VORTEX

ROCKDRILL

CD, 11 Tracks im Digipack (Cyclic Law)

Nachdem sich bereits das bemerkenswerte Debutalbum „Phanopoeia“ von VORTEX eingehend mit avantgardistischster Kunst, ihren Ausprägungen im Vortizismus und mit ihrem Einfluss auf die zeitgenössische Experimentalkultur beschäftigte, bleibt der Künstler der Tradition, im Sinne des Bewahrens der Flamme, treu. Nun hat er als Inspirationsquelle die Skulptur „Rockdrill“ des britischen Künstlers Sir Jacob Epstein aufgetan. Diese stellt eine biomechanoide Kreatur dar, die mit einem an einem Vierbein befestigten Presslufthammer hantiert. Für Epstein war diese Figur ein Ausdruck für Ängste vor einer allzu engen Bindung von Menschheit und Technik. In ihrem Design stellt sie einen Quantensprung dar: Sie wirkt derart modern, dass sie ohne Weiteres einem aktuellen Science-Fiction-Film oder -Game entsprungen sein könnte; eine sehr direkte Assoziation wären beispielsweise die „Geth“ aus dem außerordentlich erfolgreichen Computerspielzyklus „Mass Effect“.

Etwas so avantgardistisches erregte im Jahre 1913 durchaus Aufmerksamkeit. So widmete auch der Jahrhundertdichter Ezra Pound der Skulptur mehr als nur ein Canto. Generell stellt sich das Schaffen von Epstein als äußerst vielseitig dar; seine Skulpturen sind klassizistisch, romantisch oder eben auch tief avantgardistisch und führten zu heftigen Kontroversen.
Man könnte diese Rezension kurz fassen und sagen, dass der vorliegende akustische Tribut seinem Vorlagewerk und -künstler gerecht wird, was bereits ein großes Lob ist. Aber zur besseren Erklärung sollen schon noch einige Zeilen folgen.
Während das Debut von VORTEX noch sehr klassischen Dark Ambient präsentierte und in raffinierter Weise vor sich hin brummte und dröhnte, lässt ROCKDRILL die Genregrenzen hinter sich und tobt sich regelrecht im Fundus moderner Post-Industrialmusik aus. Das erste Stück etwa mutet geradezu martialisch an und bohrt sich, dem Titel „Rockdrill I“ entsprechend, mit treibendem Rhythmus in den Verstand des Zuhörers. Trotz dieser Wucht geht es hier äußerst strukturiert zu, was zum Kunstwerk Epsteins passt, welches bei aller Abstraktion sehr greifbar und konkret in seinen Formen ist.

Der Zuneigung des Musikers entsprechend kommt auch auf seiner neuen CD wieder Meister Pound zu Wort, der mit der rauen Melodie seiner Stimme noch jedes Musikstück veredelt hat. VORTEX bewegt sich auf diesem Tonträger nah an einer Subsparte des Post-Industrial, die man Historical Ambient nennt. Assoziationen zu Epigonen des Genres sind schnell bei der Hand. Allerdings ist das Sujet von VORTEX nicht festgefahrene Provokation im, häufig, pseudo-reflexiven Gewand. Die Musik bleibt nahe am Objekt der Betrachtung, welches, wie bei Kunst so üblich, eigentlich nur subjektiv aufgearbeitet werden kann. Alles bleibt recht dunkel, gerät bisweilen bedrohlich: In der Verflechtung von maschinellen Rhythmen, menschlichen Stimmen und Atmung zu einem finsteren Gewebe wird Epsteins Warnung hörbar. Um nicht im Usus zu verharren, mischen sich allerdings immer wieder starke, von Akustikinstrumenten getragene Passagen hinein. Hier trennt sich die Neuveröffentlichung vom Debut, welches noch eine sehr abstrakte intellektuelle Spielerei war. ROCKDRILL lässt sich auch ohne jede Kenntnis der Thematik genießen, da es überaus kraftvoll zur Sache geht. Noch beeindruckender wird das Album jedoch vor seinem Hintergrund: Verklingt die Musik, bleibt ein angenehmes Gefühl zurück; man kann und möchte sich immer wieder an dieser leidenschaftlichen Verbeugung vor einem großen Meister begeistern.

Dass die Gestaltung der CD, mitsamt wunderbarem Booklet mit Skizzen und Texten zur Skulptur, auch noch vorbildlich gelungen ist, rundet den überaus positiven Eindruck ab. Diese Scheibe ist eine deutliche Steigerung zum ohnehin bemerkenswerten Erstling. Wenn VORTEX so weiter macht, könnte es durchaus bleibende Spuren in der Nachwehen der Industrial Culture hinterlassen. Zu wünschen wäre es!

Daniel Novak