich ausgestatteten Bilder an harmlose Fernsehserien erinnern, wieder sind es nur die Foltersequenzen, die durch ihre grausame Dreistigkeit, auf schmerzlichen Körperhorror ausgerichtet, in Erinnerung bleiben: Als die Folterknechte das Interesse an ihrem weiblichen Opfer verlieren, lassen sie es einfach mit gespreizten Beinen auf einen spitzen Pflock fallen...
Die Nachwehen des dunklen Zeitalters dominierte die Angst im Abendland. Der Naturphilosoph und Freigeist Giordano Bruno (Gian Maria Volonté) entfesselte als einsamer Ketzer den aussichtslosen Kampf gegen Irrationalismus und kirchliche Diktatur. „Wir müssen wieder anfangen zu atmen,“ sagt er zu der ihn begehrenden Adligen (Charlotte Rampling). In den höheren Kreisen fragt man sich: „Beschäftigt er sich denn auch mit Politik?“ - „Mit Philosophie, mit Politik. Er beschäftigt sich mit allem!“ Bruno wird in seinem umfassenden, rationalen Wissensdurst zum gefährlichen Mann, zum Staatsfeind, der im Jahr 1600 in Rom auf dem Scheiterhaufen verbrannt wird. 1974 inszenierte Giuliano Montaldo seinen thesenhaften Historienfilm GIORDANO BRUNO (Giordano Bruno - Der Ketzer soll brennen / Der Mönch von San Dominico), der mit beeindruckender Detailfreude eine haßerfüllte Zeit beschwört, zu den gewichtigen Worten der oft gekünstelten Dialoge jedoch keine stilistische Entsprechung finden kann. Ein ebenso prunkvoller wie oberflächlicher Film, dem es an der politischen Radikalität einer Liliana Cavani mangelt.
Im selben Jahr drehte der berühmte Autor des französischen Experimentalromans und von Alain Resnais’ Film L’ANNÉE DERNIÈRE À MARIENBAD (Letztes Jahr in Marienbad, F 1960) Alain Robbe-Grillet seine Inquisitionsfabel GLISSEMENTS PROGRESSIFS DU PLAISIR. Es gelang es ihm, mit pointierten Stilmitteln einen bedeutenden Schritt in Richtung seiner sehr komplexen Vision vom Film zu tun: GLISSEMENTS PROGRESSIFS DU PLAISIR adaptiert „La Sorcière“ von Jules Michelet und versucht, dem Stoff eine abstrakte zeitgenössische Wendung zu geben. Es geht um die vergebliche Rekonstruktion der Vergangenheit: Ein junges Mädchen (Anicée Alvina) wird beschuldigt, ihre Freundin, eine Prostituierte, bei der sie lebte, mit einer Schere ermordet zu haben. Nacheinander wird sie von einem Kriminalkommissar (Jean-Louis Trintignant), einem Geistlichen und einem Juristen verhört. Robbe-Grillet mischt diese Verhör- und Verführungssituationen mit Erinnerungen und Visionen des Mädchens, das seit jeher ein sinnliches Interesse an fließendem Blut zu haben scheint. Durch die ständigen Variationen und Widersprüche in ihren Schilderungen stellt sie schließlich die Werte und die Moral ihrer Ankläger in Frage, provoziert gar eine Auflösung der Identität einiger der Beteiligten. Was in Robbe-Grillets frühen Filmen L’IMMORTELLE (Die Unsterbliche, 1962) und L’HOMME QUI MENT (Der Lügner, 1966) noch in detailreichen, pittoresken Tableaux dargestellt wurde, reduziert er hier auf eine nüchterne weiße Zelle, in der das meist nackte Mädchen gefangen ist. Lediglich ihre Visionen von der Inquisitionsfolter erinnern an Stereotypen eines historischen Trivialromans.

Die Tendenz, das Heilige auszulöschen und es gänzlich zu eliminieren, bereitet die heimliche Rückkehr des Heiligen vor , und zwar nicht in transzendenter, sondern in immanenter Form: in der Form der Gewalt und des Wissens um die Gewalt.
