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Silver City
4/5 Sterne
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USA 2004
Regie, Buch und Schnitt: John Sayles
Kamera: Haskell Wexler
Produzentin: Maggie Renzi
Anbieter: Epix
Laufzeit: 123 Minuten
FSK: Freigegeben ab 12 Jahren
Bild: 16:9
Ton: Deutsch Dolby Digital 2.0 & 5.1; Englisch Dolby Digital 2.0 &
5.1
Untertitel: Deutsch, Englisch
Bonusmaterial: Originaltrailer; Making of (ca. 34 Minuten); Interview
mit John Sayles (ca. 10 Min.), Interview mit Alma Delfina (ca. 7 Min.);
Fotogalerie: Hinter den Kulissen & Silver City; Biografien; Epix-Trailershow.
Nicht Jesus sondern Dickie Pilager (Chris Cooper)
holt beim Dreh zu einem Wahlkampfspot die Wasserleiche des mexikanischen
Einwanderers Lazaro Huerta zurück zu den Lebenden an die Oberfläche
eines Sees. Aufgestellt von seinem Vater, dem Senator Judson Pilager und
dem Wirtschaftsbonzen Wes Benteen, bewirbt er sich für den Posten
des Gouverneurs. Doch etwas ist faul im Staate Colorado, und der Journalist
Danny O’Brien soll ermitteln, wer dem Gouverneurskandidaten feindlich
gesinnt ist.
In seiner Polit-Satire zielt der unabhängige Filmemacher
und Drehbuchschreiber John Sayles (LONE STAR) auf die Verflechtungen von
Wirtschaft und Politik ab, die George W. Bush 2004 erneut zum Präsidenten
machten. Sayles finanziert seine Filme vornehmlich, indem er Genredrehbücher
schreibt oder Drehbücher als so genannter „Script-Doctor“
ausbessert. Auf die finanzielle Unterstützung großer Studios
verzichtet er zugunsten einer politischen Aussage, die viele seiner Filme
prägt. Die Schauspieler Chris Cooper und Kris Kristofferson arbeiten
des Öfteren mit ihm, so auch in seinem jüngsten Werk.
Mit breitem Cowboyenglisch (unbedingt im englischen Original
schauen!) zeigt Wes Benteen (Kristofferson) hoch zu Pferde dem leichtgläubigen
Pilager, jr. die Schönheit der Natur wie einem Kind, das begierig
ist, bei den Erwachsenen mitreden zu dürfen. Seine Firma Benteen
Corps. ist es jedoch, die in allen möglichen Industriezweigen tätig
ist, und die eben diese Umwelt zerstört, sowie mit illegalen mexikanischen
Einwanderern einen modernen Sklavenhandel betreibt. Benteen klingt nicht
rein zufällig sowohl im Englischen wie im Deutschen wie der aus Erdöl
gewonnene Treibstoff. Die Anspielung auf die United Fruit Company und
dem Eigner Zapata Petroleum Corporation, 1953 von Bush, sr. gegründet,
liegt auf der Hand. Pilagers/Bushs medialer Berater ist der Bluthund Chuck
Raven (nach Dick Cheney modelliert), bitterböse gespielt von Richard
Dreyfuss. Starken Einfluss nimmt zudem in persönlichen Gesprächen
mit Pilager ein Reverend der christlichen Fundamentalisten, der im Fernsehen
das Armageddon im Nahen Osten heraufbeschwört. Der Film macht immer
wieder deutlich, dass nicht Pilager böse ist sondern die Fädenzieher
im Hintergrund, deren Marionette er ist.
Chris Cooper spielt die mangelnde Eloquenz und fehlende
Mündigkeit des Gouverneurskandidaten mit holperigen Sätzen,
unsicheren Gesten, zögerlichen Antworten und jeweils unpassend angebrachtem
Witz oder Ernst zum falschen Zeitpunkt. Coopers Pilager bereitet Unbehagen.
In seiner Nähe fühlen sich die anderen Figuren unwohl, die mit
einem Mann reden müssen, der seine Unsicherheit durch Phrasendrescherei
zu überdecken sucht. Auch in seiner Stimme imitiert er den aktuellen
Präsidenten der USA. Und, so ist im Film weiter zu erfahren, er habe
nie lesen wollen; er sei kein Mann fürs Kleingedruckte. Da ist es
beruhigend zu wissen, dass ihm Raven den Rücken frei hält. Er
modelliert Pilager in den omnipräsenten Wahlkampf-TV-Spots, die Ähnlichkeit
zu Bushs Ranchvideos haben, als ‚regular guy’, als den netten
Typ von Nebenan im Karohemd, der von Amerikanern dem verkopften Belesenen
vorgezogen wird. Dabei ist Raven stets bei jedem Pressetermin seine Angst
ins Gesicht geschrieben, ob Pilager das Interview halbwegs ordentlich
über die Bühne bringt, ohne wie ein Dilettant dazustehen.
Sayles schlägt mit seinem Film in dieselbe Kerbe wie
Michael Moores FAHRENHEIT 9/11. Polemisch stellt er Pilager/Bush als leichtgläubig
und manipulierbar dar, der nicht für seine Taten zu verurteilen ist,
da sie ihm diktiert werden. Lediglich sein Mangel an Mündigkeit,
seine fehlende Eloquenz und Übersicht der politischen Verstrickungen
sind ihm anzulasten. Über diese Verflechtungen und die Bush-Dynastie
ist faktisch gegenüber Moores Film kaum eine Neuerung zu erfahren.
