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Wolfgang Sofsky
Todesarten. Über Bilder der Gewalt
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Matthes & Seitz Berlin (Oktober 2011)
271 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag
zahlreiche Farbabbildungen
ISBN: 978-3-88221-557-1
Preis: 29,90 Euro
Gewalt ist ein beständiges Thema im Œuvre
des Soziologen Wolfgang Sofsky. Seine 1993 erschienene Habilitiationschrift
„Die Ordnung des Terrors: Das Konzentrationslager“ für
die er den Geschwister-Scholl-Preis erhielt, sein „Traktat über
die Gewalt“ (1996) oder das 2002 veröffentlichte Werk „Zeiten
des Schreckens. Amok, Terror, Krieg“ bezeugen diese Schwerpunktsetzung.
Ehemals als Professor für Soziologie an der Universität Göttingen
tätig, arbeitet Sofsky seit 2000 als Privatgelehrter und politischer
Kommentator gewissermaßen auf eigene Faust ohne jede akademische
Einengung. Seine umfangreiche Publikationsliste ist Ergebnis dieser Freiheit
und wird nun mit „Todesarten. Über Bilder der Gewalt“
um ein neues Werk erweitert, in dem das Thema Gewalt aus einer ikonischen
Blickrichtung umkreist wird.
Gewalt im Bild
Die Gewalt – jenes menschheitsgeschichtliche Kontinuum
sozialer Interaktion – soll im Bild gesucht und verstanden werden.
Ganz neu ist dieser Ansatz nicht: Seit Anfang der 90er Jahre ist in den
Geistes- und Kulturwissenschaften eine regelrechte Renaissance des Bildes
zu verzeichnen, die je nach theoretischem Ahnenkult unter den Begriffen
„Iconic Turn“, „Pictorial Turn“ oder schlicht
„Visual Turn“ changiert. Als Vordenker und Säulenheilige
fungieren hierbei Aby Warburg, Erwin Panofsky, Ernst Gombrich oder auch
Roland Barthes. Einen fundierten Überblick über die Heroen der
Bilderwissenschaft liefert der Sammelband „Ideengeschichte der Bilderwissenschaft“
(Probst/Klenner 2009). Sofskys Werk „Todesarten“ hebt sich
in vielerlei Hinsicht vom Kanon der kulturwissenschaftlichen Bildbearbeitung
ab und sucht nicht nach überhistorischen Bildstrukturen oder anthropologischen
Darstellungskonstanten. In zwanzig Essays widmet sich sein Band der individuellen
Darstellung des Todes im Bild, wobei jede Manifestation des Sterbens als
eine besondere – ja gewissermaßen einzigartige – Imagination
dieses menschlichen Ausnahmezustandes aufgefasst wird. Vergleiche und
die Konstruktion von Parallelen zwischen den Bildern vermeidet Sofsky
ebenso hartnäckig wie Rückschlüsse auf anthropologische
oder psychologische Konstanten des Menschen: Die Gewaltbilder werden als
individuelle Interpretationen gesehen und beschrieben. Der Autor bringt
dies programmatisch auf eine griffige Formel: „In Wahrheit kennen
Bilder nur ihre eigene Wirklichkeit“ (19). Dieser Wirklichkeit spürt
Sofsky in kreisförmigen Bewegungen nach und sucht das Eigentliche
und Eigentümliche des Bildes in detaillierten Beschreibungen aus
dem Sichtbaren zu gewinnen.
Gewaltbilder in der Kritik
Gewaltbilder, ganz gleich ob fiktionaler oder realer Natur,
sind gerade in den letzten Jahren immer wieder in die öffentliche
Diskussion geraten und waren nicht selten Ziel staatlicher und halbstaatlicher
Zensurbemühungen. Gemäß einer ideologisierten Habitualisierungstheorie
werden Bilder für Terror, Schulamokläufe oder auch das neue
Phänomen des happy slapping verantwortlich gemacht. In dem Essay
„Können Bilder töten?“ (L’image peut-elle
tuer, 2002) setzt sich die französische Kulturtheoretikerin Marie-José
Mondzain mit dieser Thematik auseinander und führt die Angst vor
dem Gewaltbild vor allem auf die Ereignisse des 11. Septembers 2001 zurück.
