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Marcus Stiglegger
Inquisition
1. Hinter Klostermauern
In mancher Hinsicht ist der sexuelle Wahn als Thema der
Literatur mit einem anderen literarischen Thema vergleichbar, dessen Gültigkeit
von weit weniger Menschen bestritten wird: mit dem Thema des religiösen
Wahns.
Susan Sontag, „Die pornographische Phantasie“
Der Blick dahinter
Gemäß dem Wesen des Exploitationfilms, alle denkbaren
Zwangssysteme dahingehend auszuwerten, wie viele Schauwerte sich aus ihnen
gewinnen lassen, muß die geheimnisvolle, nur Eingeweihten zugängliche
Welt des Klosters ein besonderes Faszinosum darstellen. Der sogenannte
Nunsploitationfilm wagt einen „Blick dahinter“, der jedem
passionierten Voyeur aus dem Herzen sprechen muß: unterdrückte
Sexualität, Kontrolle, Machtmißbrauch, Strafen, Demütigung,
Hilflosigkeit, Gefangenschaft. Analog zu den militärischen Männerbünden
mit ihren entindividualisierenden Unterwerfungsritualen weckt die Welt
der erzwungenen Keuschheit finstere Phantasien. Einem „Drang zum
Bösen“ folgend resultiert die repressive, verschwiegene und
verteufelte Sexualität in hemmungslosen Gewaltakten, oft auf perfide
ausgeklügelte Weise an völlig wehrlosen Opfern ausgeübt.
Zwei in den frühen siebziger Jahren äußerst populäre
Strömungen des Exploitationfilms widmeten sich jenem historischen
Übel, dessen Schatten auf die eine oder andere Weise noch heute -
selbst in unserer Kultur - zu spüren ist: der Nonnenfilm oder „Nunsploitationfilm“
und der Hexenjägerfilm, analog etwa: „Witchploitation“.
Ich möchte hier zunächst auf erstere Kategorie eingehen, wobei
ich mich bemühe, alle erreichbaren und auch hierzulande verbreiteten
Beispiele zumindest zu erwähnen.
Avert your eyes from the sky
The lies of god and the god of lies
And even forests once lush and green
Have the stench of murder and children’s screams
Sol Invictus, „Lex Talionis“
Die Inspiration
Die filmische Keimzelle des Nonnengenres liegt in zwei inzwischen
klassischen Filmdramen: Robert Bressons LES ANGES DU PÉCHÉ
(Engel der Sünde, F 1943) und LA RELIGIEUSE (Die Nonne, F 1965) von
Jacques Rivette nach der gleichnamigen Erzählung von Denis Diderot.
Bressons Geschichte einer Mörderin, die nach ihrer Entlassung aus
dem Gefängnis Zuflucht im Kloster sucht, entwirft diese hermetische
Welt des Glaubens als eine Art selbstgewähltes Gefängnis. Rivette
geht mit seinem unterkühlt gespielten und schnörkellos gefilmten
Melodrama nach dem großen antiklerikalen Roman aus dem 18. Jahrhundert
noch weiter und nimmt das Kloster als eine Metapher für die restriktive
Gesellschaft an sich. Auf Drängen ihrer Mutter wird die junge Suzanne
Simonin (Anna Karina) gezwungen, den Nonneneid abzulegen, und das, obwohl
sie immer wieder beteuert, sie sei für dieses Leben nicht erwählt.
Ihre rebellische aber ehrliche Haltung führt zu Intrigen und Anfeindungen.
Nach dem Tod der ihr wohlgesonnenen Mutter Oberin wird sie zur Ausgestoßenen:
Sie ist unberührbar, wird in ihrer Zelle eingeschlossen, darf nicht
mit den anderen beten und verwahrlost schließlich. Mit Mühe
und nach einer entbehrungsreichen Zeit kann sie diesem Gefängnis
entkommen und gerät in scheinbar gegenteilige Verhältnisse:
Unter der Aufsicht einer sehr weltlichen, lesbischen Oberin (Lieselotte
Pulver) wird sie mit erotischen Tändeleien und Eifersüchten
konfrontiert, die wiederum einen Fluchtgedanken in ihr wecken. Die bittere
Ironie des Schicksals will es schließlich, daß sie in der
„freien“ Welt ausgerechnet in einem Bordell endet, was sie
in den Selbstmord treibt. Rivettes Film treib ein diskretes Spiel mit
dem Indirekten und schafft dennoch eine Atmosphäre aus Verblendung
und Leid, daß einige seiner Bilder durchaus als Vorlage zu die Filme
Ken Russells und Domenico Paoloellas gelten können.
Eine weitere literarische Quelle für sadomasochistische Nonneorgien
verfaßte der Marquis de Sade höchstpersönlich mit seinem
monumentalen Werk „Justine“, in dem er an der verworfenen
Juliette und der tugendhaften Justine den Triumph des Lasters feiert.
MARQUIS DE SADE’S JUSTINE (Marquis de Sade: Justine, GB / BRD /
I 1968) von Jess Franco wagte einen ersten zaghaften Versuch, sich dem
Stoff auf sehr verwässerte und letztlich harmlose Weise anzunähern.
Bemerkenswert ist die Rahmenhandlung, die Klaus Kinski als de Sade in
der Bastille beim Schreiben des Manuskripts zeigt. Eigenen Aussagen zufolge
wurde Franco die Hauptdarstellerin Romina Power (!) von der Produktion
aufgedrängt, was Francos Vorstellung sehr einschränkte. Die
gottgerechte Justine konnte ihr Leid noch nicht adäquat entfalten.
JUSTINE DE SADE (Justine - Lustschreie hinter Klostermauern, F / I / KAN
1971) von Claude Pierson hält sich näher an der Vorlage: Nach
dem Tod ihres Vaters gehen die beiden Schwestern Justine (Alice Arno)
und Juliette getrennte Wege. Während sich Juliette skrupellos und
voll Genuß den Weg zum Erfolg „hochschläft“, fällt
Justine auf ihrem Martyrium einem Gewalttäter nach dem anderen in
die Hände: wegelagernde Banditen, notgeile Mönche und sadistische
Adlige machen ihr das Leben schwer, bis sie schließlich von einem
Blitz von ihrem Leid erlöst wird. Auch Claude Person ist sich sehr
bewußt, daß es aussichtslos ist, die Rohheiten de Sades in
Bilde umsetzen zu wollen. Er verläßt sich auf einen glatten
Softpornostil, der zumindest einige gefällige und atmosphärische
Tableaux hervorzaubert. Von Pasolinis eiskalter Sade-Adaption SALO (Die
120 Tage von Sodom, I / F 1976), die eine Ahnung von den destruktiven
Gedankenbildern des Autors vermittelt, trennen diese Filme Welten. Schließlich
ist CRUEL PASSION (Justine, grausame Leidenschaften, GB 1984) von Chris
Boger mit Koo Stark ein langatmiger, schlampig inszenierter und oft unfreiwillig
komischer Historiensoftporno, der nie wirklich weiß, in welche Richtung
die Inszenierung zielt. Vermutlich handelt es sich dabei um eine Abschreibungsproduktion
der Cannon-Film-Produktion, deren Logo im Vorspann selten Gutes verheißt.
Immerhin kommt es hier zu einem Vergewaltigungsversuch an Juliette durch
die Mutter Oberin. Justine wird am Ende von Hunden zerfleischt, wobei
auch hier der Bildkader eher willkürlich pendelt und eine fast zynische
Distanz zum vermeintlich tragischen Geschehen schafft.
Spätestens mit dem erfolgreichen Skandalfilm LA MONACA DI MONZA (Die
Nonne von Monza, I 1969) von Eriprando Visconti war schließlich
der Weg geebnet. Der Film berichtet mit den Mitteln des Kostümdramas
von der historischen Geschichte der Virginia de Leyda (Anne Heywood),
die im 17. Jahrhundert zur Priorin eines Klosters wird, den Adligen Osio
(Hardy Krüger) zum Geliebten nimmt, von ihm ein Kind zur Welt bringt
und schließlich zur Strafe lebendig eingemauert wird. Diese Strafe
wurde speziell abtrünnigen religiösen Würdenträger(inne)n
zugedacht und inspirierte ebenfalls einige weitere Verfilmungen, die ich
noch erwähnen werde. Luchino Viscontis Neffe inszenierte diese Geschichte
als leuchtend buntes Melodram, wobei er die drastischen Elemente - z.B.
Virginias Vergewaltigung durch Osio - mit seinem Stilwillen deutlich glättet.
Vielmehr dienten die nur scheinbar antikatholischen Motive nur dem Zweck,
ein an sich langatmiges Melodrama exploitativ aufzuwerten. Der Regisseur
schien jedoch nicht einmal zu ahnen, was Ken Russell mit einer vergleichsweise
prominenteren Besetzung zwei Jahre später anrichten würde. Anne
Heywood spielte ihre Rolle in den siebziger Jahren noch einmal, bewies
jedoch bereits hier tragische Präsenz.
Obwohl sich der asiatische Raum vergleichsweise selten dem Klosterphänomen
widmet, entstand mit TOKU GAWA ONNA KEIBATSUSHI (Tokugawa - gequälte
Frauen, J 1968) von Teruo Ishii ein beachtlich stilsicher inszenierter
Beitrag des japanischen Exploitationkinos. In einer der drei Episoden
wird von lesbischer Lust und blutigen Intrigen in einem Kloster des 17.
Jahrhunderts berichtet: Die lesbische Äbtissing beobachtet einen
Mönch und eine Nonne beim Liebesspiel, stellt den Mönch zur
Rede und verführt ihn. Schließlich will sie ihn zwingen, den
Kontakt zur Geliebten abzubrechen, doch als er sich weigert läßt
sie die junge Nonne zu Tode foltern und enthauptet den Mann, um ihn endlich
für sich zu besitzen. Ishiis Film, der auch als SHOGUN’S JOY
OF TORTURE bekannt ist, ist nur ein Beispiel einer ganzen Reihe, die sich
der Untaten während des Tokugawa-Shogunats annimmt. Die Filme dieser
Reihe zeichnen sich durch eine dichte historisch rekonstruierte Atmosphäre
und außergewöhnlich überzeugend wirkende Folterszenen
aus, was ihnen oft den Vorwurf der Gewaltpornografie einbrachte. Aus der
Distanz betrachtet müssen sie jedoch als den meisten italienischen
Produktionen überlegen gelten.
