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Stewart Lee
90s Comedian
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(Go Faster Stripe) DVD
Wie weit kann Stand-Up Comedy gehen? Welche Grenzen
gibt es und kann ein Stand-Up-Programm als eine eigene Kunstform anerkannt
werden? Wenn dem so ist, kann der Stand-Up-Akteur dann diese Kunstform
auch transzendieren, sie sichtbar machen, die Mechanismen aufzeigen? Dem
englischen Komiker Stewart Lee scheint das alles möglich zu sein.
In Deutschland hat sich Stand-Up bis heute nur wenig
etabliert, lediglich eine eher dürfte Auswahl an Possenreißen
stellen sich vor ein mehr oder minder großes Publikum und feuern
zumeist pubertäre Witze über Geschlechterbefindlichkeiten ab.
Alles Politische hingegen ist in Deutschland Kabarett – als einziger
Wanderer zwischen diesen klaren Grenzen könnte am ehesten noch Dieter
Nuhr gelten. Im anglophilien Raum gibt es diese scharfe Grenzziehung nicht.
Der Stand-Up Comedian amerikanischer Prägung verbindet Persönliches
und Alltägliches mit politischem Material. Das gelingt allerdings
nicht immer so gut wie bei den klassischen Programmen von Legenden wie
George Carlin oder der boshaften Misanthropie eines Bill Hicks, viele
Komiker segeln auch jenseits der Ozeane in eher seichten Gewässern,
was ihnen zwar nicht den Sprachhumor oder den Wortwitz, den „wit“
nimmt, aber oftmals die Schärfe, die aufrührerische Potenz des
ätzenden Humors. Der Brite Stewart Lee fügt dies seinem Stand-Up-Programm
wieder hinzu. Er ist ein feinfühliger Erzähler mit einem unglaublichen
Gespür für Timing, Routine, Wiederholung und Ellipsen, der die
Regungen des Publikums aufnimmt, kommentiert und sie dann ohne großes
Zaudern mit ihrer Verwundbarkeit – inklusive seiner eigenen –
konfrontiert. Das beste Zeugnis dafür ist die im Eigenvertrieb erschienene
DVD „90s Comedian“. Die DVD wurde von keinem großen
Major veröffentlicht – sieht man das Material, versteht man
warum und es lag sicher nicht nur an den eher unspektakulären Verkaufszahlen
der Vorgänger-DVD, schließlich war Stewart Lee im Jahre 2006
durch sein Mitarbeit an der eigenwilligen Bühnen-Show „Jerry
Springer – The Opera“ gerade einem größeren Publikum
bekannt geworden. Nein, der Grund war wohl ein anderen: Lee schlachte
heilige Kühe wie ein Metzger im Blutrausch. Er macht aus den verstörenden
Abu-Graib-Bildern einen Witz, über den die Zuschauer lachen –
um erst dann zu merken, über was sie lachen. Tabuthemen gibt es für
ihn keine und so erzählt er lapidar, dass die Zeugenaussagen nach
den Londoner U-Bahn-Anschlägen groteske Züge hätten. Er
schützt weder Täter noch Opfer vor ihrer menschlichen Banalität
und stellt so ein System heraus, das vor nichts mehr Respekt hat –
Schuld daran ist aber nicht der Komiker, der seine Pointen damit füllt,
sondern eine Medienlandschaft, die hemmungslos jede Zeugenaussage verwerten
möchte und dabei auch nicht davor zurückschreckt, traumatisierten
Opfern ein paar sinnentleerte Worte über das Unsagbare abzuzwingen.
Stewart Lee versteht es zudem wie kein zweiter, die eigenen Arbeitsmechanismen
offen zu legen, zu zeigen wie ein Stand-Up-Programm abläuft. Er teilt
den Raum in unterschiedlich Teams, die verschiedenartig auf ihn reagieren,
er setzt eine Punchline so gekonnt, dass ein Teil des Publikums schon
den Ausgang antizipiert und bricht in diesem Moment ab, um die Zeitlichkeit
eines Gags bewusst zu machen. Er redet über Kollegen und die Dreistigkeit,
mit der in der Branche Gags gestohlen und wieder verwendet werden –
und liefert schließlich den Beweis, dass es auch Ideen gibt, die
ganz sicher nicht abgeschrieben werden.
Stewart Lee ist kein gewöhnlicher Stand-Up-Comedian,
sondern jemand, der das Spiel durchschaut, die Regeln aufzeigt und sie
bricht. Er legt seinen Finger in alle offenen Wunden und bringt den Patienten
unter Schmerzen dazu, darüber zu lachen. Diese Chuzpe haben nur noch
wenige seines Berufsstandes.
Martin Kreischer
Die DVD „90s Comedian“
kann über die Website www.gofasterstripe.com bezogen werden.
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