Allerdings wendet sie sich gegen das staatlich verordnete „Bilderfasten“
und die Angst vor den Gewaltikonen. Bilder selbst töten nicht –
so vielleicht das verkürzte Fazit ihrer Analyse. Für den Bereich
des Gewaltkinos hat Marcus Stiglegger erst kürzlich auf den kulturellen
Wert von Gewalt in Bilder verwiesen. In dem Band „Terrorkino. Angst/Lust
und Körperhorror“ (2010) zeigt er, dass die visuelle Gewalt
durchaus kathartische Wirkung auf den Rezipienten ausüben kann und
ihn zur Auseinandersetzung mit der eigenen Körperlichkeit zu zwingen
vermag. Auch für das Kino kommt 9/11 eine zentrale Bedeutung zu.
Dennoch bleiben die Gewaltbilder in der öffentlichen Debatte weiter
im Generalverdacht, gelten als gefährlich, verrohend und in letzter
Konsequenz sogar krankmachend. „Todesarten“ ist also hochaktuell
und bietet mit seiner Analyse der Historie der Gewaltbilder eine neue
und wichtige Perspektiverweiterung, versucht keine Rehabilitierung der
Gewaltbilder, sondern eine Dokumentation der Gewalt als Sujet in der Bildenden
Kunst. Geradezu wertfrei werden die Enthauptungen, Opferungen, und Schlachtungen
präsentiert, die sich quer durch die gesamte Menschheitsgeschichte
ziehen. Deutlich wird hierbei vor allem eines: die Darstellung von Gewalt
im Bild verweist auf eine sehr lange Geschichte und ist Ur-Bild der menschlichen
Imagination. Von der Frühgeschichte bis zur unmittelbaren Gegenwart
der Kriegsphotographie spannt Sofsky den Rahmen für sein Buch und
so ist es nicht unerstaunlich, dass beim Durchblättern des Werks
ein Diktum Sigmund Freuds als leises Echo mitschwingt: „Gerade die
Betonung des Gebotes: Du sollst nicht töten, macht uns sicher, daß
wir von einer unendlich langen Generationsreihe von Mördern abstammen...“
Todesarten – eine Erzählung vom Menschen
Dem aktuellen Aufschrei der Moralapostel verweigert sich
Sofsky schon direkt in der Einleitung: „Bildwerke verpflichten zu
nichts. Sie müssen weder aufrütteln noch belehren.“ (15).
Und weiter: „Die Ereignisse des Bildes gehören nicht der Realität
an, sie bilden vielmehr eine Bildwirklichkeit eigener Art.“ (19).
Auf seiner Reise durch die Kunstgeschichte, die in der Höhle von
Lascaux beginnt, will der Autor also weder auf moralische Implikationen
des Dargestellten noch auf eine faktische Geschichte der Gewaltanwendung
eingehen – einzig die Imagination von Gewalt im Bild steht im Zentrum
der Untersuchung. Das Buch gliedert sich hierbei in die Themenkomplexe:
Tiere und Menschen, Menschenopfer, Qualen und Strafen, Freitod, Mord und
Kampf und schließlich Krieg. Nicht nur verschiedene Arten des Sterbens,
sondern auch verschiedene Akteurskonstellationen werden so durchdekliniert.
So wird der Mensch einmal zum Opfer des Tiers auf der Jagd („Höhle
von Lascaux“) einmal zu dessen Henker im Schlachthaus („Im
Schlachthaus“ Lovis Corinth, 1893) zum Mörder im Duell („Das
Duell“ Francisco Goya, 1825) und schließlich zum Mörder
seiner selbst („Lucretia“ Rembrandt 1666). Station macht Sofsky
häufig bei Klassikern der Kunstgeschichte, die er jedoch stets neu
zu erzählen vermag, greift jedoch auch weniger ikonische Werke auf,
wie beispielsweise „Die Apostelmartyrien“ von Stefan Lochner
aus dem Jahre 1435. Anhand dieses Werkes verweist er auf den Zentraltopos
des Selbstopfers innerhalb der christlichen Theologie, zeigt aber auch
ein Panorama der sozialen Ordnung in den Konstellationen zwischen den
zahlreichen Henkern und Märtyrern. Auf das Opfer kommt Sofsky dann
auch in der Beschreibung der für den Tauberbischofsheimer Altar bestimmten
„Kreuzigung“ von Matthias Grünewald 1523-25 zurück.
In dieser Zentral-Ikone der abendländischen Bildproduktion erzählt
er die Veränderung der Imagination von Gewalt. Erstmals wurde der
gemarterte Christus als leidender Mensch dargestellt, der unter unaussprechlichen
Qualen in den Tod geht. Darstellungen von Kreuzigungen hat es vor und
nach Grünewald gegeben, dass sie alle unterschiedlich sind, ist Konsequenz
der jeweils individuellen Vorstellung. Die einzigartige Wirkung der Darstellung
von Grünewald verdichtet Sofsky in seiner Conclusio: „Grünewalds
Kreuzigung zeigt weit mehr als die Ereignisse auf der Schädelstätte.
