Die Besucherin

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Anbieter: Epix
Produktionsland & -Jahr: Deutschland, 2008
FSK: ab 12
Regie: Lola Randl
Drehbuch: Lola Randl
Kamera: Philipp Pfeiffer
Schnitt: Natali Barrey
Darsteller: Sylvana Krappatsch, Samuel Finzi, André Jung, Jule Böwe, Isabell Metz
Sprache: Deutsch (DD 5.1., 2.0)
Format: PAL
Bildformat: 16:9
Filmdauer in Minuten.: ca. 104
Erscheinungsdatum: 27.11.2009


Das Leben läuft, so beschreibt es Agnes. Was bedeutet es läuft?, fragt Ihr Mann nach.

Agnes (Sylvana Krappatsch) ist über vierzig, Neurowissenschaftlerin, beruflich erfolgreich, und Teil eines gut situierten modernen bürgerlichen Paares. Der andere Teil des Paares, Agnes Mann Walter (Samuel Finzi), arbeitet als Schriftsteller und kümmert sich um Haushalt, Herd und die gemeinsame dreizehnjährige Tochter (Isabell Metz). Mit ihrer distanzierten Haltung ihrem Umfeld gegenüber und dem schlichten Sprachduktus erinnert die Figur der Agnes an die Prosa des schweizer Autors Peter Stamm. In Erzählstil und –Haltung erinnert der intensive Film ans französische Kino.

Das Leben läuft, doch weder die Gewohnheiten und damit einhergehenden Sicherheiten noch die Überraschungsmomente scheinen die Protagonistin sonderlich zu rühren. Der ungewöhnlichen Unfallsituation, in die sie zu Beginn verwickelt wird, begegnet sie souverän und professionell. Ebenso kontrolliert kommuniziert sie im Privatleben: kurze Sätze, kühl und distanziert. Und manchmal kommuniziert Agnes, so scheint es, überhaupt nur mit ihrer Umwelt, weil Nicht-Kommunizieren nun einmal nicht möglich ist.

Agnes scheint so leidenschaftslos, dass sie daran nicht leiden kann. Ihr Umfeld tut es jedoch. Während ihre Tochter ihr aus dem Weg geht, versucht ihr Mann sie in eine gemeinsame Welt zu holen. Er geht auf sie zu, folgt ihr durchs Haus und versucht sie in die Ausgestaltung des Handlungsverlaufs seiner Kriminalgeschichte einzubeziehen.

Eines Tages bekommt sie von ihrer Schwester Karola (Jule Böwe) den Schlüssel für eine fremde Wohnung, in der sie die Blumen gießen und den Vogel füttern soll. Die Bewohner sind verreist, heißt es. Mehr Interesse kann die agile, ein wenig überdrehte Karola momentan nicht aufbringen. Dem Leben zugewandt verwendet sie ihre Energie für ihre Träume, und leidet, wenn einer platzt.

Agnes bietet die Wohnung ein Entkommen aus dem Lebensalltag. Den abwesenden Bewohnern bringt sie mehr Interesse entgegen als ihrer anwesenden Familie zu Hause.
In Ruhe hört sie den Anrufbeantworter ab und denkt sich in das Leben der Fremden hinein und probiert Teile dieses anderen Lebens an. Die Wohnung wird zu einem Bezugspunkt.

Mit der Rückkehr des eigentlichen Bewohners Bruno Vorberg (André Jung) tritt überraschend ein weiterer Akteur in Agnes Parallelleben. Es kommt zur intimen Begegnung zwischen den Fremden. Die Besuche gehen weiter. Die Fremden erleben sich in alltäglichen Situationen. Sie wissen nichts voneinander, erzählen sich nichts voneinander, aber dennoch oder gerade deshalb entsteht eine merkwürdige Nähe.
Unterdes kann die Besucherin in der eigenen Wohnung, wenn sie sie aufsucht, zusehen wie Ihr Mann und ihre Schwester Tango tanzen und den Krimi weiterspinnen. Momente, in denen das Leben nicht nur läuft, das heißt sein täglicher Ablauf funktioniert, sondern tanzt, was bedeutet, dass die Bewegung mit Emotionen verbunden ist.

Lola Randl ist ein außergewöhnliches, reifes Langfilmdebüt gelungen, das auf zahlreichen Festivals (unter anderem der auf Berlinale und in Cannes) zu sehen war. Akribisch beobachtet sie ihre sperrige, spröde Protagonisten und die Entfremdung innerhalb der Familie. Klug sind die leeren Bemerkungen in den Dialogen, die die großartigen Schauspieler wunderbar artikulieren. Cineasten sind die Schauspieler größtenteils unbekannt, da sie überwiegend am Theater tätig sind, abgesehen von Samuel Finzi, der derzeit in der Titelrolle in der ZDF-Serie „Flemming“ zu sehen ist.

Wie die Filmheldin kommt auch die DVD ohne zusätzlichen Schnickschnack aus. Sie ist lediglich ausgestattet mit einem Interview, in dem die Regisseurin auf einige Stichworte zum Film eingeht. Der Freude am Film schadet es nicht. Randls Film kann ohne Weiteres für sich stehen.

Karin Tilch