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STOP MAKING SENSE
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Konzertfilm
USA 1984
Regie: Jonathan Demme
Drehbuch: Jonathan Demme, Talking Heads
Konzept: David Byrne
Musik: Talking Heads, Tom Tom Club
Spieldauer: 88 Minuten (Original Kinoversion)
Bild: Anamorph 1.85:1 (Original Kinoformat), HD remastered
Ton: DTS HD Master Audio 5.1, Stereo 2.0 (Remastered)
Bonus: Audiokommentar in Spielfilmlänge von Jonathan Demme und allen
vier Bandmitgliedern, Vollständige Pressekonferenz vom 42. San Francisco
International Film Festival 1999 (65 Min.), David Byrne interviewt sich
selbst (1984; 5 Min.), Bonus-Tracks (Vollbild 1.33:1, nicht remastered):
Cities (4 Min.) und Big Business/I Zimbra (7 Min.), Vergleich von David
Byrnes Original Storyboards/Bühnenbild (mit optionalen Original-Notizen
von Byrne), Montage-Sequenz (3 Min.)
Erscheinungsdatum: 27.2.2014
Vertrieb: Studiocanal, Arthaus
"The CITIZEN KANE of the concert movies"
– The Face
Die ersten Bilder von STOP MAKING SENSE zeigen einen
monochrom illuminierten Fußboden, zwischen dessen schwarz schattierten
Umrandungen handgezeichnete Vorspanntitel erscheinen. In direkter Anlehnung
(wie der gesamte Trailer zum Film) an Kubricks DR. STRANGELOVE, wurden
auch diese von ebenjenem Bildgestalter Pablo Ferro kreiert. So besitzt
der Konzertfilm, laut der Fachzeitschrift Uncut "the most extraordinary
rock movie ever made", bereits zu Beginn etwas auffällig Filmisches
– in entsprechenden Abweichungen werden dann weitere Formen von
Bildhaftigkeit hinzugefügt, etwa in Anlehnung an eine Theaterbühne.
Dem noch etwas jüngeren Zuschauer, der nicht unmittelbar mit der
Musik der 1970er und 80er aufwuchs, geschweige denn STOP MAKING SENSE
bei der Original-Veröffentlichung im Kino sehen konnte, bleibt zunächst
der Name des Regisseurs ein Begriff: Jonathan Demme, Oscar-prämierter
Filmemacher solch essenzieller Werke wie THE SILENCE OF THE LAMBS und
PHILADELPHIA. Bevor seine ganz große Zeit kam, drehte der frühere
Protegé von Roger Corman anfangs kleine, zunächst wenig beachtete
Werke. Es war um 1979 – die Talking Heads hatten gerade eines ihrer
zwei besten Alben, Fear of Music, veröffentlicht – da plante
Demme seine Bühnenadaption MELVIN AND HOWARD (1980), ein Film, der
David Byrne nach eigenen Aussagen sehr gefiel. In einem selbst gedrehten
Promo-Clip wie auch in der anlässlich der Wiederaufführung gefilmten
Pressekonferenz (beides hierzulande erstmals auf der neuen, technisch
hervorragenden Blu-ray-Veröffentlichung von Studiocanal zu sehen)
erwähnt der damalige Frontmann der Band deutlich seine Rezeption
von Demmes Werk.
Demme kam, anders als die meisten Musikregisseure dieser
Zeit, von alleine auf die Band zu, sah sie zunächst einige Abende
lang bei der Tournee anlässlich ihres bis heute erfolgreichsten Albums,
Speaking in Tongues (1983): das erste Album, mit dem die Talking Heads
einen Top-Ten-Hit in den Charts verbuchen konnte ("Burning Down The
House"). So wurde Demme eher in Teilzeitarbeit zu dem Projekt hinzugezogen,
während er tagsüber den für damalige Verhältnisse
teuren und kaum geförderten SWING SHIFT (1984) drehte, zu welchem
John Cale die Musik beisteuerte. Cale und Byrne waren bereits bekannt
und so wundert es keineswegs, dass sich der Kreis zu Demme schließt.
Doch was machte – und macht immer noch – STOP MAKING SENSE
so bemerkenswert, dass er spätestens seit seiner Neuveröffentlichung
auf Extended CD-Version und DVD im Jahr 1999 als Kult-Event im filmisch-musikalischen
Bereich galt?
