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Claudia
Gerhards/Stephan Borg/Bettina Lambert (Hg.):
TV-Skandale
Kommunikation audiovisuell
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Beiträge aus der Hochschule für Fernsehen
und Film München. Band 35. Konstanz 2005. 410 S. 34,-€ ISBN
3-89669-470-7
Es ist dämmrig. Die verwackelten Bilder verstören.
Der Puls beschleunigt sich mit jeder ruckartigen Bewegung, die über
den Bildschirm flimmert. Erst langsam kann man erkennen, welche Zeichen
die unsauberen Bilder vermitteln. Allmählich dämmert es dem
Betrachter, dass er Zeuge eines Alptraums wird: Der Mann hat keine Chance.
Er liegt schon auf dem Boden und wird von Polizisten brutal verprügelt.
Er kann sich nicht wehren und gerade jetzt entlädt sich der Hass.
Das, was wir sehen, hat nichts mit dem zu tun, was wir unter Polizeiarbeit
verstehen. Uns stockt der Atem, denn gleichzeitig spüren wir, dass
es sich hier nicht um eine Filmszene handelt. Die Aufnahmen transportieren
das Adrenalin des Kameramannes. Das Flüchtige, Verwischte, Unscharfe
der Szene wirkt wie ein Beleg des Authentischen. Es ist so unsauber, dass
es nicht gestellt sein kann. Die schiere Anwesenheit des Mannes mit der
Kamera ersetzt mühevolle Recherchearbeit. Die Bilder sprechen eine
zu eindeutige Sprache. Sie sprechen für sich selbst und scheinen
sich selber damit zu belegen. Die Bilder dieses kleinen Films von Rodney
King, den er 1991 in Los Angeles aufgenommen hat, haben eine solch eindeutige
Aussage, dass sie einen gewaltigen Aufstand auslösen. Häuser
und Autos werden in Brand gesteckt, Polizisten angegriffen. Mehrere Viertel
der Stadt bleiben auf Wochen im Ausnahmezustand. Es scheint, als hätte
man nur auf diese Bilder gewartet. Hier endlich ist das erlösende
Signal für viele Menschen, um ihrer Wut freien Lauf lassen zu können.
Was aber wäre, wenn diese Aufnahmen lediglich ein Fake
gewesen wären? Die Vermutung liegt nahe, denn schließlich wurden
die Bilder über das Fernsehen gesendet, da kann man misstrauisch
werden. Immerhin ist Fake selbst die Wirklichkeit des Fernsehens, folgt
man den Ausführungen Claudia Gerhards.
Schon befindet man sich in einer Debatte darüber, was eigentlich
die Wirklichkeit ist, sein sollte, oder was diese im Fernsehen ausmacht.
Natürlich übt man für den Fernsehauftritt. Man wird geschult,
trainiert Aus- und Körpersprache. Man lernt eine strenge Selbstdisziplin,
um dass, was man sagen möchte deutlicher zum Ausdruck bringen zu
können. Selbst kurze Momente des Überlegens werden vor der Kamera
geschult eingesetzt. Gerhards führt ein signifikantes Moment in diese
Wahrheiten des Fernsehens ein: sie demonstriert anhand des Skandals um
die Ratesendung „twenty one“, dass hier schließlich
alles gestellt war, damit es echt wirkte und wirken konnte. Da liegt die
Vermutung nahe, dass das Fernsehen vielleicht doch ein anderes Medium
ist, als es uns beim ritualisierten täglichen Betrachten der Fernsehnachrichten
erscheinen möchte: ein Medium der Aufarbeitung, der Interpretation,
des Zusammenschnitts, besorgt um die sinnvolle und Zielgruppenorientierte
Komponente des verständlich Vertrauensvollen. Mithin also ist das
Medium selbst stets etwas anderes als die reine Abbildung einer Wahrheit,
da es immer schon einer Intention folgt. Erst, wenn Intention und Abbildung
mit einem Moment des scheinbar Authentischen gekoppelt werden, können
Bilder entstehen, wie die der Polizisten, die ihr wehrloses Opfer zusammenschlagen.
Die Anwesenheit des Kameramannes ersetzte nicht nur die Recherche, sie
brachte vor allem das zum Ausdruck, was bis dahin lediglich als geheime
Wahrheit über die normale Arbeit der Polizei in den Ghettos amerikanischer
Großstädte kursierte. Der Skandal dieser Bilder besteht in
erster Linie darin, dass er sich dem Obszönen, des geheimen aber
dennoch allgemein bekannten Wissens frontal nähert und dieses selbst
thematisiert. Man hatte es schon immer gewusst, aber nun wird man mit
diesem Wissen direkt konfrontiert. Insgeheim hat man diese Bilder schon
lange erwartet, nur so lässt sich erklären, dass sie eine solche
Eruption der Gewalt freisetzen konnten.
Wie im Fall von Abu Ghraib stellte sich hier die Frage
danach nicht mehr, ob die Bilder real oder gestellt waren. Ein Fake wäre
hier als Wahrheit verstanden worden und hätte die selben Reaktionen
gezeitigt, da man auf einen Bericht wie diesen schon lange gewartet hatte.
Die Unsauberkeit der Bilder selbst belegte ihre Echtheit. Nach diesem
Fall wurden viele Szenen nach denselben Aufnahmeregeln gedreht, da man
erkannte, dass diese Art der Darstellung wesentlich glaubwürdiger
über die Mattscheibe flimmert.