Wie einige der späteren Hexendramen basiert das aufwendige, exzentrisch
inszenierte Klosterdrama THE DEVILS (Die Teufel, GB 1970) von Ken Russell
neben Aldous Huxleys Roman „The Devils of Loudun“ („Die
Teufel von Loudun“, 1952) auf Jules Michelets semihistorischem Bericht
„La Sorcière“ („Die Hexe“, 1862), in dem
nach alten Gerichtsakten die Geschichte der besessenen Nonnen von Loudun
nachgezeichnet wurde. Michelet geht nicht nur davon aus, daß die
Geschichte der Hexenverfolgung tatsächlich die Geschichte der Unterdrückung
der Frau ist, er zeigt auch, wie sich der ursprünglich Naturglaube
seinen Weg in die von der Außenwelt abgeschlossenen Klosterkomplexe
suchte. Langeweile und sexuelle Frustration führten zu einer Aufgeschlossenheit
für satanistische Untriebe und zu einer sexuellen Hysterie, die die
Nonnen dazu brachte, sich den sexuellen Begierden ihrer männlichen
Beichtväter und ihrer Ordensschwestern auszuliefern. Im Jahr 1633
wurde der Ortsgeistliche der französischen Gemeinde Loudun, Urbain
Grandier (hier dargestellt von Oliver Reed), beschuldigt, die Nonnen des
örtlichen Ursulinerinnenklosters behext zu haben: Er bereute seinen
libertinen Lebenswandel, weigerte sich aber auch unter der Folter beharrlich,
seine ketzerische Handlung zuzugeben. Im folgenden Jahr wird er öffentlich
auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Russells Film vermittelt diese Ereignisse
in Form eines bizarren Kaleidoskops, dessen Ausstattung von dem Avantgardefilmer
Derek Jarman entworfen wurde, und konzentriert sich in seiner Fabel auf
die bösartigen Intrigen der buckligen Oberin (Vanessa Redgrave),
die Grandier aus verschmähter Liebe der Inquisition ausliefert. Eine
weitere interessante Adaption dieses Stoffes bietet der polnische Film
MATKA JOANNA OD ANIOLOW (Mutter Johanna von den Engeln, 1961) von Jerzy
Kawalerowicz, der etwas dezenter als Russell vorgeht und auf behutsame
Weise enthüllt, „wie Sexualtriebe, Schuldbewußtsein und
Sadomasochismus in engem Zusammenhang stehen mit den Begriffen von Sünde
und Dämonenaustreibung“ (Amos Vogel).
Der mexikanische Altmeister des filmischen Surrealismus’ Luis Bunuel,
seines Zeichens Ketzer bis kurz vor seinen Tod, benutzte ebenfalls das
Nonnenmotiv in einigen seiner teils episodenhaften Filme. In LA VOIE LACTÉE
(Die Milchstraße, F 1969) z.B. läßt er einige Nonnen
eine Ordensschwester kreuzigen. Ein weiterer Surrealist, Ado Kyrou, widmete
sich mit LE MOINE (Der Mönch und die Frauen, F / I / BRD 1972) dem
sakralen Thema: Hier verführt der Teufel (Nathalie Delon!) den Abt
eines Klosters, Ambrosio (Franco Nero), zu sinnlichen Akten. Der Inquisition
kann er nur durch einen Teufelspakt entgehen. Und tatsächlich: Schließlich
kürt man ihn zum höchsten Würdenträger. Trotz der
Drehbuchmitarbeit von Bunuel selbst gerät die etwas unsichere Inszenierung
ins surreale Niemandsland. Auch Pier Paolo Pasolini widmete eine Episode
von IL DECAMERON (Decameron, I / F 1971), dem ersten Teil seiner sexuell
freizügigen „Trilogie des Lebens“, dem Leben hinter Klostermauern.
Bei ihm geht es natürlich etwas vergnüglicher zu: Ein taubstummer
Klostergärtner dient den Nonnen, nachdem seine Kräfte geschwunden
sind, auf etwas „andere“ Weise. Auch hier wird deutlich, welch
großen Einfluß gerade dieser Altmeister der italienischen
Filmpoetik auf die Exploitationfilmproduktion seines Landes hatte. Immerhin
kreierte er mit SALO (s.o.) den späten intellektuellen Prototyp des
Lagerfilms, ein Umstand, der ihn wenig glücklich gemacht hätte...
Die Blasphemie bewahrt ihre Anziehungskraft,
solange Gott als würdiger Gegner betrachtet wird. Das räumliche
Nebeneinander von erotischem Bild und Wahrzeichen der Religion schafft
die üblich Spannung schuldbewußten Vergnügens, die der
Anblick des Verbotenen hervorruft.
Amos Vogel, „Film als subversive Kunst“
Nunsploitation
Es wird kaum verwundern, daß der seinerzeit äußerst
produktive Altmeister der (S)Exploitation Jess Franco mit einem ersten
Rip-Off des Nonnenthemas aufwartete. LOS DEMONIOS (Die Nonnen von Clichy,
F / Portugal 1972), unter dem Namen Clifford Brown inszeniert, erinnert
nicht nur vom Titel her an THE DEVILS. Auf der Schwelle zur Neuzeit trifft
der Fluch einer von der Inquisition verbrannten Hexe das Kloster von Lissy.
Ihre beiden Töchter, die gerissene Katherine (Anne Libert) und die
schüchterne Margaret (Britt Nichols), leben dort in inniger Verbundenheit.
Als die Mutter Oberin (Doris Thomas) auf Katherines Freude an der Masturbation
aufmerksam wird, beschuldigt sie die Mädchen der Hexerei - unfähig
mit den eigenen Begierden umzugehen. Katherine wird von der stellvertretenden
Inquisitorin Madame de Winter (Karin Field) ihrer fehlenden Jungfräulichkeit
überführt und gefoltert. Als Hexe soll sie sterben, doch Madame
de Winters Ehemann (Howard Vernon) verliebt sich in sie und flieht mit
ihr. Während Margaret tatsächlich mit dem Teufel paktiert und
die Mutter Oberin durch Verführung in den Selbstmord treibt, wird
das fliehende Paar von den Häschern des Großinquisitors Jeffries
(John Foster) ergriffen und erneut gefoltert. Jeffries entpuppt sich als
sexuell repressiver, sadistischer Charakter, der sich genüßlich
an den gefesselten Marquis de Winter wendet: „Du hast die Freuden
geteilt, teile jetzt auch die Leiden mit ihr.“ Franco bemüht
das beliebte Modell der sexuellen Repression des Katholiken, die ohne
Umweg in die Destruktivität mündet: „Die Tränen einer
hübschen Frau sind für mich wie eine hübsche Melodie.“
Nachdem er Katherine mit falschen Versprechungen verführt hat, beschließt
Madame de Winter die grausame Hinrichtung des Liebespaares im Rahmen ihres
Festes. Margaret kann sich dort einschleichen, Madame de Winter töten
und zusammen mit Marquis de Winter und ihrer Schwester fliehen. Als sie
den Marquis per Hexerei in ein Skelett verwandelt, trennt sich ihre Schwester
von ihr und denunziert sie. Margarets Hinrichtung fällt schließlich
auch Jeffries zum Opfer... Von der fast zweistündigen Originalfassung
ist hierzulande nicht viel übrig geblieben. Francos in düsteren
Bildern inszenierte Nonnenrevue ergeht sich in langwierigen Verherrlichungen
des weiblichen Körpers aus der Sicht des unersättlichen Voyeurs.
Das Drehbuch ist mit einer Ökonomie entwickelt, die möglichst
viel Raum für horizontale Betätigung läßt, sich jedoch
gleichzeitig mit einer banalen Charaktermotivation begnügt. Im Gegensatz
zu anderen Nonnenfilmen jener Zeit begeht Franco einen ungewöhnlichen
Bruch: Die Existenz des Bösen wird nie bezweifelt; Margaret wird
vom Teufel vergewaltigt und besitzt tatsächlich Zauberkräfte.
LOS DEMONIOS ist einer der wenigen Nonnen/Hexen-Filme, die keinen Zweifel
an der übernatürlichen Natur der Ereignisse lassen und damit
die humanistische Botschaft der Vorgängerfilme, die die Umtriebe
der Inquisition eher bloßstellen wollen, untergraben. Ähnliche
Beiträge gab es im Hexenjäger-Genre, doch dazu demnächst
mehr.
LE MONACHE DI SANT’ARCANGELO (Die Nonne von Verona, I 1973) von
Domenico Paolella (unter dem dem Pseudonym Paolo Dominici) ist der erste
von zwei historischen Ausstattungsfilmen dieses Regisseurs. Paolella nimmt
insofern eine besondere Position im Rahmen des Nonnengenres ein, da es
ihm gelungen ist, trotz zahlreicher - wenn auch vergleichsweise zahmer
- exploitativer Sequenzen genügend Geld aufzutreiben, um diese Filme
mühelos neben die Produktionen von Visconti und Russell zu stellen.
In ruhigen Kamerafahrten durchstreifen seine voyeuristischen Reisen in
die detailversessen restaurierte Vergangenheit stilvoll ausgeleuchtete
Sets, in denen sich teils namhafte Darsteller den mittelalterlichen Intrigen
hingeben. In LE MONACHE spielt Anne Heywood die machthungrige, lesbische
Äbtissin Julia, die um jeden Preis Mutter Oberin des Klosters St.
Angelo in Verona werden möchte. Die ältere Konkurrentin Mutter
Lavignia wird langsam vergiftet, die jüngere Mutter Carmela kommt
in den Klosterkerker, da sie einer Affäre als schuldig überführt
wird. Zur gleichen Zeit kommt die junge Adlige Isabella (Ornella Muti)
als Novizin nach St. Angelo, da sie einerseits von ihrem Geliebten Fernando
ferngehalten werden soll, und andererseits ihr skrupelloser Onkel Don
Carlos de Rivera sie so unter seine Kontrolle bringen will. Natürlich
gelingt es allen Beteiligten, in unbeobachteten Momenten ihren Liebschaften
nachzugehen, bis der ehrgeizige Vikar des Erzbischof eine Überprüfung
der suspekten Zustände vornimmt und ein Tribunal einleitet. Zuvor
gelingt es zwar Don Carlos, Isabella in seine Gewalt zu bringen, doch
mit einer List gelingt es ihr, zusammen mit Fernando zu entkommen. Schließlich
schlägt der Arm der Inquisition zu: Nach ausgiebiger Folter werden
die Nonnen Julia, ihre Geliebte Kiara und die unkeusche Carmela verurteilt.
Isabella wird von dem Gelübte entbunden. Während ihre Leidensgenossinnen
unmäßige Gefängnisstrafen erhalten, wird Julia der Tod
durch den Giftbecher befohlen. In einem letzten Akt der Rebellion prangert
sie ein System an, dessen Mißstände sie ebenso zur Sünderin
gemacht hätten, wie es auch der Erzbischof sei: „Ihr könnt
meinen Leib vernichten, aber meine Seele gehört Gott. Jetzt endlich
bin ich frei!“ Julias langer Gifttod unter Schrein und Krämpfen
wird in quälender Intensität vorgeführt.
Der zweite Film, direkt im Anschluß produziert, heißt STORIA
DI UNA MONACA DI CLAUSURA (Der Nonnenspiegel, BRD / F / I 1974) und dringt
weiter in den Bereich des erotischen Films vor. Er beginnt wie sein Vorgänger
mit historischen Holzschnitten, die dem Geschehen den Hauch des „Authentischen“,
des „Verbürgten“ geben. Hier wird die Welt des Klosters
mit all ihren Versatzstücken zum sexuellen Fetisch, vor allem der
Akt des An- und Auskleidens wird zur sinnlich betrachteten Standardsituation.
