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School of the Holy Beast
5 / 5 Sterne
Japan 1974
Regie: Norifumi Suzuki
Drehbuch: Norifumi Suzuki & Masahiro Kakefuda
Darsteller: Maya Takigawa, Fumio Watanabe, Emiko Yamauchi, Yayoi Watanabe,
Ryouko Ima u.a.
Bild: 2.35:1 Anamorphic Widescreen
Ton: Dolby Digital Mono
Bonus: Interviews mit Schauspielerin Yumi Takigawa und Kritiker Risaku
Kiridoushi; Trailer
Anbieter: Cult Epics
Das populäre japanische Kino der Jahre 1971-1976 gehört
mit seinen ero-guro eiga von Nikkatsus Roman Porno und Toies Pinky Violence
zu den faszinierendsten Epochalstilen in der Filmgeschichte. Beide Major-Studios
setzen in Artefakten wie Koji Wakamatsus ECSTASY OF THE ANGELS (1972),
Shunja Itos FEMALE CONVICT SCORPION: JAILHOUSE 41 (1972) oder Noboru Tanakas
A WOMAN CALLED SADA ABE (1975) hinter der Kamera auf teure Production
Values sowie junge Regietalente, während vor der Kamera einerseits
exploitativ Sex- und Gewaltelemente apostrophiert werden, man andererseits
im gleichen Atemzug aber äußerst kritische soziopolitische
Subtexte eingesteht und die Produktionen im Gegensatz zu so vielen italienischen
Trash-Filmen derart stilsicher zu Hochkunst ästhetisieren lässt,
dass selbst das kanonisierte europäische Autorenkino um Frederico
Fellini, Ingmar Bergmann oder Andrej Tarkovski dagegen wie Ernst Hofbauer
wirkt. Während diese Synthese aus Pulp und Arthouse für ein
abendländisches Publikum zwischen allen Stühlen steht, da für
Genrefans zu prätentiös und Auteuristen zu krude, bringt sie
für Nikkatsu und Toei das abspenstige Kinopublikum vom Fernsehsessel
wieder zurück in die Lichtspielhäuser und generiert letztlich
so visionäre wie unterhaltsame Filme, die oft höchst innovativ
normative Genrekonventionen subvertieren, dabei gleichzeitig aber zu keiner
Zeit vergessen, ostentativ vulgär ihre spekulativen Schauwerte auszubeuten.
Damit setzen sie das ambivalente Projekt der 1960s-Roughies von Michael/Roberta
Findlay konsequent fort und fungieren darüber hinaus als wichtiges
Bindeglied hin zu Richard Kerns respektive Nick Zedds New Yorker Cinema
of Transgression. Gerade im Angesicht der kontemporären Kinolandschaft,
in welcher der konfrontative Schock der Exploitation-Avantgarde entweder
in onanistisches Hochkultur-Partisanentum sublimiert oder mittels ebenso
enervierender postmoderner Nerdironie relativiert worden ist, gewinnen
Tatsumi Kumashiros WORLD OF GEISHA (1973), Teruo Ishiis FEMALE YAKUZA
TALE: INQUISITION AND TORTURE (1973), Yukio Nodas ZERO WOMAN: RED HANDCUFFS
(1974) oder Ikuo Sekimotos THE STORY OF A NYMPHOMANIC (1975) umso mehr
an Reiz hinzu.
Hohes Reizpotential besitzen nach wie vor auch die Filme
von Toeis Hausregisseur Norifumi Suzuki: Von dem misanthropischen Girl-Gang-Actioner
SUKEBAN BLUES (1971) über die politische Martial-Arts-Allegorie THE
KILLING MACHINE (1975) bis hin zu dem nihilistischen Serienmörderfilm
BEAUTIFUL GIRL HUNTER (1979), der Motive des italienischen Sadiconazista-Komplexes
mit dem sich konstituierenden Slasher-Movies synthetisiert, steht Suzukis
Kinokonzeption emblematisch für eine Kinematographie der ökonomischen
Verschwendung, welche im Sinne des französischen Philosophen George
Bataille Sex- und Gewaltakte nie binäre Gegensätze markieren
lässt, sondern als fluktuierende Paradigmen in fließender Transition
zeichnet, die austauschbare Variabeln darstellen und ab-hängig voneinander
zur selben Zeit wirken.
Suzukis definitives Meisterwerk findet mit der Manga-Adaption
SCHOOL OF THE HOLY BEAST sich, einem Beitrag zu der in den 1970er Jahren
transnational reüssierenden Welle von exploitativen Filmen, welche
heute gemeinhin unter dem Etikett „Nunsploitation“ firmiert.