Doch Sayles nähert sich der Vetternwirtschaft auf andere Weise. Er
zeigt vor allem die Auswirkungen, die diese Machtmaschinerie auf die Menschen
hat, die anderer Meinung sind. Macht, so sagt eine Figur im Film, sei
wie eine Lokomotive; entweder man sitze darin oder liege darunter.
Der von Chuck Raven angeheuerte Protagonist und Journalist
Danny O’Brien soll explizite Warnungen gegenüber potentiellen
Widersachern der politischen Ambitionen der Pilagers und Benteens aussprechen.
Was Raven nicht weiß, ist, dass O’Brien zuvor für ein
linksliberales Blatt schrieb, das aufgrund seiner Enthüllungsstory
verklagt und diskreditiert wurde. Von diesem herben Rückschlag betäubt,
hat sich O’Brien fast mit den Machenschaften seiner eigentlichen
Gegner abgefunden, doch ein Funke des Aufbegehrens glimmt noch in ihm.
Damit ist er der denkbar schlechteste Mann für den Job. Er nimmt
Kontakt zu den Gegnern auf, die ihrerseits ebenfalls geschlagen sind.
Immer wieder stellt O’Brien klar, dass er Ermittler ist, nicht ‚Detective’,
er also Freiberufler und nicht Profi ist. Auch die befragten Andersdenkenden
sind lediglich Aktivisten oder Privatleute. Gegenüber der professionellen
Manipulationsmaschinerie eines Chuck Raven sind sie machtlos. Dies ist
vor allem die Perspektive des Films: Was kann eine Einzelperson gegen
diesen Machtapparat unternehmen? Die politischen Gegner Pilagers sind
allesamt Opfer. Sie werden eingeschüchtert, sind resigniert, dem
Alkohol verfallen oder verbittert. An ihnen wird Rufmord begangen, ihre
Häuser werden in Brand gesteckt, ihnen wird Gewalt angetan, oder
sie sterben sogar. Als sich die liberale Zeitung von O’Briens Exfreundin
(Maria Bello) kritisch gegenüber der Benteen Corp. äußert,
wird sie schlicht von einer Tochter der Gesellschaft aufgekauft. Die von
Daryl Hannah gespielte Maddy Pilager, das schwarze Schaf der Familie,
wird in einem goldenen Käfig dem Mediengewitter fern gehalten. Dabei
bleiben die Handlungsträger stets im Hintergrund.
Es ist anzunehmen, dass O’Brien Sayles’ Alter
Ego ist, das sich bei der Wahrheitsfindung enormen Mächten gegenüber
sieht. Diese Mächte sind nicht nur rein politischer Natur. Der Film
beleuchtet auch die moralischen Veränderungen, die sich in O’Brien
abspielen. Er ist von eben jenen Leuten angeheuert worden, die sein Feindbild
darstellen. Im Laufe des Films entwickelt sich sein innerer Kampf zwischen
Macht, Prestige und Geld einerseits und Werten und Prinzipien andererseits.
Seine Moral wird dabei von einem alten Freund (Tim Roth) aus idealistischeren
Tagen gestärkt. Als er sich schließlich gegen den Machtapparat
stellt – und das ist an dieser Stelle kein ‚Spoiler’,
da der Ausgang der Wahl 2004 bekannt ist -, geht er genauso unter wie
all die anderen Gegner der Pilager/Benteen-Dynastie, die am Schluss des
Films resigniert und besiegt noch einmal gezeigt werden.
Doch etwas ist noch immer faul im Staate Colorado. Und es
ist gleichsam die Hoffnung O’Briens/Sayles’ und des Films,
dass die im Film so oft beschworene Rechnung eines Tages beglichen wird.
SILVER CITY endet halb verbittert, halb optimistisch mit der Hoffnung,
dass die Wahrheit eines Tages ans Licht treten wird wie Lazaro Huerta,
und dass die Verantwortlichen dann mit Zinseszins zahlen müssen.
Im Interview berichtet John Sayles von seiner Enttäuschung
durch die Bush-Regierung und ihrem Weggang von den einstigen demokratischen
Idealen Amerikas. Er kritisiert die Fox-News und macht seinen Ansporn
deutlich, der amerikanische Bevölkerung mit seiner Filmarbeit Mut
zu geben, sich wieder öffentlich zu politischen Themen zu äußern.
Zusammen mit seiner Produzentin Maggie Renzi erzählt von seiner Arbeit
als Regisseur und Drehbuchschreiber. In einem weiteren Interview kritisiert
Alma Delfina u.A. die Stereotypisierung, der Spanisch sprechende Menschen
in den USA unterzogen werden, ganz gleich, aus welchem Teil Südamerikas
sie stammen. Das ebenso unterhaltsame wie Erkenntnis bringende Making
of gewährt einen guten Einblick in die Arbeit des Filmemachens. Zu
Wort kommen neben den zahlreichen Stars auch die Crewmitglieder und der
inzwischen 81jährige Kameramann Haskell Wexler. Eine Szenenanwahl
fehlt leider.
Leider erscheint SILVER CITY erst jetzt auf DVD. Dadurch
geht dem Film ein wenig die Brisanz verloren, die eine Politsatire aus
ihrer zeitlichen Nähe zum behandelten Objekt bezieht. Auch der Grad
der Enthüllung ist nach der Sendung von Moores FAHRENHEIT 9/11 im
deutschen Fernsehen nicht mehr allzu hoch. Allerdings kritisiert der Film
die Verflechtung der Interessen von Politik und Wirtschaft im Allgemeinen
und erhält dadurch einen zeitlosen Charakter. Neben vielen Extras
auf der DVD wartet der stringent erzählte Film mit guten schauspielerischen
Leistungen bekannter Stars auf und bezieht eine intelligente Haltung gegenüber
der Bushregierung.
Ingo Stelte
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