Soror Dolorosa

Blind Scenes

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(Northern Silence) CD, 8 Tracks

Die Gothic-Szene ist zu einer Parodie ihrer selbst verkommen. Gekapert wurde sie von muskelstrotzenden Moderatoren dubioser Macho-Sender und inhaltsleerem Mainstream-Rock, der selbst vor Schlagersendungen und Hausfrauenmagazinen nicht Halt macht. Die Wildheit, die Unangepasstheit, das Anstößige – weggeblasen innerhalb eines Jahrzehnts des Nivellierens aller Werte und geschichtlichen Bewusstseins, welches die Szene einstmals geprägt hat. Der Mainstream hat die Subkultur ausgehöhlt. Sucht man nach musikalischen Formationen, die sich noch auf den Post-Punk berufen, muss man die Szene verlassen: A Place to Bury Strangers, iliketrains oder Veil Veil Vanish haben nur peripher etwas mit dem zu tun, was sich heute Gothic nennt und doch sind sie näher am Geist der Gründerjahr und dem, was zwei Jahrzehnte lang folgte, bevor der Verfall begann. Ebenfalls kann man Soror Dolorasa mit ihrem sehr von The Cure inspirierten Sound dazu zählen: Allein der Opener ist eine einzige Hommage an „A Forest“. Doch anders als Whispers in the Shadow und ähnliche Formationen wissen Soror Dolorosa, wie weit sie ihren Sound von den großen Vorbildern entfernen können und finden im Laufe des Debüts „Blind Scenes“ zu einem ganz eigenen Klang, der zwischen Shoegazer und Cold Wave sicherlich nichts sonderlich aufregend neues kreiert, aber für einen soliden Tanz zwischen Nostalgie und Aufbruch sorgt. Hinter der französischen Band verbirgt sich der Modefotograph Andy Julia, der hiermit beweist, dass er es nicht nur visuell, sondern auch musikalisch versteht, eine dekadente Stimmung zu evozieren. Abgerundet wird das eindringliche Album durch das hervorragende Jugendstil-Cover, wodurch sich besonders die Anschaffung der LP-Version empfiehlt. Vielleicht vermag es also die Szene doch noch, sich am eigenen Schopfe aus der Mainstream-Misere zu ziehen. Bands wie Soror Dolorosa geben Hoffnung.

Martin Kreischer