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DRONE LEBANON / WERTHAM – ROMA / YERUSHALAHIM
TOPHETH PROPHET CD, 7 Tracks, in einer Falthülle
Annähernd zeitgleich mit der ersten Vollzeit CD „Memories
from the Pigsty“ erscheint von Wertham eine äußerst bemerkenswerte
Split mit den israelischen Drone Lebanon. Über Wertham viele Worte
zu verlieren führt nur zu redundanter Information, Drone Lebanon
dagegen sind, zumindest in Europa, annähernd unbekannt. Ihr Webauftritt
gestaltet sich grell und obskur: Sie huldigen virtuell den „Apocalyptic
Burgeoisie Warzone Tronics“; wer hier an ähnliche Formulierungen
der selbsterklärten Dandy-Projekte, wie es sie im martialischen Post-Industrial
zu hauf zuhauf gibt, denkt, wird entweder herb enttäuscht oder sehr
positiv überrascht. DL zelebrieren einen selten gehörten Brutalismus.
Bereits das erste Stück, das, ähnlich ihrem „Noise.Il“
Samplerbeitrag, mit semitischen Gesängen beginnt, bricht nach kurzer
Zeit in eine brachiale Kaskade aus martialischen Trommeln, weißem
Rauschen und Geschrei um. Auch, wenn es andere Gruppen und Projekte gibt,
die noch lauter, noch atonaler und noch anstößiger mimen, stellt
dieser Opener schon einen Meilenstein in Sachen Brutalität dar. Das
nächste Stück bietet eine ähnliche Mischung aus deutlich
jüdischen Elementen und verrauschten Flächen. Immer wieder werden
die einzelnen Stücke von melodischem Gesang oder Synthesizern gebrochen,
um wieder in Kakophonie aufzuflammen. Eine intensive Tortur, die sich
auch in den erschließbaren Inhalten widerspiegelt. Ähnlich
den westlichen Pendants beschäftigen sich auch DL nicht mit Blumen
und Brüderlichkeit; man widmet sich dem Grauen der israelischen Gesellschaft.
Eine klassische Vorgehensweise, wie sie von den bekannten Vorreitern geprägt
wurde. Anders als viele aktuelle Noise, Power Electronics oder ähnlich
geartete Projekte, versinken DL nicht im Selbstzweck und in oft wahrgenommenen
Plattitüden; zweiteres ergibt sich schon durch ihre deutlich nicht
europäische Sichtweise. Ambivalent schlängelt man sich durch
den Schlamm der israelischen Gesellschaft; das dritte Stück, „Self
Hating Jew“, erinnert sowohl von der Herangehensweise als auch vom
Text her deutlich an den The Grey Wolves Song „Hate Crime“.
Insgesamt bilden Drone Lebanon eine Brücke zwischen klassischer Industrialkultur
und modernen, noch desillusionierteren Strömungen; ein Meisterstück,
die fünf Tracks allein rechtfertigen den Kauf der CD.
Bei einem derart stimmigen und bemerkenswertem Anfang müsste es Wertham
schwer fallen Schritt zu halten, doch Signore Deplano hält das Niveau,
ohne verkrampft zu wirken. Der erste Song, „La Distruzione del tempio“,
greift auch thematisch direkt ein jüdisches Trauma auf. Ein Kinderchor
eröffnet die Maladie, nach wenigen Sekunden beginnt allerdings bereits
das für Wertham typische Rauschen und Fiepen. Obwohl die Ingredienzien
klassisch sind, wirkt dieses Projekt geradezu erfrischend. Es donnert,
kreischt und dröhnt, dass es eine wahre Freude ist. Der Zuhörer
kann sich assoziativ von einem Grand Guignol zum nächsten treiben
lassen, wobei es Deplano gelingt, den historischen Kontext durch den gezielten
und angenehm unaufdringlichen Einsatz von Samples zu wahren. Das letzte
Stück dieser CD gleitet in dunkle ambientartige Gefilde ab, bleibt
aber aggressiv und fordernd, thematisch schließt sich der Kreis.
Jerusalem und Rom, zwei Städte, die sich in ihrer historisch-kulturellen
Relevanz ebenbürtig sind. Drone Lebanon und Wertham, ebenfalls zwei
Gewaltrauschartisten auf gleichem Niveau.
Ohne Übertreibung, diese CD ist schlicht die Beste
Noise/PE Veröffentlichung der letzten Jahre.
Daniel Novak
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