Strange Days - Blu-ray

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Originaltitel: Strange Days
Label: Kinowelt
Genre: Thriller
Produktionsjahr: 1995
Produktionsland: USA
Kinostart: 08.02.1996
FSK: ab 16 Jahren
Lauflänge: ca. 139 Minuten
Regie: Kathryn Bigelow
Drehbuch: James Cameron, Jay Cocks
Kamera: Matthew F. Leonetti
Produktion: James Cameron, Steven Charles Jaffe
Technische Angaben
DVD Bild: 2,35:1 (anamorph)
DVD Sprachen/Ton: Deutsch, Englisch (5.1 Dolby Digital)
DVD Untertitel: Deutsch, Deutsch für Hörgeschädigte
DVD Extras: Making of, Featurette mit Erläuterungen der Regisseurin zum Film, Featurette zu den visuellen Effekten von „Strange Days“, Deleted Scenes, Musikvideo Skunk Anansie „Selling Jesus“, Interviews, Fotogalerie, Produktions-notizen, Squid – Die visuelle Droge der Zukunft, Trailer, BD-Live, Wendecover

STRANGE DAYS (1995) erscheint auf Blu-ray! Kathryn Bigelows aufwendiger, multimedialer Rundumschlag entwirft ein komplexes Bild vom Los Angeles der Jahrtausendwende. All die Motive aus Bigelows Filmen (NEAR DARK, POINT BREAK, THE LOVELESS, BLUE STEEL) tauchen hier auf, werden jedoch bitter pointiert: nach dem mordenden Börsenmakler aus BLUE STEEL und den bankraubenden Präsidenten entlarvt sich nun die Polizei von Los Angeles teilweise als mordlüsterner, faschistoider Terrorapparat. Leitmotiv ist eine Unterhaltungssoftware namens SQUID, die die Aufzeichnung und Wiedergabe von Sinneswahrnehmungen ermöglicht. Die Variation der Perspektiven, die die SQUIDclips ermöglichen, nutzt die Regisseurin zu einer sinnlichen Verunsicherung des Zuschauers und vermittelt auf eindrückliche Weise den bereits heute aktuellen Medienterror.

Los Angeles, 30. Dezember 1999: Auf den Straßen herrscht Bürgerkrieg, die Miliz hat ganze Stadtteile abgeriegelt und ermöglicht die Durchfahrt nur nach Ausweiskontrollen. Der ehemalige Polizist Lenny Nero hat in diesem Chaos eine illegale Lebensaufgabe gefunden; er dealt mit sogenannten SQUID-Clips, also Disketten, von denen die sinnlichen Wahrnehmungen anderer Menschen direkt ins Gehirn des Konsumenten eingespielt werden können. Nero profitiert bei seinen Geschäften von der aufopfernden Zuneigung der professionellen Leibwächterin Mace, mit der ihn eine bewegte Haßliebe verbindet. Sie und sein Freund Max Peltier, der jetzt als Privatdetektiv arbeitet, fungieren als temporäre Schutzengel für Nero, vor allem, wenn er sich seiner Exfreundin Faith nähern will, die ihn wegen des Musikproduzenten Philo Gant verlassen hat. In seiner Freizeit schwelgt Nero in schmerzlichen Erinnerungen und konsumiert die gemeinsamen Clips mit Faith.