Sieht man den Film in voller Länge, fällt zweifelsohne der durchkonzipierte
Aufbau der Bühnenshow auf: Byrne singt zunächst alleine ("Psycho
Killer", jener frühe Song, der der Band 1977 ihren Durchbruch
bescherte), ausgestattet lediglich mit Akustik-Gitarre und Boombox, die
den Beat vorzugeben scheint (der in Wirklichkeit über eine Roland
TR-808 Drum Machine eingespielt wird; STOP MAKING SENSE war die erste
Live-Show, die ganzheitlich digitale Tonverarbeitung benutzte). Bereits
während dieser ersten fünf Minuten erschließt sich dem
Zuschauer das Konzept der Show: Wachstum und Unmittelbarkeit. Diese zwei
Paradigmen finden dann nicht nur durch das Konzert-ontologische Element
des Hörbaren, sondern auch des Sichtbaren Eingang. Man darf zuschauen,
wie die Performance auf der Bühne wächst. Während Byrne
noch in seinen, niemals zufälligen, Bewegungen über Kabel und
Mikrofonständer stolpert, stecken Techniker bereits neue Schaltstellen
zusammen. Beim zweiten Song spielt die Bassistin Tina Weymouth mit, beim
dritten der Drummer Chris Frantz und bei Track 4 ("Found a Job")
ist die Stammband mit Jerry Harrison komplett. So spielte die Band bis
zum Jahr 1979 immer: schlicht, in kleinen Clubs – und entgegen aller
Rock-Konventionen in wie von Mutti ausgewählten Studentenklamotten.
Ihnen genügte, dass jeder Ton und jedes Riff synchron zum durchaus
tanzbaren Beat fiel. Dass die Mitglieder der Band damals tatsächlich
alle irgendetwas mit Kunst studiert hatten, störte die eisernen Anhänger
der Rockmusik zwar erheblich, doch es war genau dieser Freiraum, der es
den Talking Heads ermöglichte, sich musikalisch zu entdecken und
gewissermaßen Neuland zu betreten. Viele bezeichneten sie als Pioniere
des New Wave, wobei sie immer auch in Zusammenhang mit Punk genannt wurden
(gemeinsame Konzertabende mit den Ramones oder The Police waren üblich).
Sich selbst bezeichneten die Mitglieder jedoch häufig als Funk-Band.
Mit dem Hinzukommen der späteren Live-Mitglieder, ausnahmslos Musiker
afro-amerikanischen Ursprungs (u.a. Bernie Worrell und Lynn Mabry von
Parliament-Funkadelic), sowie dem insgesamt sehr populären Sound
von Speaking in Tongues wird dies überdeutlich. "They did their
thing to 'keep dah funk alive'", statuiert Bootsy Collins in seinen
kurzen Zeilen anlässlich der Neuveröffentlichung des fünften
Studioalbums, von dessen Tracklist ganze sechs Songs Eingang in das Konzert
finden. STOP MAKING SENSE ist somit zugegebenermaßen eines der kommerziellsten
Werke der Band überhaupt. Doch die Verbindung zur Kunst bleibt bestehen
und das macht den Film bis heute zeitlos – und kaum "so typisch
80ies" wie Vieles aus seiner Zeit.
Schlichtheit ist dabei sein Kennungsmerkmal. Zunächst entspricht
die Kadrage in vielen Totalen tatsächlich der Bühne selbst.
Das stage design wirkt dabei auffällig flach, fast zweidimensional,
eher wie Kino als Theater, vor allem wenn im Hintergrund plötzlich
Standbilder oder einfarbige Tableaus projiziert werden und die Beleuchtung
auf die Bandmitglieder völlig entfällt. Scheinwerfereffekte
– essenziell für große Rockkonzerte – entfallen
bis auf wenige Ausnahmen völlig. Einzig ein Wechsel zwischen Vorder-
und Hintergrund (in den Basisfarben Blau, Rot und Weiß) wird zugelassen;
verstärkt wird dabei noch das Figurenhafte der "Darsteller",
wenn sie als doppelte Schatten oder gar einfache Silhouetten erkennbar
bleiben. Auch untypisch für die damalige Zeit, finden keine Zwischenschnitte
direkt ins Publikum (erst ganz am Schluss, beim letzten Song) oder Interviews
der Bandmitglieder statt, die dem Gefühl von Unmittelbarkeit –
das Betrachten eines einzigen, durchgängigen Rockkonzerts –
auch nur die geringste Wirkung nehmen könnten. Der Bildhaftigkeit
kommt noch Zugute, dass, hier wieder ähnlich einem Theaterstück,
Verbindungen zu den Figuren aufgebaut werden. Zunächst geschieht
dies durch das Performance-Konzept der Band selbst, wenn beispielsweise
zum Track "This must be the Place (Naive Melody)" songimmanente
Strukturen von Häuslichkeit – alle vorderen Mitglieder stehen
um eine Wohnzimmerlampe, die zeitweilig als einziges Beleuchtungsmittel
dient – und Privatsphäre dargestellt werden. Die kompakte Geometrie
des New Wave, dem die Band entsprang, wird effektiv auf Stadion-Dimensionen
übertragen, ein Umfeld, das die Mitglieder anfangs bewusst mieden,
bis es sich letztlich nicht mehr verhindern ließ.