Explizite sexuelle Handlungen werden jedoch weiterhin verschlüsselt
und eher indirekt (etwa über die Tonspur) suggeriert. Erzählt
wird vom Schicksal der jungen Carmela (Eleonora Giorgi), die von ihrem
erbosten Vater ins Kloster geschickt wird, als sie statt ihres versprochenen
Ehemannes einen anderen Geliebten vorzieht. Die Novizin wird zum begehrten
sexuellen Objekt zweier lesbischer Nonnen, der zärtlichen Oberin
(Catherine Spaak) und der hintertriebenen, frivolen Elisabetha. Letztere
ermöglicht Carmela ein Rendezvous mit ihrem Geliebten, um deren Gunst
zu gewinnen. Als Carmela Elisabetha jedoch verdeutlicht, daß sie
keinerlei Begehren für sie empfindet, entfesselt diese eine Intrige,
der Carmelas Geliebter zum Opfer fällt. Statt sich jedoch vor Gram
zu töten, wie sie zunächst androht, bringt Carmela dessen Kind
zur Welt. Als die Inquisition auf ihren Plan tritt, verteidigen die Nonnen
ihre Gefährtin, indem sie alle behaupten, die Mutter zu sein. Carmela
- nun tatsächlich zu Gottes Dienerin gereift - gelingt schließlich
die Flucht in die Freiheit, doch eine erbarmunglose Schlußtafel
informiert, daß sie bereits ein Jahr später der Pest zu Opfer
fallen würde. Unter den exploitativen Nonnenfilmen nimmt STORIA einen
eher versöhnlichen Rang ein, hält sich sogar mit antiklerikaler
Polemik weitgehend zurück. Eine Glaubenskrise findet nicht statt,
alle Konflikte werden ins Reich privater Obsessionen projiziert. Beide
Filme von Paolella üben auch heute noch angesichts ihrer geradlinigen,
glatten Inszenierung und soliden Besetzung einen gewissen Reiz aus, baden
jedoch bei näherer Betrachtung ähnlich wie Eriprando Viscontis
Vorgänger letztlich in Kitsch und Schlüpfrigkeiten. Selbst bei
den Folterszenen gelingt es Paolella, der Atmosphäre einen gepflegten
Gothic-Charme abzugewinnen. Einige der trennscharf ausgeleuchteten, fast
surrealen Sets mit ihren erlesenen Sepia-Farben werden bleiben...
Gerade FLAVIA LA MONACA MUSSULMANA (Castigata, die Gezüchtigte /
Nonnen bis aufs Blut gequält / Nonnen - lebendig gehäutet, I
1974) von Flavio Mingozzi unter die Exploitationfilme einzureihen, mutet
rückblickend etwas ungerecht an. Mingozzi war ursprünglich engagierter
Dokumentarfilmer und verbindet offensichtlich auch mit der Nonnenthematik
seines ersten großen Spielfilms ein deutliches politisches Bewußtsein.
FLAVIA ist der formal rauhste und inhaltlich radikalste Film seiner Art:
Mit seinen körnigen, monochromen Montagefolgen anstrengender Nahaufnahmen
- tatsächlich erzählt er viel über die Gesichter seiner
Protagonisten - steht er eher in der Tradition der Ethnodramen Pier Paolo
Pasolinis (MEDEA) und des neuen Surrealisten Fernando Arabal (VIVA LA
MUERTE), von denen er auch die schockierende Konfrontationsästhetik
seiner Schlüsselszenen übernimmt. FLAVIA spielt im italienischen
15. Jahrhundert: Die Muselmanen überfallen die Küstenstadt Otranto
und metzeln dort über 800 Menschen nieder. Das Ereignis ist als das
„Martyrium der 800 von Otranto“ bekannt. Erzählt wird
aus der Sicht der unfreiwilligen Nonne Flavia (Florinda Bolkan), die von
ihrem Vater, dem Inquisitor Don Diego, ins Kloster gezwungen wurde. Rebellisch
hinterfragt sie permanent die Werte, die ihr dort vermittelt werden: Warum
soll Gott ein Mann sein? Mehrfach halluziniert sie, daß ein Wandgemälde
lebendig wird: Ein Muselmane, den ihr Vater einst vor ihren Augen enthauptet
hatte, lockt sie zu sich. Mehr und mehr identifiziert sie sich mit Lilith,
Adams verstoßener erster Frau. Agatha, eine ältere und vermutlich
lesbische Nonne, übt durch lange Gespräche Einfluß auf
sie. Sie sagt, die Nonnen könnten im Kloster an Macht gewinnen, da
sie dort vor deren Zugriff sicher seien. Der Irrtum dieser Annahme wird
Flavia wenig später deutlich. Ein Scherge ihres Vaters vergewaltigt
eine der Nonnen in einem Schweinestall. Statt den Schuldigen zu bestrafen,
wird die „zügellose“ junge Frau mit Blei und Zangen zu
Tode gefoltert. Flavia flieht zusammen mit Abraham, einem jüdischen
Freund, doch die Häscher ihres Vaters holen beide zurück und
peitschen sie. Einige Zeit später kommen Schiffe im Hafen an, die
die Schwarze Madonna mit sich führen. Zu spät erkennen die Einwohner
von Otranto, daß es sich um ein Täuschungsmanöver der
Muselmanen handelt. Als der Überfall beginnt, solidarisiert sich
Flavia mit dem Anführer, in dem sie die Vision aus ihrem Wandgemälde
zu erkennen glaubt. Nach einer Liebesnacht beschließt sie einen
Plan, um die Nonnen zu retten. Sie setzt die Frauen und die Soldaten unter
Drogen, auf daß sie sich in einer wilden Orgie ausleben. Doch die
einfache Philosophie „Sex statt Krieg“ geht nicht auf: Am
nächsten Morgen sind alle Frauen brutal massakriert worden. Flavia
legt desillusioniert die feindliche Rüstung an und hilft bei der
Exekution ihres Vaters mit den Worten: „Jetzt bezahlst Du dafür,
daß Du mich in eine von Männern dominierte Welt gesetzt hast.“
Der fremde Heerführer macht sie zu seiner Haremsfrau, was in Flavia
Erinnerungen an ihre Eingliederung in den Konvent weckt. Als die Muselmanen
abziehen, bleibt sie in den Händen der überlebenden katholischen
Soldaten zurück. Am Strand wird sie rituell entkleidet und lebendig
gehäutet. Immer wieder wird betont, dieser Film ertränke seine
feministischen Ambitionen in einem Meer von Blut und Sperma, ich würde
FLAVIA jedoch als einen bewußt ambivalenten, streckenweise delirierenden
Film beschreiben, dessen Überdeutlichkeit gerade keinen kathartischen
Charakter hat. Die Folterung der jungen Nonne, der die Brustwarze abgeschnitten
wird, die spätere Orgie zu Füßen der bereits gekreuzigten
Frauen, die nackte Nonne, die sich in den Bauch einer ausgeweideten Rinderleiche
zurückzieht...all das sind Bilde ohne befreienden Charakter. Auch
Florinda Bolkans oft fassungslos starrender Blick wirkt nach: All ihre
Bemühungen müssen an einer durchweg korrumpierten, vom Machismo
dominierten Welt scheitern. Die erhoffte Liebe kann sie nicht finden,
so bleibt der schmerzerfüllt Schrei bei ihrer Hinrichtung - auch
dies deutlich ins Bild gerückt - die einzige und letzte extrovertierte
Gefühlsäußerung. FLAVIA ist ein bitteres, schwer verdauliches
Dokument humanen Scheiterns.
LIEBESBRIEFE EINER PORTUGISISCHEN NONNE (BRD 1976) von Jess Franco basiert
wiederum auf einer literarischen Vorlage, den gleichnamigen Briefen der
Schwester Mariana Alcoforado (1640-1723). Kurz davor hatte übrigens
der spanische Horrorfilmspezialist Jordi (= Jorge) Grau eine Version des
selben Stoffes mit Lina Romay in einer Nebenrolle inszeniert. Francos
Version zumindest ist ein für seine Verhältnisse sehr gepflegt
inszenierter, fast atmosphärischer Film, mit gleitender Ruhe von
Peter Baumgartner gefilmt und mit einschmeichelnder Musik unterlegt. Erzählt
wird - nicht sehr nah an der Vorlage - von dem jungen Mädchen Marie
(Susan Hemingway), das von dem dubiosen Pater Vinzenz (William Berger)
ins Kloster geschafft wird, angeblich, um sie vor den drohenden Sünden
zu bewahren. Die alte, charakterschwache Mutter gibt ihr Geld und den
Segen noch dazu. Die Mutter Oberin, die eine eindeutig sexuelle Zuneigung
zu Marie faßt, entpuppt sich als Hohepriesterin eines Satanskultes,
den sie zusammen mit Vinzenz im Kloster praktiziert. Das unschuldige Mädchen
wird schweren körperlichen Strafen unterzogen und schließlich
zur potentiellen Mutter eines satanischen Kindes erkoren, das Vinzenz,
der „Stellvertreter“, mit ihr zeugen will. Maries Flucht führt
sie erneut in die Hände der Oberin, die das ungehorsame Mädchen
der Inquisition ausliefert. Auf ihre Hinrichtung wartend schreibt Marie
einen Brief an Gott und wirft ihn aus ihrem Verlies. Der portugiesische
Regent, der ihn findet, schreitet im letzten Moment zur Tat. Marie wird
leben. Francos dritter Beitrag zum Nonnengenre bietet einen gepflegten,
visuell geschönten Sadismus, der Maries Tortur als morbid-erotisches
Ereignis verkaufen möchte. LIEBESBRIEFE bestätigt nicht zuletzt
durch seine stilistische Glätte alle Vorurteile gegen diese Spielart:
Er präsentiert das Martyrium als gruseligen Erotizismus, wobei er
den kirchenkritischen Gestus schützend vor sich hält - anders
als der launische LOS DEMONIOS. Einmal mehr ist es die vielbeschworene
sexuelle Repression, die für die Untaten der Klosterleute verantwortlich
gemacht wird, von je her das simpelste narrative Alibi für sadistische
Ausschreitungen im Film. CARTAS DE AMOR DE UNA MONJA (1976) von Jordi
Grau unterscheidet sich radikal von Francos zwar stilvoller aber typisch
exploitativer Aufarbeitung. Es war wohl die Idee des Produzenten Erwin
C. Dietrich, die literarische Quelle lediglich als vagen Stichwortgeber
zu nutzen. Graus Film dagegen bemüht sich um eine sehr genaue Rekonstruktion
des Klosteralltags um 1640. Er erzählt von den seelischen Qualen
der Entbehrung, die die Protagonistin Madre Marianna de la Cruz (Analia
Gade) - hier weit älter als in Francos Version - auf sehr unterschiedliche
Weise zu kompensieren versucht. Nachdem sie die sexuellen Avancen der
Novizin Maria (Lina Romay) abgewehrt hat, läßt sie sich mit
einem Priester ein. Die Erlebnisse, Wünsche und Träume verarbeitet
sie in imaginären Briefen an Gott. Zum tragischen Schluß wird
sie bei einem Vergewaltigungsversuch durch den korrupten Don Rojas schwer
mit einem Messer verletzt und stirbt. Graus stimmungsvolle, schattenreiche
Bildgestaltung und das an historischer Musik orientierte Leitmotiv geben
dem Film einem schicksalsschweren und in ihrer Elegie fast meditativen
Charakter. Durch das langsame Erzähltempo und minimal eingesetzte
Affektmomente entzieht sich Graus Film elegant dem exploitativen Bereich,
hat aber außer einem langen Atem oft wenig zu bieten.
