Stefan Keppler / Michael Will (Hrsg.)

Der Vampirfilm

Klassiker des Genres in Einzelinterpretationen

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Würzburg: Königshausen & Neumann 2006. 206 S. 19,80 Euro.

Als genuin mediale Figur ziehen sich Transmissionen des Vampirs seit dem 19. Jahrhundert von der Theaterbühne (siehe Kati Röttger in :Ikonen: Nr. 5) über die Literaturgeschichte bis hin zur technischen Reproduzierbarkeit in Kinematographie und Cyberspace. Die beiden Germanisten Stefan Keppler und Michael Will zollen dieser Omnipräsenz in Bezug auf das Kino nun Tribut: Sie geben den ersten monothematischen Reader zum Vampirfilm in deutscher Sprache heraus.

In seinem Vorwort klassifiziert Stefan Keppler den Vampir zum einen als Figur der permanenten Paradoxierung. Als notorischer Grenzgänger hebe er etwa die Dichotomie Leben-Tod auf, kreuze Sakrales und Profanes auf unerhörte Weise, vermittle zwischen Transzendenz und Immanenz oder unterlaufe eine Zugehörigkeit zu Präsens und Perfekt gleichsam. Für Keppler beeinträchtigt der Vampir „die Geltung differenzlogischer Strukturen und stellt Grenzen, die fest schienen, zur Disposition“ (S. 10). Zum anderen zeichne sich der Blutsauger als eine Figur medialer Selbstreflexion aus, die in von Medien definierten Semantiken mit spezifischen strukturellen Eigenschaften dieser Medien erscheine. Das Kino stelle dem Vampir dabei kein beliebiges Medium bereit, sondern vielmehr „das seiner Erfüllung“ (S. 15). Der Untote spiegle sich in den Paradoxien der Kinematographie, welche in ihren bewegten Bildern zugleich lebendig und doch unlebendig sei. Das Zusammentreffen von Vampir und Kino lasse sich so als Infraierung lesen. Eine „Wiederholung des filmischen Dispositivs innerhalb des Films“ (S. 16) charakterisiere die mediale Repräsentation des Vampirs im Kino.

Wie Stefan Keppler stammen auch die weiteren Autoren des Bands aus der universitären Literaturwissenschaft und ihrer Peripherie. Einen Schwerpunkt bildet damit die Diskursivierung intermedialer Kontinuitäten und Differenzen zwischen Film und Literatur. Clemens Ruthner untersucht Friedrich Wilhelm Murnaus NOSFERATU – EINE SYMPHONIE DES GRAUENS (Deutschland 1922) in Hinblick auf das Verhältnis zu dem Roman DRACULA von Bram Stoker und problematisiert den im Film durch illusionistische Projektion lancierten Einbruch einer alternativen Ordnung in eine abgesicherte Episteme. Die „vom common sense beglaubigte 'empirische’ Wirklichkeitskonstruktion und das damit verbundene kanonische Wissen um die Welt“ (S. 37) würde von Murnau auf diese Weise radikal in Frage gestellt.

Der klassizistischsten aller Stoker-Verfilmungen widmet sich Elisabeth Bronfen. Sie analysiert Tod Brownings Universal-Produktion DRACULA (USA 1931) und arbeitet heraus, wie Browning auf autoreferentiellem Wege Fragen der intertextuellen Medialität dramatisiere. Als Chiffre für das seduktive Potential des Kinos spreche der blutsaugende Graf von der betörenden Ausstrahlung der Kinematographie per se. Film selbst entpuppe sich „als Schauplatz einer Dialektik des Untoten“ (S. 71).

Marcus Stiglegger, der einzige im Band vertretene Filmwissenschaftler, begreift Carl Theodor Dreyers VAMPYR – DER TRAUM DES ALLAN GRAY (Frankreich/Deutschland 1932) als phantastisches Artefakt, welches mediale Diskurse zugunsten einer Exponierung eines Traums im Traum desavouiere. Dreyer entfalte „mittels diffus-undurchschaubarer Atmosphäre ein unheimliches Traumspiel, in dem sich die Ereignisse eher assoziativ ergänzen“ (S. 74) würden. Besonders lobenswert ist darüber hinaus Stigleggers Verweis auf Filme in Nachfolge von VAMPYR. Stiglegger spricht marginalisierte Filmemacher wie Jean Rollin, Harry Kümel oder Lucio Fulci an und situiert sie in ihrem Bemühen um ein Kino vom „Versagen der Sprache“ (S. 84) an der Seite Dreyers.

Einen Blick auf die britischen Hammer-Studios wirft Uli Jung. Er nähert sich Terence Fishers DRACULA (Großbritannien 1958) mit psychoanalytischer Methodik und liest den Film als eine konservative Pathologie verdrängter Sexualität, welche in der bürgerlichen Subjektkonstitution als das Abjekte ausgeklammert werde. Phallussymbolik, Kastrationsmetaphern und ödipale Konflikte dominieren Jungs Blickwinkel, der heute etwas antiquiert erscheinen mag. Durch eindeutige Evidenzen im Analyseobjekt legitimiert er sich als Referenzpunkt jedoch zweifellos dennoch. Umso mehr, da der ideologisch affirmative Film keine Alternative zur „patriarchalischen Gesellschaft, zur Selbstbeschneidung, zur erotischen Selbstdisziplin und zur Hegemonie der bürgerlichen Gesellschaft“ (S. 101) aufzeige.

