BLANK CITY

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DVD 96Min. Softbox mit Wendecover
Sprache/Ton: Englisch DD 5.1
Untertitel: Deutsch
Bonusmaterial: Interview mit Céline Danhier, Deleted Scenes, Outtakes & Kinotrailer / 50Min.
Extras: Info-Poster
FSK: fsk ab 12
Bildformat: 1,78:1 (16:9)
Fernsehnorm: PAL
Regie: Céline Danhier
Hauptdarsteller: John Waters, Jim Jarmusch, Steve Buscemi, Eric Mitchell, Beth B, Debbie Harry, Charlie Ahearn, Lizzy Borden, Amos Poe u.v.a.
Produktionsfirma: Pure Fragment Production

BLANK CITY - ein Film über New York in der 1980er Jahre. Eine Stadt als Quelle künstlerischer Inspiration zwischen Punkrock und Avantgarde. Die Schlüsselfiguren der amerikanischen Industrial Szene, z.B. Foetus-Gründer J.G.Thirlwell, The Butthole Surfers oder auch Punk-Heroen wie Henry Rollins von Black Flagg und Lydia Lunch, sind präsent in dieser Underground-Film-Strömung, die sich nach den programmatischen Artikeln eines ihrer Vertreter Nick Zedd „The Cinema of Transgression“ benannte.

Zedd war gleichzeitig einer der ersten Vertreter dieses ursprünglich auf New York fixierten Undergroundkinos. Im Zuge der Experimente Andy Warhols und des Trashfilms der 70er Jahre (z.B. John Waters oder der späte Hershell Gordon Lewis) drehte er teilweise improvisierte, rauh und spontan gefilmte Experimental- und Kurzspielfilme, die sich des ganzen Fundus’ des Avantgardefilms bedienten (Doppelbelichtung, Doppelprojektion, Farbverfremdung, Medientransformation wie Video auf Film usw.). Gemäß seinem eigens verfaßten Konzepts des Cinema Of Transgression handelte es sich hierbei um „the other cinema“:

The Cinema of Transgression was about negated borders and the breaking of boundaries. Its stated aim was to perform revolutionary acts which would cross all socially constructed and socially accepted barriers. In a society where most people appear to have either the critical engagement of Romero’s Dawn of the Dead zombies, or be running in fear from their (socially dictated) demons, the COT sought a state of ‘awareness’, where perhaps even to feel pain and risk everything beciomes valid when faced with the alternative. (Zitate aus: Jack Sargeant: Deathtripping, 1995)

Der Akt des Grenzüberschreitens auf allen Ebenen, der Transgression, ist abgleitet von Georges Batailles Ideen aus „L’érotisme“ (1957) . Die beteiligten Künstler schienen sich zum Teil bewußt über die Schwächen ihres bedingungslosen Konzept zu sein:

In terms of the sensibility of the people involved, I think that people regarded the COT as infantile, which it undoubtedly was, with all the fun involved in being completely fucking infantile, completely irresponsible. It definitely disturbed some people.

In nahezu allen Beiträgen zum COT steht der menschliche Körper im Mittelpunkt des Interesses. Es ist meist ein sexualisierter Körper, der handelt oder behandelt wird. Wie schon bei van Bebber angedeutet spielt immer wieder die Authentizität des Dargestellten eine große Rolle: in Kerns Sewing Circle wird einer Frau die Vagina zugenäht, in seinem Pierce bekommt ein Mädchen beide Brustwarzen gepierct. Nick Zedd erzählt von einem weiteren Beispiel, das die Ästhetik des COT verdeutlicht: In War is Menstrual Envy filmte er, wie die Porno-Ikone Annie Sprinkle einem Opfer schwerer Brandwunden die Narben leckt:

NZ: Just seeing the texture of his skin was really interesting to me. I felt that he was both beautiful and ugly. - JS: (...) when You zoom in on his bunt skin that becomes beautiful. And that is very transgressive because You are turning what society - or social norms - would say is ugly into something which is beautiful, even erotic.

Auch er schließt hier an eine „Ästhetik des Häßlichen“ an, die bereits im 19. Jahrhundert theoretisiert wurde, auf sehr rohe Weise also Elemente der „schwarzen Romantik“ reflektiert.
Auch in Deutschland populär wurde der New Yorker Fotograf und Regisseur Richard Kern. Seine Filmkarriere teilt sich auf zwei Phasen von 1983-1987 und von 1990 bis heute auf. Eigene Lebens- und Drogenprobleme zwangen ihn zu dieser kreativen Pause. Ich will Kerns Stil an einem 12-minütigen Super-8-Film aus dem Jahr 1985 erläutern, der in seiner endgültigen Form seit 1990 auf Video kursiert und vermehrt auf Festivals gezeigt wird: Submit to Me.

