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SOPHIIIIE!
4,5 / 5 Sterne
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R: Michael Hofmann
Die Details zur DVD:
Genre: Drama
Vertrieb: Eurovideo
Studio: epiX
Bildformat: 1,85:1 (anamorph)
Tonsystem: Dolby Digital
Sprachen: Deutsch (2.0)
Untertitel: Deutsch, Englisch,Französisch
Extras: Hinter den Kulissen; Fotogalerie; Interviews: Katharina Schüttler,
Robert Stadlober, Martin Brambach, Alexander Beyer, Gerd Wameling; Filmografien
FSK: ab 16 Jahren
Laufzeit: 103 Min.
Regionalcode: Regionalcode 2
Es wirkt überproportional und unpassend: Ein
junges Mädchen, kaum größer als eine Schülerin, doch
mit einladendem Dekolleté, rast auf einem schweren Motorrad, „einer
Ducati Monster, die aufgemachte Version, 165 PS“ durch die Straßen
Hamburgs. Sie schließt die Augen, gibt Vollgas – wirkt zugleich
machtvoll und hilflos. Das gelockte Wesen mit dem Pünktchenkleid
hat sich vom Leben verabschiedet. Die Motorengeräusche schwillen
an, in Großaufnahme erstarrt ihr Gesicht, ausdruckslos tobt sie
auf eine Kreuzung zu. Doch das Leben tut ihr den Gefallen nicht: Unbeschadet
überquert sie die Gefahrenstelle und kommt am Straßenrand zum
Stehen. Bei einem Blick in ihre Augen merkt das Publikum: Äußerlich
ist Sophie unversehrt, innerlich aber brodelt es in ihr. Dort trägt
sie jenen übermächtigen Kampf zwischen Gut und Böse aus,
vor dem sie auf dem Motorrad gerne geflüchtet wäre. Katharina
Schüttler verkörpert jenes zerrissene Wesen, das in dieser Nacht
entscheiden muss, ob sie das ungeborene Kind in ihrem Bauch bekommen möchte
oder nicht. So überwältigt von dieser Entscheidung, hält
sie dem eigenen Verantwortungsdruck nicht stand und begibt sich auf eine
ziellose Odyssee in die letzten Winkel einer Stadt und zu den letzten
Menschen, die darin wohnen.
Ziellos schwemmt sie in einer Eckkneipe an. Die irre Gleichgültigkeit
auf ihrer Seite verwickelt sie eine Horde besoffene Looser in ein Spiel
aus Demütigung und Provokation. Einer Vergewaltigung auf dem Billardtisch
kann sie nur entgehen, weil sie ihren Kotrahenten zu einer Wette herausfordert:
„Wenn ich errate, ob Du einen Slip oder eine Boxershorts trägst,
lässt Du mich gehen.“ Die Menge johlt, der geile, bereits extrem
genervte Mann lässt die Hosen runter und Sophie erkennt, dass sie
verloren hat und ihren Wetteinsatz einlösen muss: Wenn sie verliert,
bläst die ihm einen. Schnitt. Mit einer zerschlagenen Flasche im
Anschlag zerrt sie den hysterischen Boxershortsträger am Schwanz
aus der Kneipe. In letzter Sekunde rettet sie sich in ein Taxi und macht
sich auf den Weg in die Nacht: „Geradeaus. Fahren sie immer geradeaus.“
In diesem Stil lässt Regisseur Michael Hofmann die
halb trunkene, halb betäubte junge Frau von einer Katastrophe in
die nächste schlittern. Zwischen Kicheranfällen und Verzweiflungsschüben
leidet sie durch die Nacht, willigt ein, dass ihr ein bärtiger Fettwanst
für 200 Euro aufs Gesicht wichst und ekelt sich vor ihrem langweiligen,
wahnsinnig verständnisvollen Freund. Sophie wandelt irgendwo zwischen
normalem Mädchen und Verkörperung eines Alptraums. Sie zerstört
sich selbst, es ist ein seelisches und körperliches Geißeln,
eine Art des Buße-Tun noch bevor sie ihren Termin am nächsten
Morgen um 10:00 Uhr in der Klinik antreten kann. Und selbst das weiß
sie noch nicht.
Fassungslos hingebungsvoll und erschreckend hemmungslose
wird diese anspruchsvolle Rolle von der beeindruckenden Nachwuchsschauspielerin
Katharina Schüttler verkörpert. Sie vollbringt ein Kunststück,
das selten gelingt: Durch ihr überzeugend authentisches Schauspiel
schafft sie eine Identifikationsfigur, die sich selbst nicht mehr sympathisch
ist, die unverantwortlich und teilweise unverständlich handelt. Und
doch transportiert sie einen allzu menschlichen Impuls: Das Gefühl,
am Ende der Weisheit zu stehen, an nichts mehr glauben und für nichts
mehr kämpfen zu können – und dann tut sie das, was die
Mehrheit der Zuschauer niemals tun würde: Sie lebt dieses Gefühl
aus. Kompromisslos. Und dafür liebt das Publikum dieses Wesen am
Rande der Existenz, das so getrieben und geschunden wirkt.