René Girard, „Das Heilige und die Gewalt“

Der neue Hexenhammer

Auch im konventionellen Bereich - sprich dem Fernsehfilm - wird die historische Hexenverfolgung immer wieder thematisiert. Einer der Filme, die bei ihrer Videoauswertung mit den zehn Jahre älteren Erfolgen in Zusammenhang gebracht werden sollten, ist die schweizerisch-deutsche Koproduktion GEBURT EINER HEXE (1979) von Wilfried Minks, die erst 1982 in die deutschen Kinos kam. Im Kastilien des späten Mittelalters macht ein tyrannischer Lehnsherr von seinem Recht der „ersten Nacht“ Gebrauch: Er entjungfert die angehende Braut eines jungen Bauern und erklärt sie später für vogelfrei. Desillusioniert entsagt die junge Frau (Ulla Berkewicz) Gott und wendet sich einem Satanskult zu. Als der Despot von einem Feldzug zurückkehrt, verfolgt er die Frau auf Drängen des fanatischen Dorfpriesters und läßt sie hinrichten. Diese Tat erzeugt derartigen Haß unter der bäuerlichen Bevölkerung, daß es zu einem verheerenden Aufstand kommt. Minks atmosphärisch reizvolle Inszenierung, die auch blutige Details nicht ausspart, will natürlich im Endeffekt eine prärevolutionäre Fabel darstellen, ein Vorhaben, das man diesem Film ähnlich wie Mingozzis Nonnendrama FLAVIA (siehe letzte Ausgabe) durchaus abnehmen kann. Die norwegische Variante eines ähnlichen Stoffes lieferte Anja Breien 1981 mit FORFÖLGELSEN (Liebe führt zum Scheiterhaufen / Die Hexe von Laupstad, Norwegen / Schweden), und auch sie blieb im Rahmen einer soliden Historieninszenierung. Die ehemalige Kollegin Francois Truffauts, Suzanne Schiffman, interessierte sich in ihrem LE MOINE ET LA SORCIERE (Der Mönch und die Hexe, F 1987) eher für die psychische Zerrissenheit des inquisitorischen Mönchs (Tcheky Karyo). Marco Bellocchio behandelte das Hexenjagdthema in Form einer Reinkarnationsgeschichte: In LA VISIONE DI SABBA (Sabba, die Hexe, F 1988) provoziert die junge Sabba (Béatrice Dalle) ihren jungen Psychiater mit der Behauptung, daß sie bereits schon einmal gelebt hat und als Hexe verfolgt worden war, zu dicht inszenierten Visionen. Keiner dieser Filme wurde weitergehend wahrgenommen.
Im Rahmen der Kategorie-III-Produktionen des krisengeschüttelten Hongkong-Kinos der neunziger Jahre entstanden einige historische Sexfilme, die auch die Hexenjägerthematik nicht aussparen mochten. Bosco Lam inszenierte A CHINESE TORTURE CHAMBER STORY (1994), das Drama eines gepeinigten Bauernmädchens (Yvonne Yung), das unschuldig wegen Mordes verfolgt wird. Die chinesische Inquisition unterzieht sie einer Vielzahl erlesener Qualen, die hier noch viel mehr als im europäischen Hexenjägerfilm auf eine Zerstörung der Geschlechtlichkeit abzielen. So erinnert der Film von Ferne an die TOKUGAWA-Reihe aus Japan, die jedoch eine ruhigere, atmosphärischere Inszenierung aufzuweisen hat.
