Matt Elliott

the broken man

Label: Ici d’allieurs... Format: CD, Vinyl Veröffentlichung: 16.01.2012


„the broken man“ ist Matt Elliotts fünftes Album. Nach seiner „Songs“-Triologie („Drinking Songs“, „Failing Songs“ und „Howling Songs“) steuert er sein Schiff nun zu neuen Ufern, bleibt seinem Heimathafen dem französischen Label Ici d’allieurs allerdings weithin treu. Wie eine Überfahrt – um bei dieser Metapher zu bleiben – wirkt auch das neue Album: Schon der erste Track „oh how we fell“ entführt den Hörer auf eine fast zwölfminütige Reise. Wie auf und ab wogende Wellen arbeiten sich die auf einer klassischen Gitarre gespielten Apreggios voran und tragen Elliotts tiefe und sanfte Stimme durch die Komposition. Im Hintergrund ertönen wie aus weiter Ferne Glocken und verleihen dem Song eine einzigartige Atmosphäre. Am Ende löst sich das Stück in einem mehrstimmigem Choral von fast archaischer Anmut auf.

„broken man“ steht in der klassischen Singer-Songwriter Tradition und schöpft aus den Tiefen des englischen Folkgedächtnis: Leonard Cohen und Nick Drake seien als Verweise angeführt, werden von Matt Elliott jedoch nicht ausbeuterisch plagiiert, sondern behutsam zitiert. Ergänzt wird das klassische Folk-Konzept durch Klang-Arrangements, Bläser, Streicher und dezente Field-Recordings. Auch in seinem Gitarrenspiel bleibt Elliott unverwechselbar und baut in seine dynamischen Fingerpickings teils spanische Versatzstücke ein. So werden einzelne Figuren durch Accelerando aus dem Tempo herausgelöst, was den Stücken einen organischen Charakter verleiht. Im dritten Stück „dust flesh and bones“ steigert sich die Komposition in eine Wall of Sound Ästhetik, die durch weibliche Chöre und Windrauschen einen sakralen Moment beschwört. Wenn Elliott dann auch noch mit dem repetitiven, gebetsähnlichen Klagen der Zeile „This is how it feels to be alone“ beginnt, wird das Album endgültig zur existentiellen Reise und Elliott übernimmt die Rolle des Charon bei der Überfahrt ins Totenreich. Im nächsten Stück erklingt ein Klavier, gespielt von der französischen Pianistin Katja Labèque. Das Album erreicht hier seinen Zenit und erstarrt in einer mehr als dreizehnminütigen Phase akustischer Schwerelosigkeit. Ebenso lang wie der Song ist sein Titel: „If Anyone Tells Me "It's Better To Have Loved And Lost Than To Never Have Loved At All" I Will Stab Them In The Face“. In den letzten beiden Stücken findet Elliott wieder vorsichtig zurück und nach 46 Minuten verschwindet „the broken man“ hinter dem Horizont.

Auf tiefem Bordeauxrot platziert, wirkt das Covermotiv wie eine Mischung aus barocker Ornamentik und griechischer Vasenmalerei. Ebenso wie die Kompositionen ist auch das Artwork vielgestaltig und verweist auf eine gewisse Offenheit. In Zeiten tagespolitischen Hin-und-hers und allgemeiner Finanz- und Währungskrisenstimmung mag Matt Elliotts Album einen Rückzugsort zu schaffen – durchaus unzeitgemäß, aber dies im besten Sinne: ein Album von seltener Schönheit.

Patrick Kilian