|
Ambarchi & Brinkmann
the mortimer trap
Label: Black Truffle-Records
Format: CD
Veröffentlichung: 2012
„Mortimer Trap“ ist eine nach dem amerikanischen
Schachspieler James Mortimer (1833-1911) benannte Eröffnung, bei
der ein vordergründig unvorteilhafter Zug in eine Falle umgewandelt
wird. Mit ihrem gleichnamigen Album haben der australische Ambient-Gitarrist
Oren Ambarchi und der deutsche Techno-Musiker Thomas Brinkmann dieses
Manöver in die Kunst übertragen. Aus dem minimalen – ja
geradezu monotonen – Werk entpuppt sich nach mehreren Durchgängen
ein hochkomplexes Arrangement, das den Hörer wie eine Falle gefangen
nimmt.
Das Album besteht lediglich aus einem 77minütigen Stück
– „the mortimer trap“ – das eine sehr freie Variation
auf die Komposition „For Bunita Marcus“ (1985) von Morton
Feldmann darstellt. Schon dieses Klavierstück ist durch Repetition,
Minimalismus und eine gewisse Monotonie gekennzeichnet, und wird nun von
Ambarchi&Brinkmann bis an die Schmerzgrenze reduziert. Endlos werden
einzelne Gitarrenklänge als Loops in die akustische Leere platziert.
Schon auf kleiner Lautstärke entfalten sie dabei eine ohrenbetäubende
Wirkung. Unter dieses markdurchdringende Dröhnen legt Brinkmann kaum
hörbare Bässe, die das Stück mit gleichförmiger Beharrlichkeit
begleiten. Nur an vereinzelten Stellen erhebt sich aus diesem akustischen
Niemandsland so etwas wie ein konkreter Rhythmus, der der Komposition
wenigstens ansatzweise Form verleiht.
Was will dieses Ungetüm sein, das sich überspitzt als Ausdehnung
eines Tons auf die Länge von 77 Minuten umschreiben ließe?
Selbst für Ambient-Verhältnisse ist das Werk erstaunlich karg,
kennt kaum Höhen und Tiefen und bespielt nur ein sehr enges Frequenzspektrum.
In seiner Schwäche liegt seine Stärke –
diese Gleichung, die schon die Logik der Mortimerschen Schacheröffnung
bestimmt hat, ist auch für das Album von Ambarchi&Brinkmann maßgeblich.
Während man sich beim ersten Hören noch von der oberflächlichen
Monotonie einlullen lässt, eröffnet schon der zweite Durchgang
Dimensionen, die im ersten Eindruck untergingen. Detaillierte Verschiebungen,
nuancierte Modulationen und die fast unmerkliche Entwicklung der Rhythmus-Elemente
beginnen sich nun – scheinbar aus dem Nichts – aufzutun, und
geben dem Album eine tiefes Klangspektrum. Das über allem stehende
Dröhnen der rückgekoppelten Gitarre wird in diesem Kontext zum
Hypnose- und Verführungsinstrument. Ähnlich wie die mythologischen
Sirenen zieht es den Hörer in seinen Bann und damit immer tiefer
in die Falle. Dort gefangen, entfalten sich die kunstvollen Anordnungen
der beiden Musiker in all ihrer Intensität.
„the mortimer trap“ bewegt sich an den Grenzen
des Musikalischen, zwingt dem Hörer seine Regeln auf, um ihn schließlich
damit zu bezwingen. Minimalismus in seiner reinsten Form und dennoch:
mit Ambient oder gar Entspannung hat dieses Werk nichts gemeinsam. Die
statischen Feedbacks fordern heraus, prüfen die nervliche Belastbarkeit
des Hörers und machen das Album zum Duell zwischen Musiker und Rezipient.
Ambarchi&Brinkmann haben die Falle ausgelegt, nun gilt es sich darauf
einzulassen und mitzuspielen...
Patrick Kilian
|