Kern filmt mehrere Freunde und Bekannte - u.a. Lydia Lunch, J.G.Thirlwell und Henry Rollins - bei der Inszenierung ihrer eigenen intimsten Fantasien in bühnenhaft arrangierten bzw. neutralen Räumen. Das reicht von dem phallischen Balzen Lunchs über den lasziven Tanz von Audrey Rose bis zu brutalen Tötungsphantasien in sadomasochistischer Ikonografie. Ein Höhepunkt ist der gegenseitig herbeigeführte „Liebestod“ zweier Gothic-Waver (Vertreter einer schwarzromantischen Subkultur), die sich strangulieren. Das episodenhafte Geschehen ist hauptsächlich durch die Musik der Butthole Surfers verbunden, gelegentlich kommt es auch zu Rückgriffen auf vorangegangene Episoden (Lydia Lunch taucht zweimal auf). Etwa in der Mitte wird in einzelnen Buchstaben das Wort „DESTROY“ eingeblendet. Kern zeigt schon im Titel seine Präsenz als filmischer „Beichtvater“. Er sieht sich stets in der Rolle des Evil Cameraman, ein Begriff, der einem späteren Film entlehnt ist. Der Voyeurismus des passionierten Filmemachers wird nicht nur offensichtlich, sondern gar Motivation des Werkes.

Die menschliche Existenz wird in dieser Collage auf eine Präsenz des Körpers in Situationen sexuellen Ge- und Mißbrauchs reduziert. Zerstörung der eigenen Physis (der verwesende Junkie) oder der des „Sexualpartners“ (die Erschießung des Sklaven) werden als lustvolles Erleben präsentiert. Auf hauptsächlich destruktive Weise überschreitet Submit to Me so die Grenzen des kommerziellen Erzählkinos, ohne dessen Ikonografie und Hauptansatzpunkte (Sex und Gewalt) auszusparen.

Noch Oliver Stones Film Natural Born Killers nimmt deutlichen Bezug auf einen früheren Film Richard Kerns: Fingered (USA 1986). Kern erzählt die Geschichte des barbarischen White-Trash-Pärchens (u.a. Lydia Lunch), das auf einen „killing spree“ geht, jedoch mit der verwirrenden Willkür des zufälligen Zeugen mit wackelnder Super-8-Kamera, nimmt nur selten personale Blickpunkte ein und läßt keine systematischen narrativen Manipulationsmechanismen zu, die Stones Film für einige Kritiker zum Skandal werden ließen. Für Kern bleibt der Massenmord ein fest in der amerikanischen Geschichte verwurzeltes Phänomen, ein latenter Zustand. Oliver Stones Film kann in seiner Funktion als teilweise moralierender Hollywood-Mainstream diesbezüglich jedoch nur scheitern, da ihm das wesentliche Element des filmischen Transgressionsaktes abgeht: die eigene Beteiligung an der Inszenierung der Grenzüberschreitung - eben jene (wenn auch weitgehend suggerierte) „Authentizität“, die den Zuschauer infiziert. Wenn es also einem Verdienst des Cinema Of Transgression zu nennen gäbe, dann, daß Filmemacher wie Kern dem Kino mit Hilfe persönlicher subkultureller Erfahrung, klassischer Avantgardemechanismen und postmoderner Medienstrategien eine fleischliche Dimension zurückgeben, die im zeitgenössischen Mainstream der 80er und 90er Jahre verloren zu gehen drohte. The Cinema of Transgression ist bis heute der einzige „Zusammenschluß“ von Künstlern aus dem Bereich der Industrial-Culture. Alle anderen verbindet lediglich die Wahl ihrer Versatzstücke und Vorbilder.

BLANK CITY ist nach einem viertel Jahrhundert ein spannender Interviewfilm, der die Geburt des Cinema of Transgression aus dem No-Wave-Cinema nachvollziehbar macht. Geprägt von einer ansteckenden leidenschaft für dieses wilde Kino, illustriert mit seltenen Filmausschnitten bietet die französische Produktion erstaunliche Einblicke: von John Lurie und Jim Jarmusch über Lydia Lunch bis hin zu Richard Kern.

Marcus Stiglegger