Etwas komplexer ist der fröhlich-frivole INTERNO DI UN CONVENTO (Unmoralische
Novizinnen, I 1977) von Walerian Borowczyk, der nach Motiven aus „Promenades
Romanes“ von Stendhal entstand. Borowczyks Ruf als stilvoller
Sexfilmer basierte damals vor allem auf dem Erfolg von CONTES IMMORAUX
(Unmoralische Geschichten, F 1973), einem Episodenfilm, der teilweise
die Mixtur aus Softcore-Erotik und Kostümdrama vorwegnahm. In INTERNO
beschreibt er - wie der Titel bereits vorgibt - den Alltag einiger junger
Nonnen, die in ihrem Kloster unter der Vorherrschaft einer gealterter
Mutter Oberin (Gabriella Giacobbe) zu leiden haben. Wie in seiner vorangehenden
Filmen schildert der Regisseur die Kraft der Sexualität als eine
trotz massiver Restriktionen immer wiederkehrende, nach Veräußerlichung
drängende Energie. Die jungen Nonnen nutzen jede Chance auf Zerstreuung,
musizieren, tanzen und tauschen lesbische Zärtlichkeiten aus, immer
vom wütenden Eingreifen der Oberin bedroht. Der Film hat einige Mühe,
die kurzen Episoden in eine durchaus vorhandene stringente Handlung einzubinden
und schaffte es unglücklicherweise nie, eine Spannungskurve aufzubauen.
Neben den Bemühungen der Oberin, zusammen mit Vater Luigi dem libertinen
Treiben Einhalt zu gebieten, bemüht sich der Film, die Heuchelei
des Klostersystems zu pointieren: In einem abgelegenen Gebäudeteil
wird eine schwangere Nonne versteckt gehalten. Borowczyks meist handgehaltene,
unruhige Kamera pendelt und kreist um die masturbierenden Nonnen, fängt
hier eine entblößte Brust, dort für Momente sichtbare
Schamlippen ein, um auch vor schockierenden Details keinen Halt zu machen:
Als die Oberin sie überrascht, spült eine der Nonnen das Blut
von ihrem selbstgeschnitzten Holzdildo. Borowczyk nutzt jede Chance, restriktive
Sexualmoral und die Falschheit christlicher Konvente gleichermaßen
bloßzustellen. Niemand hat je festgestellt wie nah er dabei Tinto
Brass’ etwas unausgegorenen politischen Bemühungen steht. Das
inquisitorische Moment ist hier allenfalls latent vorhanden - verkörpert
durch die ewig lauernde, spionierende Mutter Oberin -, dennoch kann INTERNO
DI UN CONVENTO angesichts seiner ambitionierten visuellen Poesie als einer
der stilistisch geschlossensten Nunsploitationfilme gewertet werden.
Wie viele Exploitationfilmreihen näherte sich auch der Nonnenkomplex
mit den ausgehenden siebziger Jahren seinem Ende. Der lesbische Sexfilm
SUORE EMMANUELLE (Die Nonne und das Biest, I 1978) mit Laura Gemser (natürlich
als Emmanuelle), von Giuseppe Vari unter dem Namen Joseph Warren inszeniert,
kann als bescheidener Nachtrag verstanden werden. SUOR OMICIDI (Geständnis
einer Nonne, I 1978) von Giulio Berruti andererseits beschäftigt
sich in Form eines zeitgenössischen Psychothrillers mit einer psychopathischen
Killernonne; auch hier kommt es zu sexploitativen und grausamen Momenten,
doch sowohl Intention als auch Inszenierung haben mit dem historischen
Nonnendrama nichts zu tun. Lediglich der Flirt mit der Blasphemie hat
seinen Reiz offenbar noch nicht verloren - vor allem im katholischen Italien.
The nun is a troubling figure,
because she wields much emotional power without any tangible authority.
She cannot bless the Eucharist or hear confession, but she can make You
feel damned for all eternity. She is the bride of Christ but bears no
fruit. It is with these dichotomies that these films wrestle.
Sabrina Fontaine Kaleta, „Holy Disorder“
Das letzte Wort
Die achtziger Jahre sind von den letzten Versuchen der italienischen
Filmindustrie geprägt, noch einmal an die lukrative Geldquelle, die
der Exploitationfilm darstellte, anzuknüpfen. Remakes, Wiederholungen
und oft unsinnige Variationen waren an der Tagesordnung. In diese Wiederbelebungskategorie
fällt etwa das Werk eines Regisseurs, der noch heute - allerdings
im Bereich des Pornofilms - immer wieder die selben bekannten Szenarien
verarbeitet: IMMAGINI DI UN CONVENTO (I 1979) von Aristide Massaccesi,
d.i. Joe D’Amato. Obwohl Massaccesi durch seine vielseitige Funktion
als Regisseur, Autor und Kameramann eine niedere Form des Autorenfilms
vertritt, läßt sich gerade in den letzten Jahren immer weniger
zu seiner eventuellen Ehrenrettung sagen. In diesem DEVILS-Nachzieher
geht es um ein Kloster, dessen Nonnen von einer dämonischen Statue
besessen sind. Genug Vorwand also für zügellose Orgien, bis
ein Priester durch Exorzismus der Statue die Nonnen von ihrem libertinen
Geist befreien kann. Wie noch in den meisten seiner Filme der siebziger
Jahre hat auch dieser Film D’Amatos Sequenzen, die ihn als ähnlich
besessen und fetischistisch wie Jess Franco erscheinen lassen und dem
Film durchaus einen erotischen Charme verleihen, eine Tendenz, die vor
allem in den letzten zehn Jahren aus seinen Filmen völlig verschwunden
ist. Mit dem expliziten Sex seiner letzten Pornos ist jede gestalterische
Originaltät überflüssig geworden; Erotik wird nicht mehr
beschworen, sie wird erzwungen.
Zwei Jahre später widmete sich der durchaus ähnlich uninspirierte
Sleaze-Filmer Bruno Mattei unter dem Pseudonym Stefan Oblowsky zweimal
dem Nonnengenre. Sein erster Beitrag ist LA VERA STORIA DELLA MONACA DI
MONZA (Das süße Leben der Nonne von Monza, I 1981), eine im
besten Falle pragmatisch zu nennende Softcore-Version dieses Stoffes.
Der deutsche Titel mutet eher zynisch an, läßt er doch eine
Komödie dahinter vermuten, doch Mattei steht der Sinn nach Nacktszenen,
simuliertem Sex, Demütigungen und Auspeitschungen. Die junge Adlige
Virginia (Zora Kerowa) wird auf Geheiß ihres Vaters ins Kloster
gebracht. Nach einigen Demütigungen durch die Oberin kann sie jedoch
überraschend ihre Position sichern: Ihr Vater stirbt und sie wird
selbst zur Mutter Oberin, zur „Nonne von Monza“. Ein junger
Adliger, Osio, wird auf sie aufmerksam und versucht, sie mit Hilfe des
Priesters Don Arrigone (Mario Cutini) zu verführen. Das wird durch
ihre lüsternen Phantasien zunächst begünstigt, dennoch
wird sie von ihrem Verehrer schließlich im Chorgestühl vergewaltigt.
Dieses grobe Handlungsgerüst liefert den Vorwand für reißerische
Episoden, die von Mattei mit plumper Hand und voyeuristisch schwenkender
Kamera in Szene gesetzt werden. Zu Beginn sieht man die Pferdekopulation
aus Borowczyks LA BETE, grob in das neue Material integriert, dann kommt
es zu einer Karnevalsorgie mit viel simuliertem Gebalge und Gestöhne,
bis der Priester, der sich als Luzifer verkleidet hat, zum Tableau ruft:
Alle Orgienteinehmer sollen sich auf der Festtafel vergnügen, was
plötzlich zu einer erstaunlichen Ideenlosigkeit unter den Beteiligten
führt. Eine ältere Schwester wird mit Knochenkrebs in eine Kellerzelle
abgeschoben, wo sie sehr bald von Ratten vertilgt wird. Zu den amüsanten
Szenen gehört die Sequenz, in der ein noch immer satanisch gekleideter
Priester Virginias Beichte abnimmt, um sie danach sexuell zu belästigen.
Nachdem sich Virginia auf eine Liaison mit ihrem Vergewaltiger (!) Osio
eingelassen hat und wenig später schwanger ist, stürzt die Dramaturgie
des Films ab. Laster und Fröhlichkeit halten Einzug ins Kloster von
Monza: Eine Viererorgie läßt die verklemmte Triole aus John
MacNaughtons WILD THINGS vor Neid erblassen. Als Virginia ein totes Baby
zur Welt bringt, nimmt das Geschehen unweigerlich einen düsteren
Verlauf. Osio nimmt sich mit der Novizin Margherita eine neue Geliebte,
und Virginia entsagt seiner Liebe. Osio beugt dem Verrat durch Margherita
vor, indem er sie erschlägt, doch das System ist bereits in der Auflösung
begriffen: Die Inquisition tritt auf ihren Plan. In einem spontanen Tribunal
wird das Verbrechen aufgedeckt, Osio zum Tode verurteilt, Arrigone zu
zwei Jahren Kerker verdammt und Virginia wird lebendig eingemauert. Wie
Matteis KZ 9 - LAGER DI STERMINO (1976) kann man auch diesem Film einige
atmosphärisch dichte Momente nicht absprechen, letztlich vereinigt
auch er sämtliche Vorurteile. Ähnliches gilt für den Killernonnen-Horrofilm
L’ALTRO INFERNO (I 1981), den er gleich im Anschluß inszenierte.
Auch Luciano Odorisio widmete sich dem klassischen Motiv der vergewaltigten
und eingemauerten Nonne von Monza in LA MONACA DI MONZA (The Devils of
Monza, 1986), eine erstaunlich anachronistische Aufbereitung mit der bezaubernden
Myriem Roussel in der Titelrolle, die in der drastisch-sexistisch inszenierten
Vergewaltigungssequenz durch Osio deutlich an die Sexploitation der siebziger
Jahre anschließt.
Eine letzte Erinnerung an Domenico Paolellas Ausstattungsdramen wird in
STEALING HEAVEN (Zeit der Dunkelheit, GB / Jugoslawien 1987), von Clive
Donner nach einem melodramatischen Roman von Marion Meade inszeniert,
wach. Im 12. Jahrhundert lernt der gelehrte Prediger Abelard (Derek de
Lint) in Paris die junge Heloise (Kim Thompson) kennen und lieben. Lange
können sie ihr Verhältnis geheim halten, doch schließlich
wird Abelard überführt, kastriert und in ein Kloster gebracht.