Ein weiterer Verdienst der filmischen Betrachtungsweise,
die manchem (späten) Song seinen durchaus stolzen Kitsch nehmen (Tom
Tom Clubs eher austauschbares Zwischenspiel "Genius of Love"),
ist die Kameraführung und der Schnitt. Jordan Cronenweth, director
of photography bei BLADE RUNNER, sprach sich mit Demme ab, die Band an
drei Abenden von jeweils einer anderen Perspektive zu filmen, was die
Durchführung von Nahaufnahmen, seitlich versetzten Bühnenansichten
und Weitwinkel-Totalen terminlich strikt trennte. Das Ergebnis, das nur
zusammen mit der akribisch angefertigten Montage von Lisa Day (RAW) und
der Band selbst zur Geltung kommen konnte, ist die augenscheinliche Absenz
filmischer Geräte selbst. In keiner Einstellung sind Kameras zu sehen.
Dies bleibt wohl der bemerkenswerteste Aspekt mit dem Resultat von Unmittelbarkeit
– letztlich fällt der mediale Filter für das Auge des
Betrachters völlig weg. Ermöglicht wird dadurch ein exaktes
Nachverfolgen der einzelnen Aktivitäten der Musiker. Der Verzicht
auf Videoclip-artige Stakkatomontage unterstreicht noch die filmische
Qualität und leugnet dabei jegliche MTV-Normen, die 1984, bereits
während Erscheinung einiger der berühmtesten Musikvideos des
Jahrzehnts, geradezu omnipräsent schienen.
Was bleibt ist ein audiovisuelles Erlebnis mit der
Prämisse von Klimax und geradezu elementaren Prinzipien, die zu keinem
Star-Image passen möchten: Bandmitglieder, die ähnlich guten
Schauspielern dort, auf der Bühne, bleiben, wo sie ihr Publikum ab
liebsten hat, sowie Filmemacher, die sich niemals selbst inszenieren,
sondern hinter den Kulissen arbeiten, wo ihre Fertigkeiten ausschließlich
verlangt werden.
Die deutsche Erstveröffentlichung von Studiocanal/Arthaus bietet
erstklassige Qualität in Bild und Ton. Erst hier kommen der 1999
erstellte Sound-Remix (in 5.1, von den Talking Heads persönlich überwacht)
und die restaurierte Bildqualität vom Original-Negativ samt Bewegungskorrektur
(verantwortlich: Jordan Cronenweths Sohn Jeff, Kameramann von David Finchers
FIGHT CLUB) vollends zur Geltung. Die Extras waren so bisher bereits auf
der DVD-Premiere von Palm Pictures zu sehen, allerdings liegt hier erstmals
die Pressekonferenz anlässlich der Wiederveröffentlichung im
Jahr 1999 vor, bei der alle vier Bandmitglieder eine Stunde lang Fragen
beantworten. Der Audiokommentar mit der Band sowie Regisseur Jonathan
Demme lässt schließlich keine Wünsche mehr offen. Kurzum:
ein perfektes Package eines der besten Konzertfilme aller Zeiten.
Stefan Jung
Bewertung 5/5 Punkte
Setlist
1 – Psycho Killer (Original-Version: 1977)
2 – Heaven (1979)
3 – Thank You for Sending Me an Angel (1978)
4 – Found a Job (1978)
5 – Slippery People (1983)
6 – Burning Down The House (1983)
7 – Life During Wartime (1979)
8 – Making Flippy Floppy (1983)
9 – Swamp (1983)
10 – What a Day That Was (David Byrnes The Catherine Wheel-Album,
1981)
11 – This Must Be The Place (Naive Melody) (1983)
12 – Once in A Lifetime (1980)
13 – Genius of Love (Tom Tom Club)
14 – Girlfriend is Better (1983)
15 – Take Me To The River (1978)
16 – Crosseyed and Painless (1980)
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