Der Kulturwissenschaftler Marcus Stiglegger beschreibt in seinem grundlegenden
Aufsatz Inquisition. Hinter Klostermauern (1999) dieses Phänomen
des populären Kinos als prädestiniert für das Telos des
exploitativen Films, ergo das Bestreben, Schauwerte unter Generierung
eines Maximums an affektiven Evokationen auszubeuten. Das gerade aufgrund
seiner Hermetik so enigmatische Zwangssystem des Klosters muss dabei freilich
ein ganz besonderes Faszinosum darstellen, welches der Nunsploitationfilm
durch einen Blick hinter die geheimnisvollen Mauern kommerziell zu nutzen
trachtet. Anhand der Darstellung von Tabuthemen wie unterdrückter
Sexualität oder demütigendem Machtmissbrauch wird versucht,
den Voyeurismus des Rezipienten zu befriedigen. Entindividualisierende
Unterwerfungsrituale sollen in der Welt der erzwungenen Keuschheit finstere
Phantasien wecken. Einem metaphysischen Drang zum Bösen folgend resultiert
die repressive Sexualität in transgressiven Gewaltakten, welche oft
auf ausgeklügelte Weise an wehrlosen Opfern ausgeübt werden.
Nicht von ungefähr wird SCHOOL OF THE HOLY BEAST daher
immer wieder bemüht griffig mit der Paraphrase „Dario Argento
meets the Marquis de Sade“ beworben. Reminiszenzen an den italienischen
Auteur und dessen Lehrmeister Mario Bava evoziert vor allem Suzukis Arbeit
mit entfesselter Kamera, saturierten Primärfarben, surrealer Licht-setzung
als auch gotischer Architektur. Wie später in Dario Argentos großen
Werken DEEP RED (1976), SUSPIRIA (1977) und INFERNO (1980) erscheinen
Suzukis märchenaffine Bildkompositionen dabei als artifizielle Leinwand,
auf der individuelle Sequenzen den Film ästhetisch weitaus kohärenter
tragen als eine kontinuierliche Entität der Narration. In seinen
Rekursen auf de Sade beschreitet SCHOOL OF THE HOLY BEAST einen oft widersprüchli-chen
Mittelweg zwischen naiven Softsexfilmen wie Jess Francos MARQUIS DE SADE:
JUSTINE (1969) einer- und der kalten Resignation von Pier Paolo Pasolinis
unerbittlicher de Sade-Exegese SALO (1975) andererseits. Norifumi Suzuki
vermeidet es im Gegensatz zu Franco über weite Strecken, die literarischen
Transgressionen de Sades in verfälschende Romantik zu transfigurieren,
verfolgt aber freilich auch nicht das Pasolinische Programm, durch konsequente
Negierung konventioneller Sehgewohnheiten die Gefälligkeit der Ostentation
zu destruieren, um damit vordergründige Obszönität zu desavouieren.
Die de Sadesche Imagination einer absoluten Souveränität, d.h.
eine in ihrer Totalität gänzlich uneingeschränkte Verfügbarkeit
über den menschlichen Leib geht in SCHOOL OF THE HOLY BEAST ein hochgradig
ambivalentes Spannungsverhältnis ein zwischen reißerischer
Exploitation und damit letztlich porngraphischer Inhumanität zum
Einen und ernsthafter ästhetisch-symbolischer Reflexion über
die genuin De Sadesche Kategorie einer schrankenlosen Täterlust zum
Anderen.
Wichtig ist in diesem Zusammenhauch auch die kontinuierliche
Arbeit des Films an vornehmlich religiösen Tabus. In seiner einflussreichen
kulturtheoretischen Schrift Totem und Tabu (1913) übernimmt der Psychoanalytiker
Sigmund Freud den Begriff des Tabus aus der Ethnologie und nennt vier
Punkte als konstitutiv für westliche Industriegesellschaften: erstens
die Unmotiviertheit ihrer Gebote, zweitens deren Begründung durch
eine innere Nötigung, drittens die Ansteckungsgefahr durch das Verbotene
und viertens die Generierung von Geboten aus Verboten. Nach Freud ist
das Tabu also über Willkürlichkeit definiert, welche aber durch
eine rationale Begründung kaschiert wird. Wer nun ein Tabu bricht,
wird selbst zum Tabu und kann dadurch wiederum andere Individuen infizieren.