Jahre kann er nur brieflich mit seiner Geliebten kommunizieren, bis er
sie später - zu spät - wiedertrifft. Wie Paolellas Filme bleibt
Donners Film trotzt dichter Atmosphäre im trivialen Bereich, was
u.a. dazu führte, daß ihn der Verleih als Fortsetzung von STORIA
DI UNA MONACA DI CLAUSURA ausgab.
Zwei qualitativ sehr unterschiedliche Nonnenhorrorfilme läuteten
die Neunziger Jahre ein. DEMONIA (I 1990) von Lucio Fulci reiht sich nahtlos
in dessen oft unfreiwillig komisches Spätwerk ein. In dieser unbeholfenen
Gothic-Fantasy mit Splattereinlagen geht es um den Fluch einiger im Mittelalter
gekreuzigter Nonnen in einer kleinen sizilianischen Gemeinde. Die englisch-russische
Koproduktion DARK WATERS (GB / Rußland 1993), der Debütfilm
von Mariano Baino, hingegen entwickelt seine okkulte Fabel wesentlich
stilsicherer und schließt in seinen finsteren Momenten nahtlos an
Michele Soavis Gothic-Chiller LA CHIESA (The Church, Italien 1990) an.
Die junge Frau, die hier auf der Suche nach den Geheimnissen der Vergangenheit
feststellt, daß sie selbst zu den Wächterinnen am Tor zur Hölle
gehört - und schon immer gehörte - sieht sich mit einer Reihe
unheimlicher, skrupellos mordender Kirchenschwestern konfrontiert, die
von Ferne die Schatten der intriganten Siebziger-Jahre-Nonnen tragen.
Doch strenggenommen erzählt der junge Regisseur hier eher THE SENTIEL
(Hexensabbat, USA 1977) von Michael Winner mit den Mitteln Dario Argentos
neu.
In den achtziger Jahren fand die Nunsploitation - abgesehen von einigen
Nachziehern - ein vorhersehbares Ende. Die große Zeit des Aufbegehrens
war vorbei, die mediterrane Filmwirtschaft zu Boden gewirtschaftet. Amerikanische
A- und B-Produktionen beherrschten Kino- und Videolandschaft. Lediglich
im pornografischen Film rekurrieren Regisseure immer wieder auf das längst
enttabuisierte Klosterthema, jedoch lediglich, um dem ausgemolkenen Rein-raus-Spiel
eine neue pittoreske Spielwiese zu ermöglichen. Vorbei ist die Rebellion
im weißen Schleier... auch wenn die Klagen der Gezüchtigten
nie verhallen werden...
2. Hexenwahn und Ketzerjagd
Finsternis bedeckt die Erde, /
und das Volk liegt im Schlaf, / doch warum es schläft, / darauf gibt
niemand eine Antwort. / Und sein Erwachen wird so dumpf sein / wie sein
Schlaf.
Adam Mickiewicz, „Ahnenfeier, III. Teil“
So ist dem Haß kein Tod beschieden:
virulent und vital wie das Leben selbst, begleitet er das Leben und gehört
zum ihm wie der Schweif zum Kometen.
Jerzy Kosinski, „Der bemalte Vogel“
„Was wird mir vorgeworfen?“
Wie der Nonnenfilm mit Denis Diderots „La Religieuse“
hat auch der Hexenfilm eine literarische Quelle: Jules Michelets „La
Sorcière“ („Die Hexe“, 1862). Frankreichs berühmter
Historiker vollzieht in diesem Buch die Geschichte der Hexenverfolgung
von dem Ende des Naturglaubens bis zu den Anfängen der französischen
Revolution nach, wobei er sich eines oft romanhaften Prosastils bedient,
der historische Ereignisse in persönlichen Schicksalen auflöst.
Dabei vertritt er für die damalige zeit revolutionäre Thesen:
Er bezeichnet die Verfolgung der Hexen als deutlichsten Ausdruck für
die jahrhundertelange Unterdrückung der Frau und assoziiert den Naturglauben
weniger mit der Dekadenz gelangweilter Aristokraten und frustrierter Geistlicher,
als mit der Verzweiflung der unteren Gesellschaftsschichten, die angesichts
ihrer Ausbeutung selbst in der Hölle einen lukrativen Zufluchtsort
sahen. So streitbar Michelets Thesen im Einzelnen sein mögen, so
bleibt sein Buch eine der stilistisch geschlossensten und intensivsten
Anklagen gegen die Verbrechen einer sich selbst als zivilisiert definierenden
Gesellschaft.
Übrigens sollte der antichristliche mittelalterliche Satanismus,
auf den auch die Nonnenfilme immer wieder anspielen nicht mit dem libertinen,
dekadenten Satanismus der Schwarzen Romantik des späten neunzehnten
Jahrhunderts verwechselt werden, wie ihn u.a. Charles Baudelaire in einigen
Gedichten und Joris Huysmans in seinem dekadenten Roman „La bas“
(„Ganz unten“) beschreiben. Der moderne Satanismus der kalifornischen
„Church of Satan“, deren Gründer Anton Szandor LaVey
letztes Jahr verstorben ist, ist wiederum eine andere Kategorie: Dort
handelt es sich um eine streng materialistischen und hedonistischen Kult,
der auf eine pragmatische Optimierung des individuellen Vorteils abzielt.
Der Satanismus, dem wir in den Nonnen- und Hexenfilmen begegnen, muß
demnach entweder als antichristliche - und demnach noch immer christliche
- Protestbewegung gewertet werden, oder aber tatsächlich als schleichende
Revolution der Unterschicht, wie Michelet es definiert.
Eure Ideen sind grauenerregend, eure Herzen schwach.
Eure dem Mitleid und der Grausamkeit entsprungenen Taten sind absurd;
eine Hast eignet ihnen, als wären sie unwiderstehlich. Zuletzt wird
eure Angst vor dem Blut immer größer. Vor dem Blut und der
Zeit.
Paul Valéry
„Wir werden schon etwas finden!“ Die Jagd
beginnt
1920 gab die Hexerei im Film ihren spektakulären Einstieg.
Lange als verschollen gewertet, gilt Benjamin Christensens episodenhafter
„Lehrfilm“ HÄXAN (Hexen) heute als kleines Kabinettstück
expressionistischen Horrors. In einer drei-Akte-Struktur thematisiert
der Film die Geschichte und Phänomenologie der Hexerei. Teil eins
gibt eine kulturhistorische Einführung, zwei setzt die angeführten
Beispiele in kleine Spielszenen um und in Teil drei wird eine psychologische
Deutung versucht. Mit bizarrem Schattenspiel und an Hieronimus Bosch erinnernden
Details wird vor allem in Teil zwei ein bizarres Horrorszenario entworfen:
Pakte mit dem Teufel, Anmischen von Naturmedizin, Flüche und Zauberei.
Dabei wirkt der Film in seiner freimütigen Fabulierkunst natürlich
wesentlich mehr verschleiernd als erhellend. Schon in den zwanziger Jahren
schien ein historisches Szenario Grund genug für offene Nacktszenen
und Grausamkeiten zu sein.
Das nüchtern stilisierte Drama DIES IRAE (Tag der Rache, Dänemark
1943) von Carl Theodor Dreyer erzählt wesentlich dezenter vom Schicksal
einer dänischen Pfarrersfamilie im Dänemark des 17. Jahrhunderts.
Ein Pfarrer gerät in emotionale Konflikte, als er eine alte, der
Hexerei überführte Frau verbrennen läßt, in deren
Stiefsohn sich seine junge Frau verliebt. Der Film erreicht seinen Höhepunkt,
als der junge Martin selbst seine Geliebte verdächtigt, der Hexerei
schuldig zu sein und sie zwingt zu schwören. Der Film verweist hier
radikal auf eines der grundlegenden Motive der Gesellschaft für die
Inquisition: die Angst und die Unsicherheit. Der Hexenwahn wurde aus der
Angst des Abendlandes vor dem religiös heraufbeschworenen Mysterium
„Frau“ geschaffen. Die Mythifizierung der Frau und Stilisierung
zur Madonna resultierte in einer tödlichen Misogynie. Die Impotenz
der Männer wurde in die entmachtete, gefangene Frau zurück projiziert.
Wie in allen „Folterkulturen“ begreift sich der Folterer als
Vertreter des Wahren und Reinen. Er ist eine Mischung aus Paranoiker und
Moralist.
GALILEO (Galileo Galilei, Italien / Bulgarien, 1968) beschwört den
Wissenschaftler und Astronomen Galilei als eine progressive Kraft, die
der Kirche ein Dorn im Auge wird und sich zu Beginn des siebzehnten Jahrhunderts
vor der Inquisition für seine revolutionären, „gottlosen“
Thesen verantworten muß. Vergleichbar politisch, aber mit einer
deutlichen Freude an Farbe und Form inszenierte die italienische Regisseurin
Liliana Cavani (siehe das Porträt in SI Nr. 25) ihren ersten Kinofilm,
der vor allem durch die Musik Ennio Morricones, die er noch einmal in
GIORDANO BRUNO (1974) verwendete, den Hauch der rußschweren, fanatisierten
Luft der Geschichte atmet. Der Bezug zwischen beiden Filmen liegt auf
der Hand: Nach seiner Begegnung mit Giordano Bruno im Jahr 1592 ist Galileo
überzeugt, daß die Sonne, und nicht die Erde, der Mittelpunkt
des Universums ist. Für die Kirche ist diese Erkenntnis Ketzerei.
Sie verhindert Galileos weitere Forschung und zwingt ihn, 1633 vor einem
Inquisitionsgericht eine feierliche Abschwörung zu unterzeichnen.
Für die Regisseurin verkörpert dieser Prozeß den Kampf
des Einzelnen innerhalb eines diktatorischen Systems. 1970 wurden folglich
einige Sequenzen aus Cavanis Film in die antiklerikale Polemik KETZER
von Horst Manfred Adloff integriert, der in dieser Mischung aus Dokumentarmaterial
und Spielszenen „2000 Jahre Folter, Mord und Unterdrückung
im Namen der Kirche“ anprangert.
Der 1968 inszenierte Historienfilm BEATRICE CENCI (Die Nackte und der
Kardinal, Italien) von Lucio Fulci zählte zu den persönlichen
Lieblingsfilmen des Regisseurs. Tatsächlich scheint er dessen kreativste
Phase einzuleiten, die bis 1982 anhielt. Der aufwendig ausgestattete Film
wartet mit atmosphärischen, kontrastreichen Tableaux auf und präsentiert
bereits alle Stilmerkmale eines Fulci-Films der siebziger Jahre: unruhige
Handkamera, Zooms, Schärfeverlagerungen sowie häufig innere
Montage durch Tiefenschärfe. Die historische Geschichte vom tragischen
Schicksal der Familie Cenci im Rom der Renaissance dient als Anlaß
für ein episch ausgebreitetes Folter- und Hinrichtungsszenario, dessen
Sympathieträgerin die fälschlich des Vatermordes angeklagte
junge Schönheit Beatrice Cenci ist. Sie erschlug ihren Vater, einen
rücksichtslosen Lebemann, nachdem er sie vergewaltigt hatte. Großzügig
schwenkt Fulci mit der Kamera hautnah über geschändete, verstümmelte
und verbrannte Körper, zeigt die Zeugenschaft der Agonie, wie überhaupt
das Sehen, Befehlen und Erleiden von Schmerz die einzigen Themen des Films
sind. Fulci war kein Mann der leisen Töne, so sucht er stets nach
den prägnantesten Worten, den deutlichsten Kontrasten: Wie sein Psychothriller
NON SI SERVIZIO UN PAPERINO (1972), in dem aus der Inquisition ein bürgerlicher
Lynchmob wird, beginnt BEATRICE CENCI mit einem klagenden Kindergesang,
zu dem sich die Kunde von der bevorstehenden Hinrichtung verbreitet.