Erst als Sophie auf den ruhigen Kinokartenverkäufer
Tobi (Robert Stadlober) trifft, scheint sie sich kurzfristig zu fangen:
Er fragt sie „Hast Du kein Zuhause?“ und Sophie fühlt
sich ertappt. Sie geht aus dem Kino, damit der Milchbubie des deutschen
Films hinter ihr abschließen kann. Es kommt zu einem ruhigen Zusammentreffen
– Hofmann drückt auf Pause und unterbricht die Tour de Farce
für einen kurzen, gnädigen Moment. Sie mieten ein Hotelzimmer
und kapern die Minibar. „Es gibt nur einen Haken: Ich bin nämlich
ein bisschen Gaga“ sagt Sophie und erzählt ihm von ihrer Schwangerschaft.
Er antwortet altklug und verdammt rational: „Das sind Hormonschwankungen.“
Sie duscht, er putzt sich die Zähne, sie sagt, sie können jetzt
zur Sache kommen. Doch der gutmütige Trottel will nicht mit ihr schlafen,
denn für eine schnelle Nummer habe er sie viel zu gern. Und da merkt
der Zuschauer: Die Nacht ist noch lange nicht vorbei. Der Regisseur drückt
schon wieder die Abspieltaste, vielleicht sogar die Schnellspultaste:
Sophies selbstzerstörerisches Gefühlschaos bäumt sich auf,
sie rafft die Reste der Minibar zusammen, besäuft sich in der U-Bahn
und bricht auf der Rolltreppe zusammen.
Mit SOPHIIIIE! gelingt Hofmann ein unglaublich kraftvoller
und wuchtiger Film, der aufgrund seiner überragenden Schauspielleistungen
und der Intensität einer rastlosen, unvorhersehbaren Geschichte ein
klarer Ausnahme- und Glücksfall ist. Hinzukommt der Mut des Regisseurs,
sich an einen dermaßen unkonventionellen Stoff zu wagen und sein
ganzes Vertrauen auf eine Schauspielerin zu setzen. Dieses Vertrauen wird
von Schüttler voll und ganz belohnt. Lediglich im letzten Drittel
ergeht es dem Zuschauer ähnlich wie der Protagonistin: Zu schnell
schleudert der Stoff das Publikum zwischen Erfolg und Abgrund hin und
her; kaum wählt Sophie für sich und das Kind das Leben, da krümmt
sie sich schon unter Schmerzen. Blut rinnt an ihren Beinen hinunter, in
den Händen hält sie etwas formloses Organisches. Sie hat eine
Fehlgeburt. Sophie bricht erneut zusammen. Und flüchtet. Diesmal
endgültig. Weit weg.
Das Ende ist versöhnlich: An einem fremden Bahnhof
trifft sie auf polnische Cowboys, die als Musikgruppe durch Europa reisen.
Sie spielen am Bahnsteig und verbreiten Fröhlichkeit. Sophie steht
wie ein Fremdkörper dazwischen. Plötzlich fährt ein ICE
ein und Sophie ist verschwunden. Der polnische Cowboy blickt auf die Gleise
und zieht seinen Hut. Das soll es gewesen sein? Nein, denn Hofmann lässt
sowohl seine Protagonistin als auch das Publikum nicht so endgültig
davonkommen. In der letzten Einstellung des Films schlägt die junge
Frau wieder die Augen auf und sieht direkt in die Kamera, lange, suchend.
Ihre Reise ist noch nicht zu Ende – und das ist gut. Der Regisseur
liebt seine Protagonistin zu sehr, um sie sterben zu lassen. Und er respektiert
die Komplexität seiner Figur genug, um kein einfaches, endgültiges
Ende zu erzählen. Und er schätzt sein Publikum zu sehr, um es
von Gedanken, die dem Werk noch lange nachwirken, zu befreien.
SOPHIIIIE! ist ein Film, der nach vorne prescht und
schreiend auf sich aufmerksam macht. Wie auch in seinem neusten Film EDEN
(2006) macht sich Michael Hofmann hier die Intensität der Ausnahmesituation
und die Stärke, die Menschen daraus generieren, zum Thema. Er schöpft
aus dem Leben und repräsentiert damit bestens den aktuellen deutschen
Film, der sich intensiv mit ordentlichen Menschen in außerordentlichen
Situationen beschäftigt. Bundespräsident Köhler sagt „Ich
liebe dieses Land“. Hofmann zeigt, dass er die Menschen darin liebt.
Katharina Schüttler gibt diese Liebe mit einer unglaublichen Schauspielleistung
an uns zurück. Und wir lieben den aktuellen deutschen Film.
Ausstattung:
Die Ausstattung der DVD umfasst den Trailer und ein
kurzes „Hinter den Kulissen“, das jedoch ohne Audiokommentar
und recht zusammenhangslos lediglich wenige Einblicke in Vorbereitung
und Dreh gewährt. Erfreulich sind jedoch fünf kleine Interviews
mit den Hauptdarstellern, die (trotz erneuter Kürze) Einblicke in
die An- und Einsichten der Akteure dieses Schauspielerfilms gewähren.
Einige Interviews sind aufschlussreicher als andere, doch strahlt aus
allen die Leidenschaft des gesamten Teams, besonders des Regisseurs, an
diesem unkonventionellen Filmprojekt.
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