Der ebenfalls auf historische Stoffe spezialisierte Tom Toelle (TV-Serie VIA MALA) widmete sich mit dem Zweiteiler DER KÖNIG DER LETZTEN TAGE (1993) der Inquisition. Anhand des Schicksals des jungen Schauspielers Jan Bockelson (Christoph Walz) wird von den religiösen Kämpfen in der Stadt Münster des 16. Jahrhunderts erzählt. In Reaktion auf die Libertinage der katholischen Kirche und in Protest gegen die Lutheraner gewannen die Wiedertäufer an Macht. Aus Bockelson wird der charismatische Prediger Jan van Leyden. Unter der Führung von Graf Waldeck (Mario Adorf) wird die Sekte blutig geschlagen. Van Leyden macht seinem Namen die Ehre, mit glühenden Zangen zu Tode gefoltert zu werden. Mit ungeheurem materiellem Aufwand und in der Tradition der Historiendramen früherer Jahrzehnte (man erinnert sich an GIORDANO BRUNO) entwickelt dieser Fernsehfilm seine ebenfalls aktuell gedachte Politfabel über die Verführbarkeit der Massen. Neben dem wirklich haarsträubenden Finale bleibt vor allem der schicksalsschwere, an zeitgenössischer Musik orientierte Soundtrack von Wojciech Kilar in Erinnerung. Ebenfalls den seriösen Bemühungen zuzurechnen sind die Adaptionen von Arthur Millers Theaterstück „The Crucible“, das den Hexenwahn in Salem an dem Beispiel einer Stadt in Massachusetts des Jahres 1692 behandelt. Ebenso wie Nathaniel Hawthornes Roman „The Scarlet Letter“, der vielfach verfilmt wurde, wird hier ein dunkles Kapitel der Frühzeit Amerikas behandelt, als christlicher Fanatismus, sexuelle Repression und mangelnde Aufklärung zu Denunziation und Mord führten. Nach dem bereits klassischen Historiendrama LES SORCIÈRES DE SALEM (1957) von Raymond Rouleau, den Jean-Paul Sartre nach Miller adaptiert hatte, widmete sich Nicholas Hytner 1996 noch einem diesem Stoff unter dem Titel THE CRUCIBLE (Hexenjagd): In dem purtianischen Dorf Salem in Neuengland hat sich ein Hexenkult verbreitet, dem auch die junge Abigail (Wynona Ryder) angehört. Als der Hexenjäger auf seinen Plan tritt, wendet Abigail die Anschuldigungen wegen Anstiftung zum Bösen auf eine enttäuschte Liebe: den verheirateten Farmer John Proctor (Daniel Day-Lewis). Dieses kühle, nüchterne Starkino reiht sich in die übliche Reihe uninspirierter Literaturbebilderungen ein, die seit je her das Kino begleiten.
Eine letzte Verbeugung vor dem Exploitationfilm der siebziger Jahre realisierte schließlich REANIMATOR Stuart Gordon im Jahr 1990 mit THE PIT AND THE PENDULUM (Meister des Grauens), einer vorgeblich an Edgar Allen Poes Kurzgeschichte orientierten, letztlich comichaften Mär über den spanischen Inquisitor Torquemada (Lance Henricksen), die durch oft betont künstliche Ausstattung und expressive Farbeffekte an die Poe-Filme Rogers Cormans aus den sechziger Jahren erinnert (u.a. THE PIT AND THE PENDULUM / Das Pendel des Todes, 1961). Auch hier fixiert sich die sexuelle Begierde des Großinquisitors auf eine junge, natürlich unschuldige und lebenslustige Bäuerin (Rona de Ricci), die Torquemada zunächst aus ihren unverdienten Kerkerqualen befreien will, jedoch bald den Fluch der Begierde auf sich lasten fühlt und ihr umso mehr zusetzt. Um sich selbst zu reinigen, trägt er eine nägelbeschlagene Korsage und ist auch den Wonnen der Geißel nicht abgeneigt. Gegen Ende kommt tatsächlich auch die bekannte Pendelfolter zum Einsatz, doch auch hier - wie in Michael Reeves Vorbild - kommt die Last-Minute-Rescue rechtzeitig dazwischen.
Obwohl sich die Figur der Hexe als filmische Standardfigur etabliert hat und in zahlreich aktuelleren Hollywoodfilmen auftaucht, ist das eigentliche Schicksal der verfolgten Weiblichkeit weitgehend aus diesem Zusammenhang getilgt worden. Die Zaubereien der Hollywoodhexen Sandra Bullock, Michelle Pfeiffer, Anjelica Huston usw. sind allenfalls für einen müden Lacher gut, die Leiden ihrer wahren Brüder und Schwestern verstauben in den Annalen der (Film)geschichte. Die Verbrennung der Ketzer in ELIZABETH (1998) ist bereits zur effektvollen Fußnote geronnen...


