V.A. The Second Wave Kassette (C98) aufnahme+wiedergabe 12€ Da lacht das Rezensentenherz in wehmütiger Freude: Die Schatztruhe, die das Dream-Team von aufnahme+wiedergabe und Compiler Thomas Thyssen (Kurator der hochgeschätzten Samplerreihen „Darkness before Dawn“ und „Pagan Love Songs“) mit „The Second Wave“ produziert haben, ist mehr als eine Hommage an die Ära, als Gothic Rock und Dark Wave in Deutschland in Form einer neuen Generation von Bands ein Jahrzehnt nach NDW einmal mehr unter Beweis stellten, dass es auch außerhalb Englands ordentlich düsterte. Bereits die Präsentation als (bis zur letzten Sekunde vollgepackte, eigens produzierte) C98 im damals gängigen DIY-/Xerox-Look zeigt, dass man sich hier mit viel Liebe zur Sache ans Werk gemacht hat, um selten Gehörtes aus längst verschollenen Demos einer breiteren Öffentlichkeit zu Gehör zu bringen (wobei die Freude angesichts einer Auflage von nur 200 Stück auf wenige glückliche Vorbesteller begrenzt bleiben dürfte; jene, denen ein DL reicht, werden hingegen bei Bandcamp fündig). Aber kommen wir zum Inhalt: 23 Bands der „Second Wave“ sind mit Perlen aus jener Epoche vertreten, als Gothic & Wave in Deutschland endgültig Wurzeln geschlagen hatten und die ersten eigenen Blüten trieben – meist selbst in Kassettenform, wie es bei chronisch finanzschwachen Indie-Bands und Labels der Zeit nicht unüblich war. Darunter befinden sich, wie das mit Compilations alleine schon geschmacksbedingt der Fall ist, manche Volltreffer, aber auch so manche Fehlzünder. So freut man sich über ein Wiederhören mit alten Bekannten (Preachers Of Sadness, Dronning Maude Land, Secret Discovery), lange Vergessenen (Revenge of Nephthys, Ghosting), und die Entdeckung obskurer Veteranen (Fallen Apart, The Attainment of Nirvana), die ein Bankett rockig-gotischer Klänge servieren, das in großen Teilen nach einer Best-Of-80s-Goth-Collection klingt. Was also für die einen ein Highlight darstellt, könnte bei wieder anderen zu skeptischen Stirnfurchen führen. Je nach Standpunkt wird man dann etwa den schamlosen Cure-Epigonen The Caves etwas abgewinnen können, oder sie als überflüssig abtun, aber die Musik bleibt. Weitere Highlights sind Exedra mit „Kingdom of the Blind“ (Bauhaus-Fans aufgehorcht!) oder die ursprüngliche Demo-Version von „Johannesburg“, dem bekannten Hit der unvergessenen Gothrock-Helden Love Like Blood, und die klingt hier eher nach Joy Division als nach New Model Army. Ach ja, Vergleiche, Vergleiche... Dem damaligen deutschen Gitarren-Düsterrock haftete immer auch der Kopistenmakel an: Man lehne sich zu sehr an den großen Vorbildern an und serviere kaum mehr als eine wenig originelle Melange aus SistersFieldsCureBauhausCult-Elementen mit amateurhaften Mitteln. Doch weniger ist – gerade in kreativer Hinsicht – manchmal mehr. Angesichts der damals eher beschränkten Möglichkeiten, Amateuraufnahmen professionell klingen zu lassen, ermöglicht die Retrospektive auf „The Second Wave“ einen erfreulich unverstellten Blick auf die tatsächlichen musikalischen Tatbestände. Und da erfreuen die Spielfreude und die selbstsichere Handhabung sowohl musikalischer Zitate als auch der Lust, über die Genre-typischen Riffs, Rhythmen und Themen hinaus zu weisen. Diese Compilation ist eine feine Zeitreise. Menschen, die sich an diese Ära von Untergrund-Abenteuern und Aufbruchstimmung noch erinnern können, werden in Erinnerungen schwelgen (und womöglich hier und da peinlich berührt weiterspulen); die Nachgeborenen besteigen die Zeitkapsel für eine aufregende Entdeckungsreise, die einen seltenen Einblick in eine wahrlich dem Untergrund vorbehaltene Welt ermöglicht – Eine Welt, die das unverzichtbare Scharnier darstellt zwischen dem Oldschool-Goth der 1980er Jahre und dem explosiven Revival der Schwarzen Szene in den 90ern. https://aufnahmeundwiedergabe.bandcamp.com/album/the-second-wave Alexander Nym |
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