Verney 1826

Nebelland

(Shinto Records 2009) CD 12 Tracks

Wer nach authentischer Gothic-Musik sucht, wird dieser Tage lange suchen müssen. Je mehr Cyber-Goth-Electro, Dark-Techno, Melodic EBM und Black-Metal-Gothic-Verschnitte das Internet bevölkern, umso mehr gerät in Vergessenheit, dass es Anfang der 1990er Jahre eine Blütezeit finsterer Popkultur gab, aus der etwa Sopor Aeternus entsprangen.

Man muss zu den Ursprüngen zurück - zur Gothic Fiction des 19. Jahrhunderts, zum deutschen Expressionsimus, zu Hoffmann, Poe und Shelley. Man muss zu den elementaren Klängen der Gothic-Kultur zurück: elegischen Streicherflächen, verlorenen Spinettakkorden, verhallenden Kirchenglocken. Und verzweifelten Texten.

1826 verfasste Mary Wollenscroft Shelley ihren Roman 'The Last Man'. Der protagnoist in einem von der Pest entvölkerten Europa, der schließlich nach neuen Gestaden aufbricht, heißt Lionel Verney. Nach ihm hat sich das deutsche Old-School-Gothic-Projekt Verney 1826 benannt. Der letzte Tourist in Europa...

Gegründet bereits 1991 - in der ersten deutschen Blüte der Gothic-Subkultur -, sucht die Formation um Meiko Richert noch heute, fast 20 Jahre danach, nach dem möglichst unmittelbaren Ausdruck für seine melancholisch bis pessimistische Weltsicht. Ein trüber Blick aufs Nebelland - ein mythisches Niflheim?

Gestaltet in Frakturschrift und mit monochromen Fotos von Engelsstatuen und überwucherten Gemäuern kommt die aktuelle CD "Nebelland" auf dem US-Label Shinto Recortds nicht gerade klischeefrei daher. Aber sind die Metonymien des Gothic nicht vor allem genau das: Klischees eines Untergangs, in dem es sich leben lässt?

In zwölf harmonischen und dichten Kompositionen entfaltet Verney 1826 den Blick aufs Nebelland. Dabei bewegt er sich zwischen ambienter Neoklassik, dezentem Neofolk und martialischem Pathos (wenn auch selten). Das meist deutsche Rezitativ ist dumpf, mitunter fragil verzerrt - eine Gedankenstimme, Reflexionsfetzen. In zwei Stücken hat man in der Sängerin Anna Aliena (ShirayasDream) die geeignete Komplizin gefunden, die Visionen menschlichen Klang werden zu lassen.

Die Titel sind Programm: "Stadt im Regen", "Summerends", "Deadsunday", auch Poes "Ligeia" kommt zu Ehren. Schwarzromantische Sehnsuchtsbilder, gelegentlich gerahmt von einem sachte pulsierenden Beat.

Solche vereinnahmenden Gothic-Klänge gab es lange nicht. Von daher ist Verney 1826 durchaus eigen und bemerkenswert. Manchmal lässt es die Stimme an Entschlossenheit missen, manchmal ist die Herkunft der analogen Keyboardsounds allzu offenbar. Doch "Nebelland" hat eine erstaunliche Dichte und ästehtische Konsequenz. Wer sich je fragte, was Neofolk mit Gothic-Wave einst gemeinsam hatte, kann sich dieses Album anhören.

:ms: