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Aphex Twin
Drukqs
(Warp / Sire 2001) DCD 30 Tracks
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Über Aphex Twin-Alben schreiben heißt Antagonismen
entfesseln, Ungereimtheiten akzentuieren, zunächst aber: Polaritäten
feststellen: Stilistisch halten seine Tracks nämlich immer eine seltsame
Balance zwischen elegischen Piano-Etüden und einer harschen, Takte
und Rhythmen aufbrechenden Elektro- bzw. Jungle-Ästhetik; atmosphärisch
pendeln sie vom Dunklen, Abgründigen, Gewalttätigen zum Ironisch-Verspielten,
zur augenzwinkernden Persiflage (und zurück); nicht zuletzt ihre
Rezeption ist gespalten: einerseits euphorische Begeisterung über
das Überleben anarchischen Wahnsinns in einer doch so oft uniformen
Sphäre elektronischer (Tanz-)Musik, andererseits befremdete Ablehnung
ob des grotesk verzerrten Krachs, der Alben wie I Care Because You Do
oder Selected Ambient Works mit dem neuen Wurf, Drukqs, verbindet.
Fünf Jahre nach seinem letzten Longplayer Richard D. James veröffentlicht
jener nun ein über 100minütiges Sammelsurium an Sound- und Noisetexturen,
die wieder einmal nicht so recht in gängige Schubladen passen
wollen - nicht zuletzt aufgrund kryptischer Titel wie kladfvgbung micshk
oder orban eq trx4. Entstanden sind die insgesamt 30 Stücke in James´
Wohnung, einem ehemaligen Bankgebäude in Südlondoner Bezirk
Elephant & Castle, aber auch unterwegs, am Laptop, on the road, auf
Rücksitzen und in Zugabteilen. Drukqs ist wohl James´ letztes
Werk für das renommierte Label Warp, ab sofort will er nur noch für
sein eigenes Label Rephlex arbeiten.
Das Coverfoto zeigt das Innere eines Klaviers, und in Stücken wie
Mt Saint Michel hat man tatsächlich das Gefühl, einem chirurgisch-kompositorischen
Eingriff beizuwohnen, der mittels Sampler und Effektgerät die musikalischen
„Eingeweide“ des Tracks nach außen stülpt. Derlei
gewalttätige Assoziationen sind berechnet und korrespondieren bestens
mit der visuellen Schockchoreographie, die Aphex Twins mediales Erscheinungsbild
auf Fotos und in Videoclips, z.B. Come to Daddy (1997) oder Windowlicker
(1999, beide: Chris Cunningham), prägt.
Richard D. James´ Affinität zum Klavier gründet aber auch
auf seiner Bewunderung für die Klangexperimente Karl-Heinz Stockhausens
und die klaren, fast simpel wirkenden Kompositionen Erik Saties. Doch
bei aller Virtuosität übermannt Aphex Twin immer wieder der
Hang zur Demontage. Und das ist ganz wörtlich zu nehmen: Auf Drukqs
finden sich Tracks, für die er sein Klavier auseinander nahm und
speziell mit Schrauben, Nägeln und Gummi präparierte, um die
Harmonik der Saiten zu verändern. Eine Gewalttätigkeit also,
die weder vor dem Instrument noch vor dem musikalischen Material Halt
macht und sich somit in die Tradition der Destruktionskunst der 60er Jahre
einschreibt.
In jedem neuen Aphex Twin-Album spiegeln sich aber auch Elemente seiner
vorherigen: Wo sein Faible für krude mechanische Klangschnipsel an
die frühen Joyrex-EPs erinnert, steht die melancholische New Wave-Melodik
von bbydhyonchord eher in Tradition seines etwas unbekannteren Polygon
Window-Projekts von 1992. Auch rhythmisch bietet Drukqs - die naheliegende
Intonation „Drugs“ lehnt James ausdrücklich ab - nicht
nur reine Innovation: Viele Stücke imitieren doch sehr deutlich die
in sich kollabierenden Breakbeatstrukturen von Come to Daddy. Bei cock/ver
10 und 54 cymru beats, die übrigens in Remixen auf Aphex Twins neuer
12" erschienen sind, packt James dann sogar seine alte Roland TR
303 aus - wohl das legendäre Instrument zur Erzeugung analoger (Acid-)Basslinien.
In der Kombination gerade dieses, schon beinah archaischen, Geräts
mit den Produktionsstandards von 2001 prallen - wiederum gewaltsam - zwei
Ästhetiken aufeinander, werden die verflochtenen Soundstrukturen
durch die 303-Bässe ein ums andere Mal überlagert, attackiert
und in einen extremen Rave-Kontext gepresst. Das Ergebnis ist zu verrückt
für den Club, zu brutal fürs Wohnzimmer, aber dennoch deren
verstörende Quintessenz.
Was Drukqs jedoch wirklich zum großen Wurf avancieren lässt,
ist seine atmosphärische Dichte, die unglaublich komplexen Arrangements
und die Vielseitigkeit der Sounds. Viele Tracks - auch hier sei beispielhaft
cock/ver 10 genannt - klingen sowohl bei 33 als auch bei 45 Umdrehungen
pro Minute perfekt. Es sind die qualitativen Details, die Fähigkeit,
intensive Klangforschung und vorsichtiges Sampling zu integrieren, Stücke
mit doppelten Böden zu produzieren, die Drukqs zum Hörerlebnis
machen. Was Musiker wie Aphex Twin oder auch Tom Jenkinson (Squarepusher)
zu Ausnahmeerscheinungen im Bereich elektronischer Musik erhebt, ist eine
tiefe, unter verschieden ausgeprägten Schichten ironischer Distanzierung
und eitler Selbstbezogenheit verborgene Sensibilität, Tracks ein
empfindliches Gravitationszentrum zu verleihen, das doch stark genug ist,
elegische und apokalyptische Elemente trotz (oder wegen) ihrer Disparität
und Heterogenität in einem fragilen Spannungsfeld zu erhalten und
dort neu zu konfigurieren. Wo sich Aphex Twin innerhalb seiner Kompositionen
kompromisslos zeigt, benötigt er bezeichnenderweise distanzierenden
Humor, um seinen Output zu charakterisieren: „Man könnte sich
das alles in einem Durchgang anhören, aber ich glaube, danach ist
man tot.“
Oliver Keutzer
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