Die ohnehin angespannte Situation der Stadt im Milleniumsfieber wird zusätzlich angeheizt, als der Rap-Aktivist Jeriko One auf offener Straße erschossen wird. Die Prostituierte Iris, offenbar eine Zeugin des Geschehens, die von zwei aggressiven Polizisten verfolgt wird, versucht mehrfach Kontakt mit Nero aufzunehmen, was ihr jedoch nicht gelingt. Erst als Nero einen Clip mit ihrer brutalen Vergewaltigung und Ermordung zugespielt bekommt, wird er wieder auf sie aufmerksam. Zusammen mit Mace besorgt er die Diskette, die ihm Iris zuspielen wollte. Die beiden aggressiven Polizisten tauchen ebenfalls auf, und Nero und Mace können nur knapp entkommen. Auf dem Clip von Iris ist die Ermordung Jeriko Ones aufgezeichnet, der von den beiden rassistischen Polizisten bei einer Autokontrolle erschossen wurde. Auch Mace überwindet sich, den Clip anzusehen; ihr ist die Tragweite dieser Aufzeichnung bewußt. Am Sylvesterabend will Nero erneut mit Faith in Kontakt treten, da er ein groß angelegtes Komplott befürchtet, in das auch sie verwickelt ist, da Philo Gant nicht nur ihr, sondern auch Jeriko Ones Produzent ist. Während Mace versucht, dem Polizeivorsitzenden von Los Angeles Strickland den Todesclip vorzuspielen, dringt Nero in Faiths Penthouse ein. Dort entdeckt er einen Clip, der scheinbar auch Faiths Ermordung zeigt. Außerdem findet er Gant in komatösem Zustand vor. Doch Faith lebt, und Max Peltier, ihr Leibwächter und neuer Geliebter, bedroht nun Nero. Er hat auch Iris und Gant auf dem Gewissen, wobei er im Hintergund mit persönlicher Motivation die Fäden zog. Nero soll nun für alle Morde verantwortlich gemacht werden. In einem entbehrungsreichen Kampf kann Nero den Täter vom Balkon werfen, während Mace die beiden Polizisten stellt. Für einen Moment steht die Stadt am Rande eines Rassenkrieges, doch durch Stricklands Eingreifen können die beiden Rassisten gestellt werden. Der Sylvestercountdown nimmt seinen Lauf im vorübergehenden Waffenstillstand.

STRANGE DAYS, benannt nach dem gleichnamigen Lied der Rockgruppe The Doors, ist ein charaktergetriebener Actionthriller mit zeitgenössisch pointiertem Film noir-Flair. Im Unterschied zu den deutlich apokalyptischen Katastrophenepen des Autors und Produzenten Cameron legte Kathryn Biglow jedoch äußersten Wert auf die parabelhafte Qualität des Films über „die fragile Grenze zwischen Zuschauer und Angeschauten, Publikum und Leinwand“ (Bigelow im Presseheft). Die Gesellschaft darf am Ende vorerst überleben, und auch Mace scheint Lenny Neros Herz endlich für sich erobert zu haben. Dabei nimmt der Film deutlich die soziopolitischen Motive zurück und entfaltet ein nahezu melodramatisches Szenario um ein komplexe Dreiecksverhältnisse. Faith ist das von Nero gerettete Gossenmädchen, der „gefallene Engel“, das in seinem Bemühen um Eigenständigkeit den Geliebten fast pragmatisch austauscht. Doch ihre kalte, berechnende Art ist von Angst und Unsicherheit getragen und zerbricht am Ende schließlich, als sie Nero vor Max rettet, doch zu diesem Zeitpunkt hat sie seine Liebe bereits verloren. Mace vertritt am ehesten einen von James Cameron bevorzugten Frauentyp, die scheinbar maskuline Amazone, in der das Herz der Mutter schlägt; um sich ihren Träumen und Zielen anzunähern, muß Mace zunächst in ihrer „Lederrüstung“ Lenny auf dem richtigen Weg führen. Dabei bleibt sie als einziger Protagonist ihrer strikten Moral treu, einer Zielstrebigkeit, die sie fast das Leben kosten wird. Nur Lenny, der „Looser“, wie er genannt wird, bleibt passiver Spielball seines Schicksals. Wenn er sich am Ende für Mace entscheidet, ist das das Resultat einer von ihm nur vage beeinflußten Entwicklung. Nicht zuletzt durch seine charakterliche Schwäche wird er zum Angelpunkt von Max’ Intrige. Trotz zahlreicher Dialogpassagen bemüht sich Kathryn Bigelow dabei, durch permanent bewegte Kamera und komplexe Montage eine Atmosphäre der Verunsicherung aufrecht zu erhalten.