Nonnografie

1943 LES ANGES DU PÉCHÉ / Engel der Sünde / Das Hohelied der Liebe, R: Robert Bresson
1959 LE DIALOGUE DES CARMELIES / Opfergang einer Nonne, R: Philippe Agostini
1961 MATKA JOANNA OD ANIOLOW / Mutter Johanna von den Engeln, R: Jerzy Kawalerowicz
1961 VIRIDIANA / Viridiana, R: Luis Bunuel
1965 LA RELIGIEUSE / SUZANNE SIMONIN - LA RELIGIEUSE DE DIDEROT / Die Nonne, R: Jacques Rivette
1968 MARQUIS DE SADE’S JUSTINE / Marquis de Sade: Justine, R: Jess Franco
1968 TOKU GAWA ONNA KEIBATSUSHI / Tokugawa - gequälte Frauen, R: Teruo Ishii
1969 LA MONACA DI MONZA / Die Nonne von Monza, R: Eriprando Visconti
1969 LA VOIE LACTÉE / Die Milchstraße, R. Luis Bunuel
1970 THE DEVILS / Die Teufel, R: Ken Russell
1971 JUSTINE DE SADE / Justine - Lustschreie hinter Klostermauern, R: Claude Person
1971 IL DECAMERON / Decameron, R: Pier Paolo Pasolini
1972 LOS DEMONIOS / Die Nonnen von Clichy, R: Clifford Brown (= Jess Franco)
1972 LE MOINE / Der Mönch und die Frauen, R: Ado Kyrou
1973 LE MONACHE DI SANT’ARCANGELO / Die Nonne von Verona, R: Paolo Dominici (= Domenico Paolella)
1974 LA BADESSA DI CASTRO, R: Armando Crispino
1974 LE SCOMUNICATE DI SAN VALENTINO / The Nuns of Saint Valentino, R: Sergio Grieco
1974 STORIA DI UNA MONACA DI CLAUSURA / Der Nonnenspiegel, R: Domenico Paolella
1974 FLAVIA LA MONACA MUSULMANA / Castigata, die Gezüchtigte / Die Nonne und der Freibeuter / Nonnen bis aufs Blut gequält / Nonnen - lebendig gehäutet, R: Flavio Mingozzi
1976 CARTAS DE AMOR DE UNA MONJA, R: Jorge Grau
1976 INQUISICION, R: Paul Jacinto
1976 LIEBESBRIEFE EINER PORTUGISISCHEN NONNE, R: Jess Franco
1977 INTERNO DI UN CONVENTO / Unmoralische Novizinnen, R: Walerian Borowczyk
1978 SUORE EMMANUELLE / Die Nonne und das Biest, R: Joseph Warren (= Giuseppe Vari)
1978 SUOR OMICIDI / Geständnis einer Nonne, R: Giulio Beruti
1979 IMMAGINI DI UN CONVENTO, R: Joe D’Amato
1981 LA VERA STORIA DELLA MONACA DI MONZA / Das süße Leben der Nonne von Monza, R: Stefan Oblowsky (= Bruno Mattei)
1981 L’ALTRO INFERNO, R: Stefan Oblowsky (= Bruno Mattei)
1984 CRUEL PASSION / Justine, grausame Leidenschaften, R: Chris Boger
1986 LA MONACA DI MONZA - ECCESSI, MISFATTI, DELITTI / The Devils of Monza, R: Luciano Odorisio
1986 LA MONACA NEL PECCATO, R: Joe D’Amato (= Aristide Massaccesi)
1987 STEALING HEAVEN / Zeit der Dunkelheit / Liebe hinter Klostermauern - Der Nonnenspiegel Teil 2 / Liebe in der Zeit der Dunkelheit, R: Clive Donner
1989 DIE HEXE VON KÖLN, R: Hagen Mueller-Stahl
1990 DEMONIA, R: Lucio Fulci
1993 DARK WATERS; R: Mariano Baino


