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Ceramic Dog
Your Turn
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Label: yellowbird records
Format: Vinyl, CD
Veröffentlichung: 30. April 2013
Personnel: Marc Ribot, Ches Smith, Shazad Ismily
Additional Musicians: Eszter Balint, Keefus Ciancia, Dan Willis, Arto
Lindsay
Marc Ribot ist ein Workaholic: Mittlerweile eine Gitarrenlegende
der New Yorker Downtown Free-Jazz und No-Wave Szene, begann er seine Karriere
bei John Luries Lounge Lizards, spielte mit Elivs Costello, Tom Waits
und gehört nunmehr zum inneren Kreis von John Zorns Label Tzadik,
für das er an zahlreichen Veröffentlichungen mitwirkte. Doch
dies sind nur einige der vielen Stationen Ribots – seine Diskographie
ist überwältigend. Ebenso vielseitig ist sein musikalisches
Repretoire. Von gestischem, dissonanten und dennoch rhythmischen Free-Jazz,
über experimentell-klassische Kompositionen („Exercises in
Futility“ 2008), bis hin zu fragilen Akustik-Balladen („Silent
Movies“ 2010) reicht Ribots Bandbreite. Mit „Your Turn“
präsentiert er nun, nach dem 2008 veröffentlichten „Party
Intellectuals“, das zweite Werk seines Post-Rock-Jazz-Fusion-Trios
Ceramic Dog.
Das Album beginnt: Das erste Stück „lies my body
told me“ scheint aus dem Nichts zu kommen und überrumpelt den
Hörer ganz buchstäblich mit seinem ruppigen und polternden Rhythmus,
der Ribots Arbeiten für Tom Waits ins Gedächtnis ruft, allerdings
auch an eine jazzigere Version von Nick Caves Grinderman denken lässt.
Die Produktion ist direkt und schnörkellos; die Stücke scheinen
live und in wenigen Takes eingespielt zu sein – kleinere Fehler,
Proberaum-Atmosphäre inklusive. Lo-Fi gehört hier zur festen
Programmatik und bestimmt Klangästhetik wie Philosophie gleichermaßen.
Auf den Titel-Track „Your Turn“ folgt mit „Masters of
the Internet“ eine agitative Protesthymne gegen die Download-Kultur
unserer Gegenwart, die den Musiker versklavt und ausgebeutet habe: „our
labor has no value – content is our name.“ Nicht nur sei Kunst
im Zeitalter des Digitalen zum anonymen „content“ der Speichermedien
verkommen, unsere Gesellschaft habe sich auch unmerklich in eine „gift
society“ verwandelt: „we sacrifice our bodies to the masters
of the internet.“ Sehr deutlich beziehen sich Ceramic Dog damit
auf den französischen Soziologen Marcel Mauss, der mit seinem Essay
„Die Gabe“ (1925) eine sehr einflussreiche Studie über
Geschenk- und Tauschbeziehungen in traditionellen Gesellschaften vorgelegt
hatte. Im exzessiven Tauschritual des Potlatsch kann sich das gegenseitige
Geben in einen Rausch der Verschwendung steigern – ein Zusammenhang,
der auch von dem Philosophen Georges Bataille weitergedacht wurde, und
nun von Ceramic Dog mit dem Begriff des „sacrifice“ auf die
digitale Gesellschaft und die sog. digital natives übertragen wurde.
Im weiteren Verlauf bewegt sich das, um zahlreiche Gäste
erweiterte, Trio um Ribot zwischen den Genres, zitiert aus südamerikanischer
Musik, Punk sowie Noise, verbindet die oft als Jam arrangierten Stücke
jedoch durch das gekonnte Zusammenspiel der Musiker sowie den homogenen
Sound. Dieser ist brüchig, weit davon entfernt produziert –
also Produkt – zu sein, und verhält sich damit gegenüber
der klassischen Waren- und Tauschökonomie irreduzibel. Der uniformen
Musikindustrie setzt der ewige Revolutionär Ribot so erneut seinen
akustischen Widerstand gegen klassische Hör- und Ästhetikkonventionen
entgegen. Der rohe und unbearbeitete Klang, die dissonanten Solos der
Gitarre, scheinen dem Mainstream förmlich ein „No“ entgegenschreien
zu wollen – hier ist Ribot seinen Wurzeln der „No-Wave“-Bewegung
verbunden geblieben. Und auch wenn der Kampf verloren scheint, wie das,
bis auf ein letztes Kästchen ausgefüllte, Tic-Tac-Toe-Spiel
auf dem Cover des Albums andeutet, lohnt es sich dennoch dagegen zu setzten.
In umgekehrter Weise ließe sich aus diesem Bild, in Anlehnung Phyrrus’
mythisches Sprichwort von der Niederlage im Sieg, eine positive Wendung
ableiten: „Noch so eine Niederlage und wir haben gewonnen.“
Ein musikalisches und philosophisches Manifest.
Patrick Kilian
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