Um dem entgegen zu wirken, haben sich soziale Rituale als Gebote etabliert,
welche regeln, wie angesichts einer bestimmten Problematik verfahren wird.
Dies ist umso notwendiger, da der Tabubruch verführerische Qualitäten
besitzt: die Transgression einer Grenze und die Aussicht auf Erlangung
eines verbotenen Anderen. Das seduktive Potential der Grenzüberschreitung
wird in SCHOOL OF THE HOLY BEAST gezielt instrumentalisiert, um den Zuschauer
in eine Sinnkrise zu stürzen. Diesbezüglich arbeitet Norifumi
Suzuki einen multivariaten Katalog an religiösen Blasphemien ab:
Gottes- und Marienschmähungen, Urinieren auf christliche Reliquien,
Verletzung des Zölibats, Lesbianismus unter Nonnen, Inzest zwischen
Vater und Tochter sowie Vergewaltigung von Schutzbefohlenen sind nur die
Spitzen eines Eisbergs an transgressiven Handlungen, die zum Akt der Moral
werden.
Denn SCHOOL OF THE HOLY BEAST genügend nie als rein
exploitativer Monolith allein sich selbst. Suzuki versteht es durchgehend,
einen diskursiven Rahmen um die spekulativen Schauwerte zu weben. Vor
allem die historischen Bezüge auf Japans Geschichte nehmen sich evident
aus. So finden verstärkt sich Anspielungen auf die versuchte Christianisierung
Nippons gegen Ende des Mittelalters. Die große Zeit der katholischen
Mission in Japan ist die Periode von der zweiten Hälfte des 16. bis
zur zweiten Hälfte des 17. Jahrhundert. Sie setzt ein mit der Landung
von spanischen wie portugiesischen Missionaren und endet mit der blutigen
Niederschlagung des Aufstands vom Shimbara. Die christliche Mission ist
während dieses Zeitraums immer auch stark politisch motiviert. Den
Portugiesen und Spaniern, damals die vorherrschenden Kolonialmächte,
geht es vor allem darum, ihren Einfluss in Japan geltend zu machen und
Handelsgewinne zu erlangen. Diese Tradition der katholischen Hypokrisie
greift Norifumi Suzuki in SCHOOL OF THE HOLY BEAST auf. Priester und Oberinnen
erscheinen als opportunistische Heuchler und profane Verbrecher, die allein
auf ihren persönlichen Vorteil bedacht sind und letzten Endes selbst
vor skrupellosem Mord nicht zurückschrecken.
Das amerikanische DVD-Label Cult Epics veröffentlicht SCHOOL OF THE
HOLY BEAST wie erwartet in einer vorerst definitiven Version: Bild und
Ton sind überaus gelungen digitalisiert und geben abgesehen von minimalem
Blurring respektive Audiorauschen zu keinerlei ernsthafter Beanstandung
Anlass. Im Gegensatz zur ebenfalls ansprechenden französischen DVD
des Films präsentiert Cult Epics SCHOOL OF THE HOLY BEAST erstmals
mit englischen Untertiteln. Diese sind durchgehend sehr gut lesbar und
zeigen sich frei von orthographischen wie grammatikalischen Fehlern. Als
Bonus befinden sich auf der Disk neben dem originalen Kinotrailer analog
zur französischen Version kurzweilige Interviews mit der Hauptdarstellerin
Yumi Takigawa und dem Filmkritiker Risaku Kiridoushi, das Interview mit
dem Fetischfotografen Romain Slocombe fehlt allerdings. Während sich
in Deutschland ein einschlägig vorbelasteter Anbieter wie Adrenafilm
erdreis-tet, selbst zeitgenössisches asiatisches Kult-Kino wie A
HERO NEVER DIES (1999) in der Qualität einer 3rd-Generation-VHS-Kopie
auf den DVD-Markt zu werfen, bestätigt Cult Epics seine Reputation
als cinephiles Label, welches ambitioniert ausgesuchte Underground-Artefakte
in liebevoller Aufmachung veröffentlicht.
SCHOOL OF THE HOLY BEAST stellt zusammen mit Flavio
Mingozzis radikal düsterem Nunsploitation-Film FLAVIA THE HERETIC
(1974) zweifelsfrei das bedeu-tendste Exponat seiner Art dar und ist darüber
hinaus als eine der avanciertesten Perlen des Bahnhofskinos überhaupt
zu werten. Auf der DVD von Cult Epics gibt es Norifumi Suzukis Exploitation-Klassiker
nun in nahezu optimaler Präsentation neu zu entdecken…
Ivo Ritzer
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