Hexen und Ketzer Filmografie:

1900 JEANNE D’ARC, R: Georges Méliès
1920 HÄXAN / Hexen, R: Benjamin Christensen
1926 THE SCARLET LETTER, R: Victor Sjöström
1928 LA PASSION DE JEANNE D’ARC / Die Passion der Jungfrau von Orléans, R: Carl Theodor Dreyer
1934 THE SCARLET LETTER, R: Robert G. Vignola
1943 VREDENS DAG / DIES IRAE / Tag der Rache / Tag des Zorns, R: Carl Theodor Dreyer
1948 JOAN OF ARC / Johanna von Orleans, R: Victor Fleming
1957 LES SORCIÈRES DE SALEM / Die Hexen von Salem / Hexenjagd, R: Raymond Rouleau
1966 GALILEO / Galileo, R: Liliana Cavani
1968 BEATRICE CENCI / Die Nackte und der Kardinal, R: Lucio Fulci
1968 CURSE OF THE CRIMSON ALTAR / Die Hexe des Grafen Dracula / Schwarze Messe auf blutrotem Altar, R: Vernon Sewell
1968 THE WITCHFINDER GENERAL / THE CONQUEROR WORM / Der Hexenjäger, R: Michael Reeves
1969 TOKU GAWA IREZUMISHI-SEMEJIGOKU / Tokugawa II - Das Freudenhaus von Kawasaki, R: Teruo Ishii
1969 HEXEN BIS AUFS BLUT GEQUÄLT / MARK OF THE DEVIL, R: Michael Armstrong
1969 IL TRONO DI FUOCO / Der Hexentöter von Blackmoor, R: Jess Franco
1969 KLADIVO NA CARODEJNICE / Hexenjagd, R: Otakar Vávra
1970 BLOOD ON SATAN’S CLAW / SATAN’S SKIN / In den Krallen des Hexenjägers / In den Krallen des Satans, R: Piers Haggard
1970 CRY OF THE BANSHEE / Der Todesschrei der Hexen, R: Gordon Hessler
1970 KETZER, R: Horst Manfred Adloff, Liliana Cavani
1972 HEXEN - GESCHÄNDET UND ZU TODE GEQUÄLT, R: Adrian Hoven
1972 DER SCHARLACHROTE BUCHSTABE, R: Wim Wenders
1974 GIORDANO BRUNO / Giordano Bruno - Der Ketzer soll brennen / Der Mönch von San Dominico, R: Giuliano Montaldo
1974 GLISSEMENTS PROGRESSIFS DU PLAISIR; R: Alain Robbe-Grillet
1974 THE SCARLET LETTER / Der scharlachrote Buchstabe, R: Rick Hauser
1975 INQUISITION, R: Paul Naschy
1979 GEBURT DER HEXE, R: Wilfried Minks
1981 FORFÖLGELSEN / Liebe führt zum Scheiterhaufen / Die Hexe von Laupstad, R: Anja Breien
1987 LE MOINE ET LA SORCIERE / Der Mönch und die Hexe, R: Suzanne Schiffman
1987 THE WITCH / SUPERSTITION / The Witch, R: James W. Roberson
1990 THE PIT AND THE PENDULUM / Meister des Grauens, R: Stuart Gordon
1990 WITCH STORY / STREGHE / Tanz der Hexen 2, R: Alessandro Capone
1993 JEANNE LA PUCELLE - 1 BATAILLES, 2 LES PRISONS / Johanna, die Jungfrau - 1 Der Kampf, 2 Der Verrat, R: Jacques Rivette
1993 DER KÖNIG DER LETZTEN TAGE, R: Tom Toelle
1994 A CHINESE TORTURE CHAMBER STORY, R: Bosco Lam
1995 THE SCARLET LETTER / Der scharlachrote Buchstabe, R: Roland Joffe
1996 THE CRUCIBLE / Hexenjagd, R: Nicholas Hytner