Shock Frontier

Mancuerda Confessions

Label: Malignant Records
Format: CD
Veröffentlichung: 6. September 2013

Auch wenn „Mancuerda Confessions“ im September veröffentlicht wurde, ist dieses von dem aus Pennsylvania stammenden Projekt Shock Frontier produzierte Album kein Soundtrack zum romantischen Indian Summer. Hier werden keine fallenden Blätter, oder im Farbenspiel des Laubes ablesbare Zyklen von wiederkehrendem Verfall und Blüte orchestriert, sondern die akustische Apokalypse vorbereitet. Als Reflexionsrahmen für dieses Szenario dient die Mancuerda-Folter aus der Zeit der spanischen Inquisition, die als schmerzvolle Geständnismaschine im Verhör eingesetzt wurde um Beichten zu erzwingen. Immer wieder zitiert das Album kurze spoken-word Passagen, ohne eindeutig identifizierbare Provenienz, die auf diese Geständnisfunktion zu verweisen scheinen. Vor den dröhnenden und aggressiv verzerrten Death-Industrial-Soundscapes erscheinen sie wie zwanghafte Bekenntnisse unserer modernen Mediengesellschaft. Die Fernsehkamera, das Mikrofon und das Internet als postmoderne Inquisitoren. Das Gefühl sich medial mitteilen zu müssen, um sichtbar und präsent d.h. 'wirklich’ zu sein, scheint die archaischen Foltermethoden abgelöst und ersetzt zu haben.

Shock Frontier wurde 2010 von Robert Koztletski und Kyle Carney gegründet und legt mit „Mancuerda Confessions“ nun den ersten Longplayer bei dem für Dark-Ambient und Post-Industrial renommierten Label Malignant-Records vor. Von scharfen, kantigen Noise-Attacken bis hin zu statischen Wall-of-Sound Kollagen reicht das Spektrum der pulsierenden, schneidenden und sich tief ins Trommelfell drückenden Arrangements. Dazwischen, teils unter mehreren Klangschichten begraben, liegen eingebettete Sprach-Samples, die eine Stimme zu artikulieren versuchen. Diese Versuche werden immer wieder von den impulsiven Synthesizern unterdrückt, verschwimmen im parasitären Rauschen, verlieren sich an einigen Stellen in klagenden Schreien, die sowohl auf den Titel des Albums zurückweisen, als auch Verzweiflung über das Nicht-Gehört-Werden zum Ausdruck zu bringen scheinen. Immer weiter sägen und fräsen sich während dessen die Klangstrukturen durch das Album, zerfurchen dessen akustischen Raum, nur um wenig später wieder in einem Moment der Kontemplation inne zu halten. Es ist gerade diese vorsichtige und ambivalente Grundstruktur, die „Mancuerda Confessions“ zu einem interessanten, abwechslungsreichen und wieder erkennbaren Werk macht.

Folter ist in den letzten Jahren zum kulturellen Topos unserer Gegenwart avanciert: In zahlreichen Filmen – mal mehr, mal weniger geistreich – umgesetzt und verarbeitet, später von der konservativen Presse mit dem Kampfbegriff „torture porn“ belegt, hat sich diese langlebige Geständnispraxis spätestens seit Guantanamo und Abu-Ghuraib tief in unser kollektives Bildgedächtnis eingebrannt. Shock Frontier bezieht sich nun aus musikalischer Perspektive aus diesen Diskurs und sucht in beklemmenden Klangwelten einen künstlerischen und damit entschieden subjektiven Zugang zu diesem Abgrund der Zivilisation. „Mancuerda Confessions“ nimmt damit Stellung zu einem bestehenden Diskurs, erweitert diesen um eine ästhetische Perspektive, ohne sich in einer affirmativen Haltung festzufahren und wählt eher eine reflexive Metaposition. Hierbei umspielt und überschreitet das Projekt, die zum Namen gemachte „Shock Frontier“, um sie damit letztlich vielleicht zu transzendieren. Mit der Referenz auf die Folterkerker der spanischen Inquisition wählt das Album hierfür einen dezidiert historischen Bezugsrahmen. In einer an Musique concrète erinnernden Passage des Albums wird dieser historische Kontext durch rasselnde Ketten sehr plastisch – und damit konkret – aufgegriffen, jedoch zugleich durch Polizeisirenen gebrochen und in einen Spannungszusammenhang zu unserer eigenen Gegenwart übersetzt. Kein leichtes Album, kein Album für Gesellschaft, dennoch sehr empfehlenswert und von großer kompositorischer Qualität.

Literatur:
Marcus Stiglegger: Terrorkino. Angst/Lust am Körperhorror (= Kultur & Kritik 1), Berlin: Bertz+Fischer 2010.

Patrick Kilian