Anemone Tube Death over China Label: Silken Tofu & Topheth Prophet Nur ein Jahr nach dem großartigen „Dream Landscapes“ erscheint nun mit „Death over China“ das neue Anemone Tube Album und übertrifft alle Erwartungen. Optisch wurde der Longplayer an das Format und Design seines Vorgängers angepasst und kommt im ausklappbaren Digipack. Das Cover zeigt eine Photographie einer von Schmerz entstellten Skulptur, die eines der Themen des Albums vorwegnimmt – den menschlichen Körper. Den Informationen im Inlay entnimmt man, dass das Werk fast ausschließlich auf der Basis von Field Recordings komponiert wurde, die 2007 in Nanjing und Shanghai aufgenommen wurden. Lediglich zwei Stücke greifen zusätzlich auf einen Synthesizer zurück. Im Falle des zweiten Tracks „I shall forever invoke“ wirkt dieser als untermalendes Ambient-Bett und hält die collagenartigen Sound-Fragmente mit ruhigen Harmonien zusammen. Ansonsten regiert auf „Death over China“ die Dekonstruktion. Die teils bis zur Unkenntlichkeit verfremdeten Field Recordings arbeiten gegeneinander, zersetzen sich, und lösen sich auf. Im Hintergrund laufen Sprach-Samples, die weder inhaltlich verstehbar, noch einer eindeutigen Provenienz zuzuordnen wären. Das Sounddesign ist sehr aggressiv angelegt und deutlich power-electronics inspiriert, bleibt allerdings ausgewogen und deckt meist größere Frequenzbereiche ab. Beim Hören werden Emotionen von Beklemmung bis Unwohlsein evoziert, die durch die unverständlichen und realitätsentfremdeten Vokal-Passagen nur noch verstärkt werden. Im fünften Stück „The announcement (Death over China)“ findet das Album seinen vorläufigen Höhepunkt und kulminiert in einem sich immer wieder wiederholenden Sprach-Loop, der sich einem Bohrer gleich in die Gehörgänge fräst. Hier werden Beklemmung und Bedrohlichkeit so stark, dass sie eine fast physische Dimension erreichen. Die Körperbetonung des Albums kann nicht nur im Cover gefunden werden, sondern zieht sich auch durch die zahlreichen Photographien und Bilder der aufklappbaren Mappe. Neben einem Gemälde des englischen Malers Herbert James Draper (Ulysses and the Sirens) kamen ausschließlich Photographien aus China zur Verwendung. Diese in schwarz/weiß und gold abgedruckten Illustrationen sind ähnlich dem warburgschen Bilderatlas angeordnet, entstammen unterschiedlichsten Kontexten und lassen doch Assoziationen zu der uns so fremden Kultur zu. Dem Körper wird, mit der in gleich drei Abbildungen gezeigten Leng Tch’e Folter, ein besonderer Raum zuerkannt. Diese 1905 auf Bild gebannte Form der Hinrichtung wurde dem westlichen Publikum zuerst durch Georges Bataille bekannt, der diese Darstellungen in sein Werk „Die Tränen des Eros“ aufnahm. Seit dem findet dieses zum Symbol für Transgression gewordene Motiv immer wieder seinen Niederschlag vielen Werken, wie zuletzt im Spielfilm „Martyrs“ (2008, R: Pascal Laugier). Dass diesem Bild hier nun religiöse Abbildungen gegenüberstellt werden, eröffnet eine assoziative Verbindung zwischen sakralen und juristischen Prozessen und problematisiert deren Interdependenz. „Death over China“ gewinnt durch diese Verschmelzung intertextueller Verweise und Zitate und ordnet sich so in einen Diskurs ein, der kulturelle und spirituelle Grenzphänomene fokussiert. Akustisch und visuell liefert Anemone Tube hierzu einen fruchtbaren Beitrag auf hohem ästhetischem Niveau. Das Album macht die thematisierte körperliche Grenzerfahrung erlebbar und auf einer emotionalen Ebene spürbar. Ein wichtiger Beitrag in umfassend gelungener Ausführung – sehr empfehlenswert! Patrick Kilian |
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