THE WITCHFINDER GENERAL (Der Hexenjäger, GB 1968) von Michael Reeves,
in Amerika nach der Edgar Allen Poe-Story THE CONQUEROR WORM benannt,
kann nicht nur auf Grund seines Titels als eigentlicher Ursprung der Hexenjäger-Welle
gelten. In ausgewaschenen Farben - nur das leuchtende Rot der Uniformen
und des Blutes bildet nahezu störende Akzente - erzählt der
Filme zu einer traurigen Gitarrenmelodie die Geschichte eines jungen Liebespaares,
das im krisengeschüttelten England unter Oliver Cromwell (1645) in
einen blutigen Konflikt mit der Inquisition gerät. Der professionelle
Hexenjägergeneral Matthew Hopkins (Vincent Price) durchstreift das
Land auf der Suche nach Folter- und Hinrichtungsopfern, die ihm gutes
Geld bringen. In der Ortschaft Brandiston foltert er den der Hexerei bezichtigten
liberalen Pastor, bis ihn seine Tochter Sarah gegen sexuelle Dienste freikaufen
will. Hopkins geht zunächst darauf ein, läßt den alten
Mann allerdings einkerkern. Als ein Folterknecht Sarah vergewaltigt, verliert
Hopkins das Interesse an ihr und läßt den Pastor erhängen.
Sarahs Verlobter Richard, Soldat im Dienste Cromwells, erfährt vom
tragischen Schicksal der Geliebten und versucht sie zu befreien. Hopkins
kann ihm allerdings zuvor kommen und stellt dem Pärchen eine Falle.
In der Folterkammer erfüllt sich das Schicksal der Protagonisten
in Blutrausch und Wahnsinn. Während Richard Hopkins mit einer Axt
tötet, bricht Sarah in verzweifelte Schreie aus...
Mehr als alle vorhergehenden Inquisitionsfilme umgab sich THE WITCHFINDER
GENERAL mit dem Ruch des Horrorfilms: Michael Reeves, der wenig später
Selbstmord begehen sollte, hatte zuvor zwei Inszenierung im Horrorgenre
absolviert und mit Vincent Price wurde einer der großen Stars des
Horrorfilms engagiert. Der junge Regisseur bemühte sich, den augenzwinkernden
„camp“, den Price durch seine Rollengeschichte mitgebracht
hatte, zu eliminieren und konzentrierte sich auf einen bis dahin wenig
erforschten Bereich des Genres: den puren Körper-Horror. Matthew
Hopkins, der drohende Schatten bereits zu Beginn des Films, präsentiert
sich als obsessiver, sexuell repressiver Machtmensch; im Gegensatz anderen
Beispielen ist sein Hexenjäger nicht impotent, sondern in der Tat
machtgierig und grausam. Die Torturen überwacht er ungerührt,
mit wissenschaftlichem Stoizismus. Der mißhandelte Körper -
in diesem Film häufig auch ein alter, faltiger, oder - im Gegensatz
zu vielen Nachziehern - männlicher Körper. Hopkins genießt
weniger die Qual seiner Opfer als den Moment der Macht, wenn sie sich
ihm freiwillig ausliefern, wie es Sarah zunächst tut. Der Zuschauer
ist dem realen Grauen der Folter hilflos ausgeliefert, kann sich nicht
von einem eventuell übernatürlichen Geschehen distanzieren.
Nur durch den radikalen Körperhorror ist es Reeves möglich,
seine deprimierende und letztlich zutiefst humanistische Botschaft zu
vermitteln. Sein Modell des destruktiven Kreislaufs der Gewalt kann nur
im Wahnsinn enden. Auffällig ist die eher positive Position der liberalen
Kirche, verkörpert durch Sarahs Vater. Die Bedrohung geht eher von
den freischaffenden Inquisitor und der staatlichen Macht, nämlich
Oliver Cromwell, aus.
Im Dunstkreis der Hammer-Film-Produktion wurde immer wieder Bezug auf
den Hexenwahn genommen, meist jedoch nur als Vorwand für die Motivation
des Einbruches übernatürlicher Ereignisse ins gegenwärtige
Großbritannien. Eines jener prominent besetzten Beispiele ist Vernon
Sewells CURSE OF THE CRIMSON ALTAR (Schwarze Messe auf blutrotem Altar
/ Die Hexe des Grafen Dracula, GB 1968) mit Christopher Lee, Boris Karloff
und Barbara Steele. Christopher Lee spielt einen Nachkommen der im Mittelalter
hingerichteten Hexe Lavignia, der mit Hilfe von Hypnose und Schwarzen
Messen Rache an den Nackfahren der Hexenjäger nehmen möchte.
Dieser Film zeigt sich eher interessiert an hippiesken Bodypainting-Orgien,
Beatmusik und kitschig inszenierten Sadomaso-Szenarien und der karnevalesken
Reinszenierung einer Hexenverbrennung. Der Film enthält nur einen
interessanten Bezug zum eigentlichen Inquisitionsthema: Der Antiquitätenhändler
Manning zeigt seiner Sekretärin einen Hexenjäger-Dolch, mit
dem der „Bluttest“ durchgeführt wurde. Dieser Dolch hat
eine versenkbare Klinge, hinterläßt also weder Schmerz noch
eine Wunde. Die weniger trickreiche Anwendung dieses Instruments hatte
Reeves in seinem Film demonstriert. In dem historischen Soziodrama KLADIVO
NA CARODEJNICE (Die Hexenjagd, Polen 1969) von Otakar Vávra richtet
sich der Inquisitor schließlich sogar gegen die Leute, die ihn gerufen
haben.
Legs wrenched apart upon stone
slabs
Babalon’s daughters slain,
In pain of their secrets which couldn’t be torn from them.
Sixth Comm / Mother Destruction, „Mithras“
Witchploitation
Das Jahr 1969 sollte eine ganze Reihe von Nachziehern einläuten,
die auf mehr oder weniger gelungene Weise das Geschehen aus WITCHFINDER
GENERAL variieren. Den Einstieg präsentierte Adrian Hoven mit einer
deutsch-britischen Produktion HEXEN BIS AUFS BLUT GEQUÄLT / MARK
OF THE DEVIL, inszeniert von Michael Armstrong, erzählt die Geschichte
eines tödlichen Vater-Sohn-Konfliktes. Der entstellte, sadistische
Hexenjäger Albino (Reginald Nalder) treibt in einem österreichischen
Landstrich des siebzehnten Jahrhunderts sein Unwesen. Als er sich in eine
Wirtsfrau „verliebt“ und zurückgewiesen wird, leistet
er sich Ausschreitungen, die selbst für einen Hexenjäger nicht
mehr tolerierbar sind. Er wird durch Lord Cumberland (Herbert Lom) ersetzt,
der jedoch ähnliche Willkür an den Tag legt - nachdem er Albino
getötet hat. Als sich sein Sohn Christian (Udo Kier) in das Bauernmädchen
Vanessa (Olivera Vuco) verliebt, klagt Cumberland die junge Frau der Hexerei
an. Christian, bestürzt über die Ungerechtigkeit seines Vaters,
dessen Mord an Albino er miterlebte, befreit Vanessa aus dem Kerker, die
umgehend einen Volksaufstand anzettelt. Christian selbst wird unglücklicherweise
Opfer des Lynchmobs, während sein Vater entkommen kann. Armstrong
schuf hier mit weit weniger Schicksalsschwere als Reeves den ersten rein
exploitativen Hexenfilm, dessen konstruierte, spannungslose Handlung lediglich
Stichworte für eine effekthascherische Nummernrevue darstellt. Dabei
halten sehr einfache Erklärungsmuster für die Motivation der
Folterer her: Albino handelt in sexueller Frustration, da ihm sein entstelltes
Gesicht keine Chance bei den Frauen läßt, während Cumberland
ein rücksichtsloser Machtmensch ist, dessen Gewalttaten allesamt
rational begründet sind und dem eigenen Vorteil dienen. Formal bedient
sich der Film des gewohnten Eurostils mit schnellen Zooms, Nahaufnahmen
schreckverzerrter Gesichter und dem kurzen Blick auf oft einfach gestaltete
Bluteffekte wie Verstümmelungen und Striemen. Nach Reeves komplexem
Szenario wendet sich Armstrong bereits der rein sexualisierten Gewaltdarstellung
zu, indem er fast ausschließlich attraktive junge Frauen foltern
läßt. Die haarsträubendste Sequenz ist dabei die Tortur
einer hübschen Blondine, der mit einer riesenhaften Zange die Zunge
herausgerissen wird.
Jess Franco wollte da natürlich nicht zurückstehen und inszenierte
mit IL TRONO DI FUOCO (Der Hexentöter von Blackmoor) einen waschechten
Rip-Off, der immerhin den Horrorstar Christopher Lee aufbieten konnte
- auch Armstrongs Film hatte schließlich schon eine beachtliche
Besetzung aufzubieten. Nach dem Tod von König Charles versucht George
Jeffreys, der Oberste Richter Englands im Jahre 1685, das rücksichtslose
Regime von James II zu festigen, indem er die politischen Gegner der Hexerei
bezichtigt und nacheinander zum Tode verurteilt. Auch hier sind die Folterszenarien
hemmungslos sexualisiert. Wie gewohnt existieren einige unterschiedliche
Versionen des Films, die mal mehr Sex, mal mehr Action enthalten. Natürlich
wird Jeffreys Schicksal am Ende besiegelt: Der Richter wird erst erhängt
und dann enthauptet, oder umgekehrt? Francos Historienspektakel ist aufwendig
und bunt ausgestattet und für seine Verhältnisse recht sauber
inszeniert, wobei der halbherzig erzählten Liebesgeschichte zwischen
Hans Hass und Margaret Lee eher Alibifunktion zukommt. Visuell hat er
sogar eine dichtere Atmosphäre zu bieten als die Adrian-Hoven-Produktionen.
Der japanische Episodenfilm TOKU GAWA IREZUMISHI-SEMEJIGOKU (Tokugawa
II - Das Freudenhaus von Kawasaki) von Teruo Ishii entstand 1969 als Nachfolger
zu TOKU GAWA ONNA KEIBATSUSHI (Tokugawa - gequälte Frauen) des selben
Regisseurs und läßt sich mit seiner Erzählung vom Leidensweg
eines jungen Bauernmädchens durch Bordell und Folterkammer durchaus
neben die europäischen Folterkammer-Dramen einordnen. Die Hexenthematik
steht hier jedoch eher im Hintergund.
