|
Vase de Noces
Label: Camera Obscura
Vertrieb: Illusions UNLTD.films
Produktionsland, -jahr: Belgien, 1974
Regie: Thierry Zéno
Drehbuch: Dominique Garny, Thierry Zéno
Produktion: Thierry Zéno
Musik: Alain Pierre
Darsteller: Dominique Garny
Technische Angaben
Laufzeit: 79 Minuten
Bild: 1,33:1
Ton: Dolby Digital 2.0 Mono (keine Dialoge)
Untertitel: Deutsch, Englisch (Extras)
Extras: Dokumentation: „Of Pigs and Men“ (72 Min.); Intro
/ Outro von Regisseur Thierry Zéno und Co-Autor/Darsteller Dominique
Garny; Vergleich: DVD-Transfer vs. Internet-Download; Booklet mit Essays
von Dr. Markus Stiglegger und Olaf Möller
Das junge deutsche Label Camera
Obscura scheint es sich zur Aufgabe gemacht zu haben, schwierigen, unterschlagenen
Filmen einen Ausweg aus der Versenkung zu bieten. Mit dem japanischen
Essayfilm „Orozco – The Embalmer“ (Anfang des Jahres
erschienen) und nun mit dem lange verschmähten, belgischen Skandalfilm
„Vase de Noces“, eröffnet das Team dem interessierten
Publikum einen fachkundig aufbereiteten Zugang zu zwei radikalen, hoch
interessanten Werken und verschafft ihnen in aufwändig gestalteten
DVD-Editionen eine Würdigung, die ihnen bisher weitgehend versagt
blieb.
„Vase de Noces“ aus dem Jahr 1974 ist mit Sicherheit
einer der am stärksten missverstandenen Filme der jüngeren Kinogeschichte.
Thierry Zéno und sein Co-Autor Dominique Garny portraitieren einen
Bauern, der allein auf einem Hof im Nirgendwo lebt, umgeben nur von Schlamm
und einigen Tieren. Er spricht nicht, er korpuliert mit seinem Schwein
und zeugt Nachkommen, er mordet, er verzehrt seine Exkremente und versucht
mit alchemistischen Praktiken, sich über seine primitive Natur zu
erheben. Thierry Zéno und Dominique Garny schufen einen surrealen,
unterkühlten, verstörenden Trip in das menschliche Unterbewusstsein,
einen nihilistischen Kommentar zu Gesellschaft und der menschlichen Natur.
In streng komponierten, teils sehr drastischen schwarz-weiß Bildern
und ohne jeden Dialog entfaltet sich ein einzigartiger, streng ritualisierter
Mikrokosmos, eine alptraumhafte Versuchsanordnung, die den Protagonisten
ebenso einschließt wie den Zuschauer.
Das formal wie inhaltlich radikale Filmexperiment wurde
entgegen seiner anspruchsvollen Konzeption und seines Kontextes bereits
nach den ersten Aufführungen auf seine provokativen Szenen reduziert
und von Kritik wie auch Publikum vorschnell angeprangert. Der Regisseur
und sein Co-Autor bzw. Hauptdarsteller sahen sich mit heftigen Zensurdebatten,
Verboten und sogar christlichen Gegendemonstrationen konfrontiert, was
ihrem Filmprojekt viele Wege zum gesuchten, intellektuellen Zielpublikum
verschloss. Der verdrängte Klassiker wurde seither nur von Wenigen
im Kontext künstlerischer Avantgardebewegungen der 50er, 60er und
70er Jahre gesehen, in welchem er im nachhinein angesiedelt werden muss.
„Vase de Noces“ ist als Film der Grenzüberschreitung,
als Teil des Cinema of Transgression zu sehen, das in Europa Tradition
besitzt: „Filme, die ganz bewusst mit dem Tabubruch arbeiten, den
Zuschauer mit seinen ethischen und ästhetischen Grenzen konfrontieren,
Filme, die schließlich den 'verfemten Teil’ der Gesellschaft,
das Verstoßene, Verleugnete thematisieren, um selbst zum film maudit
(verfemten Film) zu werden.“, so Marcus Stiglegger im Booklet der
DVD.
Über drei Jahrzehnte hinweg blieb „Vase de Noces“
abgesehen von vereinzelten Festivalscreenings dem Publikum vorenthalten,
denn er erfuhr nie eine Video- oder DVD-Auswertung. Lediglich das Internet
bot Suchenden die Möglichkeit, mehr schlecht als recht einen Blick
zu riskieren: Hier fristete das geheimnisumwobene „Pig Fucking Movie“
bis vor kurzem ein tristes Dasein als illegaler Download, in derart grauenerregender
Bildqualität, dass das Geschehen bloß zu erahnen war. Camera
Obscura hat diesen Misstand nun behoben und präsentiert eine auf
2.000 Exemplare limitierte, komplett restaurierte 2-DVD-Auswertung des
Films in einem sehenswerten Pappschuber. Die Bild- und Tonqualität
ist angesichts des Alters des Films überraschend gut und ermöglicht,
Thierys poetisches, vieldeutiges Werk in seiner eigentlichen Form zu sehen
bzw. zu hören. Die verstörende Klangkulisse von Alain Pierre
entfaltet endlich ihre volle Wirkung, was die eindrucksvollen, körnigen
schwarz-weiß Bilder umso intensiver macht. Diese sind sehr scharf
und kommen trotz des etwas geringen Kontrasts (weiße Flächen
überstrahlen ein wenig) sehr gut zur Geltung. Fans des anspruchsvoll
verstörenden Kinos wird dabei freuen, dass neben der technischen
Überarbeitung auch alles unternommen wurde, um dem Film endlich einen
angemessenen Kontext zu bieten. Insbesondere ist hier die über 70-minütige
Dokumentation „Of Pigs and Men“ zu nennen, innerhalb derer
Zéno und Garny praktisch sämtliche offenen Fragen zur Entstehung
bzw. Rezeption des Films, sowie zu den meisten inhaltlichen sowie formalen
Entscheidungen ausführlich beantworten. Das beiliegende Booklet mit
Essays von Dr. Marcus Stiglegger sowie Olaf Möller ergänzt das
Komplettpaket und liefert Ansatzpunkte für weitere Recherchen. Als
zusätzliches Gimmick findet sich eine Möglichkeit die Internetversion
des Films direkt mit der Neufassung zu vergleichen.
Man merkt der „Vase de Noces“-DVD an jedem
Detail an, dass hier kommerzielle Erwägungen kaum eine Rolle spielten.
Hier wurde mit Detailverliebtheit versucht, einem einzigartigen Film gebührenden
Respekt zu zollen. Dies ist auch gelungen, nach „Orozco –
The Embalmer“ bereits zum zweiten Mal. Das rechtfertigt nicht nur
den erhöhten Kaufpreis, sondern macht Camera Obscura neben Bildstörung
zu einem der interessantesten deutschen Labels für neue filmische
Entdeckungen – leichte Kost wird hier allerdings nicht geboten.
Dennis Vetter
|