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Markus Metz, Georg Seeßlen
Wir Untote!
Über Posthumane, Zombies, Botox-Monster,
und andere Über- und Unterlebensformen in Life Science & Pulp
Fiction
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Berlin: Matthes & Seitz, gebunden, 319 Seiten,
ISBN 978-3-88221-563-2
„Der Mythos des Untoten,
des willenlosen Menschen, ist eine Umformung zugleich eines antiken und
eines kolonialen Mythos; er ist von allen Horror-Mythen am meisten als
politische Metapher geeignet.“
Der Zombie ist unsterblich – und das nicht nur in
seinen vielgestaltigen Darstellungsformen auf der Kinoleinwand. Sein Mythos
reicht weit über die Schwellen der Filmtheater hinaus. Denn bemühte
Versuche eines nimmermüden George A. Romero und anderer Filmschaffender,
den Zombietypus zu postmodernisieren, fallen beim Blick auf das große
Ganze nur marginal in Gewicht. Der Zombie ist nicht mehr nur länger
Teil facettenreicher Horrorfiktionen, sondern hat seinen Weg aus dem Scheinwerferlicht
des Kinos in die Welt gefunden, auf die Straße, in den Alltag, hinein
in uns selbst. Diesen Ansatz vertreten die Autoren Markus Metz und Georg
Seesslen, die mit ihrem umfangreichen Werk „Wir Untote!“ ihre
dritte gemeinsame Arbeit vorlegen, die 2011 u.a. auch dem Hamburger Kongress
„Die Untoten – Life Sciences & Pulp Fiction“ zu
Grunde lag, an dem Metz und Seesslen als wissenschaftliche Leiter beteiligt
waren.
Schön, sportlich, jung, dynamisch, attraktiv, makellos:
Unsere Zeit ist geprägt von der medialen Präsenz klassifizierender
Attribute, die scheinbar den modernen Menschen formen und charakterisieren.
Der Körper wird einer ständigen Belastung und Mutation ausgesetzt,
um die Spuren natürlicher Alterung zu vertuschen. Hollywood macht
es vor und die Welt macht es nach: Schönheitsoperationen sind der
naive Zeitgeist-Versuch, die eigene Sterblichkeit zumindest optisch kurzzeitig
zu verdrängen. Wie Metz und Seesslen konstatieren, wird der eigene
Körper „vom Verbündeten zum 'Feind'“ (S.121) und
sein Träger vom Mensch zum „Botox-“ und „Fitness-Zombie“,
fremdbestimmt im schmerzhaften Handeln gegen seinen physischen Verfall
– eine regressive Hinwendung zur ursprünglichen Bedeutung des
Zombies als willenloses, ferngelenktes Geschöpf.
Kontrollverlust und die Aufgabe von Selbstbestimmung nehmen
auch im Kapitel „Biopolitik der Krise“ eine Schlüsselfunktion
ein. Zu überleben bedeutet für den Patienten, „einen Teil
der Souveränität abzugeben, an den Arzt, das Krankenhaus, die
Verwaltung der Krankenkassen, die kosmetische und pharmazeutische Industrie,
die Chemie, die Droge, die Maschine, das Kollektiv, die Bürokratie,
die Politik... Diese 'abgegebene' Macht klumpt sich im Außen der
Gesellschaft gegen das Subjekt zusammen.“ (S.54) Das Subjekt wird
zum Objekt verschiedener Parteien und Interessengruppen und erhält
so im Streben nach dem „Nicht-Sterben“ paradoxer Weise deutliche
Charakterzüge des Untoten.
Doch der eigentliche Kern von „Wir Untote!“
bleibt der Zombie als popkulturelles Phänomen, und schlägt sich
dergestalt sowohl in einer gerafften Geschichte des Zombiefilms –
zuzüglich einer Querverbindung zum Vampir, dem berüchtigsten
Nebenbuhler des Zombies – als auch in einem umfangreichen Glossar
am Ende des Buches nieder. Die universale Note der Thematik wird in diesem
kurzen, abschließenden Lexikon noch einmal deutlich vor Augen geführt:
Mit so verschiedenen Begriffen wie „Künstliche Befruchtung“,
„Kybernetik“ oder „Vocaloid“ wird die reichhaltige
Fülle scheinbar autonomer Elemente, die aber die aktuelle Diskussion
rund um den/die Untoten erst fruchtbar machen, übersichtlich veranschaulicht.
Abgesehen von einigen Graphiken kommt „Wir Untote!“
komplett unbebildert daher. Was speziell auf den bild-affinen Anhänger
von Zombiefilmen zunächst abschreckend wirken mag, erweist sich bei
genauerer Betrachtung schnell als richtige Entscheidung. Der Fokus der
Autoren liegt nicht auf der bereits zahlreich publizierten Ausstellung
von Zombie-Abbildungen, wie man sie aus „35 ziemlich guten und 2000
schlechten Filmen“ (S.7) kennt, sondern ganz auf der aktuellen Lokalisierung
der Untoten in unserer modernen Gesellschaft oder treffender gesagt, als
unsere moderne Gesellschaft.
Der einzige Kritikpunkt bezieht sich auf vermeidbare Lektoratsschwächen,
wie bspw. unkorrekte Datierungen (Romeros „Dawn of the Dead“
stammt natürlich nicht aus dem Jahr 1968, sondern 1978; gemeint ist
hier der Vorgänger „Night of the living Dead“). Diese
fallen im Augenblick zwar unschön auf, mindern den Lesegenuss und
besonders die informative Neuentdeckung des unsterblichen Mythos aber
nicht.
„Wir Untote!“ ist weniger eine Pflichtlektüre
für eingefleischte Zombiefans, sondern vielmehr für solche zu
empfehlen, dessen Interesse sich nicht nur auf den reinen Kino-Zombie
beschränkt. Das Buch bietet einen breit gefächerten, heterogenen
Blick auf die vielfältigen Auswüchse eines Mythos, der uns inzwischen
alle einschließt – ob wir es nun möchten oder nicht.
Sehr zu empfehlen!
Kai Naumann
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