Seine ästhetische Wirkung rückt das Altarbild in die Nähe
eines heiligen Objektes.“ (105).
In seinen Beschreibungen bleibt Wolfgang Sofsky immer sehr
nahe am Bild. Die Geschichten, Erzählungen und Mythen nutzt er um
Abweichungen im Bild zu identifizieren und so die individuelle Vorstellung
des Künstlers von einer Gewalttat zu erfassen. Kain und Abel („Die
Bernwardstür am Dom zu Hildesheim“, 1015), Judith und Holofernes
(„Judith“, Peter Paul Rubens, 1617) oder Sopholkes’
tragischer Held Aias („Der Tod des Aias“, Exekias, 530 v.
Chr.) dargestellt auf einer Amphore – die Mythologie ist reich an
Mördern, Selbstmördern und Opfern. Sofsky zeigt in der Auswahl
der Werke, die fast alle zu den großen Erzählungen vom Menschen
gehören, dass der Tod und konkreter der gewaltsame Tod ein sinnstiftendes
Potential in sich trägt. Der Mensch – und hier liegt die Paradoxie
– scheint sich mehr als Todeswesen denn als Lebewesen zu begreifen.
In all den biblischen, mythischen oder modernen Geschichten wird der Mensch
erst durch sein Erdulden, Erleiden, Flehen, Klagen, Schweigen oder Hinnehmen
des Todes zum Mensch. Auf Seite 215 schreibt der Autor: „Gemalte
oder gezeichnete Bilder berichten nichts, sie repräsentieren kein
Ereignis, sondern die Vorstellung eines Ereignis. Sie halten keinen vergangenen
Zeitpunkt fest, sondern erzeugen eine fiktive Gegenwart.“ Gerade
diese „fiktive Gegenwart“ verweist auf den identiäts-
und sinnstiftenden Gehalt der Gewaltbilder.
Am Schluss kommt Sofsky dann in einem Plädoyer doch noch einmal auf
die Zensurträume der Öffentlichkeit zurück, die die schockierenden
Kriegsphotographien von Corinne Dufka, James Nachtwey und Paul Lowe aus
dem kollektiven Bildgedächtnis verbannen will, zurück. Er kritisiert
in diesem Zusammenhang deren Moral „des Guten und Schönen“
(245), mit der die Bilder des Krieges als Voyeurismus und Gewaltpornographie
diffamiert werden. „Die Zensur der bösen Bilder verwechselt
die vermeintliche Obszönität des Bildes mit der Obszönität
der Tatsachen“ (246) – so seine lakonische Dekonstruktion
dieses kapitalen Missverständnisses.
Fazit
„Todesarten. Über Bilder der Gewalt“ ist ein außergewöhnliches
Buch. Es erzählt vom Menschen und seiner Vorstellung von sich selbst.
Der Tod ist hierbei zentraler Ort der Selbstdefinition und –versicherung.
In seinen einfühlsamen Beschreibungen gibt Wolfgang Sofsky der Bilderwissenschaft
eine sinnliche Dimension zurück, die sie in all ihrem Streben nach
Wissenschaftlichkeit verloren hatte und erliegt nicht der Versuchung nach
großen Synthesen zu streben. Sprachgewaltig führt er durch
die dunkeln Kapitel der menschlichen Vorstellungswelten und eröffnet
dem Leser in seinen fesselnden Beschreibungen neue Interpretationen. Gewaltbilder
in denen der Mensch als Todeswesen inszeniert wird, gehören zum Menschen
und zur Geschichte des Menschen genau wie die Gewalt selbst. Sie sollten
nicht verleugnet, sondern vielmehr als Wege der Selbsterfindung des Menschs
akzeptiert werden. Glänzend geschrieben und von Matthes & Seitz
hochwertig mit schwarzem Prägedruck auf weißem Einband veredelt,
gehört „Todesarten“ in das Bücherregal eines jeden
kunsthistorisch Interessierten. Mensch, Gewalt, Bild – mit dieser
Matrix bringt Wolfgang Sofsky jene Elemente zusammen, die schon immer
eine Einheit bildeten. Ein großartiger Essay über den Keller
der menschlichen Psyche, den man nicht mehr aus der Hand geben will –
große Empfehlung.
Patrick Kilian
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