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ULVER with TROMSØ CHAMBER ORCHESTRA
MESSE I.X-VI.X
Label: Neuropa Records, Jester Records
Format: Vinyl, CD
Veröffentlichung: August 2013
„What Kind of Choir of Angels Will Receive
Us“ (Ulver)
Ulver aus Norwegen wagen seit nunmehr fast zwanzig
Jahren den musikalischen Hochseilakt: Von rohem Black Metal über
düsteren Ambient bis hin zu verspielt, verzaubertem Dream Pop hat
sich diese Band bereits über viele Genres hinweg balanciert, hat
dabei Gräben überquert und Verbindungslinien ertastet, an denen
zuvor keine zu sein schienen. Eine solcher Seiltanz kennt keine Netze
und keine Sicherheitsgurte, jeder falsche Schritt führt ins Leere,
in den Abgrund. Das Gelände an den tradierten Genre-Grenzen ist nicht
selten vermint und streng bewacht, jeder Übertritt aus einem anderen
Lager, wird von dort aus misstrauisch beobachtet. Doch auch mit ihrem
nunmehr neunten Album „Messe I.X-VI.X“ sind Ulver ihren fragilen
Weg sicher zu Ende gegangen, haben mit zusammen mit dem Tromsø
Kammerorchester ein einzigartiges Meisterwerk geschaffen und sich damit
erneut quer zu allen stilistischen Konventionen gestellt.
Zwischen Requiem, Minimal Music, Ambient-Electro, Post-Rock
und Soundscape entwickelen Ulver in „Messe I.X-VI.X“ eine
tiefe und orchestral inszenierte Dramatik. Dieses Album ist die Filmmusik
für eine imaginäre, nicht manifeste und flüchtige Kinematographie,
die sich in schemenhaften Schattenbildern in den Köpfen ihrer Hörer
einschreibt. Diese Musik erzählt ihre eigene Geschichte, erfindet
ihre eigenen Bilder, ist ihre eigene Projektion, die Innen- und Außenwelt
durcheinander zu bringen droht. In vereinzelten Passagen entwickelt ein
getragener und fern an Pink Floyd erinnernder Gesang eine Narration, die
durch die orchestralen und an Philip Glass aber auch Michael Nyman gemahnenden
Minimal-Versatzstücke verstärkt, entladen und symbolisch durchdrungen
wird. Ruhige, düstere und experimentell arrangierte Ambient-Collagen
unterstreichen diese Dramaturgie und führen den Hörer vorsichtig
über die schmalen und abgründigen Wege Ulvers. Das Album lässt
seinem Rezipienten dabei wenig Zeit zum Luftholen, ist dicht komponiert
ohne jede Länge und entwickelt eine beunruhigend anziehende Sogwirkung.
Gleich einem Requiem – einer Totenmesse – verschluckt es jedes
Licht und mit diesem seinen Hörer unter einer massiven Klangdecke.
„Messe I.X-VI.X“ steht für sich, ist
auf eine unergründliche Weise monolithisch und in diesem Jahr möglicherweise
nur mit Haxan Cloaks „Excavation“ vergleichbar, das eine ähnliche
Atmosphäre zu erzeugen vermochte. Sechs Stücke in knapp einer
dreiviertel Stunde genügen Ulver für diese tour de force durch
die Dunkelheit, lassen den Hörer beeindruckt und taumelnd zurück
und markieren dennoch einen sicheren Stand am Rande des Abgrunds. Scheinbar
mühelos demonstriert dieses Album, dass Neoklassik ohne kitschigen
Pathos möglich ist und Kammerorchester modern klingen können.
„Messe I.X-VI.X“ überwindet dabei stilistische Frontverläufe,
vermittelt zwischen Genres ohne dabei jedoch seinen eigenen Fluchtpunkt
zu verlieren, in dem alle seine Facetten gebündelt werden. Grandios.
Patrick Kilian
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