In diesem Buch wird in vier großen Kapitel die jeweils
6 Aufsätze subsumieren, der Versuch unternommen, dem Skandal im Fernsehen
auf den Leib zu rücken und ihn zugleich als Konstante dieses Mediums
zu analysieren.
Was genau ist ein Fernseh-Skandal, wenn nicht das Fernsehen selbst? Ist
nicht die systematische Beschäftigung mit den schlechten Eigenschaften
dieses Mediums, seine beste Eigenwerbung? Haftete dem Fernsehen, diesem
künstlichen Fenster der Welt ins Wohnzimmer nicht immer schon das
Image eines bad guys an? Ist es nicht systematisch zu sehen, dass gerade
im Bezug auf Erziehung immer wieder mit erhobenen Zeigefingern an den
verderblichen Einfluss des Fernsehens gemahnt wird? Natürlich ist
es lohnenswert, wenn es Skandale und Skandälchen im Fernsehen gibt,
immerhin kann das Medium so von sich reden machen und von seinem produzierten
Alltag ablenken. Erhellend in diesem Zusammenhang ist sicherlich, dass
auch die im Buch sehr ausführlich vorgestellten Skandale, die des
Michael Born und Tom Kummer nur dadurch justitiabel wurden, weil sich
so Belegschaft eines riesigen Arbeitgebermediums reinwaschen konnte, sich
abgrenzen konnte, von den bösen Jungs, die etwas unerhörtes
getan hatten, nämlich Berichte verfasst, die gerne gesendet wurden,
da sie gerne gesehen wurden. Vor Gericht standen allerdings nicht die
Fälscher, sondern die Personen, die anderen Personen einen geldwerten
Schaden zugefügt hatten, nichts anderes wurde damals im Koblenzer
Prozess verhandelt und mit einem Strafmaß versehen.
Nicht nur der diesbezügliche Artikel von Alexander Plappert verdeutlicht
diesen Zusammenhang einleuchtend unaufgeregt. Ebenso erscheint dieser
Umstand notwendig, wenn man das Medium in seiner Grundgesamtheit in den
argumentativen Griff bekommen möchte, denn jedes Medium benötigt
die Konvention der Lüge, der Abweichung von der Wahrheit der Realität
durch seine eigene mediale Künstlichkeit. Übrig bleiben hierbei
nur die marginalen Unterscheidungen verschiedener Grade der Täuschung,
mithin als Versuch der graduellen Wahrhaftigkeit und eine allgemeine Betrachtung
der Besonderheit der Fernsehskandale, die an sich nicht so besonders wären,
wenn das Fernsehen dank seiner Reichweite ihnen nicht seine besondere
Textur aufdrücken würde und somit für eine spezifische
Typologie der Fernsehskandale sorgen würde, wie es Lorenz Engell
in seinen philosophischen Eingangsüberlegungen darstellt. Somit sorgt
das Fernsehen weiterhin selbst für sein typisches Image, wenn man
nicht dahin gelangt, eine Poetologie des Skandals zu schreiben und mit
dieser Argumentation die gesamte Diskussion als großen Bluff enttarnt,
den das Fernsehen um sich selbst arrangiert.
Augenfällig wird diese bestechende These besonders
an den im Buch versammelten Texten zu Musikgrößen, den Ikonen
der letzten drei Fernsehgenerationen: Elvis Presley, Madonna und Eminem.
Grenzüberschreitungen, Obszönität des Körpers und
Sexualisierung des Gesamtkunstwerks Musikstar rücken in den Fokus
der Betrachtung. Der Star entsteht dank seiner zielgerichteten Skandalisierung.
Auch hier stellt der Skandal ein Indiz im Bereich der Werbewirksamkeit
in eigener Sache dar, die Kunst verbleibt hauptsächlich auf der Ebene
der Gestaltung von etwas, das später als Skandal wahrgenommen werden
soll.
So bleibt letztlich nur, sich über einen Reflex Gedanken
zu machen. Ein Reflex, der uns insoweit eigen ist, als wir stets geneigt
sind, Berichten über Skandale im Fernsehen Beachtung zu schenken.
Denn schließlich wollen wir betrogen werden. Nicht jedoch durch
die Aufklärung über einen Fernseh-Betrug als viel mehr durch
die so beruhigende Annahme, dass es sich hier, bei der Aufarbeitung vor
der Kamera um eine Abbildung von etwas handelt, dem wir seine Realität
allzu gerne glauben wollen, so lange wir uns in der trügerischen
Sicherheit der Zuschauerposition befinden. Insofern ist es gleichzeitig
erhellend, den Fake als die Wahrheit des Fernsehens darzustellen.
Der neueste Band der Beiträge für Fernsehen
und Film durchleuchtet den Fake im Fernsehen nicht nur durch Fallbeispiele,
hier wird der Fake grundlegend unter die Lupe genommen und aus vierundzwanzig
verschiedenen Blickwinkeln betrachtet. Anregend sind dabei die Wechsel
zwischen Fallbeispielen und reflexiver Betrachtung. Wer sich mit dem Fake
im Fernsehen und Fernsehen als Fake auseinandersetzen möchte wird
an diesem Buch nicht vorbeikommen.
Nikolai Wojtko, 10.02.2006
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