Das L.A. der damals nahen, heute längst eingeholten Zukunft, gleicht einem Bürgerkriegsschauplatz mit seiner militärischen Omnipräsenz. Jedes denkbare Verbrechen scheint an der Tagesordnung zu sein, die verschiedenen Binnengruppen haben sich eigene Ghettos geschaffen, die – hermetisch isoliert – nach exklusiven Gesetzen funktionieren. Das Konzept der umfassenden Überwachung ist im allgemeinen Chaos untergegangen. Die großen Vergnügungstempel gleichen monumentalen Fetisch- und S&M-Discos, in denen die Rituale und Körpertechniken der Modern Primitives (Tattoos, Percing, Körpermanipulationen, extravagante Kleidung) zur Mode des Tages gehören. Nur im Schmerz scheint der Körper noch eine Präsenz zu erfahren, eine Erkenntnis, die vor allem in der wiederholten Mißhandlung der Leidensfigur Lenny Nero vorgeführt wird.

Die Schlüsselszene des Films ist nicht alleine der Clip von Jeriko Ones Ermordung, mit dem sich sogar die moralisch gefestigte Mace konfrontiert – ein deutlicher Verweis auf reale Fälle von polizeilichen Übergriffen in Kalifornien –, sondern die Aufzeichnung von Iris’ Vergewaltigung und Ermordung. Bedingt durch Max’ Sehfehler ist diese Sequenz in monochromem Blau gehalten, doch statt eine Distanz zum grausamen Geschehen anzustreben, zwingt die subjektive Kameraführung den Zuschauer in die Identifikation mit dem Täter. Um den perfiden Charakter der Tat noch zu steigern, verbindet Max das Gehirn seines Opfers mit den eigenen Gedanken: Er splittet das Signal seiner Aufzeichnung und Iris erlebt im eigenen Todeskampf die sexuelle Lust ihres Angreifers. Bigelow treibt hier inhaltlich und inszenatorisch die Wunschträume der Cyberspace-Forscher an einen erschreckenden Endpunkt. Doch STRANGE DAYS geht noch einen Schritt weiter in seiner Dämonisierung utopischer Cybertechnologie: Er führt den „uneigentlichen“ Mord ein. Neros Partner und Philo Gant werden durch einen Kurzschluß mit ihren eigenen Gedanken mental vernichtet, ohne dass ihr Körper dabei angetastet würde. Sie erstarren im Zustand des lebenden Toten ohne Willen und Persönlichkeit.

Die letzte und eigentliche Utopie wird hier wie auch in BLADE RUNNER, mit dem STRANGE DAYS mehr als nur seine Noir-Stimmung gemeinsam hat, der Rückzug ins Private, in die hermetische Welt zwischenmenschlicher Empfindungen sein. Kathryn Bigelow versagt sich angesichts ihres umfassenden Pessimismus’ nicht jenes zumindest momentan glückliche Ende, das James Cameron in seinem Drehbuch bereits vorgezeichnet hatte: „12:01 AM JAN 1, 2000. IN DIE TOTALE. Lenny und Mace stehen eng umschlugen, während die Cops auf sie warten und die Welt neu geboren wird.“

„Ein ironisches Fazit steckt in der verstörenden Vision, die STRANGE DAYS von Dämmerung unseres Säkulums entwirft. Dessen Abgang wie ein Alptraum erzählt wird: Er will und will nicht enden,“ schrieb Brigitte Desalm in Steadycam. Es ist anzunehmen, daß sich STRANGE DAYS – ähnlich wie einst BLADE RUNNER – erst im Laufe der Zeit bewähren wird. Bisher scheint ein derartiger audiovisueller Overkill das Publikum eher zu überfordern.

Kinowelt präsentiert diesen Meilenstein nun nach der bereits großartigen 2-DVD-Special Edition mit über 100 Minuten exklusivem Bonusmaterial als qualitativ herausragende Blu-ray-Disc. Die Bildqualität ist atemberaubend scharf und sehr feinkörnig. Der Film sieht aus wie neu gedreht, selbst in Momenten mit schnellen Bewegungen. Die Farben sind klar und trennscharf reproduziert. Die deutsche Synchro erweist sich der bereits atmopshärisch dichten Originaltonspur von den Surroundeffekten her deutlich überlegen. Es ist das selbe Bonusmaterial wie auf der SE-DVD enthalten (außer dem BD-Live-Anteil), wobei das Making-Of sehr interessant ist (obwohl es aus dem zeitgenössischen Press-Kit stammt).

STRANGE DAYS ist einer der modernen Klassiker, die in keiner BD-Sammlung fehlen sollten.

Marcus Stiglegger