BLOOD ON SATAN’S CLAW / SATAN’S SKIN (In den Krallen des Hexenjägers
/ In den Krallen des Satans, GB 1970) von Piers Haggard und CRY OF THE
BANSHEE (Der Todesschrei der Hexen, GB 1970) von Gordon Hessler verzeichneten
gegenüber den britischen Horrorfilmen jener Tage zumindest einige
atmosphärische Vorzüge. Beide Filme, die in der Zeit der Hexenverfolgung
spielen, vermischen okkulte Motive mit der Inquisition und dämonischen
Phänomenen.
1972 drehte Adrian Hoven, der Produzent von MARK OF THE DEVIL, unter eigener
Regie und mit sich selbst in einer Hauptrolle HEXEN - GESCHÄNDET
UND ZU TODE GEQUÄLT, eine thematisch identische Fortsetzung seines
erfolgreichen Bahnhofskinoklassikers. Eine leichte Variation im Figurenensemble
soll frischen Wind in das abgenutzte Konzept bringen: Der offizielle Hexenjäger
Balthasar von Ross (Anton Diffring) nutzt seine Machtposition aus, um
sich Frauen sexuell gefügig zu machen und die Bürger zu enteignen.
Widerstand wird mit Kerker, Folter und Hinrichtung vergolten. Als er den
beliebten Adligen Alexander von Salmenau (Adrian Hoven) ebenfalls beseitigt,
bringt er die Leute gegen sich auf. Posthum erklärt er den Mann zum
Ketzer und trachtet nun auch dessen Witwe (Erica Blanc) und Sohn nach
dem Leben. Im letzten Moment schenkt ihnen ein mitleidiger Folterknecht
das Leben und verhilft ihnen zur Flucht. Von Ross wird in einem Volksaufstand
gelyncht. HEXEN sieht noch billiger aus als sein Vorgänger, wobei
die klinisch-künstlich ausgestatteten Bilder an harmlose Fernsehserien
erinnern, wieder sind es nur die Foltersequenzen, die durch ihre grausame
Dreistigkeit, auf schmerzlichen Körperhorror ausgerichtet, in Erinnerung
bleiben: Als die Folterknechte das Interesse an ihrem weiblichen Opfer
verlieren, lassen sie es einfach mit gespreizten Beinen auf einen spitzen
Pflock fallen...
Die Nachwehen des dunklen Zeitalters dominierte die Angst im Abendland.
Der Naturphilosoph und Freigeist Giordano Bruno (Gian Maria Volonté)
entfesselte als einsamer Ketzer den aussichtslosen Kampf gegen Irrationalismus
und kirchliche Diktatur. „Wir müssen wieder anfangen zu atmen,“
sagt er zu der ihn begehrenden Adligen (Charlotte Rampling). In den höheren
Kreisen fragt man sich: „Beschäftigt er sich denn auch mit
Politik?“ - „Mit Philosophie, mit Politik. Er beschäftigt
sich mit allem!“ Bruno wird in seinem umfassenden, rationalen Wissensdurst
zum gefährlichen Mann, zum Staatsfeind, der im Jahr 1600 in Rom auf
dem Scheiterhaufen verbrannt wird. 1974 inszenierte Giuliano Montaldo
seinen thesenhaften Historienfilm GIORDANO BRUNO (Giordano Bruno - Der
Ketzer soll brennen / Der Mönch von San Dominico), der mit beeindruckender
Detailfreude eine haßerfüllte Zeit beschwört, zu den gewichtigen
Worten der oft gekünstelten Dialoge jedoch keine stilistische Entsprechung
finden kann. Ein ebenso prunkvoller wie oberflächlicher Film, dem
es an der politischen Radikalität einer Liliana Cavani mangelt.
Im selben Jahr drehte der berühmte Autor des französischen Experimentalromans
und von Alain Resnais’ Film L’ANNÉE DERNIÈRE
À MARIENBAD (Letztes Jahr in Marienbad, F 1960) Alain Robbe-Grillet
seine Inquisitionsfabel GLISSEMENTS PROGRESSIFS DU PLAISIR. Es gelang
es ihm, mit pointierten Stilmitteln einen bedeutenden Schritt in Richtung
seiner sehr komplexen Vision vom Film zu tun: GLISSEMENTS PROGRESSIFS
DU PLAISIR adaptiert „La Sorcière“ von Jules Michelet
und versucht, dem Stoff eine abstrakte zeitgenössische Wendung zu
geben. Es geht um die vergebliche Rekonstruktion der Vergangenheit: Ein
junges Mädchen (Anicée Alvina) wird beschuldigt, ihre Freundin,
eine Prostituierte, bei der sie lebte, mit einer Schere ermordet zu haben.
Nacheinander wird sie von einem Kriminalkommissar (Jean-Louis Trintignant),
einem Geistlichen und einem Juristen verhört. Robbe-Grillet mischt
diese Verhör- und Verführungssituationen mit Erinnerungen und
Visionen des Mädchens, das seit jeher ein sinnliches Interesse an
fließendem Blut zu haben scheint. Durch die ständigen Variationen
und Widersprüche in ihren Schilderungen stellt sie schließlich
die Werte und die Moral ihrer Ankläger in Frage, provoziert gar eine
Auflösung der Identität einiger der Beteiligten. Was in Robbe-Grillets
frühen Filmen L’IMMORTELLE (Die Unsterbliche, 1962) und L’HOMME
QUI MENT (Der Lügner, 1966) noch in detailreichen, pittoresken Tableaux
dargestellt wurde, reduziert er hier auf eine nüchterne weiße
Zelle, in der das meist nackte Mädchen gefangen ist. Lediglich ihre
Visionen von der Inquisitionsfolter erinnern an Stereotypen eines historischen
Trivialromans.
Die Tendenz, das Heilige auszulöschen
und es gänzlich zu eliminieren, bereitet die heimliche Rückkehr
des Heiligen vor , und zwar nicht in transzendenter, sondern in immanenter
Form: in der Form der Gewalt und des Wissens um die Gewalt.
René Girard, „Das Heilige und die
Gewalt“
Der neue Hexenhammer
Auch im konventionellen Bereich - sprich dem Fernsehfilm
- wird die historische Hexenverfolgung immer wieder thematisiert. Einer
der Filme, die bei ihrer Videoauswertung mit den zehn Jahre älteren
Erfolgen in Zusammenhang gebracht werden sollten, ist die schweizerisch-deutsche
Koproduktion GEBURT EINER HEXE (1979) von Wilfried Minks, die erst 1982
in die deutschen Kinos kam. Im Kastilien des späten Mittelalters
macht ein tyrannischer Lehnsherr von seinem Recht der „ersten Nacht“
Gebrauch: Er entjungfert die angehende Braut eines jungen Bauern und erklärt
sie später für vogelfrei. Desillusioniert entsagt die junge
Frau (Ulla Berkewicz) Gott und wendet sich einem Satanskult zu. Als der
Despot von einem Feldzug zurückkehrt, verfolgt er die Frau auf Drängen
des fanatischen Dorfpriesters und läßt sie hinrichten. Diese
Tat erzeugt derartigen Haß unter der bäuerlichen Bevölkerung,
daß es zu einem verheerenden Aufstand kommt. Minks atmosphärisch
reizvolle Inszenierung, die auch blutige Details nicht ausspart, will
natürlich im Endeffekt eine prärevolutionäre Fabel darstellen,
ein Vorhaben, das man diesem Film ähnlich wie Mingozzis Nonnendrama
FLAVIA (siehe letzte Ausgabe) durchaus abnehmen kann. Die norwegische
Variante eines ähnlichen Stoffes lieferte Anja Breien 1981 mit FORFÖLGELSEN
(Liebe führt zum Scheiterhaufen / Die Hexe von Laupstad, Norwegen
/ Schweden), und auch sie blieb im Rahmen einer soliden Historieninszenierung.
Die ehemalige Kollegin Francois Truffauts, Suzanne Schiffman, interessierte
sich in ihrem LE MOINE ET LA SORCIERE (Der Mönch und die Hexe, F
1987) eher für die psychische Zerrissenheit des inquisitorischen
Mönchs (Tcheky Karyo). Marco Bellocchio behandelte das Hexenjagdthema
in Form einer Reinkarnationsgeschichte: In LA VISIONE DI SABBA (Sabba,
die Hexe, F 1988) provoziert die junge Sabba (Béatrice Dalle) ihren
jungen Psychiater mit der Behauptung, daß sie bereits schon einmal
gelebt hat und als Hexe verfolgt worden war, zu dicht inszenierten Visionen.
Keiner dieser Filme wurde weitergehend wahrgenommen.
Im Rahmen der Kategorie-III-Produktionen des krisengeschüttelten
Hongkong-Kinos der neunziger Jahre entstanden einige historische Sexfilme,
die auch die Hexenjägerthematik nicht aussparen mochten. Bosco Lam
inszenierte A CHINESE TORTURE CHAMBER STORY (1994), das Drama eines gepeinigten
Bauernmädchens (Yvonne Yung), das unschuldig wegen Mordes verfolgt
wird. Die chinesische Inquisition unterzieht sie einer Vielzahl erlesener
Qualen, die hier noch viel mehr als im europäischen Hexenjägerfilm
auf eine Zerstörung der Geschlechtlichkeit abzielen. So erinnert
der Film von Ferne an die TOKUGAWA-Reihe aus Japan, die jedoch eine ruhigere,
atmosphärischere Inszenierung aufzuweisen hat.
Der ebenfalls auf historische Stoffe spezialisierte Tom Toelle (TV-Serie
VIA MALA) widmete sich mit dem Zweiteiler DER KÖNIG DER LETZTEN TAGE
(1993) der Inquisition. Anhand des Schicksals des jungen Schauspielers
Jan Bockelson (Christoph Walz) wird von den religiösen Kämpfen
in der Stadt Münster des 16. Jahrhunderts erzählt. In Reaktion
auf die Libertinage der katholischen Kirche und in Protest gegen die Lutheraner
gewannen die Wiedertäufer an Macht. Aus Bockelson wird der charismatische
Prediger Jan van Leyden. Unter der Führung von Graf Waldeck (Mario
Adorf) wird die Sekte blutig geschlagen. Van Leyden macht seinem Namen
die Ehre, mit glühenden Zangen zu Tode gefoltert zu werden. Mit ungeheurem
materiellem Aufwand und in der Tradition der Historiendramen früherer
Jahrzehnte (man erinnert sich an GIORDANO BRUNO) entwickelt dieser Fernsehfilm
seine ebenfalls aktuell gedachte Politfabel über die Verführbarkeit
der Massen. Neben dem wirklich haarsträubenden Finale bleibt vor
allem der schicksalsschwere, an zeitgenössischer Musik orientierte
Soundtrack von Wojciech Kilar in Erinnerung. Ebenfalls den seriösen
Bemühungen zuzurechnen sind die Adaptionen von Arthur Millers Theaterstück
„The Crucible“, das den Hexenwahn in Salem an dem Beispiel
einer Stadt in Massachusetts des Jahres 1692 behandelt. Ebenso wie Nathaniel
Hawthornes Roman „The Scarlet Letter“, der vielfach verfilmt
wurde, wird hier ein dunkles Kapitel der Frühzeit Amerikas behandelt,
als christlicher Fanatismus, sexuelle Repression und mangelnde Aufklärung
zu Denunziation und Mord führten. Nach dem bereits klassischen Historiendrama
LES SORCIÈRES DE SALEM (1957) von Raymond Rouleau, den Jean-Paul
Sartre nach Miller adaptiert hatte, widmete sich Nicholas Hytner 1996
noch einem diesem Stoff unter dem Titel THE CRUCIBLE (Hexenjagd): In dem
purtianischen Dorf Salem in Neuengland hat sich ein Hexenkult verbreitet,
dem auch die junge Abigail (Wynona Ryder) angehört. Als der Hexenjäger
auf seinen Plan tritt, wendet Abigail die Anschuldigungen wegen Anstiftung
zum Bösen auf eine enttäuschte Liebe: den verheirateten Farmer
John Proctor (Daniel Day-Lewis). Dieses kühle, nüchterne Starkino
reiht sich in die übliche Reihe uninspirierter Literaturbebilderungen
ein, die seit je her das Kino begleiten.
