Das Wiegenlied vom Totschlag

3,5 / 5 Sterne

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Anbieter: Kinowelt
Originaltitel: Soldier Blue, USA 1970
Regie: Ralph Nelson
Bild: 2,35:1 (16:9 anamorph)
Ton: Deutsch, Englisch, Französisch, Spanisch (Mono)
FSK: ab 16 Jahren
Bonus: Trailer

Der humanistisch engagierte amerikanische Filmemacher Ralph Nelson drehte diese filmische Re-Inszenierung des berüchtigten Sand-Creek-Massakers, bei dem fast 500 meist wehrlose Indianer von den Nordstaatlern misshandelt und getötet wurden,
als zeitkritischen Kommentar zum 1970 in seiner Hochphase befindlichen Vietnam-Krieg. Speziell kann er als indirekte Thematisierung des My-Lai-Massakers gelten, das ähnlich verlaufen war. Und es erstaunt nicht, dass SOLDIER BLUE auch in das heutige Tagesgeschehen passt, das von Berichten amerikanischer Übergriffe im Rahmen des Irakkriegs dominiert ist.

Dabei funktioniert SOLDIER BLUE über weite Strecken als alternativer Western: Die bei Indianern aufgewachsene Cresta (Candine Bergen) und der naive Soldat Honus Gant (Peter Strauss) sind nach einem Indianerüberfall auf sich alleine gestellt und müssen sich durch die Wildnis kämpfen, wo sie einem korrupten Waffenhändler (Donald Pleasence), feindlichen Stämmen und zynischen Militärs begegen. Cresta macht Gant nebenbei mit der indianischen Kultur vertraut, was ein Umdenken in ihm bewirkt. Er kann also als pazifistische Identifikationsfigur herhalten, während Cresta wie eine frühe Feministin agiert. Nelsons Film ist somit fast ein dogmatisches 'Kind seiner Zeit.'

Die ausführliche Darstellung des finalen Massakers, die SOLDIER BLUE zu anhaltender Berühmtheit verhalf, beginnt er ganz am Ende, wenn die eigentliche Schlacht vorbei ist und General Iverson (John Anderson) befiehlt, das ganze Dorf nieder zu brennen. In einer drastischen Zeitlupenästhetik und in stark bewegten Nahaufnahmen erleben wir den Tod zahlreicher Frauen und Kinder subjektiv mit, sehen Schädel bersten, geschändete Frauenkörper, abgeschnittene Gliedmaßen und Bäche von Blut. Dabei bemüht sich Nelsons Inszenierung deutlich, exploitative Momente auszusparen, konzentriert sich vielmehr auf eine möglichst schonungslose und unangenehme Darstellung, die allenfalls einen vagen Eindruck der historischen Ereignisse gibt. In jedem Fall werden diese Bilder auch heute ihre Wirkung nicht verlieren.

SOLDIER BLUE erfährt hier nicht seine erste DVD-Veröffentlichung. Vorangegangen sind gekürzte und weitgehend ungekürzte Versionen auf einem deutschen Billiglabel, mal ab 18, dann wieder ab 16 freigegeben. Lange erwartet ist diese nun offiziell mit einer FSK-Freigabe ab 16 Jahren versehene Neuauflage von Kinowelt dennoch: Erstmals sehen wir hier den Film in einer völlig rekonstruierten Version, den bei allen anderen fehlten die ausführlichen Rolltitel zu Beginn, die über den historischen Kontext unterrichten, sowie die erste Strophe von Buffy Sainte Maries berühmten Titellied. Auch das volle Bildformat in einheitlich guter Bildqualität ist nun zum ersten Mal zu bewundern. Insofern gilt es, unbedingt, diese gelungene DVD eines wichtigen Films der 1970er Jahre (und damit des New Hollywood) zu besitzen.

Marcus Stiglegger