Peter Cersowsky versteht Roman Polanskis THE FEARLESS VAMPIRE KILLERS (USA/Großbritannien 1967) als zitatreiche Slapstick-Komödie, die eine kritische Phänomenologie deutscher Wissenschaftskultur leiste. Darüber hinaus setze sich der Film mit gesellschaftlichen Problemen der 1960er Jahre sowie der Biographie Polanskis auseinander. Cersowsky arbeitet mit einer prä-poststrukturalistischen Autorentheorie, die ihn vor allem nach Interdependenzen von Künstler und Werk fragen lässt. THE FEARLESS VAMPIRE KILLERS sei trotz aller Spezifik letztendlich „ein repräsentativer Polanski-Film“ (S. 118).

In Anlehnung an seine Arbeit zur Ästhetik des Horrors befasst sich Hans Richard Brittnacher mit Werner Herzogs NOSFERATU – PHANTOM DER NACHT (BRD/Frankreich 1979). Er liest den Film als Artefakt wider den affirmativen Konservatismus des Horror-Genres. Herzog gehe es dagegen um eine poetische Aufarbeitung von Todessehnsucht, Selbstopfer, Melancholie und Ritualismus. Damit stehe NOSFERATU – PHANTOM DER NACHT „im Kontext von Herzogs Bemühungen, unterschiedlichen Spielarten des Genrekinos seine eigenen filmischen Visionen entgegenzusetzen und dabei eine Art anthropologischer Soziologie auszubuchstabieren“ (S. 122).

Norbert Borrmann, Autor der Monographie „Vampirismus oder die Sehnsucht nach Unsterblichkeit“, arbeitet an Francis Ford Coppolas Dracula-Version. Borrmann versteht BRAM STOKER’S DRACULA (USA 1992) als Oper der großen Gesten, die sich produktiv mit ihrer Literaturvorlage und der Tradition des Kinos auseinandersetze. Coppola werde zwar Stoker nicht gerecht, dafür gelinge ihm aber ein sinnlicher Erotikfilm, der viele prä-kinematographische Illusionstechniken eine intermediale Renaissance erleben lasse.

Michael Will analysiert schließlich die postmodernen Tendenzen des Vampirfilms um die Jahrtausendwende. Mit dem Anbruch des digitalen Zeitalters komme es verstärkt zu einer Ausdifferenzierung und Serialisierung des Phänomens Vampirismus. Denn die Figur des Vampirs lade in besonderem Maße zu Reproduktion ein. Seine Bildlichkeit sei „zwar von einigen festen Grundstrukturen […] determiniert, ansonsten aber fast beliebig variierbar und funktionalisierbar“ (S. 158). Dadurch würden vampirische Themen in nahezu alle Unterhaltungsmedien drängen. Dass allerdings erst Wellson Chins VAMPIRE HUNTERS (Hongkong/Japan 2002) die Ästhetik des Hongkong-Kinos „reichlich verspätet auf ein Vampir-Sujet“ (S. 165) anwende, stellt einen groben faktischen Fehler Wills dar. Ganz im Gegenteil, in der Kinematographie der ehemaligen britischen Kronkolonie besitzen untote Blutsauger von Sammo Hungs ENCOUNTERS OF THE SPOOKY KIND (Hongkong 1981) über Ricky Laus MR. VAMPIRE (Hongkong 1985) bis zu Lam Ching Yings VAMPIRE VS. VAMPIRE (Hongkong 1989) eine äußerst prominente Tradition.

So scharfsichtig die Einzelanalysen des Bandes zum Teil auch sind (insbesondere bei Keppler, Ruthner, Stiglegger und Brittnacher), ein durchweg positives Resümee gestaltet sich dennoch zwiespältig. Ungewöhnliche, aber filmhistorisch immens bedeutsame Vampirfilme wie beispielsweise Mario Bavas ERCOLE AL CENTRO DELLA TERRA (Italien 1961), Ulli Lommels DIE ZÄRTLICHKEIT DER WÖLFE (BRD 1973), David Cronenbergs RABID (Kanada 1977), George A. Romeros MARTIN (USA 1977) oder Philip Ridleys THE REFLECTING SKIN (Großbritannien 1989) finden mit keinem Wort Erwähnung. Von den im Mittelpunkt stehenden Produktionen repräsentieren alle einen etablierten Kanon bildungsbürgerlicher Hochkultur. Damit bleibt eine kulturgeschichtliche Regression zu konstatieren, welche dem polysämischen Sujet gerade nicht Rechnung trägt. Vor fast 40 Jahren hat der Literaturwissenschaftler Leslie Fiedlers in seinem epochalen Essay „Cross the Border - Close the Gap“ bereits eine demokratische Evaluierung disparater Textsorten eingefordert: „Die Vorstellung von einer Kunst für die 'Gebildeten’ und einer Subkunst für die 'Ungebildeten’ bezeugt den letzten Überrest einer ärgerlichen Unterscheidung innerhalb der industrialisierten Massengesellschaft, die nur einer Klassengesellschaft zustünde“. Auf einen Band, der Klassiker wie Jess Francos VAMPYROS LESBOS (Deutschland/Spanien 1969), Jean Rollins LE FRISSON DES VAMPIRES (Frankreich 1970) oder Paul Morrisseys BLOOD FOR DRACULA (Italien 1974) gleichberechtigt neben Murnau, Dreyer und Herzog stellt, damit die Utopie einer Revolution des Kinos als Strategie von unten beim Wort nimmt und anstelle von regressivem Geniepathos Raum schafft für Enthierarchisierung wie Minderheitenpatchwork, bleibt also weiter zu warten.

rit