Eine letzte Verbeugung vor dem Exploitationfilm der siebziger Jahre realisierte
schließlich REANIMATOR Stuart Gordon im Jahr 1990 mit THE PIT AND
THE PENDULUM (Meister des Grauens), einer vorgeblich an Edgar Allen Poes
Kurzgeschichte orientierten, letztlich comichaften Mär über
den spanischen Inquisitor Torquemada (Lance Henricksen), die durch oft
betont künstliche Ausstattung und expressive Farbeffekte an die Poe-Filme
Rogers Cormans aus den sechziger Jahren erinnert (u.a. THE PIT AND THE
PENDULUM / Das Pendel des Todes, 1961). Auch hier fixiert sich die sexuelle
Begierde des Großinquisitors auf eine junge, natürlich unschuldige
und lebenslustige Bäuerin (Rona de Ricci), die Torquemada zunächst
aus ihren unverdienten Kerkerqualen befreien will, jedoch bald den Fluch
der Begierde auf sich lasten fühlt und ihr umso mehr zusetzt. Um
sich selbst zu reinigen, trägt er eine nägelbeschlagene Korsage
und ist auch den Wonnen der Geißel nicht abgeneigt. Gegen Ende kommt
tatsächlich auch die bekannte Pendelfolter zum Einsatz, doch auch
hier - wie in Michael Reeves Vorbild - kommt die Last-Minute-Rescue rechtzeitig
dazwischen.
Obwohl sich die Figur der Hexe als filmische Standardfigur etabliert hat
und in zahlreich aktuelleren Hollywoodfilmen auftaucht, ist das eigentliche
Schicksal der verfolgten Weiblichkeit weitgehend aus diesem Zusammenhang
getilgt worden. Die Zaubereien der Hollywoodhexen Sandra Bullock, Michelle
Pfeiffer, Anjelica Huston usw. sind allenfalls für einen müden
Lacher gut, die Leiden ihrer wahren Brüder und Schwestern verstauben
in den Annalen der (Film)geschichte. Die Verbrennung der Ketzer in ELIZABETH
(1998) ist bereits zur effektvollen Fußnote geronnen...
Nonnografie
1943 LES ANGES DU PÉCHÉ / Engel der
Sünde / Das Hohelied der Liebe, R: Robert Bresson
1959 LE DIALOGUE DES CARMELIES / Opfergang einer Nonne, R: Philippe Agostini
1961 MATKA JOANNA OD ANIOLOW / Mutter Johanna von den Engeln, R: Jerzy
Kawalerowicz
1961 VIRIDIANA / Viridiana, R: Luis Bunuel
1965 LA RELIGIEUSE / SUZANNE SIMONIN - LA RELIGIEUSE DE DIDEROT / Die
Nonne, R: Jacques Rivette
1968 MARQUIS DE SADE’S JUSTINE / Marquis de Sade: Justine, R: Jess
Franco
1968 TOKU GAWA ONNA KEIBATSUSHI / Tokugawa - gequälte Frauen, R:
Teruo Ishii
1969 LA MONACA DI MONZA / Die Nonne von Monza, R: Eriprando Visconti
1969 LA VOIE LACTÉE / Die Milchstraße, R. Luis Bunuel
1970 THE DEVILS / Die Teufel, R: Ken Russell
1971 JUSTINE DE SADE / Justine - Lustschreie hinter Klostermauern, R:
Claude Person
1971 IL DECAMERON / Decameron, R: Pier Paolo Pasolini
1972 LOS DEMONIOS / Die Nonnen von Clichy, R: Clifford Brown (= Jess Franco)
1972 LE MOINE / Der Mönch und die Frauen, R: Ado Kyrou
1973 LE MONACHE DI SANT’ARCANGELO / Die Nonne von Verona, R: Paolo
Dominici (= Domenico Paolella)
1974 LA BADESSA DI CASTRO, R: Armando Crispino
1974 LE SCOMUNICATE DI SAN VALENTINO / The Nuns of Saint Valentino, R:
Sergio Grieco
1974 STORIA DI UNA MONACA DI CLAUSURA / Der Nonnenspiegel, R: Domenico
Paolella
1974 FLAVIA LA MONACA MUSULMANA / Castigata, die Gezüchtigte / Die
Nonne und der Freibeuter / Nonnen bis aufs Blut gequält / Nonnen
- lebendig gehäutet, R: Flavio Mingozzi
1976 CARTAS DE AMOR DE UNA MONJA, R: Jorge Grau
1976 INQUISICION, R: Paul Jacinto
1976 LIEBESBRIEFE EINER PORTUGISISCHEN NONNE, R: Jess Franco
1977 INTERNO DI UN CONVENTO / Unmoralische Novizinnen, R: Walerian Borowczyk
1978 SUORE EMMANUELLE / Die Nonne und das Biest, R: Joseph Warren (= Giuseppe
Vari)
1978 SUOR OMICIDI / Geständnis einer Nonne, R: Giulio Beruti
1979 IMMAGINI DI UN CONVENTO, R: Joe D’Amato
1981 LA VERA STORIA DELLA MONACA DI MONZA / Das süße Leben
der Nonne von Monza, R: Stefan Oblowsky (= Bruno Mattei)
1981 L’ALTRO INFERNO, R: Stefan Oblowsky (= Bruno Mattei)
1984 CRUEL PASSION / Justine, grausame Leidenschaften, R: Chris Boger
1986 LA MONACA DI MONZA - ECCESSI, MISFATTI, DELITTI / The Devils of Monza,
R: Luciano Odorisio
1986 LA MONACA NEL PECCATO, R: Joe D’Amato (= Aristide Massaccesi)
1987 STEALING HEAVEN / Zeit der Dunkelheit / Liebe hinter Klostermauern
- Der Nonnenspiegel Teil 2 / Liebe in der Zeit der Dunkelheit, R: Clive
Donner
1989 DIE HEXE VON KÖLN, R: Hagen Mueller-Stahl
1990 DEMONIA, R: Lucio Fulci
1993 DARK WATERS; R: Mariano Baino
Hexen und Ketzer Filmografie:
1900 JEANNE D’ARC, R: Georges Méliès
1920 HÄXAN / Hexen, R: Benjamin Christensen
1926 THE SCARLET LETTER, R: Victor Sjöström
1928 LA PASSION DE JEANNE D’ARC / Die Passion der Jungfrau von Orléans,
R: Carl Theodor Dreyer
1934 THE SCARLET LETTER, R: Robert G. Vignola
1943 VREDENS DAG / DIES IRAE / Tag der Rache / Tag des Zorns, R: Carl
Theodor Dreyer
1948 JOAN OF ARC / Johanna von Orleans, R: Victor Fleming
1957 LES SORCIÈRES DE SALEM / Die Hexen von Salem / Hexenjagd,
R: Raymond Rouleau
1966 GALILEO / Galileo, R: Liliana Cavani
1968 BEATRICE CENCI / Die Nackte und der Kardinal, R: Lucio Fulci
1968 CURSE OF THE CRIMSON ALTAR / Die Hexe des Grafen Dracula / Schwarze
Messe auf blutrotem Altar, R: Vernon Sewell
1968 THE WITCHFINDER GENERAL / THE CONQUEROR WORM / Der Hexenjäger,
R: Michael Reeves
1969 TOKU GAWA IREZUMISHI-SEMEJIGOKU / Tokugawa II - Das Freudenhaus von
Kawasaki, R: Teruo Ishii
1969 HEXEN BIS AUFS BLUT GEQUÄLT / MARK OF THE DEVIL, R: Michael
Armstrong
1969 IL TRONO DI FUOCO / Der Hexentöter von Blackmoor, R: Jess Franco
1969 KLADIVO NA CARODEJNICE / Hexenjagd, R: Otakar Vávra
1970 BLOOD ON SATAN’S CLAW / SATAN’S SKIN / In den Krallen
des Hexenjägers / In den Krallen des Satans, R: Piers Haggard
1970 CRY OF THE BANSHEE / Der Todesschrei der Hexen, R: Gordon Hessler
1970 KETZER, R: Horst Manfred Adloff, Liliana Cavani
1972 HEXEN - GESCHÄNDET UND ZU TODE GEQUÄLT, R: Adrian Hoven
1972 DER SCHARLACHROTE BUCHSTABE, R: Wim Wenders
1974 GIORDANO BRUNO / Giordano Bruno - Der Ketzer soll brennen / Der Mönch
von San Dominico, R: Giuliano Montaldo
1974 GLISSEMENTS PROGRESSIFS DU PLAISIR; R: Alain Robbe-Grillet
1974 THE SCARLET LETTER / Der scharlachrote Buchstabe, R: Rick Hauser
1975 INQUISITION, R: Paul Naschy
1979 GEBURT DER HEXE, R: Wilfried Minks
1981 FORFÖLGELSEN / Liebe führt zum Scheiterhaufen / Die Hexe
von Laupstad, R: Anja Breien
1987 LE MOINE ET LA SORCIERE / Der Mönch und die Hexe, R: Suzanne
Schiffman
1987 THE WITCH / SUPERSTITION / The Witch, R: James W. Roberson
1990 THE PIT AND THE PENDULUM / Meister des Grauens, R: Stuart Gordon
1990 WITCH STORY / STREGHE / Tanz der Hexen 2, R: Alessandro Capone
1993 JEANNE LA PUCELLE - 1 BATAILLES, 2 LES PRISONS / Johanna, die Jungfrau
- 1 Der Kampf, 2 Der Verrat, R: Jacques Rivette
1993 DER KÖNIG DER LETZTEN TAGE, R: Tom Toelle
1994 A CHINESE TORTURE CHAMBER STORY, R: Bosco Lam
1995 THE SCARLET LETTER / Der scharlachrote Buchstabe, R: Roland Joffe
1996 THE CRUCIBLE / Hexenjagd, R: Nicholas Hytner
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